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Kunst Isa Genzken

Was der Bildungsbürger nicht in die Wohnung lässt

Unbetitelte Skulptur von Isa Genzken Unbetitelte Skulptur von Isa Genzken
Mehr als die Summe ihrer Teile: Skulptur von Isa Genzken
Quelle: Courtesy Galerie Buchholz © 2023 VG Bildkunst Bonn
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Die Künstlerin Isa Genzken hat sich früh von der Orthodoxie der Moderne verabschiedet. Berlins Neue Nationalgalerie zeigt zu ihrem 75. Geburtstag, wie sie den sozialen Raum anders, verspielter, offener, lustbetonter und queerer macht.

Ist Isa Genzken die beste, die wichtigste, die tollste lebende deutsche Künstlerin? Das ist eine Frage, die man sich schon länger stellen konnte; nun muss man es. Wobei Superlative in der Kunst, wo Eigensinn und Unaustauschbarkeiten regieren, ja eigentlich keinen Sinn machen. Qualifiziert wäre Genzken aber allemal. Sie startete als Bildhauerin und nahm dreimal an der Documenta und fünfmal an der Kunstbiennale von Venedig teil, wo sie 2007 Deutschland vertrat.

75 Arbeiten zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin zu Genzkens 75. Geburtstag im Glaskasten des Mies van der Rohe, der ja, was das Präsentieren von Kunst angeht, eine Herausforderung und manchmal auch eine Zumutung ist. Das Licht im Inneren macht, was der Himmel über Berlin eben gerade will, und was in mittelgroßen Museumsräumen und Galerien bestanden hat, wirkt in der weiten Halle wie Treibgut, angespült an die Klippen der Nachkriegsmoderne.

Der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, hat mit der Kuratorin Lisa Botti einen offenen, radikal gleichberechtigten Ansatz gewählt – das Raster. Die Schau „75/75“ ist streng chronologisch angelegt als eine Art Schachbrett aus Plastiken und Assemblagen, alle in gebührendem Abstand zueinander. Da wird nichts zusammengerückt, nichts übermäßig inszeniert, es werden keine Zusammenhänge behauptet. Man sieht, da es keine Zwischenwände gibt, alles gleichzeitig und kann sich doch jeder Arbeit einzeln widmen.

Was man gern tut, denn diese Werke haben ihre je eigene Persönlichkeit. Sie sind wie kleine Rätsel, die mit der Wahrnehmung spielen und die ihr Drumherum in sich verwickeln. Da wäre zum Beispiel der Fensterrahmen aus Epoxidharz – „Fenster“ von 1992.

Dreiflügelig ist er und schafft selbst neue Bilder, indem er die Wirklichkeit rahmt. In diesem Fall ist es die mehr als acht Meter große „Pink Rose“ aus Stahl, die vor der Nationalgalerie aufgepflanzt ist, und die in dem urbanen Raum so heilend wie grotesk wirkt.

„Fenster“ in der Ausstellung „Isa Genzken. 75/75“
„Fenster“ in der Ausstellung „Isa Genzken. 75/75“
Quelle: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Jens Ziehe/Courtesy Galerie Buchholz/© VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Epoxidharz ist auch das Material von Arbeiten aus den Neunzigern wie „Lampe“, „Köpfe in Aspik“. Das Kunstharz ist fest wie Holz oder Stein, aber auch transparent. Je nach Lichteinfall wirken die Säulen opak oder durchsichtig, schimmern farbig wie ein Kirchenfenster. Das Material verzerrt optisch, was zuvor darin versenkt wurde. Nicht nur die Komposition, auch die Wahl der Materialien gibt Genzkens Arbeiten etwas Unabgeschlossenes.

Ab 2000 hat sie sich wegbewegt von der Plastik aus einem Guss und Assemblagen aus vielen Teilen gefertigt, die mit ihrem Sockel verschmelzen oder auf dem Boden herumliegen. Manchmal ist das ein gebrauchtes Fahrrad, das neben einer Schaufensterpuppe steht, wie in „Untitled“ von 2018.

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Kritiker wundern sich oft, warum Genzken in ihren am Kunstmarkt hoch gehandelten Arbeiten so viel sogenannten „Trash“ verwendet – da kommen etwa Verpackungsmaterialien, Spiegelfolie, Duschvorhänge, Schirme, Plastikfigürchen und grelle Sprühfarbe zum Einsatz. Angefangen hatte sie doch Mitte der Siebziger mit einem amerikanisch beeinflussten Minimalismus, mit computerberechneten Holzskulpturen und „Weltempfängern“ aus Beton.

Doch was ist eigentlich Trash? Das, was es nicht bei Manufactum zu kaufen gibt? Was der Bildungsbürger nicht in die Wohnung lässt? Alles, was mit schnellem Konsum, Unterschicht oder Formen von Exaltiertheit in Verbindung gebracht wird? Warum sollte ein Material per se würdiger sein als ein anderes?

„Nofretete – Das Original” von Isa Genzken
„Nofretete – Das Original” von Isa Genzken
Quelle: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Jens Ziehe/Courtesy Galerie Buchholz/© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
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Schnell emanzipierte Genzken sich von der Orthodoxie der Moderne. Mit der Serie „Fuck the Bauhaus“ schuf sie im Jahr 2000 dreidimensionale Collagen – bestehend aus Pizzakartons, Sperrholz und Fotografien, zusammengehalten von buntem Klebeband. Es sind Werke, die wie tollkühne Gebäude wirken und die doch aus billigem Material bestehen.

Aber diese Materialien sind deshalb noch lange kein Müll, besitzen sie doch eigene Vorteile – Flexibilität, tolle Farbigkeit, Reflexionsvermögen, Verfügbarkeit, Seltsamkeit. Sie tragen das Außen nach innen, die Welt der Stadt ins Atelier. Genzkens oft an Architektur erinnernde Plastiken sind auch Anregungen, den sozialen Raum anders zu machen, verspielter, offener, lustbetonter, queerer. Sie spielt mit Maßstäben und Ordnungssystemen und mit dem kulturellen Erbe, das andere nur konservieren wollen.

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Im Jahr 2002 stellte Isa Genzken auf der Documenta 11 in Kassel Entwürfe für neue Architekturen vor, „New Buildings for Berlin“. Diese Modelle sind nichts als aneinandergelehnte Glasplatten, die in ihrer Schwerelosigkeit Mies van der Rohes Hochhausentwurf für die Friedrichstraße aus dem Jahr 1921 herbeizitieren. Der wurde bekanntlich nie gebaut.

Das Berlin der letzten paar Jahrzehnte hat, statt transparenter, bunter, urbaner, hedonistisch-eleganter Architektur, die Schießschartenfassaden und den Muschelkalk bevorzugt. Lebensunfreundliche, geradwinklige, todlangweilige Architektur, die Solidität behauptet und doch vor allem aus Kapital und Dämmung besteht.

Isa Genzkens „Pink Rose“ vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin
Isa Genzkens „Pink Rose“ vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin
Quelle: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin/Jens Ziehe/Courtesy Galerie Buchholz/© VG Bild-Kunst, Bonn 2023

In der Neuen Nationalgalerie sieht man nun Genzkens utopische gläserne Kartenhäuser im Licht schimmern, dahinter die belebte Potsdamer Straße und das Goldgelb von Scharouns Staatsbibliothek von 1978 und man fühlt einen wilden Schmerz. Alles könnte auch ganz anders sein! An ihr liegt es nicht.

Isa Genzken, geboren 1948 in Bad Oldesloe, steht für eine andere, nicht mit prätentiösen Bedeutsamkeitsgesten aufgeladene Seite der deutschen Kunst. Am ehesten fällt einem hier noch Sigmar Polke ein, der quecksilbrige Experimentator, der sich in Köln gern unter ganz normale Leute mischte und für den Betrieb unnahbar blieb.

Wie Polke studierte Genzken, nach Stationen in Hamburg und Berlin, an der Kunstakademie Düsseldorf. Sie heiratete 1982 ihren Professor Gerhard Richter, im Jahr 1993 wurde die Ehe geschieden. Isa Genzken zieht von Köln nach Berlin und ging, wie man liest, sehr viel aus.

Die Künstlerin Isa Genzken
Isa Genzken, fotografiert von Wolfgang Tillmans
Quelle: ©Wolfgang Tilmans/Courtesy Galerie Buchholz
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Sie besitzt einen ausgeprägten Sinn für das Fluide und die informellen sozialen Begegnungen des Nachtlebens, insbesondere des schwulen Nachtlebens von Schöneberg. Doch die vielen wilden Geschichten, die einem über Isa Genzken heute so erzählt werden, kommen nie ohne liebevollen Respekt daher. Trotz Eskapaden und gesundheitlicher Krisen schwächelt ihr Werk nicht, das sieht man in „75/75“ noch einmal.

Das Œuvre bleibt offen, entschieden und gegenwärtig. Es ist deshalb eine passende Wendung, dass Gerhard Richter im Untergeschoss der Nationalgalerie seit April einen eigenen Raum hat. Die Werke der ehemaligen Weggefährten stehen nun einige Monate Rücken an Rücken, nur eben vertikal. Es ist eine Wiedervereinigung auf Augenhöhe.

„Isa Genzken 75/75“, Neue Nationalgalerie Berlin, bis 27. November 2023

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