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Brandenburgs Ex-Ministerpräsident (82)

Sprechen kann Stolpe kaum noch – aber zu sagen hat er viel

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Seit zwei Jahren kämpft Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (1990-2002) um den Rest seiner Selbstständigkeit.

(82, SPD) hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, kann kaum laufen, sprechen. Doch zu sagen hat der einstige Kirchenmann der DDR, dessen Markenzeichen seine markante Stimme war, immer noch sehr viel. Schon 2004 erkrankte er an Darm-, später auch Leberkrebs. Seither wird Stolpe, der mit seiner Frau Ingrid (80) in einer Seniorenresidenz in Potsdam lebt, ständig von Ärzten betreut. Das Gespräch mit ihm konnte die B.Z. nur per E-Mail und SMS führen.

B.Z.: Wie geht es Ihnen?

Manfred Stolpe: Meine Stimmung ist gut. Meine Stimme aber ist schlecht. Ich kann problemlos „ja“ oder „nein“ sagen. Das reicht nicht. Deshalb benutze ich ein Sprachgerät und antworte schriftlich. Meine Mobilität ist stark eingeschränkt. Ich bin in ärztlicher Behandlung und nehme viele Termine wahr. Das ist mir wichtig.

Und wie geht es Ihrer Frau?

Meine Frau Ingrid ist meine Sprecherin, meine Ärztin und zunehmend meine Pflegerin. Ohne sie könnte ich nicht mehr in der Wohnung leben.

Ingrid und Manfred Stolpe 2017 bei einem Besuch im Brandenburger Landtag. Die Ärztin und er sind seit 1961 verheiratet (Foto: Thomas Spikermann)
Ingrid und Manfred Stolpe 2017 bei einem Besuch im Brandenburger Landtag. Die Ärztin und er sind seit 1961 verheiratet (Foto: Thomas Spikermann) Foto: Thomas Spikermann Thomas Spikerm

Fühlen Sie sich in Ihrer Seniorenresidenz wohl?

Zum Glück sind wir vor sechs Jahren, als meine Krankheit sich zeigte, in eine altersgerechte Wohnung umgezogen. Viele Hilfsmöglichkeiten sind hier vorhanden, zum Beispiel Heilbehandlungen. Die Betreuung hier bei den Johannitern ist bestens. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was hat sich im Alltag des Manfred Stolpe in der letzten Zeit verändert?

Wenn meine Behandlungstermine Zeit lassen, mache ich am Vormittag Texte, Interviews. Mittagessen bereitet meine Frau in der Wohnung vor. Dann kommt eine kurze Mittagsruhe und je nach Wetterlage genieße ich auf dem Balkon am Havelufer die wunderbare frische Luft und den schönen Blick über das Wasser. Kleine Spaziergänge sind schon recht beschwerlich. Mit dem E-Rollstuhl muss ich mich noch anfreunden. Ab dem gemeinsamen Kaffeetrinken beginnt dann der Familienfeierabend und das leichte Abendessen.

Haben Sie eine Patientenverfügung und ein Testament?

Eine Patientenverfügung habe ich, um den behandelnden Ärzten die Freiheit zu geben, eine hoffnungslose Lebensverlängerung abzubrechen. Das soll ein langes, bewusstloses Sterben vermeiden. Der Tod kommt auf jeden Menschen zu. Ein Testament habe ich verfügt.

Gibt es für Sie auch schöne Seiten des Alters?

Die Erinnerung und die Beobachtung des Umfeldes und der Welt können viele freundliche Seiten aufzeigen. Leider neigen die Medien dazu, Schreckensmeldungen in den Mittelpunkt zu stellen. Nur nebenbei wird berichtet, dass zum Beispiel die Hilfsbereitschaft zunimmt und die schwere Kriminalität gegen Leib und Leben zurückgeht.

2019 ist ein wichtiges Wahljahr. Umfragen sehen die AfD und SPD in Brandenburg gleichauf. Es droht ein Sieg der Rechtspopulisten! Befürchten Sie das auch?

Die politische Lage ist vielfältiger geworden. Auch in Brandenburg gibt es nicht mehr automatisch eine mit Abstand starke SPD. Vier Parteien liegen laut Umfragen nahe beieinander. Niemand wird allein regieren können. Eine Koalition von demokratischen, nicht extremen Positionen ist wahrscheinlich. Ich bin zuversichtlich, dass die SPD als Sieger bei der Landtagswahl am 1. September durchs Ziel gehen und die nächste Regierung anführen wird, denn Dietmar Woidke macht eine gute Arbeit.

Der politische Stern von AfD-Chef Alexander Gauland ging bei der letzten Landtagswahl 2014 auf. Wie bewerten Sie seine Entwicklung?

Alexander Gauland war in den 1990er Jahren Chef der Staatskanzlei in Hessen. Seitdem kenne ich ihn. Er interessierte sich für den Osten und konnte zuhören. Später wurde er bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung leitend tätig. Auch da hatten wir Kontakt. Weshalb er sich von der CDU getrennt hat, weiß ich nicht. Seine neuen Parteifreunde sind zum Teil extreme Rechtspopulisten. Ich beobachte seinen Weg.

B.Z.-Redakteur Tomas Kittan führte im Dezember 2016 ein Interview mit Manfred Stolpe in der Seniorenresidenz in Potsdam (Foto: Thomas Spikermann)
B.Z.-Redakteur Tomas Kittan führte im Dezember 2016 ein Interview mit Manfred Stolpe in der Seniorenresidenz in Potsdam (Foto: Thomas Spikermann) Foto: Thomas Spikermann Thomas Spikerm

In Cottbus, wo Sie mehrfach als Direktkandidat für die SPD antraten und gewannen, hatte bei der letzten Bundestagswahl 2017 die AfD extrem viele Stimmen. Wie rechts ist die Lausitzer Stadt heute? Welche Fehler wurden dort gemacht?

Die unterschiedliche Entwicklung im Osten Deutschlands muss stärker beobachtet werden. Es reicht nicht, sich über die schönen Erfolgsgeschichten wie im Berliner Umland oder in Jena und Leipzig zu freuen. Einige Regionen Ostdeutschlands fühlen sich vergessen. Dabei geht es auch um die Anerkennung der Lebensleistungen der Menschen, um Lohn- und Rentengerechtigkeit. Cottbus war in der DDR ein Vorzeigestandort: Energiezentrum, Industrie, viele Arbeitsplätze. Jetzt sind Industriestandorte weggebrochen und das Ende der Kohle soll schrittweise kommen. Eine ungewisse Zukunft erwartet viele Menschen. Einige laufen Populisten nach – teils aus Protest, teils aus Überzeugung. Das macht mir Sorgen. Die Politik muss diese Menschen erreichen, denn das Wahlkreuz bei den Populisten hilft niemandem. Im Gegenteil: Es schadet Brandenburg.

Ihre SPD ist auf einem Tiefpunkt der Wählerzustimmung! Was raten Sie ihren politischen Freunden, um da herauszukommen?

Dietmar Woidke hat den Ernst der Lage erkannt. Er geht auf die Menschen zu, hört sie an und nimmt ihre Sorgen ernst. Er hat erkannt, dass politisch kluge Reden allein nicht helfen, sondern dass konkret geantwortet und gehandelt werden muss. Die Menschen wollen sehen, was die Regierung macht.

Sie sind Mitinitiator des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche, waren aber nicht bei der Grundsteinlegung.

Ich bin beim Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche erst eingestiegen, als klar wurde, dass sie ein Mahn- und Lernort für Frieden und Toleranz werden soll. Das wird gelingen. Der Aufbau des großen Kirchgebäudes ist noch nicht beschlossen. Das muss mit der Stadt und dem Land verhandelt werden. Da gibt es interessante Ideen. Das Ergebnis ist offen.

Wir danken Ihnen für die Möglichkeit zu diesem Gespräch!

Themen: Landespolitik Manfred Stolpe