Hubertus Heil und die Fleischindustrie: Erfolg oder Scheinreform?
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Hubertus Heil und die Fleischindustrie: Erfolg oder Scheinreform?

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Zerlegung in einem Tönnies-Werk. Der Fleischkonzern wurde während der Corona-Pandemie hart kritisiert, als es unter seinen Beschäftigten zu vielen Infektionen kam.
Zerlegung in einem Tönnies-Werk. Der Fleischkonzern wurde während der Corona-Pandemie hart kritisiert, als es unter seinen Beschäftigten zu vielen Infektionen kam. © Tönnies / Werbestudio Zeidler

Nach dem Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen zeigt sich die Lage der Beschäftigten in der Fleischindustrie verbessert. Gewerkschaften sehen aber noch Graubereiche.

Hubertus Heil ist zufrieden. „Wir haben der organisierten Ausbeutung in der Fleischindustrie ein Ende gesetzt“, teilte der Bundesarbeitsminister und SPD-Politiker kürzlich mit. Seine Botschaft: Die Zeiten schlechter Arbeitsbedingungen sind vorbei, seit Leiharbeit, Werkverträge und das Subunternehmertum für die Kerntätigkeiten in der Fleischwirtschaft verboten sind.

Heil hat seine Reform aus dem Jahr 2021 analysieren lassen, die Evaluation stellt dem Arbeitsministerium ein gutes Zeugnis aus. Und auch andere Akteure äußern sich positiv, wenn auch mit Einschränkungen. Thomas Bernhard von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) lobt das Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen, sagt aber auch, dass es weiterhin Probleme und Graubereiche gebe: zum Beispiel bei der Rekrutierung der ausländischen Beschäftigten und ihrer Integration in die Betriebe. „Wir haben auch nach wie vor Probleme, in die Unterkünfte der Rumänen und Bulgaren zu kommen, weil immer jemand da ist, der aufpasst“, sagt Bernhard.

Susanne Ferschl, Bundestagsabgeordnete der Linken, betont: „Das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie bedeutet noch nicht das Ende der Ausbeutung in der Fleischindustrie.“ Dennoch sei es ein wegweisender Schritt.

Beschäftigten müssen direkt bei den Fabriken angestellt sein

Und selbst der Fleischkonzern Tönnies lässt einen Sprecher mitteilen, dass zwar die Flexibilität im Saisongeschäft nicht mehr gegeben sei und die Verbraucherpreise dadurch sukzessive gestiegen seien. Aber: „Wir weinen den Werkverträgen keine Träne nach.“

Ein Blick zurück: Seit 2021 sind Leih- und Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen verboten, die Beschäftigten müssen direkt bei den Fabriken angestellt sein. Die Arbeitszeit soll digital und manipulationssicher erfasst werden. „Das war eine notwendige Reform“, sagt NGG-Gewerkschafter Thomas Bernhard heute. Das System von Werkverträgen und Leiharbeit sei eine Katastrophe gewesen und habe die Preise und die Tarifbindung nach unten gedrückt. „Gleichzeitig haben Unternehmen wie Tönnies Millionen gescheffelt.“

Auslöser der Reform war die Pandemie, als die Situation der Beschäftigten in den öffentlichen Fokus geriet: In den oft überbelegten Unterkünften infizierten sich Tausende osteuropäische Arbeiter:innen mit Corona und mussten isoliert werden. Viele Beschäftigte klagten über schlechte Bedingungen, ausufernde Arbeitszeiten und fehlende Löhne.

Arbeitsminister Heil: „organisierte Verantwortungslosigkeit“

Die Arbeiterinnen und Arbeiter waren damals häufig nicht direkt bei Tönnies, Westfleisch und anderen großen Schlachtfabriken angestellt, sondern bei Subunternehmen. An den Bändern standen vor allem Menschen aus Osteuropa; viele kannten ihre Rechte nicht. Sie schlachteten und zerlegten Tiere als Leiharbeiter:innen oder Werkvertragsbeschäftigte.

Für die Fleischproduzenten hatten Leiharbeit und Werkverträge viele Vorteile: Sie mussten sich nicht darum kümmern, was die Arbeiter:innen verdienten und wo sie wohnten – das war rechtlich Aufgabe der Subunternehmen, von denen es häufig ein ganzes Netzwerk gab, das für die Behörden schwer zu durchschauen war. Dieses System habe oft zu einer „organisierten Verantwortungslosigkeit“ geführt, sagte Minister Heil, als er im Spätsommer 2020 seine Reform auf den Weg brachte.

Deutlich weniger Fremdpersonal

Jetzt hat Heils Ministerium die neuen Regeln evaluieren lassen. Laut der wissenschaftlichen Untersuchung ist die Zahl des „Fremdpersonals“ deutlich gesunken; ein Großteil sei von den Unternehmen direkt angestellt worden. Befragte Beschäftigte berichteten demnach von transparenten Arbeitsverträgen, auch weil Betriebsräte und Personalabteilungen viel Zeit aufwendeten, um die Verträge den Mitarbeitenden zu erklären. Auch die digitale Arbeitszeiterfassung wirke. „Die Stammunternehmen halten sich stärker an das geltende Recht als frühere Subunternehmen, zum Beispiel sind rechtskonforme Kündigungen und korrekte Arbeitsverträge nun der Normalfall“, heißt es in der Evaluation.

Auch Thomas Bernhard von der Gewerkschaft NGG sagt: „Die klassische Arbeitszeiterfassung ist sofort umgesetzt worden, das ist kein Problem.“ Das bedeute nicht, dass es keine Manipulationen gebe. Schwierigkeiten gebe es nach wie vor bei der korrekten Erfassung der Umkleide-, Wege- und Hygienezeiten.

DIE BRANCHE

Die Löhne in der Fleischindustrie sind vergleichsweise niedrig. Im Jahr 2022 lagen die Bruttomedianlöhne der Branche bei etwa zwei Drittel des mittleren Lohns in der Gesamtwirtschaft. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl von Dezember 2023 hervor.

In Schlachthöfen betrug zum 31.12.2022 das Mediangehalt 2457 Euro. In der Fleischverarbeitung waren es 2495 Euro. In der Gesamtwirtschaft lagen die Bruttomedianlöhne bei 3646 Euro.

Insgesamt waren zum Stichtag 31. März 2023 rund 194 000 Menschen in der Gruppe „Schlachten und Fleischverarbeitung“ sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt, darunter 45 000 Menschen in Firmen mit dem Schwerpunkt Schlachtung.

Ausländische Beschäftigte spielen eine immer größere Rolle: Ihre Zahl ist zwischen Juni 2017 und Juni 2022 um 70 Prozent gewachsen. Sie stellen fast die Hälfte aller Beschäftigten der Branche (45,2 Prozent).

Im Mittel verdienen ausländische Beschäftigte 109 Euro pro Monat weniger als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Die Lohnlücke ist zuletzt aber deutlich gesunken; im Jahr 2017 waren es noch 211 Euro. sbh

Für den NGG-Gewerkschafter Bernhard gibt es zwei große Probleme, die weiterhin ungelöst sind: einerseits die Rekrutierung und Integration der ausländischen Beschäftigten, andererseits die hohe Fluktuation und der Personalmangel. Die Rekrutierer hätten einen zu großen Einfluss auf die Beschäftigten und seien zum Teil auch Vermieter der Unterkünfte, wobei die Miete dann oft direkt vom Lohn abgezogen werde, obwohl es keine Vereinbarung darüber gebe. Auch bei den meist zu hohen Mietpreisen müsse eine Deckelung her.

Oft sei es auch gewollt, dass Rumänen unter Rumänen und Bulgaren unter Bulgaren blieben. „Die Integration muss besser gemanagt werden und es braucht mehr Wertschätzung“, fordert Bernhard. Dann sinke auch die Fluktuation, ist er sich sicher. Denn viele Menschen kämen aus dem Ausland in die deutschen Schlachthöfe, seien schnell enttäuscht und verließen die Branche wieder – um zum Beispiel bei Amazon in einem etwas leichteren und besser bezahlten Job zu arbeiten.

Tönnies übernahm 8000 Beschäftigte direkt

Tönnies betont dagegen: „Allein in den letzten vier Jahren haben wir mehr als 30 Millionen Euro in den Wohnraum investiert, Integrationskräfte eingestellt, die Zusammenarbeit mit den Kommunen rund um unsere Standorte ausgebaut und viele weitere Anstrengungen unternommen, um die Integration voranzutreiben.“

Beim Fleischkonzern hat man mit den Werkverträgen abgeschlossen. „Die Werkverträge gehören in unserer Branche mittlerweile der Vergangenheit an und das ist auch gut so“, sagt ein Tönnies-Sprecher. In den zurückliegenden vier Jahren habe Tönnies eine „Mammutaufgabe“ bewältigt und 8000 Kolleginnen und Kollegen direkt übernommen. Diese Transformation stehe anderen Branchen noch bevor, sagt der Sprecher und verweist auf den Bausektor, die Logistik und anderen Sektoren, wo Werkverträge immer noch genutzt werden.

Verbot von Werkverträgen auch in anderen Branchen?

Auch die linke Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl weitet den Blick und fordert, das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit ebenso in anderen Branchen umzusetzen. „Damit könnten beispielsweise auch in der Kurier-, Express- und Paketbranche, die undurchsichtige Werkvertrags- und Subunternehmerstrukturen nutzt, die Arbeitsbedingungen erheblich verbessert werden.“

Tatsächlich beschloss der Bundesrat Anfang Februar eine Stellungnahme zum Entwurf des Postgesetzes. Darin fordert die Länderkammer den Bundestag auf, „im weiteren Gesetzgebungsverfahren ein Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal im Kernbereich der Zustellung auf der sogenannten letzten Meile (…) und somit das Verbot von Werkverträgen und Nachunternehmerketten aufzunehmen“. Nun ist der Bundestag gefordert.

Zurück zur Fleischbranche: Hier will Arbeitsminister Heil auch die letzte Ausnahme für den Einsatz von Leiharbeit auslaufen lassen. In der Fleischverarbeitung war es bislang weiterhin möglich, in kleinerem Umfang Leiharbeiter:innen einzusetzen, falls ein Tarifvertrag dies regelt. Die Evaluation empfiehlt, die Ausnahme zu erhalten; Heil dagegen will sie zum 1. April auslaufen lassen.

Verband sieht auch weiterhin Bedarf an Leiharbeit

Die Evaluation belege, dass es auch über den 31. März hinaus Bedarf an Leiharbeit für Unternehmen in der Fleischverarbeitung gebe, teilt dagegen der Verband der Ernährungswirtschaft (VDEW) mit, „insbesondere um saisonale Produktionsspitzen zu bewältigen oder Personalengpässe aufgrund von Krankheit oder Urlaub auszugleichen“. Heils Ministerium wolle sich nicht an die Ergebnisse der Evaluation halten, „weil diese politisch unpassend scheinen“, kritisiert der Verband. „Das klare und deutliche Fazit der Evaluation ist, dass die Leiharbeit auf Basis eines Tarifvertrages in der Fleischverarbeitung beibehalten werden soll, dafür setzen wir unsere Stimme ein!“, sagt VDEW-Hauptgeschäftsführer Vehid Alemic laut Mitteilung.

Der Arbeit in Schlachthöfen ist körperlich hart.
Der Arbeit in Schlachthöfen ist körperlich hart. © imago images/Westend61

Für NGG-Gewerkschafter Bernhard braucht es auch die Ausnahme nicht. „In zwei Jahren ist kein Betrieb wegen des Leiharbeit-Verbots in den Konkurs gegangen.“ Statt über Leiharbeit sollten die Unternehmen mit Gewerkschaften und Mitarbeitervertretungen über eine Arbeitszeitflexibilisierung sprechen. Da sei oft mehr möglich, als Arbeitgeber erwarteten.

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