Wie eine Berliner Rentnerin als Erste erfuhr, dass Hubertus Heil nicht Verteidigungsminister wird

Wie eine Berliner Rentnerin als Erste erfuhr, dass Hubertus Heil nicht Verteidigungsminister wird

In einem Lichtenberger Altersheim wollte Franziska Giffey mit dem Arbeitsminister schöne Bilder für den Wahlkampf. Doch eine 90-jährige Dame hatte andere Pläne.

Hubertus Heil und Franziska Giffey wollten eigentlich nur plaudern.
Hubertus Heil und Franziska Giffey wollten eigentlich nur plaudern.Anja Reich

Eigentlich ist Hubertus Heil an diesem Montag ins Haus „Abendsonne“ gekommen, um Franziska Giffey zu helfen. Das Haus „Abendsonne“ ist ein Pflegeheim, das sich in Berlin-Lichtenberg befindet, in einem DDR-Neubaugebiet. Franziska Giffey, Berlins Regierende Bürgermeisterin, ist mitten im Wahlkampf und hat Hilfe nötig.

Nach den neuesten Umfragen zur Wiederholungswahl liegt die CDU mit 22 Prozent vor der SPD, die nur auf 18,7 Prozent kommen würde. Heil ist Bundesarbeitsminister und soll Giffeys Glückbringer sein. Er ist sehr beliebt bei seinen Wählern. Seinen Wahlkreis in Niedersachsen hat er siebenmal in Folge gewonnen, und nun, nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht, ist er auch noch als neuer Verteidigungsminister im Gespräch.

Alle warten auf den Moment

Deshalb sind zu dem Termin im Lichtenberger Pflegeheim auch sehr viele Journalisten gekommen, sogar Fernsehteams, ARD, ZDF, n-tv. Sie schieben sich mit ihren Kameras durch die engen Gänge des Heimes und warten auf den Moment, da der Minister sagt, ob er Lambrechts Nachfolger wird oder nicht. Die Heimbewohner mit ihren Rollatoren sehen ihnen verwundert hinterher.

Hubertus Heil trägt Anzug, Hemd, Krawatte, Einstecktuch und lässt sich Zeit, setzt sich erst mal mit Giffey in den Aufenthaltsraum, wo drei Rentner auf sie warten. Zwei Frauen, ein Mann. Die drei schwärmen von ihrem Heim, das gefällt den Politikern, die Stimmung ist gelöst. Heil fragt den Mann, ob er hier der Hahn im Korb sei. Giffey lobt die selbstgehäkelte Strickjacke der älteren Frau. Dann sagt Heil, er habe ja auch mal in Lichtenberg gewohnt, „in der Rummelsburger Bucht“.

Großer Andrang im Altersheim: ARD und ZDF wähnten Heil schon als nächsten Verteidigungsminister.
Großer Andrang im Altersheim: ARD und ZDF wähnten Heil schon als nächsten Verteidigungsminister.Anja Reich

Es ist ein kleiner Ausrutscher, denn jeder Lichtenberger weiß, dass die Rummelsburger Bucht mit seinen Townhouses am Spreeufer zwar in Lichtenberg liegt, aber nicht zu vergleichen ist mit dem DDR-Neubauviertel hier. Die Rentner lächeln höflich, sagen nichts. Heil redet weiter, fragt die jüngere Frau, ob sie auch hier wohne. Eine harmlose Frage. Die Antwort ist es nicht: Die Frau sagt, sie habe einen Impfschaden erlitten. Nach der zweiten Corona-Impfung sei sie halb blind geworden. Deshalb sei sie hier.

Die Frau mit dem Impfschaden

Der Minister nickt verständnisvoll, stellt eine andere Frage, aber die Frau fängt wieder mit ihrem Impfschaden an. Er werde nicht anerkannt, sagt sie, weil sie sich freiwillig habe impfen lassen. Sie sieht den Minister an. Er soll ihr antworten. Das Gesundheitsressort liegt schließlich auch in SPD-Hand.

Hubertus Heil holt ein bisschen weiter aus, erzählt von seinem Schwiegervater, „einem alten Ostpreußen“, der unter einer Autoimmunerkrankung gelitten und seine letzten Lebensjahre ebenfalls in einem Heim verbracht habe. Sein Schwiegervater habe sich dort sehr wohlgefühlt, teilt Hubertus Heil den Lichtenberger Rentnern mit. Und dann sagt er: „Er ist leider am letzten Freitag gestorben.“

Die Geschichte über den Schwiegervater soll wohl ein Beweis sein, dass so etwas passiert, in allen Familien, sogar in der des Ministers: Krankheit, Heim, Tod. Aber sie wirkt auch ein wenig unvermittelt und ist sicher nicht die Antwort, die die Frau mit dem Impfschaden erwartet hat. Einmal fängt sie noch damit an, Heil sagt nur noch: Das müsse sein Parteikollege Lauterbach klären. Dann geht es weiter, hoch in die erste Etage, die Kamerateams kommen mit. Eine Pflegerin berichtet über ihren Arbeitsalltag. Sie heißt Franziska Boffin. „Schöner Vorname“, sagt Franziska Giffey.

Hubertus Heil hält jetzt eine Flasche Rotbäckchen-Gesundheitssaft in der Hand, die ihm jemand aus dem Giffey-Wahlkampfteam in die Hand gedrückt haben muss, und klopft an eine Tür. Irena Walentowsky wohnt hier, eine 90-jährige Witwe, die sich bereit erklärt hat, von sich zu erzählen. Sie lädt die Politiker ein, in ihr Zimmer zu kommen, ein kleines Zimmer, in das gerade mal ein Bett, ein Regal, ein Sessel, ein Tisch und zwei Stühle passen. Und nur ein Kamerateam. So kommt es, dass der spannendste Moment an diesem Tag fast unbeachtet vergeht.

Irena Walentowsky hat sich schick gemacht für den Termin. Zum Strickpullover trägt sie Ohrringe, Kette und Armband. Sie sitzt im Sessel, Giffey und Heil auf den Stühlen ihr gegenüber. Sie schenken ihr Blumen und die Flasche Rotbäckchen-Saft. Sie stellen Fragen: Wie alt sie sei? – 90! – Wo sie früher gewohnt habe? – In der Gensinger Straße! – Wo sie herkomme, sie rolle so schön mit dem R? – Aus Ostpreußen! – Was ihr Beruf gewesen sei? – Kaderleiterin in der Stadtverwaltung!

Walentowsky antwortet geduldig und freundlich. Aber irgendwann reicht es ihr. Sie dreht den Spieß um und stellt selbst Fragen an den Minister. Es sind die gleichen, die die Journalisten vor der Tür so brennend interessieren, auf die Heil eigentlich noch keine Antwort geben will.

„Ich habe gehört, dass man mit Ihnen was vorhat“, sagt Irena Walentowsky und sieht den Minister prüfend an.

„Herr Heil, Sie werden das schaffen!“

Giffey kichert. Heil sagt, er fühle sich geehrt, aber er sei sehr gerne Arbeitsminister. Er will schon wieder weiterreden, Fragen stellen, über das Heim, über die Pflege, aber Irena Walentowsky ist nicht zufrieden mit der Antwort. Sie war mal Kaderleiterin. Sie weiß, wie man Kandidaten, die ausweichen, auf den Zahn fühlt.

„Sie bleiben uns also treu?“, bohrt sie nach.

Und nun sagt es der Minister dann doch, gibt einer 90-jährigen Frau aus Berlin-Lichtenberg die Antwort, auf die das ganze Land wartet.

„Ja, ja“, sagt er.

Irena Walentowsky strahlt den Minister an und wünscht ihm alles Gute für seine weitere Arbeit. „Herr Heil, Sie werden das schaffen!“ Der Minister streichelt ihr die Hand, es sieht so aus, als wolle er sie gar nicht mehr loslassen.

Giffey und er gehen nach unten in den Garten. Die Sonne scheint. Die Kamerateams bringen sich in Stellung. Hubertus Heil spricht über bessere Arbeits- und Lohnbedingungen in Heimen und über ein neues Einwanderungsgesetz, um den Mangel an Pflegekräften zu beheben. Im März soll es so weit sein.

Dann ist Zeit für Fragen, endlich: Wird er es nun oder nicht?

Heil sagt: „Ich bin Bundesarbeitsminister, ich habe noch viel vor und fühle mich gut ausgelastet.“  Er weicht aus, schon wieder. Irena Walentowsky wäre nicht zufrieden.