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Geschichte Helmut Schmidts Umwelttagung

Der Weg zu mehr Umweltschutz? Modernisierung!

Muss Ökologie der Ökonomie schaden? Das diskutierte Kanzler Helmut Schmidt 1975 auf Schloss Gymnich mit Vertretern der deutschen Wirtschaft. Das Ergebnis ist auch 49 Jahre später noch interessant. Eine Historikerin hat das Treffen nun untersucht.
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Bundesinnenminister Werner Maihofer und Bundeskanzler Helmut Schmidt im ernsten Gespräch auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag 1975 Bundesinnenminister Werner Maihofer und Bundeskanzler Helmut Schmidt im ernsten Gespräch auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag 1975
Bundesinnenminister Werner Maihofer und Bundeskanzler Helmut Schmidt im ernsten Gespräch auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag 1975
Quelle: picture-alliance/ dpa

Manchmal zeigt ein einzelnes Wort, dass jemand das Problem verstanden hat (oder eben nicht). „Energie- und Umweltpolitik müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen“, hieß es 1974 in der „Ersten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung“. Damit sollte der vorherrschende, überwiegend andere Eindruck vor allem in der Wirtschaft entkräftet werden – denn sinnvoll war die Formulierung „müssen nicht“ nur, wenn die hauptsächliche Wahrnehmung lautete: „Energie- und Umweltpolitik stehen in Widerspruch zueinander.“

Die sozialliberale Koalition setzte seit ihrer Regierungsübernahme 1969 auf Umweltpolitik. Mitte Januar 1974 war das erste entsprechende Rahmengesetz beschlossen, das den zuständigen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) zum Jubeln brachte: Der „modernste Umweltschutz der Welt“ sei die Folge. Nur ein der Praxis verbundener Bundestagsabgeordneter, der Landwirt Egon Susset, ein Landwirt aus Heilbronn, hielt dagegen und warnte vor der „schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrung“ zulasten der deutschen Wirtschaft.

Ein gutes Jahr später zeigte sich, wie richtig der CDU-Politiker gelegen hatte. Eine Studie des Ifo-Instituts wies nämlich im Februar 1975 in einer Befragung von 2000 Unternehmen nach, dass der Umweltschutz „für die deutsche Industrie zu einem immer größeren Kostenfaktor“ werde. „Angesichts der allgemeinen Konjunkturkrise“, fasst die Zeithistorikerin Eva Oberloskamp in ihrem Aufsatz „Schadet Umweltpolitik der Wirtschaft?“ zusammen, „machte Bundeskanzler Schmidt 1975 das Problem, wie mit dem Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum umgegangen werden sollte, zur Chefsache.“

Schloß Gymnich bei Erftstadt
Schloß Gymnich bei Erftstadt
Quelle: picture-alliance / dpa

Der Beitrag, erschienen im aktuellen Heft der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, untersucht den Kontext der Umweltklausurtagung auf Schloss Gymnich am 3. Juli 1975. Diese Besprechung gilt in der Forschung zur Bundesrepublik oft als Zäsur, die eine Stagnation in der Umweltpolitik eingeleitet habe. Doch welchen Stellenwert hatte die achtstündige Sitzung im offiziellen Gästehaus der Bundesrepublik bei Erftstadt wirklich? Oberloskamp stützt sich vor allem auf Unterlagen des Bundeskanzleramtes, des Wirtschafts- sowie des Innenministeriums im Bundesarchiv.

Der Bundeskanzler hatte die Idee einer ausführlichen Diskussion der zuständigen Minister mit Wirtschaftsvertretern Ende Februar 1975 gehabt; ab 11. April wurde es organisiert. Umweltverbände wurden gar nicht hinzugebeten, was zu einigen Beschwerden führte. „Das Bundeskanzleramt blieb jedoch bei seiner Auffassung, dass Umweltverbände letztlich nicht als gleichrangige Gesprächspartner anerkannt und deshalb auch nicht zur Umweltklausur eingeladen werden könnten“, schreibt Eva Oberloskamp zutreffend.

Die wichtigsten Themen der Klausur sollten sein, ob die gesetzlichen Umweltschutzauflagen wirklich Investitionen verhinderten und so das Wachstum bremsten, ob die Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft geschwächt werde und damit Arbeitsplätze gefährdet seien. Außerdem sollte beraten werden, inwieweit der Umweltschutz „eine restriktive und unnötig langwierige Genehmigungspraxis“ verursachen könnte.

Helmut Schmidts Rolle

Ein knappes halbes Jahrhundert nach der Umweltklausur auf dem idyllischen Wasserschlösschen steht fest, dass jede dieser Sorgen ebenso berechtigt war wie zuvor der entsprechende Einwand von Egon Susset im Bundestag; die entgegen gesetzten Behauptungen der Umweltverbände sind fraglos widerlegt. Auch hat die deutsche Umweltpolitik niemals zu einem neuen „Wirtschaftswunder“ geführt, wie verschiedentlich versprochen wurde – vielmehr zu gigantischen Subventionen im Inland und Erfolgen ausländischer Anbieter etwa von Sonnenkollektoren oder Elektroautos.

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Wie nun ging Helmut Schmidt, der selbst oft auf seinen ökonomischen Sachverstand hinwies, mit dem Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und Wirtschaft um? Zwar drängten vor allem Beamte im Innenministerium darauf, dem Umweltschutz Vorrang zu geben, doch auch im Kanzleramt gab es die Gruppe Umweltangelegenheiten, die sich eindeutig zulasten der Wirtschaft positionierte. Immerhin war das Denken auch dort von einem „auf rationale Planung ausgerichteten Denken geprägt“, schreibt die Historikerin. Oberloskamp hat vorher unter anderem die Reisen deutscher und französischer Linksintellektueller in die stalinistische Sowjetunion erforscht und die Reaktion westeuropäischer Regierungen auf die Herausforderungen des linken Terrorismus in den 1970er-Jahren.

Im Zuge der Vorbereitung der Klausurtagung zeigte sich auch, dass die Umweltschutzpolitik seit 1969 noch keine nennenswerten Ergebnisse gezeitigt hatte. Trotz aller Anstrengungen sei nicht gelungen, heißt es im Redemanuskript des federführenden Staatssekretärs für Gymnich, „die Verschmutzung von Luft und Gewässern insgesamt gesehen“ zurückzudrängen. Nicht einmal einen „Belastungsstillstand“ habe man bisher erreicht.

Die Position der FDP

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Schmidt bezog eine eindeutige Sicht. Eine unangemessene „Belastung der Wirtschaft durch Umweltschutzmaßnahmen“ müsse ebenso vermieden werden wie eine „Gefährdung von Arbeitsplätzen“, hielt das Kanzleramt am 28. April 1975 in einem Gesprächsvermerk fest. Ähnlich sah es zu dieser Zeit die Mehrheit seiner Partei, der SPD.

Doch es gab auch Gegenkräfte. Innenminister Werner Maihofer (FDP) verlangte von Schmidt Mitte Mai 1975, die „Notwendigkeit einer kontinuierlichen Politik zum Umweltschutz“ anzuerkennen. Ins gleiche Horn stieß der FDP-Fraktionschef im Bundestag Wolfgang Mischnick: Man dürfe sich nicht auf „konjunkturelle Schönwetterperioden“ beschränken. Parallel mit dem Aufkommen des Umweltschutzes als politischem Ziel war zudem seit Anfang der 1970er-Jahre ein ökosozialistischer Flügel in der bundesdeutschen Gesellschaft entstanden, der alles tat, um neue Technologien wie beispielsweise Kernkraft zu hintertreiben.

Angesichts solcher Konfliktlagen musste der Bundeskanzler in Gymnich einen Weg finden, den Eindruck von „Profillosigkeit“ der Regierung zu vermeiden. Weder dürfe man „mit Wechselbädern die Industrie“ verunsichern noch den Eindruck erwecken, der „Zielkonflikt“ werde „ausschließlich zu Lasten des Umweltschutzes gelöst“. Eine schwierige Aufgabe – und ein Beleg, dass Führungsfähigkeit in der Spitzenpolitik von Demokratien nicht nur in Krisenzeiten notwendig ist, sondern auch bei wesentlichen Zukunftsfragen.

Selbstverständlich nahm Schmidt diese Herausforderung an. Er führte den Vorsitz bei der Klausurtagung in Schloss Gymnich. Unterbrochen von einem Arbeitsessen ging es den ganzen Tag um die Probleme der Wirtschaft. Von Seiten der geladenen Industrievertreter kamen vor allem Klagen, aber das konnte angesichts des Zuschnitts der Klausursitzung kaum überraschen.

Die letzte Gesprächsrunde brachte dann, befindet Eva Oberloskamp, neue Perspektiven. Insbesondere der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen Karl-Heinrich Hansmeyer brachte eine Zukunftsperspektive ein: Moderne Technik könne Wirtschaftsleistung und Umweltschutz miteinander versöhnen, den auf anderem Wege unübersehbaren Zielkonflikt also auflösen. Das war ein Anstoß, der in den 1980er-Jahren beispielsweise mit Verfahren wie der Rauchgasentschwefelung in Kraftwerken und Industrieanlagen oder dem Katalysator für Autoabgase tatsächlich wesentliche Fortschritte für den Umweltschutz brachte.

Doch so weit vermochten die Teilnehmer der Klausurtagung noch nicht zu sehen. Helmut Schmidt betonte in seinem Abschlussstatement, man könne „nicht ganz sicher sein, dass die im ersten Anlauf erlassenen Umweltschutzstandards in jedem Falle richtig dimensioniert“ gewesen seien. Sein Innenminister hielt den verstärkten Austausch mit Unternehmen ebenfalls für notwendig, allerdings bekannte er sich zu einer „konjunkturneutralen Umweltpolitik“. Immerhin sagte er zu, die staatlichen Genehmigungsverfahren „müssten rationalisiert werden“.

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Intern schoss Maihofer allerdings scharf gegen Schmidt und lehnte in einem Brief an das Kanzleramt dessen Bemerkung zum Ende des Gymnicher Treffens kaum verhüllt ab. Es gebe keine Hinweise, „die festgelegten Umweltanforderungen seien überzogen und müssten korrigiert werden“, schrieb er im September 1975. Den Bundeskanzler focht das nicht an – er setzte sich durch: Zwar wurden bestehende Umweltgesetze nicht abgeschwächt, aber weitere Initiativen verlangsamt und abgeschwächt. Es war eine Anpassung angesichts der ökonomischen Schwäche des Westens.

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Erst als nach Überwindung auch der zweiten Ölpreiskrise 1979/80 die Konjunktur in der freien Welt, voran in den USA und Großbritannien, ab Ende 1982 auch in der Bundesrepublik wieder ansprang, kam es zum Durchbruch einer rationalen Umweltpolitik. Denn nun boten umfangreiche Investitionen der Wirtschaft die Möglichkeit, modernere und damit wesentlich schonendere Technologien einzusetzen.

Inzwischen allerdings hatte sich aus dem ökosozialistischen Flügel der westdeutschen Gesellschaft eine neue Partei gebildet, die weit hinter die Erkenntnisse der Klausurtagung von Gymnich 1975 zurückfiel: die Grünen.

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