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Geschichte Leibspeisen der Mächtigen

Mitterrands kontroverses Lieblingsessen ist in Europa heutzutage verboten

Nicht erst seit Helmut Kohls Vorliebe für Saumagen ist es ein beliebtes Thema, was Staatenlenker gerne essen. Manche der Speisen sind skurril oder erzürnen Tierschützer – wie François Mitterrands Lieblingsgericht. Würde er noch leben, könnte er es nur noch unter der Hand bekommen. Ein Rückblick.
Managing Editor Geschichte
François Mitterrand (l.) und Helmut Kohl (r.) bei einem Dîner in Paris im Jahr 1982. Der eine mochte Fettammer, der andere Saumagen François Mitterrand (l.) und Helmut Kohl (r.) bei einem Dîner in Paris im Jahr 1982. Der eine mochte Fettammer, der andere Saumagen
François Mitterrand (l.) und Helmut Kohl (r.) bei einem Dîner in Paris im Jahr 1982. Der eine mochte Fettammer, der andere Saumagen
Quelle: picture-alliance/dpa/UPI AFP

Du bist, was du isst. Dieser so simple wie im doppelten Sinne küchenpsychologische Befund wird oft wiederholt, aber in welchem Maße man vom Essverhalten tatsächlich Rückschlüsse auf den Charakter eines Menschen ziehen kann, sei dahingestellt. Tief blicken lässt es allemal. Wohl auch deshalb geht von dem Thema seit jeher ein gewisser Reiz aus – gerade wenn es um mächtige Personen geht, um Spitzenpolitiker und Staatenlenker. Schließlich erlaubt es einen raren Blick auf die privaten Seiten der Menschen, die sich so oft hinter Worthülsen und anderen Ritualen der Macht verbergen.

Wobei Essen durchaus auch oft ganz offensiv verwendet wurde und wird, um Politik zu machen. So lassen sich Kandidaten im deutschen Wahlkampf seit Jahrzehnten mit Bier und Bratwurst (bzw. Currywurst wie im Falle Gerhard Schröders) ablichten, um volksnah zu wirken. Gleiches gilt für US-Politiker, die an Hamburger- oder Pizzabuden Halt machen. Interessanter und weniger vorhersehbar als die Menüs solcher öffentlichen Anlässe ist, was die Machtmenschen „hinter den Kulissen“ bevorzugen.

Wobei es auch da manchmal Überschneidungen von Privatem und Offiziellem gibt, wie beim wohl bekanntesten Lieblingsessen eines deutschen Regierungschefs, dem Pfälzer Saumagen. Dabei handelt es sich um eine Masse aus Schweinefleisch, Kartoffeln und Gewürzen, die in einen Schweinemagen gefüllt und mehrere Stunden in Wasser gegart wird. In dicke Scheiben geschnitten brät man die Masse anschließend an und reicht dazu Beilagen wie Sauerkraut.

Ein Pfälzer Saumagen
Ein Pfälzer Saumagen
Quelle: picture alliance/Norman Krauß/Shotshop

Der als Genussmensch bekannte Bundeskanzler Helmut Kohl (im Amt von 1982 bis 1998) sprach gerne und oft über dieses herzhafte Gericht aus seiner Heimatregion als seine Leibspeise. Das war sie zweifellos, aber Kohl nutzte das heimatverbundene und bodenständige Gericht durchaus auch zur Imagepflege. Auf diversen offiziellen Anlässen ließ er Saumagen sowie weitere deftige Pfälzer Spezialitäten reichen, bevorzugt im Hotel-Restaurant Deidesheimer Hof in der Pfalz. So auch im Frühjahr 1994, als er Boris Jelzin dort zwar keinen Saumagen, aber dafür einen Blutwurststrudel servierte. Der Kremlchef war so begeistert von der Speise, dass er sich vom Koch das Rezept geben ließ.

Etliche andere Staatsgäste bewirtete Kohl mit Saumagen, darunter die britische Premierministerin Margaret Thatcher – die dafür bekannt war, daheim gerne den englischen Bananen-Sahnekuchen „Banoffee pie“ zu backen. Die „Eiserne Lady“ konnte Kohl mit der Pfälzer Delikatesse allerdings nicht beeindrucken, sein Verhältnis zu ihr blieb frostig. François Mitterrand gewann der deutsche Kanzler hingegen als engen Freund. Als Kohl dem französischen Präsidenten einen Saumagen vorsetzte, soll er gescherzt haben, Mitterand solle aufessen, sonst bekomme er das Saarland zurück.

Mitterrand hatte privat wiederum eine besondere Vorliebe für ein Gericht, das Tierschützer als grausam verurteilen: Ortolans à la provençale. Die im Deutschen als „Fettammer“ bekannte Speise besteht aus einem Ortolan (einem spatzengroßen Singvogel aus der Gattung der Ammern), dem man entweder die Augen herausgestochen oder ihn in permanenter Dunkelheit gehalten hat. Das dient dem Zweck, den Tag/Nacht-Rhythmus des Vogels zu verwirren, sodass dieser ständig frisst und auf das Dreifache seines Gewichts anschwillt. Derart gemästet, wird das Tier in Armagnac ertränkt, in Fett gegart und im Ganzen serviert.

Und als ob dies alles nicht schon haarsträubend genug wäre, verlangt es die Tradition, sich beim Essen der Fettammer eine große Stoffserviette über den Kopf zu stülpen. Das soll einerseits das Geschmackserlebnis intensivieren, weil Duft und Aroma der Speise unter dem Tuch eingefangen werden. Gleichzeitig gilt das Zerbeißen des kleinen Vogels als wenig schöner Anblick, der so den Tischnachbarn erspart wird.

Verzehr einer Fettammer
Verzehr einer Fettammer
Quelle: Wikipedia / Marianne Casamance

Noch kurz vor seinem Tod am 8. Januar 1996 verspeiste Mitterrand eine Fettammer bei seiner letzten Silvesterfeier. Wenige Jahre später wurden der Fang und Verzehr von Ortolanen aus Gründen des Artenschutzes in Europa verboten, da ihr Bestand stark zurückgegangen war. In wohlhabenden Kreisen Frankreichs sollen Fettammern aber immer noch stillschweigend serviert werden.

Ähnlich umstritten wie die Fettammer ist ein weiteres von Mitterrands Lieblingsgerichten: Foie gras. Die rabiate Produktion der Stopfleber durch das Mästen von Gänsen oder Enten ist in der EU seit 1999 verboten, aber Frankreich umgeht dies, hat die Speise zum nationalen und gastronomischen Kulturerbe erklärt und vom Tierschutzgesetz ausgenommen. Auch Mitterrands Nachfolger von Jacques Chirac bis Emmanuel Macron ließen und lassen sich gerne beim Essen von Foie gras ablichten, um bei Wählern zu punkten, die in dem Gericht ein patriotisches Symbol sehen.

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Macrons US-Kollege Joe Biden wird wiederum immer wieder beim Kauf von Eiscreme gesichtet. Eine politische oder patriotische Botschaft ist dabei aber nicht bekannt, der US-Präsident gilt einfach als leidenschaftlicher Eisesser, Lieblingssorte: Chocolate Chip. Mit seiner Vorliebe kann sich Biden allerdings auf eine lange amerikanische Tradition berufen: Eiscreme war auch eine Leidenschaft des allerersten US-Präsidenten George Washington.

Zu dessen Amtszeit im späten 18. Jahrhundert war die Süßspeise noch eine äußerst kostspielige Delikatesse, die nur ganz wenigen vorbehalten war. Denn abgesehen davon, dass man zum Zubereiten von Eiscreme ausreichend Milch und Sahne parat haben musste, brauchte man auch Zucker und Salz, was eher teure Zutaten waren. Ganz zu schweigen vom Eis, das man im Winter aus zugefrorenen Flüssen gewann und für den Rest des Jahres in speziell isolieren Eishäusern einlagerte.

Steak und Eichhörnchen

Unter Washingtons Nachfolgern finden sich diverse Steak-Liebhaber, und hier registrieren Beobachter aufmerksam ihre jeweiligen Präferenzen. So ließ sich Barack Obama (im Amt von 2009 bis 2017) sein Rib Eye medium-well servieren, während Obamas Nachfolger Donald Trump sein New York Strip zum Schrecken von Feinschmeckern well-done mit Ketchup bestellte. Noch lieber mochte Trump aber Hamburger von Fast-Food-Ketten wie McDonald’s und Burger King, die er sich auch ins Weiße Haus kommen ließ. Als ein Freund von Hamburgern war auch Bill Clinton in den 1990ern bekannt, bis er sich aufgrund von Herzproblemen später zum Veganer wandelte.

Richard Nixons letzte Mahlzeit im Weißen Haus
Richard Nixons letzte Mahlzeit im Weißen Haus
Quelle: picture alliance/Everett Collection/NARA

Mit William Henry Harrison und James Garfield gab es auch zwei US-Präsidenten, die Eichhörnchen als Fleischgericht besonders schätzten. Das war zu ihren Amtszeiten im 19. Jahrhundert nicht unüblich, würde heute aber eher zu Stirnrunzeln führen. Das gilt auch für Richard Nixons Angewohnheit, sein Lieblingsessen bisweilen mit Ketchup zu garnieren: Hüttenkäse. Diesen aß er oft und zu verschiedenen Tageszeiten, auch sein allerletztes Mahl im Weißen Haus nach seinem Rücktritt war am 9. August 1974 eine Portion Hüttenkäse, allerdings ohne Ketchup, stattdessen mit Ananas und einem Glas Milch.

Etwas skurrile Züge hatte auch eine besondere Ess-Vorliebe von Ronald Reagan (im Amt von 1981 bis 1989). Der „Great Communicator“ liebte Jelly Beans so sehr, dass er immer sicherstellte, große Gläser mit ausreichenden Vorräten der kleinen Fruchtgummi-Bonbons in seiner Nähe zu wissen, sei es im Oval Office, in Sitzungsräumen oder in der Air Force One.

Ronald Reagan und Ehefrau Nancy essen 1981 im Weißen Haus gemütlich beim Fernsehen. Später gab es sicher noch ein paar Jelly Beans
Ronald Reagan und Ehefrau Nancy essen 1981 im Weißen Haus gemütlich beim Fernsehen. Später gab es sicher noch ein paar Jelly Beans
Quelle: picture alliance/Everett Collection/NARA

Natürlich hatte Reagan auch Jelly Beans im Gepäck, als er auf Deutschlandbesuch von Helmut Kohl den Pfälzer Saumagen serviert bekam. Ob der US-Präsident dem Gastgeber ein paar der Bonbons abgegeben hat, ist nicht überliefert, aber durchaus denkbar, denn der Kanzler der Einheit mochte neben herzhaften Gerichten auch Süßspeisen wie Kuchen und Torten sehr gerne.

Das gilt auch für einige seiner Vorgänger, wie dem ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dessen Lieblingsrezepte sind von seiner Wirtschafterin Resi Schlief überliefert. Demnach hatte er zum Hauptgang eine Vorliebe für verschiedene Suppen, ähnlich wie seine Nachfolger Ludwig Erhard, der Pichelsteiner Eintopf schätzte, und Helmut Schmidt, der ein Freund der Erbsensuppe war. Zum Nachtisch waren bei Adenauer Süßspeisen wie Schwedischer Nusskuchen oder Aprikosenauflauf willkommen.

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Wie später Helmut Kohl war auch der „Alte aus Rhöndorf“ ein Meister darin, mit lukullischen Genüssen Politik zu machen. Ein Beispiel ist Adenauers legendäre Politiker-Runde im August 1949, eine Woche nach der ersten Bundestagswahl, bei der er sich für das Amt des Kanzlers ins Gespräch brachte. Um die Gäste auf seine Seite zu ziehen, lud er in der kargen Nachkriegszeit zu einer opulenten Kaffeetafel in sein Wohnhaus in Rhöndorf hoch über dem Ostufer des Rheins. Später gab es dort noch ein reichhaltiges Buffet und dazu Weine aus dem heimischen Keller.

Vor allem der jüngste Teilnehmer, der damals 33 Jahre alte Generalsekretär der CSU Franz Josef Strauß, zeigte sich nachhaltig beeindruckt: „Auf Privatkosten Adenauers“ habe er weder vorher noch nachher jemals Ähnliches erlebt. Über die angebotenen Getränke schwärmte Strauß sogar: ein „Sortiment Weine, die für uns wie himmlische Glocken klangen“. Politik und Alkohol – das ist wiederum ein Thema für sich.

Doch Adenauer war in puncto Essen nicht nur bloßer Gastgeber oder Konsument, sondern hat mehrere kulinarische Eigenkreationen hinterlassen. Lange vor seiner Zeit als Bundeskanzler betätigte sich der Politiker nämlich auch als Erfinder. Während des Ersten Weltkriegs war er in der Kölner Stadtverwaltung für die Lebensmittelversorgung zuständig, die zunehmend schwieriger wurde.

Daher entwickelte er unter anderem ein „Verfahren zur Herstellung eines dem rheinischen Schwarzbrot ähnelnden Schrotbrotes“, das er am 2. Mai 1915 patentieren ließ. 1916 erfand er angesichts von Fleischknappheit eine Soja-Ersatzwurst, die sogenannte „Kölner Wurst“. Produkte, die aus der Not geboren waren – und die wohl nie jemand als ein Lieblingsessen bezeichnet haben dürfte, auch nicht Adenauer selbst.

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