Warum sich Helmut Kohl mit Viktor Orbán trifft – Euractiv DE

Warum sich Helmut Kohl mit Viktor Orbán trifft

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban auf dem Weg zu Kohls Privathaus in Oggersheim. [Foto: Foto: Uwe Anspach/dpa]

Er ist Angela Merkels härtester Gegenspieler in der EU: Viktor Orban. Nun besucht der Ungar Altkanzler Helmut Kohl. EURACTIVs Medienpartner „Der Tagesspiegel“ berichtet.

In seinem Haus in Oggersheim empfängt Altkanzler Helmut Kohl (CDU) am heutigen Dienstag einen der umstrittensten Regierungschefs Europas: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán steht innerhalb der EU massiv in der Kritik. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und die Pressefreiheit einzuschränken. Im eigenen Land macht Orbán Stimmung gegen Fremde. Innerhalb der Europäischen Union gilt er als härtester Gegner der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dass sich Kohl vor diesem Hintergrund mit dem ungarischen Regierungschef trifft, wird in Unionskreisen als Affront gegen Merkel gewertet.

Was macht Orbán für Merkel als Gegenspieler in der Flüchtlingskrise gefährlich?

Grenzzäune und harte Asylgesetze – der rechtskonservative Premier schottete sein Land als erster europäischer Regierungschef gegen Flüchtlinge ab. Gegenüber Migranten schlägt er bis heute aggressive Töne an. Viktor Orbán spricht aber schon lange nicht mehr nur für sein eigenes Land, wenn es um europäische Flüchtlingspolitik geht. Der Ungar schmiedete ein Bündnis mit anderen Ländern Mittelosteuropas. Sie eint, dass weite Teile ihrer Bevölkerungen die Einwanderung von Flüchtlingen entschieden ablehnen. Konkret geht es um Polen, Tschechien und die Slowakei. Gemeinsam stemmten sich diese Staaten gegen eine verbindliche europäische Quote zur Verteilung von Flüchtlingen. Diese Verteilung aber war eines der wichtigsten Ziele Merkels bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Orbán selbst hat inzwischen ein Referendum über die Verteilungsquote angekündigt. In Brüssel gilt dies als Indiz dafür, dass die Ungarn sich EU-Beschlüssen nicht beugen wollen.

Auch in der politischen Debatte in Deutschland mischt Orbán mit – immer auf der Seite von Merkels entschiedensten Gegnern. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer lud den ungarischen Verbündeten zu einer CSU- Klausur im fränkischen Kloster Banz ein und besuchte ihn in Budapest. In Banz warf der Ungar Merkel „moralischen Imperialismus“ vor. Orbán weiß, dass auch ein Teil der Unionswähler nicht mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin einverstanden ist. Wenn der ungarische Ministerpräsident den Kurs der Kanzlerin in deutschen Medien attackiert, zielt er auch auf dieses Publikum.

Wie will Orbán seinen Kurs in der EU durchsetzen?

Seine Regierung hat einen Aktionsplan zur Flüchtlingsabwehr angekündigt. Den Zehn-Punkte-Plan mit dem Titel „Schengen 2.0“ werde der Ministerpräsident persönlich in mehreren EU-Staaten vorstellen, darunter auch in Deutschland, erklärte die Regierung. Hauptbestandteil des Plans, über den die Nachrichtenagentur AFP berichtete, ist der Schutz der Grenzen des Schengen-Raums. Sollte ein Land dazu außerstande sein, müsse es auf die Unterstützung anderer EU-Staaten oder auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex zurückgreifen. Bei Missbrauch des Asylrechts sieht der Plan schärfere Strafmaßnahmen vor.

Sämtliche Asylanträge sollen außerhalb der EU in kontrollierten und abgeschotteten sogenannten Hot Spots gestellt werden. Der Aktionsplan listet zudem sogenannte sichere Drittstaaten auf. Bei der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU bekräftigt die ungarische Regierung ihre bisherige Position: Sie lehnt sie ab. Ungarn hatte im vergangenen Dezember vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen geklagt.

Was verbindet Kohl mit Orbán?

Beide pflegen seit Jahrzehnten eine enge Beziehung. Als Kohls Kanzlerschaft 1998 zu Ende ging, begann die erste Regierungsperiode des damals 35-jährigen Orbán. Schon damals schätzte Kohl den ungarischen Newcomer als zupackenden Konservativen. Orbán wiederum stand zu Kohl, als der im Jahr 2000 wegen der CDU-Spendenaffäre in der eigenen Partei zu einer Art Paria wurde. Während Angela Merkel die CDU aufforderte, sich von Übervater Kohl zu lösen, erwies Orbán dem Kanzler der Einheit in Budapest die Ehre – und überreichte ihm die Millenniums-Medaille für Staatsmänner, die Ungarn den Weg nach Europa geebnet haben. Kohl, der Zeit seines politischen Lebens in Kategorien wie Treue und Verrat dachte, hat das nie vergessen. Bis heute nennt Kohl den Ungarn seinen „Freund“. So auch in einem Vorwort zur ungarischen Ausgabe seines Appells „Aus Sorge um Europa“. In dem Text, den der Tagesspiegel am Sonntag in gekürzter Fassung veröffentlichte, schreibt Kohl, er sei sich mit Orbán bis heute in Europa-Fragen einig.

Lehnt Kohl Merkels Flüchtlingspolitik ebenso entschieden ab wie Orbán?

Zumindest geht er in dem aktuellen Text erkennbar auf Distanz zu Angela Merkels Kurs. So kritisiert er ihren Entschluss vom September 2015, Flüchtlinge aus Ungarn zur Weiterreise nach Deutschland einzuladen. „Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören“, schreibt Kohl. Merkel hatte ihr Vorgehen damals nicht mit den EU-Partnern abgesprochen. Zudem betont Kohl die Notwendigkeit zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs und begründet dies auch mit fundamentalen kulturellen Unterschieden. Viele Flüchtlinge kämen „aus unterschiedlichen Kulturkreisen“ und folgten oft „einem anderen als dem jüdisch- christlichen Glauben, der zu den Grundlagen unserer Werte- und Gesellschaftsordnung gehört“. Das führe zu Diskussionen sowie zu Verunsicherungen bei den Menschen. „Es geht um unsere Existenz“, schreibt Kohl. Neben den humanitären Aspekten müsse Europa zugleich „wohlbegründete kulturelle und sicherheitspolitische Interessen berücksichtigen“.

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