Neven Subotić bei Markus Lanz im ZDF: „Der Zug für den Fußball ist gesellschaftlich abgefahren“
  1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

Neven Subotić bei Markus Lanz im ZDF: „Der Zug für den Fußball ist gesellschaftlich abgefahren“

KommentareDrucken

Markus Lanz im ZDF: Die Gäste der Sendung vom 7. September 2022
Markus Lanz im ZDF: Die Gäste der Sendung vom 7. September 2022 © Screenshot ZDF

Die Sendung befasst sich mit der immer weiter fortschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs und den Herausforderungen der Entwicklungspolitik.

Hamburg – Äußerlich nichts Neues unter der Sonne beziehungsweise dem Abendhimmel über Altona bei Markus Lanz im ZDF. Immer wenn vorher die Zusammenfassung des Champions-League-Spieltags – diesmal u. a. mit dem ernüchternden Debüt einer 0:3 Heimniederlage in der „Königsklasse“ für den amtierenden Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt gegen Sporting Lissabon – gezeigt wird, ist seine Sendung nur 45 Minuten lang und es wird etwas alibimäßig über Fußball geredet.

Natürlich nicht über Tore, Taktik und Titel, sondern die Entwicklungen um die schönste Nebensache der Welt herum. Stichwort: Fußball als großes Geschäft. Studiogäste diesmal: Ex-Fußballspieler Neven Subotić, der eine radikale berufliche Kehrtwende gemacht hat, und erstmals Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur der Plattform „The Pioneer“, die auf ihrer Startseite vollmundig Eigenwerbung betreibt: „Unabhängiger Journalismus zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, direkt vom ersten Medienschiff der Welt.“

Neven Subotić bei Markus Lanz (ZDF): Fußball ist ihm weitestgehend egal

Bei so viel (un)vermuteter Unabhängigkeit der beiden Gesprächsteilnehmer von Markus Lanz, dem Moderator mit der eigenen Meinung, wird es inhaltlich tatsächlich doch noch ein spannender, gedanklich herausfordernder Talk, der nicht so voller Worthülsen steckt, wie man es sonst von den Politikern gewohnt ist, die in seine Sendung eingeladen sind. Der mittlerweile selbst im schwarzen Anzug und mit Krawatte wie ein Staatsmann bekleidete Neven Subotić rechnet nicht nur über Auswüchse seiner Zeit als Fußballprofi mit sich selbst ab, sondern sieht die westliche Entwicklungsarbeit äußerst kritisch, wobei er tatkräftige Unterstützung vom Journalisten Gordon Repinski erhält.

Der 33-jährige Ex-Borussia-Dortmund-Innenverteidiger und Co-Autor des Buchs „Alles geben. Warum der Weg zu einer gerechteren Welt bei uns selbst anfängt“ verblüfft gleich zu Beginn mit der Aussage, dass es ihm mittlerweile egal sei, ob die Borussia, bei der er immerhin als „Vereinsikone“ von den Fans gefeiert wurde, ein Match „2:0 gewinnen oder 0:1 verlieren“ würde. Die überraschende Entlassung seines ehemaligen Coaches Thomas Tuchel beim Chelsea Football Club kommentiert er gelassen: „Er wird sicherlich einen Arbeitgeber finden.“ Und kommt dann ohne Umschweife zu seinem jetzigen Anliegen: „Das ist weit entfernt von der Not, die wir hier im Lande haben.“ Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem seit November 2020 stattfindenden Bürgerkrieg in Äthiopien, dem afrikanischen Land, bei dem er Entwicklungshilfe betreibt, indem er versucht, es zur Selbsthilfe zu motivieren.

Sein Credo 2022 lautet: „Ich bin für Leute, die nicht perfekt sind … da liegt die Komplexität.“ Bevor er als Fußballprofi auf der Sonnenseite des Lebens stand, durchlief er selbst schwere Zeiten. Der in Banja Luka im heutigen Bosnien und Herzegowina geborene ehemalige serbische Nationalspieler flüchtete 1990 im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester nach Deutschland, weil in Jugoslawien ein verheerender Krieg drohte, der später zum Zerfall des Vielvölkerstaates führte. Nach zehnjährigen Aufenthalt hierzulande sollte die Familie plötzlich ausgewiesen werden, obwohl seine Schwester das Gymnasium besuchte und auch er gute Schulnoten aufweisen konnte.

Neven Subotić bei Markus Lanz (ZDF): 1999 zog er in die Staaten

1999 zog er mit seiner Familie nach Salt Lake City in die Vereinigten Staaten, um der Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zu entgehen. In den USA spielte er in verschiedenen Vereinen und sogar in der Jugend-Nationalmannschaft. Der Rest ist Fußball-Geschichte: So wurde er, der längst auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, über den Umweg mit dem 1. FSV Mainz 05 2011 und 2012 Deutscher Fußballmeister und 2012 DFB-Pokalsieger mit Borussia Dortmund, stand zudem 2013 im Finale der Champions League. Weitere Stationen waren der 1. FC Köln, AS Saint-Étienne (Frankreich), der 1. FC Union Berlin, Denizlispor (Türkei) und der SCR Altach (Österreich), wo er nach der Saison 2020/21 seine Spieler-Karriere beendete. Schon lange ist er sozial engagiert: Neven Subotić engagiert sich für den Verein „Kinderlachen“ als Botschafter. 2012 gründete er die Neven Subotic Stiftung, die Sanitäranlagen- und Brunnenbau-Projekte in Äthiopien, Kenia und Tansania durchführt. Vom Europäischen Parlament wurde sie für ihr Engagement mit dem Silver Rose Award 2019 ausgezeichnet.

„Wenn ich mein Leben jetzt mit meiner besten Zeit bei Borussia Dortmund vergleiche, empfinde ich Scham, dass ich diese Figur war“, zitiert ihn Markus Lanz aus seinem 2022 erschienenem Buch. Was sei der Grund für diese Scham? Der wortgewandte Sportler ehrlich: „Ich habe mich selbst ins Zentrum der Welt gestellt, ich dachte, alles dreht sich um mich“. Dabei habe ihn sein Umfeld in diesem Egoismus sogar noch bestärkt: Das sei doch gerechtfertigt, solange die sportliche Erfolgsbilanz stimme! „Mir hat eine Anleitung gefehlt zu dem, was wirklich wichtig ist im Leben“, gesteht er ein. Dann erzählt er von jenem Tag, an dem er sich gleich zwei Luxuskarossen kaufte, weil ein Kollege das ebenfalls getan hatte. „Heute verstehe ich, was das an Externalitäten bedeutet“, gibt sich Neven Subotić einsichtig, „Die Rohstoffe, das, was mit dem Auto später passiert – das bezahlen andere Leute.“ Plausibel erläutert er: „Das Problem an der Sache ist: Es ist eine sehr isolierte Betrachtung. Wir denken, irgendwie kommen Rohstoffe magisch nach Stuttgart und dort wird der Porsche zusammengebaut. Die Rohstoffe werden aber nicht magisch geliefert, sondern woanders eingekauft.“

Neven Subotić geht bei Markus Lanz mit dem Fußball hart ins Gericht

Selten hat ein Fußballspieler so offen und selbstkritisch Bilanz abgelegt wie Neven Subotić an diesem Abend. Er verrät Markus Lanz sogar sein Anfangsgehalt: „Ich hatte eine Sonderzahlung von 100.000 Euro und ein Monatsgehalt, das nicht viel weniger war als das – kurz danach wurde es sogar mehr“. Und dann haut er gewaltig einen raus: „Der Zug für den Fußball ist gesellschaftlich abgefahren. Wir hatten während der Corona-Pandemie die Möglichkeit, kurz auf die Bremse zu drücken und zu evaluieren, wie wir die Zukunft angehen sollten.“ Die Realität 2022 würde anders aussehen: Viele Vereine würden ihre Stadien ausbauen, Ablösesummen und Gehälter wieder explodieren. Dem pflichtet der Moderator bei, der anführt, dass in diesem Jahr die fünf europäischen Top-Ligen insgesamt 4,5 Milliarden Euro für Transfers ausgegeben hätten und somit 1.5 Milliarden Euro mehr als noch 2021. Ein Irrsinn, findet auch der Rezensent dieser Zeilen und bekennender Eintracht-Frankfurt-Anhänger.

Das alles ist Neven Subotić zuwider und deshalb kümmert er sich jetzt hauptberuflich um die von ihm ins Leben gerufene (und nach ihm benannte) Stiftung, die bis heute rund 484 Projekte in afrikanischen Ländern verwirklicht hat. Ihm und seinen Mitstreitern sei auch die Zeit nach der Fertigstellung der jeweiligen Vorhaben enorm wichtig: „Wir arbeiten mit unseren Partnern, aber auch den lokalen Wasserbehörden, um Systeme aufzubauen oder zu begleiten.“ Nun kommt auch Journalist Gordon Repinski, um in der Fußballsprache zu bleiben, endlich zu seinem Einsatz. Er war selbst viele Jahre in der Entwicklungshilfe tätig und benennt ohne Wenn und Aber deren Probleme: „Es fängt an mit dem Brunnen. Im nächsten Schritt überlegt man sich: Wie kann ich den Menschen vor Ort beibringen, selbst Brunnen zu bauen und sie zu erhalten? So wird das immer größer, aber auch immer bürokratischer. Das geht in vielen anderen Bereichen von Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft ganz gleich.“

Markus Lanz im ZDFDie Gäste der Sendung vom 7. September 2022
Neven SubotićEhemaliger Fußballprofi
Gordon RepinskiStellvertretende Chefredakteur von The Pioneer

Er hat absolut recht, wenn er sagt: „Der Effekt ist, dass man große Bürokratien aufbaut, mit sehr etablierten und privilegierten Menschen vor Ort zusammenarbeitet und mehr und mehr aus den Augen verliert, was von den Projekten wirklich dort ankommt, wo es auch tatsächlich hinsoll.“ Gegen diese „sich selbsterhaltende Institutionenlandschaft“ gehen er und Neven Subotić vehement vor. Warum das wegen seiner Menschenrechtsverletzungen vom Westen immer wieder kritisierte China in Afrika ein oft willkommener Helfer als Europa und die USA ist, veranschaulicht er ebenfalls. „Sie machen es insofern anders, als dass sie sagen: Wir sind interessiert an Rohstoffen, dafür bieten wir Infrastruktur. Und wir bieten, dass wir uns politisch nicht einmischen.“ Das würde bekanntlich der Westen ganz anders handhaben: „Uns ist wichtig, dass wir nicht mit korrupten Ländern zusammenarbeiten, dass die Menschenrechtsstandards auf einem gewissen Niveau sind. Da ist der chinesische Ansatz der pragmatischere, einfachere, schnellere – und am Ende für viele Menschen in Afrika der effektivere.“


Am Ende spricht Neven Subotić noch einen wichtigen Punkt an, der die afrikanische Rezeption westlicher Entwicklungshilfe wesentlich beeinflusst: „Die Kolonialgeschichte Deutschlands ist nicht Teil unserer Erinnerungskultur. Wie gehen wir mit diesem kolonialen Erbe um?“ Diese Frage richtet sich an jeden von uns, vor allem aber an die jetzige Bundesregierung, die bekanntlich - wie auch die vorherige – bisher mehr als halbherzig dazu Stellung genommen hat, vor allem was den Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika während der Jahre 1904 bis 1908 betrifft. Es erfolgte zwar 2021 nach Jahrzehnten ohne Anerkennung geschweige denn Aufarbeitung eine offizielle Entschuldigung durch den damaligen Bundesminister des Auswärtigen Heiko Maas (SPD), die lächerlich geringe Zahlung von insgesamt 1,1 Milliarden Euro für ein Programm „zum Wiederaufbau und zur Entwicklung“ wurde aber nicht nur von Opferorganisationen stark kritisiert. Doch das ist das Thema für eine andere Talk-Runde, findet auch Markus Lanz. Wie immer. (Marc Hairapetian)

Auch interessant

Kommentare