Mord oder Totschlag? - Oberstaatanwältin klärt über Unterschied auf
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Mord oder Totschlag? - Oberstaatsanwältin klärt über Unterschiede und Irrtümer auf

Wann ist es Mord, wann ist es Totschlag? - Den Unterschied erklärt Oberstaatsanwältin Christine Seban.
Wann ist es Mord, wann ist es Totschlag? - Den Unterschied erklärt Oberstaatsanwältin Christine Seban. © Jonas Wenzel (rundes Bild) /dpa (Symbolbild)

Ein Schuss aus der Pistole oder tödliches Gift – wann ist die Tötung eines Menschen Mord, wann Totschlag? Warum sind Morde vor Gericht manchmal so schwer nachzuweisen? Und warum wird Frauen schneller Mord vorgeworfen als Männern? Antworten hat Oberstaatsanwältin Dr. Christine Seban.

Fulda - Für viele Laien gilt: Mord, das ist die überlegte, vorsätzliche Tat, während Totschlag die Tötung im Affekt ist. Sprich: Wer sich beispielsweise eine Pistole besorgt, um jemanden zu töten, und denjenigen dann damit erschießt, gilt landläufig als Mörder oder Mörderin.

Mord und Totschlag: Oberstaatsanwältin erklärt Unterschiede und Irrtümer

Mit der Realität hat diese Vorstellung wenig zu tun, wie Oberstaatsanwältin Dr. Christine Seban weiß: „Die vorsätzliche Tötung eines Menschen ist grundsätzlich ein Totschlag. Nur wenn ein Mordmerkmal hinzukommt, ist es ein Mord.“ Die Mordmerkmale nennt das Strafgesetzbuch (StGB) in Paragraf 211. Warum aber gibt es überhaupt die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag?

Bereits das Reichsstrafgesetzbuch von 1872 differenzierte bei der Tötung eines Menschen zwischen einer Tat mit und ohne „Überlegung“. Diese Unterscheidung hatte gewichtige Folgen für das Strafmaß: Wer „ohne Überlegung“ handelte, dem drohte wegen Totschlags Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Eine überlegte Tat wurde hingegen als Mord gewertet – die Strafe war der Tod.

Im Nationalsozialismus wurde diese Rechtsprechung grundlegend überarbeitet. Maßgeblich daran beteiligt war ausgerechnet der deutsche Jurist Roland Freisler. Freisler war von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1945 Präsident des Volksgerichtshofs. Der fanatische Nationalsozialist, der unter anderem die Geschwister Scholl verurteilte, war wegen seiner aggressiven Prozessführung als Hitlers „Blutrichter“ berüchtigt.

Mord oder Totschlag?

Im Strafgesetzbuch (StGB) findet sich unter Paragraf 211 folgende Definition zu Mord: „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“ Bezugnehmend dazu heißt es im darauffolgenden Paragraf: „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“

Freislers Mitwirkung an der Gesetzesänderung ist bis heute Anlass für Kritik, sieht die Novelle doch einen grundlegenden Perspektivwechsel vor: Statt sich auf die Tat zu beziehen, stellt das Gesetz mit der im Strafgesetzbuch einzigartigen Formulierung „Mörder ist, wer...“ und der darauffolgenden Nennung von Mordmerkmalen den Täter in den Fokus.

Daran übte unter anderem der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Zuge einer Reformdebatte im Jahr 2014 Kritik: „Der Richter hatte nach diesem Denken nur noch die Aufgabe, sich anzuschauen, welcher Tätertyp, so Freisler wörtlich, den Strang verdient. Das Strafrecht wurde so zum Einfallstor der Willkür. Rechtsklarheit, wie wir sie brauchen, war gerade nicht gewünscht.“ Das Gesetz war wie ein Freifahrtschein für die Schauprozesse des NS-Regimes. Und auch wenn Mörderinnen und Mördern heute nicht mehr der Tod droht und die Gesetzeslage freilich nicht mehr wie im Dritten Reich interpretiert wird – Paragraf 211 gilt bis heute ansonsten unverändert.

Bei einer Tötung können Männer eher den offenen Angriff wählen, während Frauen ihr Opfer beispielsweise im Schlaf ersticken.

Christine Seban, Oberstaatsanwältin

Vor dem Landgericht Fulda geht es häufig um Totschlag. „Wir haben es aber auch immer wieder mit Mord zu tun – etwa im Fall der getöteten Ärztin im Jahr 2020 oder mit dem Mord in Neuenberg ein Jahr später“, sagt Christine Seban.

Mitunter kommt es vor, dass der Vorwurf der Anklage Totschlag lautet, das Gericht vor demUrteilsspruch aber dennoch prüft, ob ein Mordmerkmal erfüllt ist – wie beim Aschenberg-Prozess, der Ende März mit einem Schuldspruch wegen Totschlags endete. Angeklagt war ein 38-Jähriger, der einen Bekannten im April 2023 mit fünf Schüssen aus Rache getötet hatte. Überführt wurde er lediglich anhand von Indizien, denn wesentliche Abläufe der Tatnacht blieben ungeklärt. So hatte das Gericht zwar geprüft, aber nicht feststellen können, ob der Mord heimtückisch geschah – womit das entsprechende Mordmerkmal nicht bewiesen werden konnte.

Anders im Mordfall Neuenberg: Hier hatte der Täter durch die Autoscheibe auf das im Auto sitzende Opfer geschossen. „Die Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke lag daher nahe“, sagt die Oberstaatsanwältin.

Niedrige Beweggründe: Für Laien ein schwer greifbares Mordmerkmal

Grundsätzlich ließen sich Mordmerkmale in zwei Gruppen unterscheiden. „Es gibt Mordmerkmale, die subjektive Komponenten aufweisen – Mordlust zum Beispiel. Solche Merkmale mit subjektiver Komponente, bei denen man wissen muss, was in dem Täter zum Zeitpunkt der Tatausführung vorging, beziehungsweise was zwischen Täter und Opfer im Vorfeld passiert ist, sind häufig etwas schwieriger zu begründen.

Es gibt aber auch rein objektive Mordmerkmale – die grausame Tötung zum Beispiel. Diese lassen sich regelmäßig allein anhand der objektiven Ermittlungsergebnisse, etwa des Obduktionsgutachtens, welches Aufschluss über die dem Opfer angetane Gewalt gibt, begründen.“

Wenig greifbar erscheint für Laien häufig das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe. „Hier müssen Gründe vorliegen, die auf sittlich tiefster Stufe stehen und als besonders verachtenswert erscheinen. Insofern kommt es sehr auf den Einzelfall an. Eifersucht beispielsweise kann ein niedriger Beweggrund sein, muss es aber nicht, je nach den – gegebenenfalls objektiv nachvollziehbaren – Gründen der Eifersucht“, erklärt Seban.

Video: Fall der getöteten Ärztin - Angeklagter muss lebenslang in Haft

Schwierig werde es für die Staatsanwaltschaft, wenn ein Bündel von Motiven vorliege. „Unsere Aufgabe ist es dann, das Hauptmotiv herauszuarbeiten und die Frage zu klären: Steht dieses Hauptmotiv auf sittlich tiefster Stufe?“ In der Praxis kann dies durchaus schwierig sein. „Im Neuenberg-Fall war das zum Beispiel ein Problem. Der Angeklagte, ein Syrer, war nie richtig in Deutschland angekommen. Es stand die Frage im Raum, ob er vornehmlich getötet hatte, um seinen Herrschaftsanspruch als Familienoberhaupt durchzusetzen. Dies könnte das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes begründen. Da aber auch Eifersucht und Enttäuschung im Raum standen, war die Frage, was das Hauptmotiv war.“

Ein weiterer häufig vorgebrachter Kritikpunkt an der aktuellen Rechtslage ist, dass Taten von Frauen schneller als Mord denn als Totschlag gelten. „Der Hintergrund ist, dass Frauen ihrem Opfer häufiger konstitutionell unterlegen sind. Bei einer Tötung können Männer eher den offenen Angriff wählen, während Frauen ihr Opfer beispielsweise im Schlaf ersticken – und damit das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllen.“

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