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Wo Hansi Kaffee kocht und andere über Gauck mosern

Spurensuche in Rostock: Joachim Gaucks Ehefrau wundert sich über das Medieninteresse. Anderswo wird der "Großinquisitor" krititisiert. Allerdings nur halblaut.

Hansi Gauck wippt auf dem Holzstuhl, lehnt sich nach vorne, faltet die Hände. Sie spricht ruhig, aber bestimmt. Sie möchte nicht über Privates reden, sagt sie, dazu sehe sie gar keinen Anlass, und überhaupt: Niemand habe sie darauf vorbereitet, auf das, was da gerade über sie hereinbreche. "So etwas erlebt man ja nicht alle Tage."

Gerhild, genannt "Hansi", Gauck, die Frau, mit der Joachim Gauck seit 1959 verheiratet ist, sitzt in der Rostocker Begegnungsstätte "Marientreff", und schaut ein wenig ratlos.

Hier, in dem roten Backsteinbau in der Rostocker Innenstadt, serviert sie seit 1999 Kuchen und Kaffee, an vier Vormittagen in der Woche.

Seit Montag, sagt sie, klingle ihr Telefon ohne Unterbrechung. Seit über 20 Jahren leben Hansi und Joachim Gauck getrennt, seit 2000 führt Jochim Gauck eine Beziehung mit der Journalistin Daniela Schadt . Dass sich plötzlich alle dafür interessieren, ob sich das Ehepaar Gauck nun scheiden lassen, sagt Hansi Gauck, das könne sie nicht verstehen.

Gleich neben dem "Marientreff" ragt der blockartige Turm der Marienkirche in den wolkenverhangenen Februarhimmel. Es ist der Ort, an dem Joachim Gauck als evangelischer Pastor im Herbst 1989 bei Fürbittandachten zu Tausenden von Rostockern sprach, der Ort, an dem die friedlichen Donnerstags-Demonstrationen durch die Hansestadt ihren Anfang nahmen.

Bedeutung für Rostock?

Seit seiner Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten interessiert sich die Öffentlichkeit nicht nur für Gaucks persönliche Lebensverhältnisse. In seiner Heimatstadt ist zudem eine Diskussion darüber entbrannt, welche Bedeutung der Ostdeutsche für Rostock, wo er als Pastor und Leitfigur des "Neuen Forums" wirkte, eigentlich hat.

In der Politikerriege herrscht weitestgehend Konsens: Sie begrüßt die Nominierung des prominenten Bürgers. Er sei "besonders stolz", dass mit Gauck eine "Rostocker Lösung für das exponierteste Amt unseres Landes" gefunden wurde, gab Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) nach der Ernennung zu Protokoll.

Und Methling ist sich sicher: Spätestens im April werde die Bürgerschaft Gauck zum Ehrenbürger der Stadt ernennen. Ein entsprechender Antrag werde derzeit bearbeitet. Für den OB ist die Begründung klar: "Er hat die Einheit dank vieler persönlicher Aktivitäten mitgeprägt."

Diese Einschätzung teilen viele der Rostocker, die die Wendemonate zusammen mit Gauck erlebt haben.

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Die ehemaligen Bürgerrechtler Dietlind Glüer und Arvid Schnauer laden in Glüers Wohnung, im Regal stehen Christa Wolfs "Stadt der Engel" und Stefan Zweigs "Schachnovelle", auf dem Tisch verteilt Schnauer Kopien seiner Chronik "Rostock im Herbst 1989".

Glüer arbeitete mit Gauck viele Jahre in der Landeskirche, Schnauer, der die Friedensgebete im Wendeherbst mitinitierte, kennt Gauck aus dem Theologie-Studium. "Was Joachim macht, macht er mit Leidenschaft", sagt Glüer als erstes. Auch die Arbeit eines Bundespräsidenten? Sie lacht. Der Joachim, sagt sie, das sei ein Typ, der einfach losrenne, Details hätten den nie interessiert. Das Repräsentieren, das habe ihm immer gelegen, sagt Glüer, für Ämter aber sei er nie vorgesehen gewesen.

"Er wollte nie in ein Korsett", sagt sie. Und hört sich Gauck gerne selbst reden? "Er lebt in der Emotion des Redens", sagt Glüer, und Schnauer wirft ein: "Er inszeniert sich gerne. Bei Lesungen weint der bis heute." Und doch, sagt Glüer: "Er zieht aus der Eitelkeit seine Energie."

"Joachim Gauck ist eine kantige Persönlichkeit. Er ist ein nüchterner, klarer Norddeutscher", sagt Hermann Michael Niemann, graue Haare, Brille, Schnurrbart, und blickt von seinem Wohnzimmer in Rostock-Biestow hinaus auf den weitläufigen Garten. Niemann lehrt an der Theologischen Fakultät Rostock, er gehörte in den 70er-Jahren zu der jungen Gemeinde, um die sich Gauck als Stadtjugendpfarrer in Rostock-Evershagen kümmerte.

Gauck, der acht Jahre Ältere, sei Niemann prägend in Erinnerung geblieben. Den Kirchentag 1988, diese Predigt, sagt Niemann, die habe er nie vergessen. "Ich dachte nur: So scharf und offen, wie der spricht, hoffentlich geht das gut." Er fügt hinzu: "Als Präsident muss man klare Worte finden. Das kann Joachim Gauck."

Gegenliebe in Westdeutschland

Und doch: Stößt der Kandidat vor allem in Westdeutschland auf Gegenliebe, mehren sich im Osten kritische Stimmen. Den Vorschlag der Rostocker Bürgerschaft etwa, Gauck zum Ehrenbürger zu ernennen, stößt in der Bevölkerung auf Widerstand. Einer Umfrage der "Ostseezeitung" zufolge sprachen sich fast 60 Prozent der befragten 1879 Leser gegen die Würdigung aus.

Man könne den Eindruck gewinnen, dass Gauck zu den führenden Köpfen der Oppositionsbewegung in der DDR gehört habe, zitiert die Zeitung den Rostocker Dietmar Schmidt. "Herr Gauck hat es nur exzellent verstanden, sich ins Rampenlicht zu setzen." Eine andere Leserin schreibt: "Herr Gauck trägt sehr gerne die Begriffe "Freiheit" und "Verantwortung" im Munde. Vergeblich suchte ich das Bekenntnis zu "Gleichheit", "Solidarität" und "Frieden".

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Sie nehme die Skepsis einiger Rostocker durchaus wahr, sagt Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens (CDU), die derzeit an der entsprechenden Vorlage arbeitet. "Insgesamt aber gibt es eine große Anerkennung unter den Menschen." Außer bei der Fraktion "Die Linke", sagt Jens, sei der Vorschlag der Ehrenbürgerschaft mit großer Begeisterung angenommen worden.

Kritik kommt aber auch aus den Reihen ehemaliger Bürgerrechtler, von Wegbegleitern, die jahrelang an Gaucks Seite gekämpft haben. Einer von ihnen, ein ehemaliger Pastor, der seinen Namen nicht in den Medien lesen will, kritisiert, Gauck habe ihn 1988 aus dem Kirchentag ausgeladen, weil er seine "deutliche Zunge" fürchtete.

Gauck selbst sei zurückhaltend gewesen, eben nicht der große Freiheitskämpfer, für den ihn viele hielten. Dass er sich zu sehr mit den Themen Freiheit und Demokratie aufhalte, hört man von anderen ehemaligen Kollegen, oder, dass er seine Heimat im Stich gelassen habe, um in Berlin Karriere zu machen.

"Viele Bürgerrechtler wären damals gerne seinen Weg gegangen", sagt Dietlind Glüer. "Da ist bis heute Konkurrenz im Spiel." Andere Bürger, sagt Glüer, könnten Gauck seine Tätigkeit in der Stasi-Unterlagen-Behörde nicht verzeihen.

"Sie sehen in ihm den Feind, nennen ihn den Großinquisitor." Und ja: Gauck sei ein Pragmatiker, ein Realist gewesen, einer, der sein Temperament zügelt, um die Sache nicht zu gefährden. "Er war mutig, aber nicht leichtsinnig." Und, sagt die Rentnerin noch: "Ohne seine Diplomatie hätten wir gar nichts erreicht."

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