Vor 30 Jahren, am 26. Juni 1988, starb ein großer Schweizer Theologe

Hans Urs von Balthasar: Rebell und Beinahe-Kardinal

Veröffentlicht am 26.06.2018 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Theologie

Bonn ‐ Eine Bilderbuchkarriere sieht anders aus. Doch wer von Hans Urs von Balthasar spricht, meint einen der ganz großen Theologen des 20. Jahrhunderts. Heute jährt sich sein Todestag zum 30. Mal.

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Einen Lehrstuhl hatte er nie inne, und zur Kirchenleitung stand er viele Jahre in einem gespannten Verhältnis. Als Hans Urs von Balthasar schließlich von Papst Johannes Paul II. am 28. Juni 1988 zum Kardinal ernannt werden sollte, starb er, fast 83-jährig, in Basel - zwei Tage vor der Überreichung des roten Biretts.

Auf Umwegen zur Theologie

Zur Theologie kam der im August 1905 in Luzern Geborene auf Umwegen. So facettenreich sich seine theologische Biografie darstellt, so umstritten ist die Einordnung seiner Position bis heute. Doch an seinem Werk, das 100 Bände und rund 500 Aufsätze umfasst, kommt man nur schwerlich vorbei. Kardinal Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt XVI., betonte in seinen Lebenserinnerungen, "nie wieder Menschen mit einer so umfassenden theologie- und geistesgeschichtlichen Bildung" begegnet zu sein wie Balthasar und dessen Lehrer Henri de Lubac.

Grundantrieb von Balthasars Denken ist die Frage nach dem richtigen Weg für die Kirche. Mit packenden Wortbildern und zündenden Gedanken warb er für eine Communio: Die Christen sollten Geschwister aller Menschen werden. Der Vordenker des Dialogs untermauerte sein Anliegen theologisch: Die Zunft habe allzu lang "Jüngstes Gericht gespielt und nicht hinreichend bedacht, dass der Gott, der sich dieses Gericht vorbehält, derselbe ist, der in Jesus Christus in die Gottverlassenheit aller ... aus jeder Gemeinschaft Gefallenen, in den Abgrund jeder widergöttlichen und inhumanen Einsamkeit abgestiegen ist".

Bild: ©KNA

Der Schweizer Theologe Hans-Urs von Balthasar.

Zunächst studierte von Balthasars in Zürich, Berlin und Wien Germanistik und Philosophie. Der hochgewachsene junge Mann mit dem absoluten musikalischen Gehör vergötterte Mozart und Mahler. Mit dem protestantischen Theologen Karl Barth spielte er vierhändig Klavier. Die Liebe zur Musik eröffnete Balthasar den Zugang zu der ihm eigenen Weise des Redens von Gott. Immer bemüht um die ganzheitliche Perspektive, entwarf er eine Theologie mit Hilfe musikalischer Kategorien.

Seine Theologie entwickelte sich später, durch Aufnahme von Formen aus dem Theater, weiter zu einer "Theodramatik". Balthasar selbst sagte, die Offenbarung sei "in ihrer ganzen Gestalt im Großen wie im Geringen dramatisch"; sie sei "die Geschichte eines Einsatzes Gottes für seine Welt, eines Ringens zwischen Gott und Geschöpf um dessen Sinn und Heil".

Nach seinem Studium wurde Balthasar im Oktober 1929 Novize bei den Jesuiten. Als "verbissenes Ringen mit der Trostlosigkeit der Theologie" bezeichnete er sein Studium in Lyon. Die Theologie erstarre in einem neuscholastischen Denkkorsett. Umso begieriger scharten sich die jungen Studenten um Henri de Lubac (1896-1991), der eine große Faszination ausstrahlte. Vor allem seine Beschäftigung mit den Schriften der Kirchenväter und die damit verbundene Neubesinnung auf das Christentum eröffnete Balthasar einen neuen theologischen Horizont.

Vom Jesuitenorden ins Säkularinstitut

Sein 1952 erschienenes Werk "Die Schleifung der Bastionen" ist in diesem Geist geschrieben und wurde von vielen als Befreiung empfunden - Jahre bevor das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) die Fenster nach draußen aufstieß. Kirche, die nicht in ihrer Ganzheit offen zur Welt sei, habe aufgehört, Kirche Christi zu sein, so der Schweizer.

Nach längerer Tätigkeit als Studentenseelsorger in Basel verließ er den Jesuitenorden, um mit Adrienne von Speyr (1902-1967) die Johannesgemeinschaft, ein sogenanntes Säkularinstitut, zu gründen. Zudem eröffnete Balthasar 1947 einen eigenen Verlag, der unter anderem sein und das Werk von Speyrs herausbrachte. In Zürich fand er ohne festes Einkommen eine dürftige Bleibe, hielt sich mit Vortragsreisen über Wasser. Lehrstühle hat er abgelehnt. Wieder inkardiniert als Priester seiner Diözese, erlaubte der Ortsbischof 1956 die Rückkehr nach Basel.

Programmatisch forderte von Balthasar einen Dialog über konfessionelle und ideologische Gräben hinweg, selbst mit militant atheistischen Kommunisten - und zwar nicht aus einer Position dogmatischer Überlegenheit oder "einem kapitalistischen Besitz von Glaubenswahrheiten". Das literarische Gespräch mit dem Werk von Bert Brecht hat Balthasar sehr geschätzt.

Vom Störenfried zum Kardinal

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil schlug die große Stunde von Henri de Lubac, dem großen Lehrer von Hans Urs von Balthasar: Der angebliche Modernist de Lubac wurde rehabilitiert und nahm sogleich entscheidenden Einfluss auf die Beratungen.

Seine Forderung nach einer Öffnung der Kirche hin zur Welt modifizierte er in den Jahren des Konzils, zu dem er nicht eingeladen wurde. Der Christ dürfe sich der Welt nicht angleichen. Vehement forderte er eine Besinnung auf das unterscheidend Christliche ein. Sein Biograf Thomas Krenski schreibt: "Für viele der damaligen Zeitgenossen stand fest, dass Balthasar glaubte, sich zu weit vorgewagt zu haben, so dass er sich gezwungen sah, den Rückzug hinter die schützenden Bastionen anzutreten, zu deren Schleifung er einst aufrief."

20 Jahre zu früh

Mancher Konzilstheologe sah in ihm einen konservativen Papsttheologen. Laut Krenski erschwerte das "die Rezeption der Theologie eines Mannes, der Kurskorrekturen sicher polemisch vollzog, nicht aber im geringsten daran dachte, geschliffene Bastionen wieder aufzurichten. Sein Verhängnis war, dass er nahezu 20 Jahre früher aufgebrochen war als die meisten."

Von Von Katharina Klöcker und Anselm Verbeek (KNA)