In der Parteizentrale der Linken bemühte man sich um Schadensbegrenzung: Bei dem durchgestochenen Papier aus Kreisen des Ältestenrats handele es sich nicht um eine finale Version und schon gar nicht um einen Beschluss, hieß es am Donnerstagnachmittag. Verbreitung fand es trotzdem auf Twitter, nachdem Hauptstadtjournalisten von „t-online“ und dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ ein entsprechendes Foto veröffentlicht hatten.
Der Inhalt jedenfalls hat es in sich: So heißt es über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine: „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ Nicht nur wird damit angezweifelt, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Zudem wird einem Teil des vom Krieg gebeutelten Landes Faschismus vorgeworfen.
Auf WELT-Anfrage sagte ein Parteisprecher, es habe sich um einen internen Text gehandelt. Der entsprechende Satz sei bereits wie folgt ersetzt worden: „Mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sind größte Gefahren für die Erweiterung des Krieges verbunden. Mehr denn je ist die Politik herausgefordert.“
Mehrere Mitglieder des Rates gehen auf Distanz
Unklar war am Donnerstagnachmittag, wem genau im Ältestenrat die ursprünglichen Zeilen zuzuordnen sind. Vorsitzender des Gremiums ist der ehemalige DDR-Regierungschef Hans Modrow, der sich zunächst nicht zu Wort meldete.
WELT liegt das aktualisierte, fünfseitige Dokument vor, in dem der Abschnitt über den Ukraine-Krieg nur einen Teil darstellt. Überschrieben ist es als „Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates der Partei DIE LINKE am 17.3.2022“, dem Tag, an dem der Ältestenrat zusammenkam. Darin wird eine Unzufriedenheit mit dem aktuellen Kurs der Partei ausgedrückt. Nach dem verheerenden Ergebnis von 4,9 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl droht der Partei am Sonntag der Auszug aus dem saarländischen Landtag – das kleine Bundesland galt einst als linke Hochburg. 2009 kam die Partei dort auf 21,3 Prozent.
Nach Bekanntwerden der Zeilen distanzierten sich mehrere Mitglieder des Ältestenrats in einer Stellungnahme: Das Papier habe ihnen nicht vorgelegen und sei nicht beschlossen worden. „Wir sind der Meinung, es handelt sich um einen verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.“ Das dürfe nicht relativiert werden.
Auch die stellvertretende Parteivorsitzende und Berliner Landeschefin Katina Schubert distanzierte sich von dem Schreiben. „Dieser Ältestenrat spricht nicht für @dielinke und @dielinkeberlin, nicht mal für den ganzen Ältestenrat“, twitterte sie.
Die Linke ist für ihre kontroverse Außenpolitik bekannt. Beispielsweise fordert sie den Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der Nato. Aber zu leugnen, Russland führe einen Krieg? Darauf kamen nicht mal jene Funktionäre, die für Moskau sonst besonders viel Verständnis aufbringen. Dass derartige Gedanken in Gremien der Linken zu Papier gebracht werden, zeigt dennoch, wie tief alte Ideologie noch immer in der Partei verwurzelt ist.
In der aktualisierten Version der Mitteilung des Ältestenrats geht das Gremium mit den Parteivorsitzenden hart ins Gericht – und macht deutlich, dass es ein Umdenken in der Außenpolitik für einen Fehler hält. „In der Frage Krieg oder Frieden sind wir dabei, eines unserer Markenzeichen wegen fehlender Klarheit in politischen Aussagen zu verlieren“, heißt es. Die Aussage, „die Nato habe keine Fehler gemacht“ weise man „aufs Schärfste“ zurück. „Die Aufforderungen nach einer Parteidebatte vor dem Erfurter Parteitag (im Juni 2022, d. Red.) müssen unter solchen Bedingungen ins Leere laufen. Noch könnte Schaden begrenzt werden.“ Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow hatte zuletzt in einem Beitrag auf ihrer Website unter dem Titel „Wir müssen reden“ eine Diskussion über eine Aktualisierung der linken Außenpolitik beworben.
Nun zählt der Ältestenrat sie und ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler indirekt an. „Ganz objektiv steht die Frage nach der Qualität und den Fähigkeiten der Führung der Partei im Raum“, heißt es. Unumgänglich sei die Frage, ob der Parteitag im Juni als Wahlparteitag gestaltet werden oder ein kurzfristiger Termin für eine Neuwahl entschieden werden müsse, heißt es.