Zum Tod von Hans Modrow: Der Letzte, der die Ostler vor dem übergriffigen Westen schützte

Zum Tod von Hans Modrow: Der Letzte, der die Ostler vor dem übergriffigen Westen schützte

Der letzte SED-Politiker an der Spitze der DDR ist gestorben. Er bereitete das Ende der DDR vor. Der Zustand des Landes und seiner Partei trieb ihn um.

Hans Modrow
Hans ModrowPaulus Ponizak/Berliner Zeitung

Berlin-Hans Modrow, der als letzter SED-Politiker die DDR regierte, ist im Alter von 95 Jahren in der Nacht zum Sonnabend in einem Berliner Krankenhaus gestorben. Er war zu Wochenbeginn, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte, in die Klinik eingeliefert worden.

Auch das Herz machte schon lange Ärger. Ein Kämpferherz, das kann man sicherlich sagen. Bis fast zum Schluss hat er sich eingemischt in die Angelegenheiten des Landes und seiner Partei, der Linken. Ein Vertrauter scherzte noch vor ein paar Monaten: „Er will immer noch mitregieren.“ Dann wurde es stiller um ihn.

Es drängte Hans Modrow, seine Sicht der Dinge zu erklären, seine Lebenserfahrungen einzubringen. Im Januar 2022 schickte er noch als Vorsitzender des Ältestenrats einen offenen Brief an die damaligen Vorsitzenden seiner Partei, Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow, voller Sorge über den Zustand der Linken. Geradezu verzweifelt diagnostizierte er „am Ende meiner Tage“: Die Partei wisse nicht, wofür sie stehe und was ihr Zweck sei. Mit Bismarck (!) mahnte er: „Wir müssen mit den Realitäten wirtschaften und nicht mit Fictionen.“

Ein bewegtes Leben

Seine Erfahrungen sammelte Hans Modrow in immerhin vier Gesellschaftssystemen: Geboren am 27. Januar 1928 im pommerschen Dorf Jasenitz am Oderhaff als Sohn eines Seemanns in der Weimarer Republik, machte er nach der Schule in der NS-Zeit eine Schlosserlehre und wurde kurz vor Kriegsende mit 17 zum Volkssturm eingezogen.

Vier Jahre dauerte die Kriegsgefangenschaft, er leistete „Waldarbeit im Moskauer Gebiet“, wie er schrieb – Holzfällen für die Heizungen der Moskauer. Doch besuchte er auch eine Antifa-Schule und las Bücher wie „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers. So begann die sozialistische Phase, die ihn bis in höchste Ämter führen sollte.

Hans Modrow an seinem Schreibtisch
Hans Modrow an seinem SchreibtischPaulus Ponizak/Berliner Zeitung

Vom 15. November 1989 bis zum 12. April 1990 regierte er als Ministerpräsident die DDR. Viel Gestaltungsspielraum hatte er nicht, die Hoffnungen auf langes Fortexistieren des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden, nunmehr als Versuch, einen demokratischen Sozialismus zu gestalten, schwanden schnell. Die Mehrheit der DDR-Bürger wollte die Einheit, besser heute als morgen. Hans Modrow löste die Aufgabe, das Land auf sein Ende vorzubereiten, mit Würde und Anstand. Das meistgehörte Wort aus seinem Mund lautete „Verantwortung“, das andere „Brückenbauer“. Er wurde ein Garant des friedlichen Übergangs.

Mit der Wahl der neuen CDU-geführten Regierung unter Lothar de Mazière ging Modrow als gewählter Volkskammerabgeordneter der PDS in die parlamentarische Opposition. Nach der Vereinigung gehörte er dem Bundestag und später dem Europaparlament an.

Das Modrow-Gesetz rettete Mieter

Was wird von Hans Modrow in Erinnerung bleiben? Er selber berichtete, er sei während seiner U-Bahn-Fahrten zwischen der Drei-Zimmer-Plattenbauwohnung in der Palisadenstraße zu seinem Minibüro im Karl-Liebknecht-Haus am Luxemburgplatz immer wieder von Menschen angesprochen worden, die ihm dankten: „Wegen Ihnen konnten wir unser Zuhause behalten.“ Mit dem sogenannten Modrow-Gesetz vom März 1990 wurden DDR-Häuschen vor dem harten Westzugriff geschützt: Es erlaubte den vermögensarmen Ostlern, die Grundstücke, auf denen ihre Häuser standen, für Beträge weit unter dem Marktpreis zu erwerben.

In seiner Regierungszeit standen zwei Punkte obenan bei Gesprächen in Moskau wie in Bonn: Die Vereinigung Deutschlands, nicht ein Anschluss nach Artikel 23 – Letzteres wurde Realität. Anders lief es mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Die DDR hatte sie bereits 1950 im Görlitzer Vertrag getan, doch Helmut Kohl weigerte sich unter dem Druck der westdeutschen Vertriebenenverbände monatelang.

Demütigung durch Kohl in Bonn

Modrow hatte die Frage bei Regierungsgesprächen am 13. Februar 1990 mit Kohl in Bonn vorgetragen, Kohl wand sich. Die junge Partei „Demokratischer Aufbruch“ (mit der Pressesprecherin Angela Merkel) beklagte: „Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze fanden nicht die erwartete Berücksichtigung durch den Bundeskanzler.“ Diese Blockade konnte Kohl nicht durchhalten; ohne diese Anerkennung hätte es keine deutsche Einheit ergeben. So unterschrieben am 17. Juni 1991 der Bundeskanzler und der polnische Regierungschef Jan Krzysztof Bielecki den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag.

Diese Reise nach Bonn bleibt auch aus einem anderen Grund in Erinnerung: Der DDR-Ministerpräsident und seine Wirtschaftsministerin Christa Luft wollten über deutsch-deutsche Zusammenarbeit, eventuell in einer Konföderation, reden. Kohl aber hatte spätestens Mitte Januar den D-Zug Richtung deutsche Einheit aufs Gleis gesetzt und empfing nun die Ostregenten als Abraum der Geschichte.

Respektlos behandelt

Die Berliner Zeitung berichtete: „Die DDR-Wünsche nach einem westlichen ,Solidarbeitrag‘ in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Mark wurden brüsk abgeschmettert.“ Die Delegation, zu der immerhin auch Vertreter des Runden Tisches gehörten, kehrten unverrichteter Dinge zurück. Bei Willy Brandt beklagte sich Modrow, so berichtete der Spiegel, bitter über des Bundeskanzlers respektlos-grobe Umgangsformen. Der Doofe Rest, wie sich viele verbitterte DDR-Bürger bald nannten, ahnte, was bevorstand.

In den 1980ern hatte man aus Volkes Getuschel heraushören können, Hans Modrow sei ein „Reformer“ und ein Honecker-Nachfolger, von dem Bewegung zu erwarten sei. Erich Honecker sah den Kurs Michail Gorbatschows, die Sowjetunion mit Glasnost und Perestroika zu reformieren, nicht als Vorbild für die DDR; Modrow gab Anlass zur Spekulation, Gorbatschow-freundlicher zu sein.

In das Amt des Ministerpräsidenten wählte ihn die Volkskammer am 13. November 1989 mit einer Gegenstimme – der von Margot Honecker. Aus BND-Akten erfuhr Modrow viel später, dass Gorbatschow sich 1988 in Warschau mit dem polnischen Staatschef Wojciech Jaruzelski darüber unterhalten hatte, ob Modrow ein guter Nachfolger von Honecker sein könnte. Modrow selber sagte später, er sei von der Notwendigkeit einer Umgestaltung überzeugt gewesen, habe aber in Gorbatschows Sowjetunion Erlahmung und Verwahrlosung wahrgenommen; Gorbatschow habe auf die falschen Methoden gesetzt.

Im Herbst 1989 sprach er früh mit Vertretern von Oppositionsgruppen, setzte aber am 4. September massiv Sicherheitskräfte gegen Bürger ein, die die Gleise des Bahnhofs stürmen wollten, um ihre Ausreise zu erzwingen. 14 Sonderzüge sollten an jenem Tag die DDR-Botschaftsflüchtlinge von Prag nach Westdeutschland bringen.

Legendär bescheiden

Hans Modrow hielt man stets zugute, dass er ein bescheidener Mann geblieben war. Während seiner Jahre als mächtiger SED-Bezirkssekretär in Dresden (1973 bis 1989) wusste man: Der wohnt mit seiner Frau und zwei Töchtern in einer Drei-Zimmer-Wohnung mitten in Dresden, man kannte ihn aus der Kaufhalle. Keine Villa auf dem Weißen Hirsch, keine Allüren.

In den letzten Jahren plagte ihn zunehmend das von „der westdeutschen Erinnerungsindustrie“ verbreitete Geschichtsbild, das die „DDR nicht nur als Irrweg, sondern als einen verbrecherischen Betriebsunfall karikiert“ – wie er selber schrieb. Der allenthalben beklagte Glaubwürdigkeitsverlust der Medien wurzele auch darin, dass „die erlebte Gegenwart und das Bild von der Vergangenheit“, das Menschen vor allem im Osten in sich trügen, abweiche von dem, was ihnen vermittelt werde. „Sie merken, dass ihnen etwas eingeredet werden soll, was offenkundig der Wirklichkeit widerspricht.“ Da sprach der einstmalige Sekretär für Agitation wohl auch aus Erfahrung.

Er hat dem Land viel gegeben. Er hat viel Dank verdient.

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