Hans-Jochen Vogel und Frau Liselotte: Unser Leben im Heim | Abendzeitung München

Hans-Jochen Vogel und Frau Liselotte: Unser Leben im Heim

„Es war die richtige Entscheidung“:  Seit 2006 wohnen Hans-Jochen Vogel und seine Frau Liselotte im Wohnstift. Sie haben es nicht bereut.
| Matthias Maus
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Liselotte und Hans-Jochen Vogel auf dem Balkon in ihrem Münchner Heim
Gregor Feindt Liselotte und Hans-Jochen Vogel auf dem Balkon in ihrem Münchner Heim

„Es war die richtige Entscheidung“  Seit 2006 wohnen Hans-Jochen Vogel und seine Frau Liselotte im Wohnstift

München - Früher, sagt Liselotte Vogel, „da hatte ich einen Garten in Niederbayern – den vermisse ich schon“. „Aber jetzt“, sagt Hans-Jochen Vogel, „da hast du deine Orchideen – und die Trauerweide am Balkon kriegt Kätzchen.“ Die gelernte Lehrerin und der ehemalige Münchner OB: Sie kennen die Verluste, die das Alter mit sich bringt. Aber sie sind anders mit dem Unvermeidlichen umgegangen als viele: Sie sind freiwillig in ein Wohnstift gezogen.

Seit 2006 sind der ehemalige SPD-Chef und seine Frau die berühmtesten Altenheimbewohner der Republik – „es war die richtige Entscheidung“, sagen sie. Vorgestern ist Vogel 88 geworden, kurz davor hat das Ehepaar die AZ zum Gespräch empfangen.

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Wie kam es zu dem Schritt? „Wir hatten Anschauungsunterricht im eigenen Haus“, erzählt Liselotte Vogel (86). Damals im Lehel, da wohnte eine alte Dame über den Vogels, die war ein Pflegefall. Nur die Tochter durfte zu ihr. „Wir haben erlebt, wie die Tochter ihr Berufsleben aufgegeben hat, wie sie sich für die Mutter aufgerieben hat.“

Das, sagt Liselotte Vogel, „wollten wir unseren Kindern auf gar keinen Fall zumuten“. Schon um das Jahr 2000, da war das Paar Mitte 70, schloss es einen Vorvertrag, und um seinen 80. Geburtstag, „da bekamen wir die Wohnung, die wir wollten“. Im 12. Stock, die Lindauer Autobahn im Rücken – aber mit Blick von der Zugspitze bis zur Kampenwand.

Die treibende Kraft, das war wohl eher sie. Er sagt: „Du hattest ja auch Schwierigkeiten mit der Treppe, damals.“ Aber, und das ist noch immer ungewöhnlich: „Ich war völlig einverstanden mit meiner Frau. Wir wollten die Entscheidung rechtzeitig treffen, nicht in einer Notsituation.“

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Viele der Geschichten unter der brutalen Überschrift „Ins Heim abgeschoben“, entstehen aus plötzlich auftretenden Notfällen heraus: Ein Unfall, ein Sturz, Krankheit, ein Schlaganfall, die pflegenden Angehörigen können nicht mehr. Solche Schlagwortariges Horror-Storys sind oft verkürzt, ungerecht allen Beteiligten gegenüber, und sie sind vermeidbar.

„Es muss nicht unser Modell sein“, sagt Vogel: Es gibt die häusliche Pflege oder Alters-Wohngemeinschaften. „Es gibt tausend Möglichkeiten“ sagt Vogel: „Aber treffen Sie Ihre Entscheidung rechtzeitig.“

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Sie benutzen beide einen Stock, aber noch immer sind die Vogels relativ gut zu Fuß. „Im nächsten Sommer, da gehen wir wieder mal auf den Ritten“, sagt sie und schwärmt vom alten Lieblingsberg bei Bozen. „Ja, das probieren wir noch mal“, sagt er und lacht. Ihr Tatendrang freut ihn.

Keiner von beiden braucht Pflege. „Aber wenn wir mal pflegebedürftig werden, dann wird das in unserer eigenen Wohnung geschehen. Auch das hat uns überzeugt.“ Fiel der Schritt so leicht, wie das jetzt klingt? Er vermisst seine Bibliothek, sagt er. Nur ein Drittel der Bücher hatte in der neuen Wohnung Platz. „Früher hatten wir 141 Quadratmeter, jetzt haben wir 81.“  Und sie erzählt vom Obstanger, vom Garten, vom Wald in Niederbayern. Das Ferienhaus dort haben sie aufgegeben. Aber die Vorteile überwiegen, und vor allem: Die Umwelt hat ausgesprochen positiv auf ihren Schritt reagiert.

„Wir haben unseren Kindern den Entschluss mitgeteilt, und das wurde freudig aufgenommen“, sagt er. Mit stolzen 3370 Euro pro Monat inclusive Mittagessen und Reinigung steht so ein Appartement in den Listen des Augustinums: „Natürlich sind wir privilegiert“, sagt Hans-Jochen Vogel. „Es gibt aber hier im Haus auch 23-Quadratmeter-Appartements für 1380 Euro samt Mittagsverpflegung.“ Das sei mit städtischen Einrichtungen durchaus vergleichbar.

Er mache sich „keine inneren Vorwürfe“ für seine Einkünfte und Ausgaben, „aber auch jemand mit geringerem Einkommen kann mit Hilfe städtischer oder gemeinnütziger Einrichtungen eine Lösung finden“. Frau Vogel widerspricht: „Mit 800 Euro Rente kann man sich das nicht leisten. Da muss man Grundsicherung und Hilfe von der Stadt beantragen.“

Der Weg der Vogels hat damals große Aufmerksamkeit erregt. Frau Vogel hat darauf ein Buch geschrieben: „Ich lebe weiter selbstbestimmt“, in dem sie auch vom „Imageverlust“ schreibt, den der Einzug in ein Wohnstift für viele bedeute. „Das hat sich geändert in den acht Jahren“, sagt sie. „Immer mehr Paare ziehen ein.“ Der Gang ins Altenheim als Abstieg, das ist weniger verbreitet als früher.

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„Es gibt ja immer noch diese alte Vorstellung, Altersheim mit Schlafsälen, ständige Kontrollen, es riecht nach Bohnerwachs und Erbsensuppe“, sagt er. „Das ist ein fundamentaler Irrtum. Jeder hat seine eigene Wohnung, die kann man abschließen.“ Aber wenn jemand Hilfe braucht, dann ist sie da. „Man muss sich daran gewöhnen, das man von gebrechlichen Menschen umgeben ist“, sagt sie auf die Frage nach den Nachteilen. „Manche können das nicht ertragen.“

Auch Liselotte Vogels Mutter war im Augustinum. Die hat immer gesagt: „Das Unangenehmste ist der Elendszug zum Mittagessen“. Und noch etwas, ergänzt er: „Man wird doch täglich daran erinnert, dass der Tod ein selbstverständlicher Bestandteil des menschlichen Lebens ist.“ Vielleicht aber habe das „sogar eine positive Seite“, weil der Tod nicht mehr so tabuisiert werde.

Frau Vogel sagt, sie könne nicht für alle sprechen und nicht für alle Heime. „Ein Wohnstift ist kein Pflegeheim.“ Wer aber nichts unternimmt, wer sich dem Thema nicht stellt, wer nicht vorsorgt, „der landet wahrscheinlich in einem Pflegeheim, wo man nie hin wollte – und zwar von einem Tag auf den anderen, wenn man Pech hat“.

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Das Thema Pflege, die gestiegenen Anforderungen an die Pfleger, das bekomme man auch hier mit, betont er: „Die gesellschaftliche Würdigung des Berufs muss deutlich verstärkt werden.“ Das sei richtig, sagt sie. „Zumal immer nur dann was in der Zeitung steht, wenn was schief geht.“ Aber klar sei auch: „Wenn Pflegekräfte besser bezahlt werden, dann werden die Pflegeheime teurer.“

Es ist ein komplexes Thema, kein ersprießliches. Tod an der Tagesordnung, allgegenwärtiges Gebrechen, dennoch ist Hans-Jochen Vogel ein Punkt noch ganz wichtig: „Das Thema Einsamkeit ist hier nicht so übermächtig“, sagt er. „Man trifft leichter Menschen.“ Wenn die Vogels sich mit ihrer Tischgemeinschaft zum Mittagessen treffen, sind Krankheiten tabu. „Es wird eher mal politisiert“, sagt sie: „Das lässt sich bei meinem Mann nicht vermeiden.“

 

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