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Deutschland Ex-NRW-Ministerpräsidentin

Was macht eigentlich Hannelore Kraft?

Kurz nach der Wahlniederlage im Mai 2017 ist Hannelore Kraft auf dem Weg zur Fraktionssitzung Kurz nach der Wahlniederlage im Mai 2017 ist Hannelore Kraft auf dem Weg zur Fraktionssitzung
Kurz nach der Wahlniederlage im Mai 2017 ist Hannelore Kraft auf dem Weg zur Fraktionssitzung. Seit der Abwahl ist von der Ex-Ministerpräsidentin nichts mehr zu hören
Quelle: pa/Rolf Vennenbe/dpa
Im Mai wurde Hannelore Kraft als Regierungschefin in NRW abgewählt. Seitdem hat sie sich fast komplett zurückgezogen: Sie äußert sich nicht mehr öffentlich und entrümpelt ihr bisheriges Leben.

Von der Ministerpräsidentin des einwohnerstärksten Bundeslands zur Hinterbänklerin im Düsseldorfer Landtag: Hannelore Kraft (SPD) hat in den vergangenen Monaten einen radikalen Wandel durchlebt – teils erzwungen, teils freiwillig. Natürlich nicht erwünscht war im Mai die Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, als Kraft mit nur 31,2 Prozent das schlechteste Ergebnis der SPD in der Landesgeschichte holte.

Die Konsequenz daraus zog die 56-Jährige ohne Zeitverzug: Nur wenige Minuten nach Bekanntwerden der Wahlschlappe kündigte die damalige SPD-Landes- und stellvertretende Bundesvorsitzende den Rückzug aus allen Parteiämtern an. Nur einen Tag später räumte sie ihre Büros in Berlin.

Jetzt sitzt die einst mächtigste Frau Nordrhein-Westfalens in der letzten Reihe des Landtags, arbeitet nur noch im Sportausschuss des Parlaments mit, hält keine Reden mehr und besucht auch keine Parteitage. Das ist der freiwillige Teil ihres neuen Lebens.

Kraft will ihrer Partei beim Neuanfang nicht reinreden

Für die breite Öffentlichkeit ist die ehemalige „Landesmutter“ nach sieben Regierungsjahren fast über Nacht unsichtbar geworden: Seit sie keinen Regierungsapparat mehr hat, ist sie auch aus den sozialen Netzwerken verschwunden.

Nicht jeder versteht das. „Sie hat sich Knall auf Fall zurückgezogen. Darauf war ihr Landesverband nicht vorbereitet“, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall. Nun seien in der tiefen Krise der Partei mit Norbert Römer (70) und Michael Groschek (61) zwei Männer an der Spitze von Landespartei und Fraktion, die sich selbst nur als Übergangslösung verstünden.

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„Die SPD hat keinen Neuanfang gewagt, sondern das Paddel erst mal eingezogen – eine suboptimale Lösung“, kritisiert der Politologe. „Wäre Kraft zunächst Parteivorsitzende geblieben, hätte sie selbst den Übergang mitgestalten können, und ihre Partei hätte Zeit gehabt, sich zu sortieren. Ihr Wort hätte Gewicht gehabt.“

Kraft sieht das anders. Sie will ihrer Partei beim Neuanfang nicht reinreden. Weder zu den Wahlen des Spitzenpersonals der NRW-SPD noch zu Sachfragen wie einer Neuauflage einer großen Koalition äußert sie sich offiziell. Interviews hat sie nach der Wahlniederlage nie wieder gegeben, in keiner Talkshow erzählt, wie ihr Leben heute aussieht.

Sie genießt ihr zurückgewonnenes Leben

Von Parlamentsbesuchern lässt sich die direkt gewählte Mülheimer Abgeordnete Kraft aber ansprechen. Hier und da gibt es auf den Fluren einen kleinen Plausch mit Journalisten – streng vertraulich. Nicht mal den Namen ihres neuen Hundes, mit dem sie nun oft und gerne ihre Runden zieht, will sie verraten.

Verbittert wirkt Kraft nicht. Meist sieht man sie entspannt im Landtag sitzen. Selten reizt eine Provokation aus Reihen der schwarz-gelben Koalitionsfraktionen sie zu Zwischenrufen. Kraft genießt ihr zurückgewonnenes Leben: Zeit für Ehemann Udo, ihren erwachsenen Sohn Jan, ihren Garten, Sport, Zeit zum Alleinsein, kein Dress-Code mehr. Vieles aus ihrem alten Leben hat die vom Naturell her ohnehin schnörkellose Diplom-Ökonomin entrümpelt.

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Wer Kraft gut kennt, hält ihre Rückkehr auf die große politische Bühne – etwa als Bundesministerin einer großen Koalition – für ausgeschlossen. Ihre Abneigung gegen den Berliner Politikbetrieb ist bekannt, ihre Absage 2013, „nie, nie als Kanzlerkandidatin antreten“ zu wollen, legendär.

Mit einem Enthüllungsbuch von ihr ist nicht zu rechnen

Kraft will ihre voraussichtlich letzte Amtsperiode im Landtag anständig zu Ende bringen, ohne Wortführerin oder graue Eminenz zu sein. So hatte es auch Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) 2010 nach seiner Wahlniederlage gehalten.

Wichtig ist ihr die Arbeit als Vizevorsitzende der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und ihr neues Aufsichtsratsmandat im RAG-Kohlekonzern, das sie von Norbert Römer übernahm. Laut SPD wird ihre Aufwandsentschädigung für die Arbeit im Aufsichtsrat mit dem Übergangsgeld aus ihrer Zeit als Ministerpräsidentin verrechnet. Mit einem Enthüllungsbuch nach über 17 Jahren im Landtag ist bei ihr nicht zu rechnen. Kraft hat aus ihrer Sicht nichts abzurechnen.

Erst beim nächsten ordentlichen Landesparteitag der NRW-SPD im Herbst 2018 ist die „Herzdame der Sozialdemokratie“ bereit, sich wenigstens offiziell für ihre Arbeit an der Spitze danken zu lassen, ohne jedoch selbst eine Rede halten zu wollen. Zum Parteitag im vergangenen Juni war sie nicht erschienen.

dpa/jr

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