Selten einen Bericht gelesen, wo ich so viel Empathie und sogar Tränen in den Augen fühlte und spürte.
Die Situation bei mir kann ich ja gerne mal verdeutlichen. Grundsätzlich muss ich bei meiner Agoraphobie mit Panikstörung - was bei mir eine besonders schwere Form der klassischen Platzangst ist, die einen chronischen Verlauf genommen hat - zweigleisig denken, einmal bzgl. der Krankheit und einmal bzgl. der Behinderung. Was die Krankheit betrifft, ist die logische Konsequenz eine neue Psychotherapie. Sowohl Fachärzte als auch die Eingliederungshilfe stimmen da überein, dass eine (teil-)stationäre Therapie für mich absolut realitätsfern ist und wir zum jetzigen Zeitpunkt darüber nicht mal ansatzweise diskutieren müssen. Ich könnte den Therapieort schlichtweg nicht erreichen und stehe mit anderen um die knappen Kassenplätze im Wettbewerb, denen ich so einen Platz nur unnötig blockieren würde. Deswegen wird bei mir auf absehbare Zeit nur eine ambulante Therapie angestrebt.
Was viele im Übrigen nicht wissen, ist, wie sehr das Kindergeld hier eine Stolperfalle werden kann. Damit ich existenzsichernde Leistungen vom Kreis bekommen kann, mussten meine Eltern damals Kindergeld beantragen, weil der Kreis das einzieht und meine Behinderung eben vor meinem 25. Geburtstag festgestellt wurde. Die Psychotherapie in der Eingliederungshilfe nach SGB IX holt in vielen Fällen die Krankenkasse als Träger ins Boot, wofür die Beiträge aber vom Kreis bezahlt werden. Wenn die Familienkasse und der Kreis jetzt aus welchen Gründen auch immer nicht miteinander reden, muss mein Vater, weil er der Bevollmächtigte dafür ist, zur Familienkasse und das neu klären, solange werden die Leistungen des Kreises und damit auch die Beiträge zur Krankenversicherung einbehalten. Das hatte ich jetzt schon zweimal, aber jetzt malt euch mal aus, was das bedeutet, wenn ich zu so einem Zeitpunkt in einer therapeutischen Maßnahme bin, wo die Krankenkasse die Beiträge erstmal nicht bekommt, aber die Finanzierung der Therapie übernehmen soll. Das ist der Punkt, wovor ich offen gesagt auch Schiss habe, und weswegen die Eingliederungshilfe die Priorität im ersten Schritt alleine auf den Aspekt Behinderung gelegt hat und wir mit einer Assistenz einsteigen. Das finanzieren die nämlich selbst.
Was den Ausgleich der Behinderung angeht, gibt es einen ganzen Blumenstrauß an möglichen und geeigneten Maßnahmen, auch abseits der Eingliederungshilfe. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem mobilen Friseur oder der Überprüfung des Schwerbehindertenausweises auf mögliche Merkzeichen (G käme bei mir infrage) an, das betrifft digitale Angebote des Bundes (ePerso, Bund ID etc.), das Fernstudium, technische Lösungen wie eben die Telepräsenzrobotik, später mal ambulant betreutes Wohnen, die Möglichkeit eines Fahrdienstes (wenn ich wieder soweit mobiler sein sollte, auch das ist Zukunftsmusik), dann gibt es verschiedene Formen der Vollmachten und so weiter. Ich bin nicht machtlos, aber es ist unheimlich anstrengend und ich kann mich halt auch nur innerhalb meiner gesundheitlichen, rechtlichen und finanziellen Grenzen bewegen.
Umso mehr frustriert und ärgert es dann einen, wenn die Behörden sowas mit derartiger Ignoranz begegnen und man dann solche Sprüche um die Ohren gehauen bekommt - nicht bei allen, aber oft genug. Klar, in meinem Fall ist es die Agoraphobie, vielleicht sieht man das seltener, aber es gibt so viele andere Behinderungen und Krankheiten, die die Mobilität derart einschränken können: Andere Angststörungen wie die Sozialphobie oder Generalisierte Angststörung, Depressionen, Me/CFS, Multiple Sklerose, Querschnittslähmung, Lichtallergie (denkt mal an Hannelore Kohl damals), Long Covid, Glasknochenkrankheit, andere Nervenerkrankungen, Muskelschwund, Folgen von Sportunfällen, um nur mal einige zu nennen. Wenn die Behörden bei Betroffenen jeder einzelnen davon so reagieren würden, dann möchte ich mir das lieber nicht vorstellen.
Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das für mich einfach ein billiger Notausgang, wenn sich auch Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt mit einer Ausgleichszahlung aus der Affäre ziehen können. Ein großer Teil dieser Menschen könnte ebenfalls mehr leisten und sich auch was aufbauen, wenn man die Umstände entsprechend anpassen würde.