„Rudi setzte sich neben sie und streichelte ihren Kopf. Er weinte nicht. Er blieb nur sitzen und war entschlossen, nicht mehr wegzugehen. Er wollte bei ihr bleiben, solange es möglich war. Und so saß er beinahe einen ganzen Tag neben dem toten Pferd, ohne zu essen, ohne ein Wort zu sagen.“

Siegfried Lenz (2015, S. 141), Lotte soll nicht sterben

1 Erzählerisches zur Einführung

Die obigen Zeilen sind Teil einer Geschichte, die Siegfried Lenz innerhalb seiner facettenreichen, höchst anschaulichen Erzählungen von 1948 bis 1963 als eine „einfache“ benannte; denn sie handele „nur vom Tod und von der Liebe eines Jungen zu seinem alten Pferd“ (Lenz 2015, S. 128). Was Lenz hier als „einfache Geschichte“ anführt, die sich „in Masuren, zwischen einsamen Wäldern, Mooren und Seen“ (ebd.) ereignet, ist unter realen Bedingungen im Leben der Kinder alles andere als einfach. Denn wer die Erzählung von Lenz aufmerksam weiter- und zu Ende liest, wird feststellen, wie die Zuneigung eines neunjährigen Kindes namens Rudi zu seinem alten, kränklichen Pferd Lotte in der komplementären Welt der Erwachsenen zu einer Herausforderung wird. Auf diese Welt bezogen, besteht die Herausforderung für Rudi darin, mit den verschwiegenen Planungen der Erwachsenen hinsichtlich des Umgangs mit seinem alten Pferd ad hoc zurechtkommen zu müssen. Denn es geht hier um Unterhaltungen mit getroffenen Entscheidungen, die Rudi unerwartet hört, ebenso ungewollt zur Kenntnis nimmt. Somit treffen hier normative Weltsichten, Relevanzsysteme und daraus folgende Verfügungen von Erwachsenen auf die sinnlichen Erfahrungen eines Kindes, die erschüttert werden.

Dem heimlichen Gespräch seines Vaters mit einem Mann lauschend, entnimmt Rudi demgemäß erschrocken, dass Lotte am nächsten Morgen abgeholt werden soll. Ohne dieses Vorhaben mit all seinen hörbaren, teils schaudernden Details auch nur annähernd verstehen und nachvollziehen zu können, entscheidet sich Rudi panisch, mit Lotte fortzulaufen. Nach zwei Tagen des abenteuerlichen Streifens durch Wiesen, vorbei an „Torfmooren, durch Wälder und durch die Heide“ (ebd., S. 140), stirbt Lotte an der Seite Rudis. Sprachlos neben seinem toten Pferd sitzend, wird Rudi morgens von zwei älteren Waldarbeitern entdeckt und zu seinem Großvater gebracht.

Die Geschichte endet mit dem Auslassen jeglicher Bemühungen der Erwachsenen hinsichtlich einer Aufklärung darüber, was mit Lotte geschehen ist. Um Rudi – so ist anzunehmen – vor seiner Trauer infolge Lottes Tod zu schützen und seine ausgesprochene Ahnung, dass Lotte tot ist, nicht bestätigen und erklären zu müssen, organisiert der Vater einen neuen „schönen, jungen Grauschimmel“ (ebd., S. 142). „Er sieht wirklich so aus wie Lotte“, sagt der Vater, „und ich glaube, die beiden sind schon gut Freund“ (ebd.).

2 Von der Schwierigkeit, Kindern die todesbezogene Wahrheit zu kommunizieren

Auch wenn es sich hier nur um eine erzählerische Phantasie handelt, so führt sie uns anschaulich zu den durchaus möglichen, nicht selten realistischen Handlungen Erwachsener, etwa wenn es um die Aufklärung von Kindern und die gemeinsamen Gespräche mit ihnen im Kontext von Sterben, Tod und Trauer geht. Zugespitzt zeigt sich die Herausforderung für Erwachsene, Kinder über das Sterben und die Todesursache unverzüglich, aufrichtig, wenig – zumindest in Maßen – euphemistisch und ohne Lügen zu informieren, bei Suiziderfahrungen. So sind besonders hinterbliebene Elternteile nicht selten hilflos, „wenn es darum geht, mit Kindern und Jugendlichen über die Selbsttötung von Angehörigen oder Freunden zu sprechen“ (Paul 2019, S. 4). Diese Erklärungsnot hat sicherlich viele Gründe: So wird der Suizid als ‚brachialer Weg‘, wie ihn Anthony Giddens (1971) einst auslegte, von Eltern selbst als genau dieser empfunden und folglich als eine dem kindlichen Verständnis kaum zugängliche, geschweige denn erklärbare Faktizität interpretiert und behandelt. Die inhärenten Herausforderungen kreisen um die Frage, wie einem Kind wirklichkeitserschließend und ‚kindgemäß‘, d. h. jenseits von Belastungen und Zumutungen, erklärt werden könne, dass der Vater sich vorgestern erhängt oder die Schwester sich freiwillig auf die Zugschienen gelegt hat.

Der suizidale Tod scheint daher mehr als nur der Tod in seiner biologisch-reduktionistischen Form zu sein, wenn es darum geht, Kindern die Hintergründe für den gewählten Freitod offenzulegen und zu erklären. (Früh-)Pädagogische, erzieherische Interventionen, entlang derer Kinder lernen und erfahren sollen, was ein gesundes Leben ist, was Glücklichsein und Zufriedenheit ist, wo man vorsichtig sein und was man nicht tun sollte, platzieren sich bei der Erläuterung des Freitods in einem dehnbar widersprüchlichen, sehr erklärungsbedürftigen Licht. Kind- und wahrheitsgemäße Argumente für das suizidale Verhalten einer:s Angehörigen zu liefern, sind mühevoll zu leisten; zweifelsfrei auch aufgrund des eigenen Berührtseins und der sich akut verändernden, meist abnehmenden emotionalen Zugänglichkeit (Lohan und Murphy 2002) der ebenfalls betroffenen erwachsenen Familienmitglieder, deren Trauerprozess nach einem Suizid einzigartige Eigenschaften aufweisen kann (vgl. Jordan 2001).

Vor allem aber sind die Gespräche über diese Form der Todeswirklichkeit für Erwachsene so schwierig, weil sie die sensiblen Normative einer schützenswerten Kindheit infrage stellen. Ein Aspekt übrigens, der in sehr ähnlicher Weise auch für die Tatsache zutrifft, dass Kinder mit einer progredienten Erkrankung früh(er) sterben müssen. Denn mit wie viel Zuversicht und aufrichtigen Gesprächen man dieser bitteren, weil zu schwer annehmbaren Realität des absehbaren frühen Todes eines Kindes (häufig in Kinderhospizen) auch begegnet, nur schwer – so meine These – kommen Betroffene um die normativ-unbeschränkte Grundhaltung, einschließlich ihrer erstrebenswerten Erfüllung hinsichtlich einer unversehrten und glücklichen Kindheit herum (dazu auch Sitter 2019a, S. 107 f.).

Somit wird auch das grundlegende Ziel der Trauerbegleitung, offen mit Kindern über das sich tödlich Ereignete in der Familie zu kommunizieren (vgl. Worden 1996, S. 156 f.), durch den Akt des Suizids in Teilen verunmöglicht. Der Suizid ist schließlich „a confusing death“ (Cerel et al. 2008, S. 39); mit Kindern über diesen zu sprechen, geht mit Ängsten einher, etwas grundlegend falsch machen zu können. Desgleichen schweben ein schlechtes Gewissen und die idealisierende Verantwortung im Raum, Kindern vor solch einer diffizilen Auseinandersetzung schützen zu müssen, um ihnen nachteilige Reaktionen zu ersparen. Allerdings sollte reflektierte Vorsicht geboten sein, Kinder beim Thema Suizid in die „Uniform der Kindlichkeit“ (Korczak 1971, S. 98)Footnote 1 zu stecken. Schließlich haben Kinder, so jung sie auch sein mögen, das Recht zu erfahren, was mit ihren Angehörigen geschehen ist. Sie nicht aufzuklären und ihnen – mehr oder weniger taktisch – die Wahrheit vorzuenthalten, mag sich durchaus als nötiger Verdrängungs- oder Schutzmechanismus erweisen. Dennoch sorgt dieser nicht nur für unvernünftige exklusive Tendenzen und vergrabene Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder, sondern zugleich für eine zeitliche Verlagerung der nötigen Auseinandersetzung. Letztere wird Kinder und Erwachsene früher oder später einholen, und nicht selten – davon ist auszugehen – folgen dem Ausbleiben dieser Auseinandersetzung gesundheitliche Konsequenzen.

Dabei gehört es inzwischen zum diskursiven, kanonisierten Wissen, wie relevant es ist, Kinder, die eine enge und für sie bedeutsame Bezugsperson verloren haben, mit allen nötigen Informationen rund um das Sterben und den Tod mit seinen Konsequenzen zu versorgen (dazu u. a. Worden 1996; Abrams 1999; Schuurman 2000) und ihnen die Möglichkeit zu geben, zu verstehen und Abschied zu nehmen, um „im Trauerprozess voranzukommen“ (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V. 2010, S. 18). Doch besonders bei einem Suizid herrschen – wie oben skizziert – recht subtil die Normative einer schützenswerten Kindheit vor, die die Wahrheit nicht unterstützen, sondern vielmehr zu verschleiern helfen. Diese Normative kommen daher nur schwer mit jenem „Nachhall“ (Benkel 2022, S. 101) in Einklang, den der Freitod im Kontrast zum „vermeintlich ‚natürlichen‘ Tod“ (ebd.) erzeugt. So existieren schließlich besonders hier „Sprachlosigkeit, Scham und Unverständnis“ (Roth 2009, o. S.), die nicht nur innerfamiliär, sondern auch außerhalb der Familie im Kontext der Gesellschaft vorzufinden sind. Sie führen recht häufig dazu, dass die Familien, „in denen ein Suizid passierte, gemieden, die Kinder isoliert werden“ (ebd.)Footnote 2. Die Ursachen hierfür, so äußert Roth ergänzend, liegen häufig in einer Unsicherheit begründet. Der Suizid eines Familienmitglieds steht insofern auf recht extreme Weise exemplarisch dafür, wie schwierig es sein kann, Kindern die faktische Wahrheit über den Tod eines nahen Familienmitglieds und die damit verbundenen Zu- und Umstände zu kommunizieren.

Und genau mit dieser Schwierigkeit entfaltet sich die Bedeutsamkeit einer partizipativen Forschung mit trauernden Kindern, die im Folgenden weniger in ihrer praktischen, d. h. konkret methodischen Umsetzung diskutiert wird. In diesem Beitrag wird nämlich vorausgesetzt und auf Basis meiner eigenen Forschungserfahrungen davon ausgegangen, dass in einer kollaborativen Forschung mit Kindern, wenn in ihr die nötige reflektierte Balance zwischen generationaler Symmetrie und intergenerationaler Nachsicht (dazu Sitter 2019b) gelingt, Gütekriterien nicht infrage stehen und keine methodisch-methodologischen Extra-Erklärungen mehr geleistet werden müssen.Footnote 3 Mit diesem Verständnis rücken in diesem Beitrag also ganz grundlegende Perspektiven in Form eines Plädoyers für eine partizipative Forschung in den Fokus, das sich – im Beisein von ethischen sowie kindheitstheoretischen Anstrengungen – der forschungsorientierten Ausräumung und Reflexion von Spannungen zuwendet, die trauernde Kinder für Erwachsene und vice versa evozieren können.

3 Zum Plädoyer für das partizipative Forschen mit trauernden Kindern

Die Konsequenzen einer Angst behafteten, nicht aufrichtigen Kommunikation mit betroffenen Kindern, die Angehörige durch den Tod verloren haben, führen in mehrere spannungsreiche Richtungen: Ganz abgesehen von den beraubten Möglichkeiten, zu wissen, was geschehen ist, ehrlich getröstet zu werden, sich aufgefangen zu fühlen, mitreden und bestehende Fragen und Sorgen ausdrücken zu können, wird Kindern vor allem die zeitlich anstehende, relevante authentische Auseinandersetzung mit dem tödlichen Ereignis verwehrt. Kinder spüren jedoch „atmosphärisch, dass etwas nicht stimmt“ (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V. 2010, S. 18). In einer jüngeren dänischen Studie (Lytje et al. 2022) über die Erfahrungen von fünf- bis achtjährigen trauernden Kindern mit elterlichen Verlusten und Erkrankungen wird berichtet, für wie wichtig es betroffene Kinder betrachten, wahrheitsrelevante Informationen über den elterlichen Gesundheitszustand zu erhalten. Kinder wünschen sich daher nachvollziehbar und gleichermaßen konsequent „to be included in decisions and rituals, and they want to understand their loss“ (ebd., S. 12).

3.1 Die generationale Differenz kann als Bezugsproblem im und für den Trauerprozess betrachtet werden

Die Trauerforschung und -praxis hat für diese Wünsche und Bedarfe trauernder Kinder inzwischen vielfältige Erfahrungen (dazu Röseberg und Müller 2014), ein (entwicklungs-)psychologisches sowie (sozial-)pädagogisches Basiswissen und kontinuierlich neue, wachsende internationale Studienergebnisse zusammengetragen (u. a. Vaughan-Cole 2005; Monroe und Kraus 2010). Demnach kann die Trauerbegleitung zweifelsfrei auf ein empirisches Wissen für ihre sehr häufig zivilgesellschaftlich getragene und multiprofessionell ausgeübte Praxis (dazu Engelfried-Rave und Nienhaus 2022; Sitter 2022a) zurückgreifen, das die Relevanz von geschaffenen Räumen für trauernde Kinder sowie die Bedeutung von Trauer-Gruppensettings unterstreicht und den hier praktizierten Einsatz von Ritualen, kreativen Hilfsangeboten und lösungsorientierten Gesprächen etc. unterstützt.

Bislang aber lassen sich, soweit überblickt werden kann, nur wenige Erkenntnisse aus der Perspektive der trauernden Kinder selbst konstatieren (vgl. Lytje et al. 2022). Keineswegs meint diese Perspektivenfokussierung die wohlüberlegten methodisch-methodologischen Planungen zur (bloßen) Erforschung von Kinderperspektiven, wie sie in mehreren Studien fokussiert werden (etwa bei Højholt 2012; allerdings nicht bezogen auf kindliche Trauer). Denn auch derartige Studien, die sich auf kindliche Perspektiven konzentrieren, setzen nicht unbedingt bei den genuin eigenen Themen und Anliegen der Kinder an. Vielmehr ist mit dem Wort ‚Perspektive‘ die Überlegung angesprochen, was es für trauernde Kinder bedeuten könnte, wenn sie sich forschend und eigenwillig einer auf Trauer bezogenen Thematik im Allgemeinen, aber auch einer auf den Suizid bezogenen im Besonderen, mit all ihren gemachten oder auch nicht gemachten Erfahrungen, Gefühlen (auch der anderen) sowie ihren Bedarfen und ungeklärten Fragen, widmen. Welcher Wert liegt also in einer Forschung, in der trauernde Kinder als Co-Forschende mit ihren jeweils persönlichen, lebensweltlichen Perspektiven, Erfahrungsroutinen und Anliegen agieren könn(t)en?

Der erste Wert und Grund innerhalb des Plädoyers für eine partizipative Forschung mit Kindern in Trauer speist sich aus der Eröffnung der Möglichkeit, trauernde Kinder nicht als Objekte, sondern als Subjekte an Themenbearbeitungen und Fragestellungen zu beteiligen, die für sie und aufgrund ihrer Trauererfahrungen von Bedeutung sind. Mit dieser Möglichkeit kann gemeinsam mit ihnen ein (sowohl grundlagen- als auch praxisorientiertes) Wissen für das Themengebiet der Trauer aufgebaut werden, das sich als kritisch, gestaltend und wandelbar ausweist: kritisch, weil sich die bestehenden Erkenntnisse vor allem zur Bedeutung des Alters in Trauerprozessen über die gängigen Theorien hinaus, und somit auch anderweitig betrachten ließen; gestaltend, weil Kinder als Co-Forschende auf den empirischen Prozess und seine Ergebnisse einwirken können; und wandelbar, weil die Ergebnisse gemeinsam mit Kindern in die Öffentlichkeit getragen werden, um neue oder alternative Denk- und Praxismodelle zu befördern. Im Hinblick auf die kritische Wissensgenerierung zur Bedeutung des Alters für Trauerprozesse rückt – gleichzeitig gestaltend und wandelbar – die Bewusstmachung generational bedingter Machtungleichheitsverhältnisse in den Fokus. Trauernde Kinder sind von diesen folgenhaft betroffen, weil – wie schon angedeutet wurde – ihr Trauerprozess und somit auch ihre Gesundheit in hohem Maße von adulten Bedürfnissen und Entscheidungsfindungen abhängig sind; der Entscheidung beispielsweise, das Kind über die Geschehnisse aufzuklären, um ihm eine Auseinandersetzung zu ermöglichen; der Entscheidung, dem Kind einen Austausch in einer Trauereinrichtung zu ermöglichen oder dem Bedürfnis, sich als trauernde:r Angehörige:r Unterstützung zu suchen, um in Zeiten der Trauer für sich selbst und auch für das Kind sorgen zu können. Sind trauernde Kinder solchen Entscheidungen und Bedürfnissen der Erwachsenen unterworfen, so sind davon auch ihre Rechte innerhalb einer Beziehung betroffen, die in Zeiten der Trauer innerhalb des Familiensystems äußerst schwer auf Gleichwertigkeit und einer sehr instabilen Gegenseitigkeit beruht. Eine derartige Beziehung verformt sich daher nicht selten in und durch die individuellen Trauerprozesse innerhalb des (Trauer-)Systems Familie weniger zu einer relationalen Ergänzung als vielmehr zu einer komplizierten Gemeinschaft mit einigen unerwünschten Gegenwirkungen.

Partizipative Forschung mit trauernden Kindern ist insofern nicht vordergründig (fraglos aber auch) bedeutsam, um offene empirische und konkrete gegenstandstheoretische Fragen etwa zum altersbedingten, kindlichen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer zu beantworten. Im Kern geht es auch nicht darum, ihre altersbedingten Perspektiven auf ausgewählte und den Tod betreffende Fragen innerhalb eines kollaborativen Forschungsprozesses einzufangen. Vielmehr ist ein partizipatives Forschungsprojekt mit trauerden Kindern deshalb bedeutsam, weil es die latente Kraft der generationalen Machtungleichheitsverhältnisse, mit denen Kinder in ihrem Trauerprozess auf nachhaltige Weise konfrontiert sein können, als epistemische Dimension ins Visier rücken kann. In diesem Zusammenhang sind die Betrachtungen und Analysen über die grundlegenden Einstellungen von Kindern zu älteren Menschen (Mendonça et al. 2018) aufschlussreich. Denn es zeigt sich, wie sich das Alter als eine Größe konstituiert, entlang derer Kinder ihre Wahrnehmung von älteren Menschen in ihrer sozialen Lebenswelt organisieren (vgl. Lewis und Brooks-Gunn 1979). Nach Levy (2003) bedeutet dies etwa, dass Altersstereotype von Kindern Erwartungen über ihren eigenen Alterungsprozess mit sich bringen. In einer Studie (vgl. Seefeld et al. 1977, S. 509), in der mit Bildern die Einstellungen von Kindern gegenüber älteren Menschen entschlüsselt wurden, zeigte sich, dass ca. 60 % der befragten Kinder auf die Frage, wie sie sich dabei fühlen würden, ein älterer Mensch zu sein, angaben, dass sie sich schrecklich fühlen würden.

Diese Studienergebnisse sind für ein partizipatives Forschungsprojekt mit trauernden Kindern insofern beachtenswert, als sie die Frage herausschälen, inwiefern die für sie erfahrbare generationale Differenz – in ähnlicher Kraft und Bedeutung wie die Dimension des Alters – im Rahmen ihres Trauerprozesses ein Bezugsproblem für ihre Trauerbewältigung darstelltFootnote 4. So erleben Kinder schließlich, dass Erwachsene ebenso trauern; immer wieder erleben sie hierbei auch, wie sich die Bedürfnisse der trauernden Angehörigen von ihren je eigenen in der Weise unterscheiden, dass sie sich zurücknehmen (müssen), uninformiert bleiben, unerfahren und ängstlich sind, Themen nicht ansprechen möchten oder sich schämen und wertlos fühlen. Demnach organisieren trauernde Kinder ihr Trauerverhalten entlang ihrer subjektiven Wahrnehmung des Trauer- und Informationsverhaltens der Erwachsenen und entlang ihrer sich daraus ergebenden zu organisierenden GefühleFootnote 5, Bedürfnisse und Rücksichtnahmen. Auch die Tatsache, dass Kinder ein Trauerzentrum besuchen, berührt ihre Trauerorganisation. Denn Eltern bringen ihre Kinder oftmals aus Sorge um ihre seelische Gesundheit in eine Einrichtung der multiprofessionellen Trauerbegleitung. Mit dem Verlust eines nahen Angehörigen treten daher neue Orte in das Leben der Kinder, die sie nicht selten und vorerst „mit Skepsis und Unwillen aufsuchen“ (Sitter 2022b, S. 253). Das Betreten der Kinder von Settings der Trauerbegleitung wird begleitet von einer ihrerseits zu leistenden, notgedrungenen Organisation ihrer Trauer entlang der Entscheidungen, Trauerweisen und -organisationen von Erwachsenen.

Für ein partizipatives Forschungsprojekt mit trauernden Kindern wird also plädiert, weil die generationale Differenz bislang zu wenig aufmerksam für den Trauerprozess betrachtet wurde. Damit ließe sich erschließen, ob, wann und inwiefern die Altersasymmetrie eine kommunizierte Bezugsgröße darstellt, sodass diese zu einer Voraussetzung für kindliche Trauerweisen und somit zu einer spezifischen Trauer der Kinder wird. Sicherlich ließe sich diese Fokussierung auch in einem anderen (sowohl qualitativen als auch quantitativen) Forschungsdesign vornehmen. In einem partizipativen Forschungsprojekt jedoch bietet sich die Möglichkeit, dass trauernde Kinder als Co-Forschende über die Auseinandersetzung mit der generationalen Differenz anders, d. h. im Rahmen einer reflektierten, ethisch symmetrischen (vgl. Eßer und Sitter 2018) und demokratischen Verständigungsdiskussion, von Beginn an entscheiden und sie beeinflussen können. Dazu gehört die grundlegende Überlegung, wie trauernde Kinder Zugang zu einem partizipativen Forschungsprojekt erhalten, sodass ihre Teilnahme auch von ihren jeweils eigenen Interessen und Anliegen heraus resultiert. Insofern darf auch kein vorgefertigter Fragebogen existieren einschließlich eines detailliert entwickelten, normativ festgelegten Forschungskonzeptes durch die akademischen Forschenden, wie es innerhalb und durch die Gestaltung von Projektanträgen recht üblich ist. Der besondere Vorteil eines Projektes, das von Beginn an die eigenen Interessen der co-forschenden Kinder fokussiert, ist, dass – entgegen des bislang skizzierten und empirisch nachweisbaren Problemaufrisses – nicht schon a priori von differenten und herausfordernden Trauerverhaltensweisen der Kinder aufgrund des Alters als Differenzkategorie ausgegangen wird. Rein organisationssoziologisch gesehen, wäre diese Annahme auch nicht klug, zumal ebenfalls davon ausgegangen werden kann, dass durchaus Gegenteiliges passiert. Diese Widerlegung und/oder Varianz von Annahmen können in partizipativen Aktivitäten den zentralen Part bilden, indem Kindern der Raum gegeben wird, ihre eigene Forschungsagenda auf Basis ihrer Lebenserfahrungen zu kreieren, um – wie es Thomas und O’Kane (1998, S. 342) unterstreichen – „to draw upon concrete events in real life, and to involve handling things rather than just ‚talking‘“.

Das Wichtige dabei ist: Wann immer auch trauernde Kinder den Entscheidungen und Handlungsweisen Erwachsener gegenüberstehen und diese zum empirischen Thema (ihres Trauerprozesses) machen möchten, ist dies ein Zeichen, dass die generationale Differenz als Bezugsproblem ihre lebensweltliche Trauer berührt. Und wann immer sie sich auf dieses Thema nicht fokussieren möchten oder eine Teilnahme an einem diesbezüglichen Forschungsprojekt ablehnen, so lässt sich schließlich auch hierin ein sozialer Funktionssinn erkennen, der bereits erkenntnisreich ist. In genau dieser Offenheit liegt schließlich das epistemische Potenzial der generationalen Differenz im und für den kindlichen Trauerprozess.

3.2 Die eigenen Themen und Anliegen trauernder Kinder werden hör-, sicht-, sag- und veränderbar

Der Summe des Erkenntnisreichen sind in einem partizipativen Forschungsprojekt – im Grunde – keine Grenzen gesetzt. Wenn sich Kinder in empirischen Studien als Co-Forschende engagieren (können), finden für sie bestenfalls und gleichzeitig auch Aneignungs- und Lernprozesse statt, die wiederum mit Verarbeitungs- und Bildungsgelegenheiten einhergehen.Footnote 6

In jüngster Zeit wurden zu allgemeinen partizipativen Forschungsstrategien (vgl. von Unger 2014) und besonders mit Kindern (vgl. Aghamiri 2020; Richter 2020; Sitter 2019b, 2020; Groundwater-Smith et al. 2015) systematische Überlegungen, Modelle und kritische internationale Ergebnisse zusammengestellt. Nicht nur der grundlegende, ohnehin normativ-moralische Anspruch, mit partizipativer Forschung zu mehr emanzipatorischer Beteiligung, Demokratieförderung und Empowerment für vulnerable Gruppen beizutragen, stärkt das Plädoyer für partizipatives Forschen. Auch kritische Stimmen über die nötige Reflexion der Einlösbarkeit partizipativer Ansinnen und der kollaborativen Aufbereitung sowie Implementierung der Forschungsergebnisse (vgl. Hempel und Otten 2021; Sitter 2021b) helfen, den potenziellen Wert partizipativer Forschung zu verstehen, ihn aber auch zu hinterfragen. Zu den Hinterfragungen tragen einerseits die asymmetrischen Machtverteilungen bei, die partizipativen Studien etwa aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungshintergründe der akademischen versus Co-Forschenden von Beginn an inhärent sind. Diese Asymmetrien fallen beim gemeinsamen Forschen zwischen Kindern und Erwachsenen umso mehr ins Gewicht, da allein die Altersdifferenz gewisse Wissensvorsprünge und Erfahrungswerte impliziert, die wiederum im Forschungsprozess Entscheidungsfindungen der Erwachsenen begünstigen (dazu Eßer und Sitter 2018). Daraus ergibt sich andererseits die Hinterfragung, wie partizipativ und für Kinder bedeutsame Erkenntnisse sowie Veränderungen bringend ein Forschungsprojekt tatsächlich ist, wenn am Ende all die spür- und sichtbaren Asymmetrien in den Machtverteilungen überdies dazu führen, dass die Ergebnisse überwiegend in den gewohnten Feldern der Scientific Community interpretiert und dargestellt werden. Den einstigen Co-Forschenden und erst recht den co-forschenden Kindern werden jenseits der Forschungsphase kaum weiterführende Beteiligungs- und Diskussionsmöglichkeiten, d. h. nachhaltige Diskursbeteiligungen eingeräumt.

Ein partizipatives Forschungsprojekt kann indessen Beteiligungsmöglichkeiten systematisch zu allen Phasen des Forschens ermöglichen. So sind trauernde Kinder bereits beteiligt, weil ihre Trauerarbeit eben nicht nur in ausgewählten Bereichen, d. h. in spezifischen Institutionen der Trauerbegleitung unterstützt oder eben nur in bestimmten Phasen eines Projektes (an)gehört wird. Beteiligungsmöglichkeiten können ihnen während des gesamten Forschungsprozesses zukommen, weil sie nicht ‚objektiviert‘ werden, sondern als Forschungssubjekte agieren, deren Themen hörbar sind. Trauernde Kinder in partizipativen Aktivitäten agieren zu lassen, impliziert daher den besonderen Wert, ihnen eine gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit zukommen zulassen, weil sie ihren lebensweltnahen Relevanzsystemen sowie -setzungen in und durch Forschung Ausdruck verleihen können. Bezogen auf das Thema Suizid kann ein partizipatives Forschungsprojekt demnach gewährleisten, dass Kindern, die den Suizid einer:s Familienangehörigen erfahren haben, eine empirische Stimme gegeben wird, die bislang in dieser Form nicht zu hören ist.

Nachhaltig sichtbar wird diese Stimme mit ihren Anliegen aber nur dann, wenn sie eine Aufbereitung durch die Kinder selbst erfährt. An anderer Stelle (Sitter 2021a, S. 245) habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die blühende Trauerbilderbuch-Landschaft, die vornehmlich von Erwachsenen produziert wird, nicht „mit den Alltagserfahrungen der trauernden Kinder und ihren subjektiven Trostvorstellungen übereinstimmen“ muss. Zahlreiche Trostvorstellungen in diversen Bilderbüchern für trauernde Kinder und ihre Familien etc. werden schließlich von den Vorstellungen und Deutungsmustern des Sag- oder Nichtsagbaren sowie des Sicht- oder Nichtsichtbaren der Erwachsenen bestimmt. In einem partizipativen Forschungsprojekt allerdings könnten trauernde Kinder selbst anordnen, was über den Suizid sag- und sichtbar sein darf und sollte oder auch nicht. Dieses Sag- oder Nichtsagbare sowie Sicht- oder Nichtsichtbare kann von co-forschenden Kindern – im Rahmen einer gewährten und reflektierten ethischen Symmetrie im Forschungsprozess (vgl. Eßer und Sitter 2018) – zur Sprache gebracht und so aufbereitet werden, dass ihre Intentionen zur Geltung kommen. Kindheitstheoretisch, konkret pädagogisch und entwicklungspsychologisch, liegt hier ein besonderer Gewinn, der in der Gestaltung von Kindertrauerbüchern erkenntnisreich zum Einsatz kommen kann. Denn die bildnerische Arbeit (in Form von Zeichnen, Malen, Modellieren und Bauen etc.) unterstützt die eigene Auseinandersetzung und Verarbeitung mit (vergangenen) Situationen, Gefühlen, Emotionen und Bedürfnissen. Kinder können hierbei zugleich ästhetische Erfahrungen machen, ihre Persönlichkeitsentwicklung entfalten sowie Lese- und Schreibkompetenzen erlangen.

Die hör-, sicht- und sagbaren Ergebnisse der Kinder, die sich nach Ansicht der Kinder in einem Trauerbilderbuch versammeln könnten, würden daher eine Basis für das neue Hör- und Nichthörbare, Sag- und Nichtsagbare sowie Sicht- und Nichtsichtbare, aber auch für das denkbar zu Verändernde eben aus der Perspektive der trauernden Kinder bereitstellen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Kindertrauerbücher von Erwachsenen geschaffen werden. Aber die Entscheidung von Kindern über die (nicht) visuelle, (nicht) zu präsentierende verstehbare Kultur einer Darstellung todesbezüglicher Themen kann und darf durch partizipative Aktivitäten neu denkbar, grundlegend enttabuisierend wirken und somit veränderbar werden.

3.3 Trauernde Kinder sind an der Gesundheitsförderung diskursiv beteiligt

Diese Veränderbarkeit berührt den bedeutsamsten Part des Plädoyers, mit trauernden Kindern partizipativ zu forschen. Denn die Veränderbarkeit eigener Themen und Anliegen zu bewirken, heißt auch, Kinder diskursiv zu beteiligen. Ein partizipatives Forschungsprojekt mit trauernden Kindern darf daher keineswegs in der temporären Künstlichkeit (vgl. Hempel und Otten, S. 217) verharren. Hiermit ist die bereits angedeutete, gängige Praxis angesprochen, dass Kinder von den Ergebnissen der Studien, in denen sie beteiligt waren, kaum – zumindest nicht unmittelbar – profitieren, weil sie sich beispielsweise an den Veröffentlichungen (auch in Form von wissenschaftlichen Vorträgen) nur selten beteiligen (können) oder weil ein befristetes Drittmittel-Projekt und damit ihre Einflussnahmen nun mal irgendwann enden (vgl. Sitter 2021b). Ein wohlüberlegtes partizipatives Projekt, das die eigenen Themen und Anliegen der Kinder in ihrer gewünschten Hör-, Sicht- und Veränderbarkeit (einschließlich ihres Sagbaren) ernstnimmt, wird sowohl mit den Forschungsbemühungen als auch mit ihren Ergebnissen einschließlich ihres Weitertransports weder in einer ‚Top-down‘- noch in einer ‚Bottom-up‘-Logik vorgehen (können). Es sind somit Räume zu schaffen sowohl für die Bewusstseinsbildung ihrer Themen als auch für nachhaltige Mitsprachemöglichkeiten in Form einer jungen Bürger:innen-Beteiligung, wie sie Jörg Sommer (2021) grundlegend für die Bedingungen gelingender Partizipation vorschlägt.

Übertragen auf das partizipative Forschen mit trauernden Kindern hieße dies, die Ergebnisse ihrer Projektthemen, -geschehnisse und -analysen etc. an den Diskurs über die Gesundheitsförderung von Kindern anzukoppeln und dort sichtbar zu machen. Denn bei allen bislang vorgestellten Handlungen und Herausforderungen im Umgang mit Trauer geht es doch schließlich immer um die vorsorgliche Gesunderhaltung von Trauernden, erst recht von trauernden Kindern. Die partizipative Gesundheitsforschung als Forschungsansatz (dazu Hartung et al. 2020) könnte bei dieser diskursiven Beteiligung mit ihren Vorschlägen durchaus wegweisend sein. Denn sie formuliert fruchtbare Wirkungen einer forschenden Partizipation auf individueller, sozialer und gesellschaftlicher Ebene. Für trauernde Kinder läge auf individueller Ebene (Mikroebene) durch die partizipative Beteiligung per se ein Kompetenzgewinn sowie eine Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit. Die organisationale Ebene – als Mesoebene zu verstehen – impliziert das gemeinsame Nachdenken mit Kindern über die Entwicklung und potenzielle Verbesserung der auf Trauer bezogenen Themen durch besondere Initiativen oder den Austausch mit kooperativen Netzwerken etc. Gesellschaftliche Wirkungen auf der Makroebene wiederum ließen sich für und mit trauernden Kindern praktizieren und erzielen, indem sie Einfluss auf strukturelle (Rahmen-)Bedingungen nehmen.

Letztere Ebene ist insofern zentral, als mit ihr die diskursive Beteiligung von trauernden Kindern angesprochen ist. Hiermit wird an die Kommunikationsform der Deliberation angeknüpft, die Jürgen Habermas (2022, S. 85) entlang der gegenwärtigen, digitalisierten gesellschafts- und weltpolitischen Lage neu ausleuchtet. In praktischen Diskursen, so argumentiert Habermas, „wird über Interessen gestritten, deren relatives Gewicht nur aus der Perspektive der Lebenswelt des jeweils Anderen eingeschätzt werden kann“. Und genau deshalb ist eine „gegenseitige Perspektivenübernahme“ (ebd., Herv. i. O.) so bedeutsam; doch diese wiederum ist nur möglich, wenn – bezogen auf trauernde Kinder – ihre Ergebnisse als Co-Forschende auch mit ihnen gemeinsam in den diskursiven Verständigungsprozess gebracht werden. Exemplarisch kann dies gelingen, wenn etwa Bilderbücher über Trauer erstens, nicht nur die gewählten Themen und Geschichten etc. der Kinder zeigen, sondern wenn auch ihre diesbezüglichen Handlungsempfehlungen sichtbar und gezielt an andere Kinder gerichtet werden. Zweitens ist es von Bedeutung, dass diese Handlungsempfehlungen diskursiv mit ihren Dispositiven zirkulieren. In (elementar-)pädagogischen Einrichtungen ließe sich dies umsetzen, indem bspw. die Bücher von Kindern – in Form von Lesungen – selbst vorgestellt werden würden.

Trauernde Kinder als Co-Forschende nachhaltig an der diskursiven Gesundheitsförderung zu beteiligen, heißt letztendlich eine deliberative kleine Bürger:innen-Beteiligung zu schaffen, in der Kinder mit ihren Ergebnissen an andere Orte gehen und dort erzählen, berichten, darstellen und erklären, was sie etwa über Trauer und ihre Bewältigung herausgefunden haben. Eine partizipative Forschung mit trauernden Kindern leistet also einen Beitrag zur Gesundheitsförderung, weil Kinder selbstbestimmt und eigenständig (ihren) Themen, Fragen und Bedürfnissen nachgehen können, was sowohl zur Theoriebildung als auch zum Umdenken der Erwachsenen – vielleicht auch zur Optimierung – hinsichtlich des Umgangs mit trauernden Kindern beitragen kann.

4 Ein Resümee

Bei allen hier angestellten Überlegungen und formulierten Annahmen hinsichtlich des Plädoyers für das partizipative Forschen mit trauernden Kindern wurden konkrete Aspekte der Strukturierung eines partizipativen Forschungsprozesses mit Kindern nicht detailliert vorgestellt. Somit dürfte noch unklar sein, wie beispielsweise trauernde Kinder für eine partizipative Studie gewonnen werden können, welche kindgerechten Forschungsmethoden und Analyse-Strategien sich eignen und welche forschungsethischen Notwendigkeiten überhaupt zu treffen sind. Denn zu bedenken ist, dass trauernde Kinder schließlich Kinder sind, denen das Recht zusteht, sich in Themen einzubringen, die sie anbelangen – selbstverständlich immer unter einer aufmerksamen Berücksichtigung ihrer Kapazitäten (vgl. Groundwater-Smith et al. 2015, S. 4; eigene Übersetzung).

In der Tat sollte daher als erster wichtiger Schritt berücksichtigt werden, dass es sich bei aller betonten Relevanz bezüglich des Einbindens von Kindern in empirische Studien – und besonders bei einer auf Sterben, Tod und Trauer bezogenen Thematik – um eine Forschung handelt, „that intrudes into a deeply personal experience“ (Milne und Lloyd 2009, S. 222).Footnote 7 Dieser Fakt tangiert ethische Aspekte in zweierlei Hinsicht: Erstens, stellt sich die Frage, ob Kinder zu solch einer existenziellen Thematik überhaupt befragt werden können und sollten; wobei diese Infragestellung per se und abermals die eingangs skizzierte Handlung im Sinne einer ‚Zu-stark-beschützenden-Haltung‘ der Erwachsenen erhärtet. Diese Praxis wiederum widerspräche allen bislang angestellten Bemühungen und Intentionen, trauernden Kinder ihre Trauer und die Auseinandersetzung damit zuzumuten. Umso mehr münden die ethischen Aspekte und ihre Überlegungen in einem zweiten Schritt, in gut durchdachte Vorplanungen und eine effektive Methodologie, wie sie Thomas und O’Kane (1998, S. 336) für partizipatives Forschen mit Kindern vorschlagen. Sie argumentieren, dass „effective methodology and ethics go hand in hand“ (ebd.). Es müsse daher ein Forschungsansatz gewählt werden, „which gives children control over the research process and methods which are in tune with children’s ways of seeing and relating to their world“ (ebd., S. 337).

Doch welches Forschungsprojekt über Trauer (samt effektiver Methodologien) akademische Forschende bei allen machtanalytischen Reflexionen mit co-forschenden Kindern auch anstellen mögen, sie tragen mit ihren theoretischen Vorplanungen und akademischen Finalisierungen dazu bei, Kinder als Kinder und folglich als Unbeteiligte zu reproduzieren. Dazu gehört meines Erachtens auch das selbstverständliche Eintreten von akademischen Forschenden in die Räume der Kinder, wie beispielsweise in Kitas oder Schulen. Auch hiermit wird über die generationale Differenz u. a. eine „räumliche Überlegenheit“ darüber ausgeübt, „wo sich Kinder wie und mit welchen vorzufindenden Methoden forschend zu arrangieren haben“ (Sitter 2020, S. 61; Herv. i. O.). Eine Kita, eine Grundschule oder eine Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit sind, wenn akademische Forschende mit ihren Forschungsfragen dort selbstverständlich ein- und ausgehen, keine Schutzräume mehr, die sie aber zu jeder Zeit sein sollten. Denn zu routiniert greifen meines Erachtens Forschende im Rahmen ihrer Projektansinnen auf die institutionellen Räumlichkeiten zurück, in denen Kinder verweilen, ohne dabei (ausreichend) zu berücksichtigen, dass diese Räume auch Rückzugsräume für Kinder sind, in denen sie ungestört lernen, sich bilden, erholen und Freude haben können. Für ein partizipatives Forschungsprojekt mit trauernden Kindern sollte daher auch im Sinne des epistemischen Potenzials der generationalen Differenz eine andere Strategie gewählt werden – in jedem Fall eine, in der sich Kinder für ihre Teilnahme als Co-Forschende ganz aus ihrer eigenen Überzeugung heraus, d. h. jenseits von zu wenig reflektierten Beeinflussungen durch Erwachsene entscheiden können.

Eine partizipative Forschung mit trauernden Kindern muss daher stets von dem Grundgedanken einer ‚intergenerationalen Nachsicht‘ (Sitter 2019b) getragen und durchdrungen sein, um die Hartnäckigkeit der generationalen Differenz und Ordnung samt ihrer eingelagerten Konflikte besonders in der Auseinandersetzung mit dem Lebensende von Beginn an zu betrachten, bestenfalls aufzulösen. Denn obgleich es in (elementar-)pädagogischen und schulischen Einrichtungen Öffnungen hinsichtlich einer edukativen und curricularen Auseinandersetzung mit dem Lebensende zu verzeichnen gibt (Spät 2019; Unterweger 2019), der Tod in ausgewählten Lehrfächern, bevorzugt im Religionsunterricht, behandelt wird (Effert et al. 2017) und vielfältige Trauereinrichtungen junge Menschen bei ihrer Trauerarbeit unterstützen, so sind all diese genannten Initiativen vordergründig die Bemühungen der Erwachsenen. Auch der eingangs skizzierte Umgang mit dem suizidalen Tod liegt daher noch immer in erwachsenen Händen.

Auf Basis der Altersdifferenz erzeugen Erwachsene hierbei eine folgenreiche Spaltung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den elementaren Formen des sozialen Lebens, zu denen das Sterben, der Tod und die Trauer gehören. In der Auseinandersetzung mit tödlichen Ereignissen spiegeln sich demnach Werthaltungen und normative Konzepte wieder, die zwischen trauernden Kindern und Erwachsenen Dichotomien (re-)produzieren. Anthropologisch und psychologisch lässt sich das verschwiegene, sprachlose Verhalten der Erwachsenen zwar erklären, keineswegs jedoch rechtfertigen. Denn mit ihrem Verhalten konstruieren sie im lebensweltlichen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer eine komplementäre Welt der Kinder und Erwachsenen. Damit wiederum stellen sie automatisch mehr oder weniger bewusste Muster von Interpretationen und vermeintlich notwendigen auf Trauer bezogene Handlungsweisen bereit, denen sich Kinder fügen (müssen).

Trauernde Kinder können sich als Co-Forschende mit ihrer Wahrnehmung auseinandersetzen, um zu verstehen, dass eben ihr kindliches Sein, ihre Empfindungen, ihre Gefühle und Bedürfnisse sowie all ihre Trauerhandlungen immer auch mit den Handlungen der signifikanten Anderen zusammenhängen. Eine partizipative Forschung steht mit dieser Grundannahme im Zeichen einer kindlichen (Bewusstseins-)Sensibilisierung für all das, was ihnen als trauernde Kinder in der Welt der Erwachsenen widerfährt.

Somit steht diese Forschung ebenso im Zeichen einer Stärkung des Wohlbefindens und Selbstvertrauens von trauernden Kindern – unter kindheitstheoretischen Gesichtspunkten impliziert dieses Zeichen das Potenzial, dass Kinder die (inter-)generationale Natur ihrer Trauererfahrungen besser verstehen und ihre Rechte und Ansprüche auf Informationen, Eigenständigkeit, Individualität und den Ausbau ihrer Handlungsspielräume immer und überall – vor allem diskursiv – einlösen können, wenn sie dies möchten.