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Literatur Habermas-Biografie

Die Weltvernunft tagt immer noch in Starnberg

Jürgen Habermas im Jahr 1981 Jürgen Habermas im Jahr 1981
Jürgen Habermas im Jahr 1981
Quelle: picture-alliance/ dpa
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Es ist nicht die erste Biografie über Jürgen Habermas, aber die erste, die unterhaltsam zu lesen ist. Philipp Felsch erzählt, wie der Philosoph das Denken der Bundesrepublik seit Jahrzehnten prägt – und er baut sogar ein paar Homestory-Momente ein.

Auf einer Suhrkamp-Party in den 1970er-Jahren soll sich Folgendes zugetragen haben: Der Beatles-Fan Peter Handke fragte Jürgen Habermas nach seiner Meinung zu den Fab Four. Habermas antwortete mit einem Schulterzucken, er kenne die Beatles nicht. Daraufhin soll Handke seinen Gesprächspartner rabiat mit Fäusten bearbeitet haben. Einem interessierten Publikum ist diese Anekdote bekannt, seit Stefan Müller-Doohm damit die unbestreitbar verdienstvollen, allerdings ein wenig spröde geratenen Ausführungen seiner backsteindicken Habermas-Biografie von 2014 aufgelockert hat.

Auch in Philipp Felschs Buch über den inzwischen 94-jährigen Philosophen stößt man auf Handkes Handgreiflichkeit. Doch diesmal dient deren Erwähnung nicht dazu, der Chronistenpflicht auf Vollständigkeit nachzukommen. Stattdessen deutet Felsch den Partyzwischenfall mentalitätsgeschichtlich: In den Fausthieben des Schriftstellers kommt für den an der Berliner Humboldt-Universität lehrenden Kulturwissenschaftler exemplarisch die „Rückschrittlichkeit des deutschen Kulturbetriebs“ jener Jahre zum Ausdruck. So sei es unter Intellektuellen hierzulande noch ganz selbstverständlich gewesen, sich in Halbstarkenpose zu werfen, während in den USA nach Pop und Camp längst eine verspielte, queere Sensibilität zum Grundhabitus der Avantgarde gehörte.

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Habermas, der sich trotz seiner adornitischen Pop-Aversion intellektuell an Amerika orientierte, geriet mit der Provinzialität seiner Heimat längst nicht nur physisch auf Verlagsfeiern aneinander. Als Philosoph zeigte er sich dem Überzeitlichen und Universellen verpflichtet. Als einflussreicher, gern auch polemisch intervenierender Intellektueller rang er unablässig mit den deutschen Umständen, unter denen dieser Universalismus wirksam werden sollte.

In 22 glänzend geschriebenen Kurzkapiteln erzählt Felsch davon, wie Habermas einst die weltbürgerliche Vernunft mit postnational-bundesrepublikanischem Antlitz erfand, um seine Landsleute gegen den Rückfall in heillose Traditionen zu wappnen, und wie er versucht, diese Erfindung seit dem Fall der Mauer zu modifizieren und zu bewahren. Dabei gerät unweigerlich die Frage in den Blick, wie plausibel Habermas seine theoretischen Errungenschaften seit Beginn des Ukraine-Kriegs verteidigt. Ist mit der „Zeitenwende“, die einen Bruch mit lange gehegten Überzeugungen markiert, nicht jener Punkt erreicht, an dem wesentliche Bestandteile dieses Gedankengebäudes obsolet werden? Felsch verpackt seine eigene pessimistisch-melancholische Antwort lieber in suggestive Umschreibungen und Zitate.

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Davon abgesehen mixt er homöopathisch dosierte Homestory-Elemente (der Autor besuchte den Philosophen zwecks Recherche in seinem Starnberger Bungalow) mit einem essayistisch-prägnanten Nachvollzug der Habermas’schen Debattenschlachten. Das Ganze wird zu einem vielschichtigen intellektuellen Epochenpanorama verdichtet. Die meisten Etappen sind spätestens seit Müller-Doohms Biografie bekannt. Allerdings folgt Felsch strikt eigenen Schwerpunktsetzungen und gelangt immer wieder zu originellen Interpretationen des Geschehens, etwa wenn er Habermas’ Rolle für die Studentenbewegung, die publizistisch vergleichsweise ruhigen Jahre als Ko-Direktor des Max-Planck-Instituts, den Deutschen Herbst und den Historikerstreit noch einmal rekonstruiert.

Überaus beeindruckend gerät dies, wenn Felsch den berüchtigten, sperrigen Nominalstil und die Tendenz zur Paraphrase in Habermas’ Hauptwerken als ultimative Verwirklichung der These vom „Tod des Autors“ dingfest macht. Letztlich sei Habermas viel konsequenter gewesen als die eitlen „Schönschreiber aus Frankreich“, die immer nur vorgegeben hätten, das eigene Autor-Ich im Rauschen der Diskurse untergehen zu lassen. Und man freut sich schon, dass gleich die legendären Diskursschlammschlachten Habermas–Foucault und Habermas–Derrida abgehandelt werden. Felsch beschränkt sich hier in regelrecht überraschender Weise – vermutlich, weil dieses Feld in der Forschungsliteratur schon allzu gründlich bestellt wurde. Das mag schlüssig sein, enttäuschend ist es trotzdem. So kann man diesem grandiosen Buch zumindest einen Vorwurf machen, der zugleich ein Kompliment ist: Es ist etwas zu knapp geraten.

Philipp Felsch: Der Philosoph. Habermas und wir. Propyläen, 255 Seiten, 24 Euro

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