USS Gerald R. Ford: An Bord des weltgrößten Flugzeugträgers CVN-78 | FLUG REVUE

4500 Mann, 75 Flugzeuge, ein Hund
Hinter den Kulissen des Flugzeugträgers Gerald R. Ford

Es gibt Erfahrungen im Leben, die man nie vergisst. Zum Beispiel, wie sehr 130 Dezibel schmerzen – akustischer Alltag für die Deck-Crew der USS Gerald R. Ford. Der weltgrößte Flugzeugträger präsentierte im Juli in der Adria seine stählernen Muskeln. Wir waren an Bord.

Hinter den Kulissen des Flugzeugträgers Gerald R. Ford
Foto: Andrea Ege

Es ist die größte und massivste Waffe der Welt, das teuerste Kriegsschiff, das jemals gebaut wurde. Egal, wie sehr die See den Flugzeugträger USS Gerald R. Ford (CVN-78) durchschüttelt, mehr als 75 Flugzeuge starten und landen auf vier Pisten. Rund um die Uhr – wie jetzt bei der NATO-Übung Neptune Strike im Juli. Vor der Küste Kroatiens war die von zwei Atomreaktoren betriebene schwimmende Festung erstmals in einem NATO-Verband integriert, um für den Ernstfall zu üben. Diese Aufgabe wurde gemeinsam mit mehr als 20 Kriegsschiffen, darunter der italienische Flugzeugträger Garibaldi, 80 Kampfflugzeugen, rund 20 Helikoptern und den Ground Forces aus 13 Nationen trainiert.

Unsere Highlights
Andrea Ege
Mit ausgefahrenem Fanghaken setzt eine F/A-18E zur Landung auf der Ford an. Eins von drei Fangseilen muss der Pilot erwischen - oder durchstarten.

Überall Action

Mehrere Staffeln F/A-18E/F Super Hornet, E2-Hawkeye-Frühwarnflugzeuge, EA-18G Growler und Seahawk-Hubschrauber und die unverwüstliche Grumman C-2A Greyhound sind derzeit auf dem modernsten Flugzeugträger der Welt stationiert. 13 Milliarden Dollar wurden in den Bau des Flaggschiffs der US Navy investiert. 4.539 Männer und Frauen halten die Maschinerie an Bord am Laufen. Es ist ein besonders anspruchsvoller Job. Ob unter Deck, auf der Brücke oder – im Epizentrum der Dauer-Action – auf dem Flugdeck, jeder Handgriff, jeder Schritt, jede Bewegung wirkt eingespielt und routiniert.

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Die vielfältigen Aufgaben der Crew-Mitglieder an Deck spiegeln sich in den unterschiedlichen Uniformfarben wider.

Pro Minute ein Start

337 Meter lang ist das Flugdeck und 76 Meter breit. Jeder Quadratmeter hat eine Funktion – und birgt gleichzeitig Gefahren. Die vier Startbahnen sind um wenige Grad voneinander weg ausgerichtet, damit die Flugzeuge bei gleichzeitigen Starts sich nicht zu nahe kommen. Das für alle neuen Träger der Ford-Klasse vorgesehene, elektromagnetische Katapultsystem (EMALS) ermöglicht einen Start alle 60 Sekunden. Darin eingeschlossen ist die Zeit für das Katapult, um wieder in die Ausgangsposition für den nächsten Start zurückgefahren zu werden. Linien in verschiedenen Farben definieren die Flächenbereiche zwischen den vier Pisten. Sie sind überlebenswichtig. Ein falscher Schritt kann tödlich sein.

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Bis zu 90 Flugzeuge und Hubschrauber finden an Bord der CVN-78 Platz. Dieses Mal sind es rund 75.

Präzisionsarbeit

Beim Besuch des Flugdecks achten die Presseoffiziere deshalb akribisch auf jede Bewegung der zivilen Besucher. Im Minutentakt steuern derweil die Super Hornets im Anflug mit rund 150 Knoten (280 km/h) auf die Kante des Trägers zu. Zentimetergenau ist der Aufsetzpunkt definiert. Der Auffanghaken misst etwas mehr als eine Faust, die drei Fangseile aus Stahl sind gerade mal fünf Zentimeter stark. Hochkonzentriert auf das leuchtende optische Balkenmuster, das das Fresnel Optical Landing System (FLOLS) über das Deck projiziert, rasen die Jetpiloten auf ihren Aufsetzpunkt zu. Die Tatsache, dass sich auch die Landebahn selbst mit bis zu 30 Knoten (55 km/h) fortbewegt, macht das Landemanöver nicht einfacher. In diesen Sekunden brauchen auch die Pilotennerven Stahlseil-Konsistenz. Beim Aufsetzen gibt der Pilot sofort Vollgas, um durchstarten zu können, falls er alle Fangseile verfehlt. Ist er eingefangen, fährt er das Triebwerk sofort runter.

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Und los! In zwei Sekunden beschleunigt das Startkatapult eine Super Hornet auf Abhebegeschwindigkeit.

Jeder Handgriff sitzt

Dann fällt der Startschuss für die Flugdeck-Crew. Deren Auftritt gleicht einem Formel-1-Boxenstopp: Explosionsartig rennt jeder auf Position und legt los. Unterschiedliche Uniformfarben markieren die Teams und ihre Funktionen. Körper- und Handbewegungen bilden in dem wirbelnden Wind- und Lärmorchester das einzige Mittel zur Kommunikation. Schneller als man schauen kann, steht das eben gelandete Flugzeug auf seinem Platz. Das nächste hängt bereits im Katapult. Klar zum Start! Eine Choreografie, wie sie exakter nicht sein könnte – inmitten der wabernden Luft, der wogenden See und dem höllischen Sound der startenden und landenden Hornets.

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Die Wartung der Kampfjets erfolgt auf dem Hauptdeck unter dem Flugdeck. Dicht an dicht drängen sich die F/A-18 im Hangar.

Von 0 auf 260 in zwei Sekunden

Bei der Take-Off-Prozedur mit dem hochmodernen Startsystem muss jeder Griff sitzen. "Meine linke Hand hält den Throttle fest auf Vollgas", beschreibt Pilot Matt Nightingale die brenzlige Situation. "Die Rechte gibt dem ‚Shooter‘ das Signal für den Take-off und fasst dann sofort zum Haltegriff". Einen Atemzug später katapultiert das EMALS die Maschinen von Lieutenant Nightingale und seinen Kameraden in zwei Sekunden auf 260 km/h. Kräfte bis zu fünf g wirken währenddessen auf den Piloten. Direkt nach dem Abheben bringt die zuvor eingestellte Trimmung den Jet auf Höhe.

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Top Gun-Atmosphäre auf dem derzeit modernsten Träger der Welt. Doch für Romantik bleibt im Alltag wenig Zeit.

Achterbahn-Feeling

Hat sich sein Körper von der Katapultwucht erholt, greift der 28-Jährige mit seiner Rechten schnellstmöglich nach dem Steuer und übernimmt die Kontrolle über den Kampfjet. "Allerdings", erzählt Nightingale weiter, "fühlt sich das EMALS sanfter an als Starts mit dem bisher üblichen Dampf-System. Das macht den Start schon angenehmer." Das bisher nur auf der Gerald R. Ford und dem nagelneuen Schwesterschiff John F. Kennedy installierte Startsystem ermöglicht rund 30 Prozent mehr Starts und Landungen, zugleich ist deutlich weniger Personal vonnöten. Und doch: "Never! Never ever!", so Lieutenant Nightingale, werden Start und Landung auf einem Flugzeugträger zur Routine. Auch nicht mit dem EMALS: "Es gleicht jedes Mal einer Fahrt auf der größten Achterbahn der Welt."

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Unter dem Flugdeck eröffnet sich eine eigene Welt, verteilt auf 24 Stockwerke und verbunden über enge, steile Treppen.

24 Stockwerke

Die Dauer-Action an Deck der USS Gerald R. Ford ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. 24 Stockwerke tief zieht sich der Schiffsrumpf nach unten, wodurch er sage und schreibe 100.000 Tonnen Wasser verdrängt. Und während Piloten und die Air Crew unter freiem Himmel ihren Dienst leisten, halten darunter, in dem durch schmale, steile Metalltreppen miteinander verbundenen Labyrinth, tausende von Besatzungsmitgliedern ununterbrochen die Maschinerie am Laufen.

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Essen, schlafen, einkaufen: Alltag unter Deck. Viele Besatzungsmitglieder der Ford sehen wochenlang kein Tageslicht.

Eine Stadt auf hoher See

Die schwimmende Festung funktioniert nur mit einer nahtlosen Infrastruktur. Je nach Funktion verbringen die Crew-Mitglieder Wochen bis Monate an Bord. Direkt unter dem Flugdeck sorgen unzählige Mechaniker im Hangar in Zwölf-Stunden-Schichten für die Wartung der Flugzeuge. 120 Köche speisen die Mannschaft im Schichtbetrieb und bereiten am Tag 15.000 warme Mahlzeiten zu. Ein Krankenhaus und eine Zahnarztpraxis kümmern sich um die Gesundheit. Mentalitätstrainer betreuen sich unwohl fühlende Kameraden in Gruppen oder persönlichen Gesprächen. "Regelmäßiges Workout gehört an Bord zu den Lieblingsbeschäftigungen der Besatzung", ergänzt der Presseoffizier. Mehrere Fitnessstudios, darunter ein mobiles Gym, das regelmäßig im Hangar inmitten der Kampfjets zum errichtet wird, laden zum Pumpen ein. Betreut werden die Sportler von professionellen Personal-Trainern. Ein Kino, Geschäfte zum Shoppen und sogar ein Starbucks-Café ergänzen die Freizeitmöglichkeiten nach Dienstschluss. Bis zu 40 verschiedene Gottesdienste repräsentieren die vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen, denen die Besatzungsmitglieder angehören.

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Ein mobiles Fitnessstudio lädt regelmäßig zwischen Kampfjets zum Pumpen ein.

Privatsphäre? Überbewertet!

Trotz der gigantischen Größe des Flugzeugträgers wuselt es überall von Menschen aus allen Kulturkreisen. Kajüte reiht sich an Kajüte. Überall surren die Lüfter, die Gänge sind eng. Ständig muss man jemandem ausweichen. Disziplin und Teamwork bestimmen das Leben. Poster und Plakate in den Gängen und an den Türen erinnern die Männer und Frauen an Bord an die Regeln für den Umgang miteinander. Privatsphäre hat Seltenheitswert. Sie beginnt für die meisten Besatzungsmitglieder hinter dem Vorhang ihres schmalen Etagenbetts. Nur knapp 20 Zentimeter über dem ruhenden Haupt liegt die Matratze des Kollegen.

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Jeder kennt sie, jeder liebt sie: Labrador-Hündin Sage ist der unbestrittene Star an Bord der USS Ford.

Ein tierisches Crew-Mitglied

Ein ganz besonderes Besatzungsmitglied ist an Bord jedem bekannt: Es trägt den Namen Sage, streift auf vier Pfoten über das Schiff – und ist eine dreijährige Labradorhündin. "Als Therapiehund hält sie die Besatzung emotional auf Kurs", erklärt PR-Offizier Sven K. ihre Aufgabe an Bord. Wer möchte, kann sich bewerben, Sage eine Zeitlang zu betreuen. "Der Umgang mit ihr senkt den Stresspegel und lenkt von den täglichen Aufgaben ab." Für dieses Goodie müssen die Anwärter zunächst eine mehrstündige Ausbildung zum Hundeführer absolvieren. Zur bloßen Befehlsempfängerin lässt sich Sage allerdings nicht herab. Wird sie einem Teilzeithalter zugeteilt, erhält sie deutlich sichtbar ein Rangabzeichen ans Geschirr geheftet, das sie gegenüber ihrem menschlichen Begleiter stets als ranghöher ausweist. Und beobachtet man, wie gelassen die Hündin auf ihren Samtpfoten durch den weltgrößten Flugzeugträger wandelt, versteht man auch, warum sie bei ihrer Nachtruhe im Offizierskasino selbst bei 130 Dezibel über ihr auf dem Flugdeck nicht mal mehr mit den Öhrchen zuckt...

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Erscheinungsdatum 11.04.2024