Der Fall Klatten – DW – 09.03.2009
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Der Fall Klatten

Sandra Petersmann9. März 2009

Gigolo Helg Sgarbi wollte Susanne Klatten mit einem Sex-Video erpressen. Sie schaltete die Polizei ein. Das zuständige Gericht verurteilt den Geständigen rasend schnell zu 6 Jahren Haft. Was verbindet Opfer und Täter?

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Susanne Klatten und Helg Sgrabi (Foto: AP)
Bild: AP

Susanne Hanna Ursula Klatten, geborene Quandt, Herrin über den Chemiekonzern Altana, mächtige Aufsichtsrätin und Teilhaberin bei BMW, verheiratet mit dem Ingenieur Jan Klatten, drei Kinder: Die reichste Frau Deutschlands will sich im Sommer 2007 eine Pause gönnen und innerlich zur Ruhe kommen. Susanne Klatten checkt in das Wellness-Hotel Lanserhof bei Innsbruck ein.

Susanne Klatten (Foto: DPA)
Das OpferBild: picture alliance/dpa

Sie ist eine hoch disziplinierte Vorzeigefrau. Ihr Vermögen wird auf rund 9 Milliarden Euro geschätzt, aber wer die Frau hinter dem Geld ist, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Die heute 46-Jährige versteht es meisterlich, sich zu verstecken, bis Helg Sgarbi sie ins verhasste Scheinwerferlicht stößt. Wie das passiert ist, schildert sie im November 2008 im Interview mit der Tageszeitung "Financial Times Deutschland" (FTD) so: "Es verletzt mich, wenn ich immer nur im Maße des Geldes gemessen werde. Geld bewertet nicht, was oder wer ich bin. Es zieht einen Vorhang vor mich, der mich überhaupt nicht zeigt. Ich möchte aber gesehen werden, als Mensch. Daraus hat sich ein für mich gefährliches Anliegen entwickelt, mich mitzuteilen. Und das kann manchmal bei den falschen Leuten passieren."

Der Liebhaber

Helg Sgarbi (Foto: AP)
Der TäterBild: AP

Helg Sgarbi gehört zu den falschen Leuten. Im Sommer 2007, beim Heilfasten im Hotel Lanserhof in Österreich, freundet sich Susanne Klatten mit dem Schweizer an. Der 44-jährige Mann ist weltgewandt, er spricht sechs Sprachen und gibt sich als Sonderberater der Schweizer Regierung aus. Die beiden reden über Gott und die Welt, aber niemals über Bilanzen. Sie treffen sich nach der gemeinsamen Kur wieder und beginnen eine Affäre.

Susanne Klatten ahnt nicht, dass ihr Liebhaber die intimen Treffen heimlich filmt. Die Milliardärin gibt ihm sogar Geld: 7,5 Millionen Euro. Sgarbi hat ihr vorgelogen, dass er während einer Dienstreise ein Kind angefahren habe, das schwer verletzt sei und das er dringend unterstützen müsse. Klatten glaubt ihm. Erst als Sgarbi danach immer aufdringlicher wird, beschließt die Milliardärin, die Affäre zu beenden.

Die Erpressung

Der zurückgewiesene Geliebte gibt sich danach endgültig als Erpresser zu erkennen. Er droht Susanne Klatten mit dem heimlich gefilmten Sexvideo und fordert anfänglich 49 Millionen Euro, später 14 Millionen Euro. Im Interview mit der FTD sagt die Erpresste rund ein Jahr später rückblickend, dass sie häufig genug den Fehler gemacht habe, sich Menschen zu öffnen, "die dieses Vertrauen nicht verdient haben. Dann wird man zum Opfer. Das ärgert einen. Das tut weh. Und ich frage mich hinterher: Wie konnte das passieren?"

Die Wahrheit

Ausgerechnet sie, die übervorsichtige Perfektionistin, ist auf einen Mann reingefallen, der schon seit Jahren vom Geld reicher Frauen lebt. Er verführt sie, um sie zu erpressen. Susanne Klatten ist nicht sein erstes Opfer, aber sie ist sein größter Fang. Sgarbi hat in Zürich Jura studiert. Danach hat er bei der Schweizer Kreditanstalt und beim High-Tech-Unternehmen Leister Technologies gearbeitet. Sein makelloser Lebenslauf bekommt Risse, als er Anfang der 90er-Jahre in die Fänge des italienischen Sektenführers Ernano Barretta fällt, dem er hörig sein soll. Er nennt ihn in einem Brief den '"Maestro meines Lebens". Bei Barretta, gegen den in Italien ermittelt wird, soll Sgarbi auch die Millionen abgeliefert haben, die er als hochintelligenter Gigolo und Erpresser erbeutet hat.

Deutschlands reichste Frau beugt sich dem Druck der Erpressung nicht. Susanne Klatten offenbart sich ihrem Ehemann und ihrer Familie und schaltet die Polizei ein. Im Interview mit der FTD gibt Susanne Klatten zu, dass es der einzige Weg war, der Sache ein Ende zu machen. "Das war ein Moment der Klarheit: Du bist jetzt Opfer, und du musst dich wehren. Ich wehre mich jetzt im Namen aller Frauen in meiner Familie. Und im Namen vieler anderer Frauen auch."

Der Skandal

Helg Sgarbi wird im Januar 2008 bei einer fingierten Geldübergabe verhaftet. Aber die 46-jährige Klatten, sein letztes Opfer, zahlt einen hohen Preis für ihre mutige Anzeige. Im Oktober 2008 sind die Affäre und die Ermittlungen nicht länger zu verheimlichen. Das Foto der so scheuen Frau prangt auf allen Titelseiten, sie ist weltweit in den Nachrichten. Im einzigen Interview zur Sache, das die FTD im November 2008 veröffentlicht, schildert sie, dass sie die Berichterstattung nur am Anfang verfolgt. Dann muss sie aufhören, weil es zu weh tut. "Man muss sich distanzieren, einen Schutz aufbauen. Sonst droht es mir schlecht zu gehen."

Der Neuanfang

Susanne Klatten, die so gerne Gartenarchitektin geworden wäre, aber sich nie traute, ihren eigenen Weg zu gehen, hat Lehren aus ihrer Begegnung mit Helg Sgarbi gezogen. Im Interview mit der FTD im November 2008 gibt sie zu erkennen, dass sie vor allem an ihrer ständigen Angst gescheitert ist, die hohen Erwartungen der anderen zu enttäuschen. "Ich habe in den zwölf Monaten gelernt, mit dem Leben anders umzugehen, meinen Perfektionismus weiter abzulegen. Ich will gelassener werden. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, fröhlich zu bleiben." Sie sagt außerdem, dass sie viele Briefe bekommen habe, die sie sehr berührten: "Ich werde sehr wohl als Mensch wahrgenommen."