Das Wort „grau“ stiftet selten Begeisterung. Es lässt an deutsches Nieselwetter denken, trostlose Vororte und unscheinbare Frauen. Oder schlimmer: alte Frauen. Als backende Omas noch brauchbar, sind ergraute Frauen im Fernsehen Grund zur Debatte. Das zeigte die Aufregung um den Silberschopf von RTL-Moderatorin Birgit Schrowange und nun die Entlassung einer kanadischen Nachrichtensprecherin.
Die Journalistin Lisa LaFlamme moderierte 35 Jahre lang bei dem Sender „CTV National News“. Nun wurde ihr Vertrag plötzlich beendet. Der Verdacht: ihre grauen Haare sind schuld. Wie viele andere, hatte LaFlamme während der Zeit der Lockdowns und geschlossenen Friseursalons aufgehört, sich die Haare zu färben. Auf Twitter gab sich die Journalistin von ihrer Kündigung überrumpelt: „Mit 58 Jahren dachte ich, dass ich viel mehr Zeit haben würde, um mehr Geschichten zu erzählen.“ Der Sender begründete die Entlassung mit strategischen Gründen. Doch der Vize-Chef soll laut Medienberichten in einer Sitzung gefragt haben: „Wer hat genehmigt, dass Lisa grau wird?“
Daraufhin tat das Internet, was es am besten tut und empörte sich: Die Entlassung sei „Ageism“ und „Sexism“. Große Marken wie „Dove“ und die Fast-Food-Kette „Wendy’s“ witterten ihre Chance. Sie färbten ihre Maskottchen ein: Die „Dove“-Taube wurde grau und das sonst rothaarige „Wendy’s“-Mädchen ebenso. Als Zeichen von Solidarität und einer guten Twitter-Trend-Nase.
Die Debatte beweist, dass Modetrends – unter anderem die „Vogue“ feierte in diesem Jahr graue Haare, viele junge Leute färben sich die Haare im Sinne des „Granny Style“ grau – nicht zwangsläufig Normalisierung bedeuten. Zudem wird einmal mehr deutlich, wie sensibel das Thema Haare ist. Auch für Männer. Gerhard Schröder wurde fürs Färben ausgelacht. Christian Lindner musste seine Haartransplantation bei „Markus Lanz“ rechtfertigen.
Noch schambehafteter als das Altern scheint also zu sein, sich beim Schämen erwischen zu lassen. So werden selbst graue Haare – die uns allen blühen – zum „Statement“ hochgeschraubt. Was selbst die „Vogue“ nicht normalisieren kann, muss wohl wie immer die Zeit erledigen.
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