Böses Gerücht: General Gerassimow möglicherweise auf Krim getötet
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Blogger streuen Gerücht: General Gerassimow möglicherweise auf Krim getötet

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In sozialen Medien wird er für tot erklärt: General Waleri Gerassimow führt für Russland den Ukraine-Krieg und soll auf der Krim umgekommen sein. Zweifel bleiben.

Sewastopol – Er hat quasi das Drehbuch zum Ukraine-Krieg geschrieben und war auch sein Regisseur. Jetzt soll er angeblich tot sein. Wird behauptet. Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow ist oberster Kriegsherr von Wladimir Putins Feldzug gegen die Ukraine und soll jetzt durch einen Angriff ukrainischer Streitkräfte auf die annektierte Krim getötet worden sein. Das berichtet Newsweek unter Bezug auf einen Post des Autors Visegrád 24 auf X – vormals Twitter –, in dem die Nachricht über den Tod aus einem Telegram-Kanal eingebettet ist.

Eine Bestätigung zu Gerassimow Tod fehlt aber, weshalb derzeit noch starke Zweifel am Wahrheitsgehalt der Meldung bleiben. Laut Newsweek hat der Autor des Tweets auf deren Anfrage erklärt, die Nachricht auf der Nachrichtenplattform Discord entdeckt zu haben. Unabhängig überprüfen lassen sich die Hintergründe derzeit nicht.

Der russische Armeechef Waleri Gerassimow.
Der russische Armeechef Waleri Gerassimow – Gerüchten zufolge soll er auf der Krim getötet worden sein. © Vadim Savitsky/imago

Newsweek verweist auch auf fehlende Hinweise, dass sich Gerassimow im betreffenden Zeitraum überhaupt auf der Krim aufgehalten habe. Waleri Wassiljewitsch Gerassimow ist Armeegeneral, stellvertretender Verteidigungsminister der Russischen Föderation und seit Januar 2023 Oberbefehlshaber über die russischen Truppen des Überfalls auf die Ukraine. Bereits im Mai 2022 sollte ein Attentat auf Gerassimow während einer Frontinspektion in der damals von Russland kontrollierten Stadt Isium gescheitert sein, berichtete die New York Times.

Im Ukraine-Krieg verschwunden: Gerüchte über Tod von Gerassimow auf der Krim aufgetaucht

Gerassimow hatte Anfang vergangenen Jahres den General Sergej Surowikin als Oberbefehlshaber der Invasionstruppen abgelöst. Surowikin war der schnelle Einmarsch in Russland misslungen; aber auch Gerassimow hat keinen Erfolg gebracht, wie die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) darstellt. Die Kämpfe um die Stadt Awdijiwka seien, in deren Worten, als ein „Mikrokosmos der allgemeinen Versäumnisse des russischen Generalstabs“ zu betrachten. Russland hätte seit Beginn des Krieges immer wieder schwere Verluste bei „mechanisierte Kämpfen mit infanteriegeführten Frontalangriffen“ erlitten und oft empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Laut ISW könne die russische militärische Führung wohl aus gescheiterten Offensiven keine Lehren ziehen.

Wladimir Putins oberster Feldherr

Gerassimow wurde 1955 in Kasan, Hauptstadt der Republik Tatarstan, geboren. Schon als Kind soll er davon geträumt haben, Soldat zu werden. Er liebte angeblich Kriegsspiele und verschlang Bücher über sowjetische Helden im Zweiten Weltkrieg. Geschichten eines Onkels, der damals Panzerkommandeur gewesen war, taten ein Übriges.

Nach seinem Schulabschluss durchlief Gerassimow eine Reihe von militärischen Ausbildungsstätten. 1997 beendete er die Akademie für Militärwissenschaften des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation.

Gerassimow war an unterschiedlichen Orten seines Heimatlandes eingesetzt – unter anderem ab 1999 im zweiten, zehn Jahre anhaltenden Tschetschenienkrieg. Von 2010 an wurde er stellvertretender Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte, zwei Jahre später deren Chef, Vize-Verteidigungsminister sowie Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats. (Quelle: taz)

Waleri Gerassimow gilt als Putins verlängerter Arm in Russlands Angriffskrieg

Gerassimow hat allerdings das Drehbuch des ukrainischen Blitzfeldzuges mitzuverantworten, wie er das bereits 2019 in einer Rede an der Russischen Akademie der Militärwissenschaften geäußert hat. Er hat für das Vorgehen Russlands den Begriff „Strategie begrenzter Aktionen“ geprägt und damit Russlands Verteidigung und Förderung nationaler Interessen jenseits der Grenzen verharmlosend beschrieben, wie der Nato-Wissenschaftler Dave Johnson analysiert. Johnson zufolge umreisst das Schlagwort die russische Militärdoktrin seit dem Jahrtausendwechsel und bedeutet den potenziellen Einsatz russischer Streitkräfte jenseits des russischen Territoriums zur Verteidigung russischer Interessen und Bürger – allerdings nur als eine Säule der Destabilisierung des fremden Territoriums, neben zivilen Maßnahmen.

Zum Zeitpunkt der Rede hatte Russland die Krim bereits fünf Jahre völkerrechtswidrig annektiert. Und die damaligen Äußerungen ließen die militärische Eskalation erahnen, wie Johnson schreibt: Laut General Gerassimow zwingt die gegenwärtige Lage Russland dazu, die Formen und Einsatzmittel der Streitkräfte zur strategischen Abschreckung und zur Verteidigung des Staates weiterzuentwickeln. „General Gerassimow sagte, die Reaktion Russlands auf gegenwärtige und absehbare Bedrohungen sei eine ,Strategie der aktiven Verteidigung‘, die voll und ganz im Einklang mit dem defensiven Charakter der russischen Militärdoktrin stehe.“

Die Reaktion Russlands auf gegenwärtige und absehbare Bedrohungen ist eine Strategie der aktiven Verteidigung.

Waleri Gerassimow in einer Rede an der Russischen Akademie der Militärwissenschaften

Russlands „neue“ Denkrichtung: Konfrontation mit den USA und der Nato

Gerassimow steht für eine Verschärfung des Konflikts mit der Nato, die er so deutlich wie nie zuvor seit Gründung der Russischen Föderation 1991 für deren innere Destabilisierung verantwortlich macht und ihr damit die Erhöhung der Gefahr eines Krieges anlastet. Bereits 2013, also kurz vor der Annexion der Krim hatte er ebenfalls vor der Akademie der Militärwissenschaften deutlich gemacht, dass sich vor dem Hintergrund der unter „Arabischer Frühling“ bekannten Unruhen in Nordafrika das Gesicht des Krieges verändern werde, wie die Denkfabrik The Jamestown Foundation berichtet.

Gerassimow habe verdeutlicht, „dass die Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden in der Neuzeit verschwimmt“. Der Arabische Frühling habe ihm zufolge zu ausländischer Intervention, Chaos, humanitärer Katastrophe und Bürgerkrieg geführt und stelle zwar keinen Krieg im herkömmlichen Sinne dar, aber werfe die Frage auf, ob solche Turbulenzen zum typischen Krieg des 21. Jahrhunderts werden könnten.

Russlands Vorgehen in der Ukraine geprägt von der Gerassimow-Doktrin

Mit diesen Aussagen machte Gerassimow die Nato hellhörig; später wurde der Begriff „Gerassimow-Doktrin“ geprägt für das russische Vorgehen auf der Krim. Gerassimow wurde laut Christoph Bilban und Hanna Grininger zum Synonym eines „neuen“ und genuin russischen strategischen Denkens – der Idee der hybriden Kriegführung. Laut Jens Siegert von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) definiert der US-Militärexperte Frank Hoffman „hybriden Krieg“ als „einen zugeschnittenen Mix aus konventionellen Waffen, irregulären Taktiken, Terrorismus und kriminellen Handlungen zur gleichen Zeit und auf dem gleichen Schlachtfeld, um politische Ziele zu erreichen.“

Gerassimow selbst formuliert, „der Akzent der verwendeten Methoden der Konfrontation verlagert sich in Richtung einer breiten Anwendung von politischen, ökonomischen, informationellen, humanitären und anderen nicht-militärischen Maßnahmen, die unter Nutzung des Protestpotenzials der Bevölkerung realisiert werden“, wie Christoph Bilban zusammenfasst.

Laut Siegert ist Gerassimow aber kein Urheber dieser Doktrin, sondern nur deren Entwickler: Er klage darüber, dass der Westen einen nicht erklärten Krieg mit irregulären Mitteln gegen Russland führe und dass sein Land hier dringend aufholen müsse. „Gerassimow führt als Beweise für den ,hybriden Krieg‘ des Westens gegen Russland all die Länder an, in denen in den vergangenen 20 Jahren Diktatoren oder zunehmend autoritäre Herrscher auf die eine oder andere Weise gestürzt wurden (oder versucht wurde, sie zu stürzen): Milošević 1999 in Serbien; Saddam Hussein 2003 im Irak durch die militärische US-Intervention; die Aufstände des sogenannten „arabischen Frühlings“ in Tunesien, Ägypten und – aus russischer Sicht: vor allem – der Sturz Gaddafis in Libyen; auch der Bürgerkrieg in Syrien darf nicht fehlen.“

Darth Vader des Ukraine-Kriegs

Christoph Bilban und Hanna Grininger unterstreichen, dass seit 2013/14 solche Umstürze von russischer Seite aus als Art „hybrider Kriegsführung“ des Westens, und vor allem der USA, gesehen werden. Auf diese hybriden Bedrohungen versuche Russland zu reagieren, indem eigene militärische und nicht-militärische Strategien entwickelt werden. Bilban: „Es muss nochmals hervorgehoben werden, dass es sich aus russischer Sicht um eine Reaktion auf das Verhalten des Westens handelt.“

Die taz sieht in Gerassimow den „Darth Vader“ des Ukraine-Krieges: Laut den Journalisten des Investigativmagazins „Bellingcat“ gehörte er zu den Russen, die verantwortlich waren für den Transport des mobilen Mittelstrecken-Raketensystems in die Ostukraine, mit dem im Juli 2014 eine Boeing mit der Flugnummer MH 17 abgeschossen wurde. 2015 beschuldigte die Militärstaatsanwaltschaft der Ukraine Gerassimow, „Hauptideologe des Krieges im Donbass“ zu sein, wie die taz weiter berichtet: Nach Medienberichten soll Gerassimow eine tragende Rolle bei der seit 2015 in Syrien laufenden Militäraktion gespielt haben. „Für ,Mut und Heldentum‘ bekam er im Mai 2016 durch ein geheimes Dekret Wladimir Putins die höchste staatliche Auszeichnung verliehen – den Titel ,Held der Russischen Föderation‘.“

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