So bezieht Ex-Bundespräsident Gauck Stellung zum Ukraine-Krieg Skip to main content

Lesung in Stadtkirche

So bezieht Ex-Bundespräsident Gauck in Karlsruhe Stellung zum Ukraine-Krieg

Joachim Gauck äußert sich bei einem Besuch in Karlsruhe zu aktueller Politik.

BNN Gewinner: v.l.n.r.: Lars Becksmann, Joachim Gauck, Christine Becksmann
Bei einer BNN-Verlosung haben Lars Becksmann (links) und Christine Becksmann ein Treffen mit dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck gewonnen. Foto: Jörg Donecker

Ist es der Respekt vor dem früheren Amt des Bundespräsidenten, das ja nie so ganz aufhört, Glanz abzustrahlen? Oder ist es die Bewunderung für den Pastor aus Rostock, der sich dem DDR-Regime widersetzt hat sowie die Erinnerung an die Aufarbeitung der Stasi Vergangenheit, die mit der Gauck Behörde seinen Namen trug? Oder die Anerkennung für den politischen Autor? Vielleicht alles zusammen. Jedenfalls applaudieren die Besucher stehend für Joachim Gauck, nachdem er zentrale Thesen aus seinem neuen Buch „Erschütterungen“ vorgetragen hat.

Eingeladen hatte ihn Wolfgang Abendschön mit seiner Band Akzente im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Andere KirchenTöne“. „Nach der Lektüre seines Buches ‚Toleranz‘ wusste ich, dass ich Joachim Gauck gerne einladen würde.“ Veranstaltungsort ist die Evangelische Stadtkirche – ein Ort, der sich vor allem am Ende des Abends als genau passend erweist für den evangelischen Theologen.

Gauck bezeichnet sich als Wechselwähler

Pünktlich fast auf die Minute erscheint der 1940 in Rostock geborene Gauck in der Sakristei der Stadtkirche, begleitet von behutsam agierender Security. Ein rasches Vorgespräch mit Organisator Wolfgang Abendschön, ein Austausch mit City Pfarrer Dirk Keller als Gastgeber. Auch dieser Redaktion steht der Mann Rede und Antwort, der sich später als „parteiloser Wechselwähler“ bezeichnet.

Was verbindet er mit Karlsruhe? „Heute verbinde ich mit dieser Stadt vor allem Fußball!“, sagt schmunzelnd der ehemalige Pastor. Wie er in seinem Vortrag ausführt, durfte er mit 50 Jahren, also 1990, das erste Mal frei wählen.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck liest in der Evangelischen Stadtkirche.
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck liest in der Evangelischen Stadtkirche. Foto: Jörg Donecker

Es folgt der von Applaus begleitete Einzug in die Stadtkirche. Wolfgang Abendschön und Band liefern mit zwei Songs und deren ungewöhnlichen, ins Herz zielenden, Klangfiguren eine eindrucksvolle „Ouvertüre“ zu der folgenden Rede. Die Stücke sind gut gewählt, denn sichtlich begeistert den Gast die Musik von Epi (Enkhjargal Dandarvaanchig), dem mongolischen Pferdekopfgeigenspieler.

Zweiteilige Lesung

Joachim Gaucks Lesung aus seinem Buch „Erschütterungen“ ist in zwei Teile gegliedert. Er trägt in ernstem, aber gelassenen Gesprächston vor. Im Zentrum des ersten Teils steht der Krieg gegen die Ukraine, der „nahe genug ist, um uns aufzurütteln.“

Die Waffenlieferungsfrage beantwortet er entschieden mit einer Gegenfrage: „Was ist unsere moralische Pflicht?“ Ins Leben von Wladimir Putin und seinem Russland lässt er die Zuhörer überdies blicken. So entzaubert er Putins Deutschkenntnisse, die ihm immer stille Sympathien eingebracht hätten, aber letztlich nur zum normalen Alltag eines KGB Agenten gehörten.

Gauck positioniert sich zum Krieg

Zudem widerspricht Gauck der Behauptung, dass es bei einem Konflikt immer zwei Schuldige gäbe. Das möge im Familienstreit manchmal stimmen, doch weder war das von Hitler überfallene Polen schuld am Krieg noch jetzt die Ukraine. „Der Angreifer ist schuld.“

Im zweiten Teil seiner Lesung äußert sich Gauck zu den Gefahren, die der Demokratie im Inneren drohen. Demokratie oder vielmehr liberale Demokratien seien nicht selbstverständlich, zu lange sei man sorglos gewesen. 

Der Angreifer ist schuld.
Joachim Gauck
Früherer Bundespräsident

AfD-Wähler oder Sympathisanten zu verteufeln, sei der falsche Weg. Es gebe stets ein Potenzial wertkonservativer Menschen, die Sicherheit und Beständigkeit suchten und mit dem schnellen Wandel in unserer Gesellschaft Probleme hätten.

Die Befürchtungen der Bürger, vor allem auch im Osten, die bestimmte Entwicklungen der Bundesrepublik nicht miterlebt hätten, sollten ernst genommen werden. Ihre Heimat müsse für die Menschen noch erkennbar sein. Dennoch vermisse er tragfähige Zukunftsangebote der AfD.

In einem anschließenden Gespräch mit Gastgeber Dirk Keller plaudert Gauck ein wenig aus der Familiengeschichte. Angesprochen auf den Gedanken von Vergebung und Versöhnung, spricht sich der evangelische Theologe für Versöhnung aus. „Doch Versöhnung braucht Wahrheit.“

Abend endet mit Gebet

Der Abend endet mit dem gemeinsam gesprochenen Vater Unser und einem Segenswunsch von Joachim Gauck. Es ist für alle ein besonderer Abend. Das empfinden auch die Gewinner des BNN-Preisausschreibens, Petra und Jürgen Palik aus Knittlingen: „Wir haben ganz spontan mitgemacht und gewonnen. So etwas erleben wir sonst nie.“

Christine Becksmann aus Grötzingen mit Sohn Lars streben nach der Veranstaltung zum Büchertisch. „So ein sympathischer Politiker und immer ein Bindeglied zwischen Ost und West gewesen. Wir sind begeistert und hätten die Veranstaltung nicht missen wollen.“