Richard von Weizsäcker – was für ein Leben! - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. Richard von Weizsäcker – was für ein Leben!

Deutschland Trauer um Weizsäcker

Als sei die alte Bundesrepublik gestorben

Autor
Im Berliner Dom gedenken fast 1400 Gäste des gläubigen Protestanten Richard von Weizsäcker mit einem Wunderwerk an Präzision. Es wird spürbar, welchen Trost die Kirche bieten kann.

So werden Könige zu Grabe getragen, preußische Könige. Der Staatsakt für Richard von Weizsäcker war ein Wunderwerk an Präzision: festlich, stets fast auf die Minute genau und immer angemessen in Ton und Choreografie. Knapp 1400 Trauergäste hatten sich im Berliner Dom, der weiträumig abgesperrt war, eingefunden. Im Jahr 1905 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht, strahlt er nicht gerade republikanischen Geist aus. Das Kaiserreich wollte es anderen Metropolen Europas gleichtun und auch über einen mächtigen, repräsentativen Kirchenbau verfügen.

So entstand eine wuchtige Staatskirche, die Bauformen der italienischen Renaissance mit denen des Barocks mischte. Ist das der richtige Ort, um den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland zu würdigen, zu ehren und zu verabschieden, der wie kein anderer das Amt des Staatspräsidenten geformt hat?

Bundespräsident Joachim Gauck verneigt sich vor dem Sarg Richard von Weizsäckers. In seiner Rede würdigte er den Verstorbenen als „souverän, freundlich, selbstverständlich“
Bundespräsident Joachim Gauck verneigt sich vor dem Sarg Richard von Weizsäckers. In seiner Rede würdigte er den Verstorbenen als „souverän, freundlich, selbstverständlich“
Quelle: REUTERS

Der Dom ist der richtige Ort. Denn diese Republik hat es – unter tätiger Mithilfe Richard von Weizsäckers – gelernt, sich das pompöse Alte anzuverwandeln und dabei gewissermaßen in die Demokratie einzugemeinden. Auch davon zeugten der Trauergottesdienst und der anschließende Staatsakt. Hell und licht ist der Dom. Obwohl er prunkend angelegt ist, strahlt er Freude aus, auch an diesem Tag – das bunte Kreuz, das zu Anfang hineingetragen wird, steht symbolisch dafür. Richard von Weizsäcker war gläubiger und aktiver Protestant. Hier wird spürbar, welchen Trost die Kirche bieten kann. Die Liturgin sagt über den Toten: „Wir geben ihn in Gottes Hand zurück. Der Tod wird nicht das letzte Wort haben.“ Das bewegt auch jene, die daran nicht oder nicht mehr glauben. Auch ein Trauergottesdienst hüllt ein. Die Gemeinde singt: „Der Tag nimmt ab. Ach schönste Zier,/ Herr Jesu Christ, bleib du bei mir,/ es will nun Abend werden.“

Der ehemalige Bischof Martin Kruse hält eine Predigt, die deswegen schön ist, weil er tut, was die Redner des folgenden Staatsaktes fast ausnahmslos unterlassen: Er erzählt Geschichten von Richard von Weizsäcker. Etwa die: Am 12. November 1989, also drei Tage nach der Öffnung der Mauer, waren viele Menschen zu einem Gottesdienst in die Kaiser-Gedächtnis-Kirche gekommen. Kruse bat dort den Bundespräsidenten, sich mit einigen Worten an die Gemeinde zu wenden. Von Weizsäcker nahm das Angebot an und zitierte ausführlich aus Paulus’ Brief an die Galater: Frei sei der Christenmensch, niemandem untertan – und zugleich dem Nächsten dienstbar, jedem untertan. Es wird oft an diesem Tag gesagt: Richard von Weizsäcker wirkte mit dem Wort, mit der Sprache, mit der Art, wie er seiner Rede Stil und Klarheit zu geben vermochte.

Die Witwe, Marianne von Weizsäcker, und Bundespräsident Joachim Gauck
Die Witwe, Marianne von Weizsäcker, und Bundespräsident Joachim Gauck
Quelle: dpa

Den Staatsakt eröffnet, nach Mozarts Largo, Bundespräsident Joachim Gauck. Er tut gut daran, für dieses Mal seinen großen Lebensbegriff Freiheit gar nicht zu bemühen. Vielmehr beschreibt er von Weizsäcker in seiner ordentlichen, nicht sehr emphatischen Rede als Pater Patriae, als einen väterlichen Freund seiner Deutschen. Als eine Persönlichkeit, die fast immer Würde ausstrahlte: „souverän, freundlich, selbstverständlich“. Wie die anderen Trauerredner besteht auch Gauck auf der Bedeutung der Rede vom 8. Mai 1985. Beitrag um Beitrag baut sie sich fast zur Essenz des Lebens von Richard von Weizsäcker auf. Sie sei, sagt Gauck, einer jener Momente gewesen, auf die eine ganze Existenz zulaufen kann. So wichtig diese Rede für die Republik war, manchmal gewinnt man den Eindruck, ihre permanente öffentliche Belobigung sei ein Paravent geworden, der die Person Richard von Weizsäckers eher verbirgt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier setzt hoch und schön an. Manchmal, hebt er ab, gebe es lichte Momente, in denen das Wort zählt. Ja, das gebe es zuweilen: Das Wort kann den Lauf der Dinge prägen. Auch er meint damit natürlich wieder die Rede zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation. Und einen Moment lang glaubt man, Steinmeier spräche hier zugleich ein wenig pro domo – ist der Außenminister doch gewissermaßen das Fleisch gewordene Verhandlungswort, der Fleisch gewordene Versuch, redend, vermittelnd, beschwichtigend und Auswege suchend Politik zu machen. Doch dann merkt man, dass er doch nicht ein Loblied auf sein diplomatisches Gewerbe singt.

Altbundespräsident Roman Herzog mit Ehefrau Alexandra Freifrau von Berlichingen
Altbundespräsident Roman Herzog mit Ehefrau Alexandra Freifrau von Berlichingen
Quelle: dpa

Wenn er von der Macht des Wortes redet, meint er auch das, was gemeint ist, wenn es in der Bibel heißt, am Anfang sei das Wort. Ausgerechnet der Sozialdemokrat Steinmeier endet im hohen Ton. Er erzählt von seiner letzten Begegnung mit Weizsäcker, zwölf Wochen her. Beide saßen in Hamburg nebeneinander, ein junges Orchester spielte zu Ehren Richard von Weizsäckers Felix Mendelssohns Streichoktett. Schon blass und müde habe er ausgesehen, sagt Steinmeier, aber bereits beim ersten Ton sei „ein inniges, beglücktes Strahlen“ in seine Züge eingekehrt: „Dieses Bild werde ich lange in mir tragen.“ Steinmeier spricht, ein Wort des Verstorbenen verwendend, vom „Pfingstwunder der Musik“. Direkt danach erklingt das Larghetto aus Mozarts Klarinettenquintett: ergreifend, heiter, nicht zu beschädigen. In diesem Moment ist es, als würde aus den Versammelten wirklich eine Gemeinde, ein wenig zumindest.

Antje Vollmer spricht als Freundin Richard von Weizsäckers und nicht als Repräsentantin der überaus zahlreich erschienenen grünen Prominenz. In der ihr eigenen dramatischen Eindringlichkeit sagt sie, an jenem letzten Tag im Januar, als sich die Nachricht vom Tode von Weizsäckers verbreitete, sei die Welt eine Sekunde lang stehen geblieben. Sie habe das Gefühl gehabt, die alte Bundesrepublik sei gestorben. Ja, sie sagt nicht untergegangen, sondern wirklich: gestorben. Auf sich und ihre Generation des Protestes bezogen bescheinigt sie dem Verstorbenen, er habe Heimkehr ermöglicht: „Er erlaubte uns, ins eigene Land wieder ganz vorsichtig einzuwandern.“

Und endlich erzählt sie eine Geschichte, vielleicht die schönste des Tages: die vom Verhältnis zwischen Václav Havel und von Weizsäcker. Fast zärtlich sei deren Beziehung gewesen. Beide kannten „Melancholie, verbunden mit einer fast mozarthaften Leichtigkeit des Seins“. Und dann das schöne Detail: Genau 51 Jahre nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Deutsche Wehrmacht besucht von Weizsäcker den Präsidenten Havel – und steigt zu Fuß auf den Hradschin hinauf. Richard von Weizsäcker verstand es, Anmut mit Tiefsinn, Demut mit Selbstbewusstsein zu verbinden.

Polens ehemaliger Staatspräsident Lech Walesa
Polens ehemaliger Staatspräsident Lech Walesa
Quelle: dpa
Anzeige

Wolfgang Schäuble, der letzte Redner, eröffnet noch einmal das große Panorama: „Was war das für ein Leben!“ Er würdigt den Verstorbenen als Jahrhundertgestalt – er ist aber auch der Einzige, der eine Kante erkennen lässt. Gegen jene, die Richard von Weizsäcker als Verbündeten in Parteienkritik meinen vereinnahmen zu können, hebt er mit der ihm eigenen List hervor, dass von Weizsäcker durchaus CDU-Mann und Parteipolitiker gewesen und nicht nur in den Sphären des Geistes zu Hause gewesen war. Schäuble erdete die Lobgesänge, die nicht frei von strukturoppositionellen Tönen waren.

Schade eigentlich, dass auf solchen Staatsakten nur Politiker sprechen. Schade auch, dass Staatsakte offensichtlich keine Orte sein dürfen, an denen Dilemmata benannt und beleuchtet werden können: etwa jenes, für das Richard von Weizsäcker mit seiner ganzen Person steht. Er war Teil einer alten Elite, wurde Teil einer neuen, geläuterten Elite. Er stand – in der Verteidigung seines Vaters – für das Alte, und er stand – mit seiner republikanischen Redekunst – für das Neue.

Vor dem Dom wird der Sarg in den Leichenwagen getragen. Die Trauergäste stehen auf den Treppen, das Volk ist weiträumig weggesperrt, die Nationalhymne erklingt in preußisch-klassischem Ambiente. Und blickt man über das Dach des Alten Museums, sieht man einen großen Kran, dessen gelber Arm majestätisch durch den grauen Himmel schwenkt. Er steht nahe dem Pergamonmuseum, vis-à-vis des letzten Büros des Verstorbenen am Kupfergraben. Die Arbeit geht weiter.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema