Fernsehen: Fernsehen: Knochen zum Knabbern für den Genossen Mittag
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FernsehenFernsehen: Knochen zum Knabbern für den Genossen Mittag

Von Andreas Montag 30.04.2006, 17:33

Halle/MZ. - Immer noch Genosse

An fassungslose, unvergleichliche Trauer ihres Vaters erinnert sich Doris Mittag, die Tochter des Wirtschaftslenkers Günter Mittag. 1965 hatte sich Erich Apel aus Verzweiflung über seine zunehmende Isolation im Führungszirkel der SED erschossen. Apel war Mittags bester, vielleicht sein einziger Freund gewesen. Vom "Genossen Apel" spricht Doris Mittag, auch von den Genossen Ulbricht und Honecker. Diese Floskel ist in ihrem Unterbewusstsein offenbar so präsent, dass sie die Namen ohne Beifügung der parteiüblichen Anrede nicht aussprechen kann.

Thomas Grimm und Werner Treß bieten eine zurückhaltende, nicht auf spektakuläre Enthüllungen setzende Dokumentation an, deren erster Teil morgen im MDR-Fernsehen läuft. Neben Doris Mittag kommen auch die Söhne der Spitzenfunktionäre Horst Sindermann und Gerhard Grüneberg zu Wort, dazu eine Hauswirtschafterin, der Chefkoch, Honeckers Steward.

Man muss sich die Szenen vorstellen: Erich Honecker sitzt mit Frau Margot am Strand von Vilm, seiner quasi privaten Ostseeinsel, kein Mensch darf ihn stören - allenfalls Tochter Sonja. Und der Steward, mit dem Kaffeekrug in den Dünen auf Abruf lauernd, sieht, wie der dem Nacktbaden zugeneigte, aber auch zutiefst misstrauische Generalsekretär erst im Wasser seine Hose auszieht, die Margot ihm abnimmt. "Ohne" sollte ihn offenbar keiner sehen, auch wenn es außer dem Steward ja eigentlich gar keine Zeugen geben konnte.

Sonderversorgung, Privilegien - das alles ist längst zum Bodensatz der jüngeren deutschen Geschichte abgesunken. Dafür wirkt die Kleinbürgerlichkeit der eingezäunten Knast-Idylle umso greller: Kotelett musste es sein für den Genossen Günter Mittag, berichtet seine Tochter. Kotelett, nicht Schnitzel. Weil der Hüter der DDR-Planwirtschaft so gern das Fleisch vom Knochen knabberte. Und Lieder haben sie gesungen, die führenden Genossen, "Auf, auf zum Kampf" zum Beispiel, das Honecker so liebte. Und hochprozentigen Alkohol gab es auch, so lange die mächtigen Männer ihn noch vertragen konnten. Sie brauchten ihn wohl auch, um ihr Herrschaftsleben zu kompensieren, von dem ihnen sehr wohl bewusst gewesen sein wird, dass es nichts mit dem Sozialismus zu tun hatte, den sie ihrem Volk verpasst hatten...

Freuden der Abfahrt

Mitunter geraten die Erinnerungsbilder regelrecht gespenstisch: Etwa, wenn sich der Grüneberg-Sohn an die "Betriebsausflüge" des Politbüros zum Jahreswechsel erinnert. Da hockte man in baudenseliger Gemeinschaft am Fichtelberg und feierte in Familie, tags lehrte Ulbricht die Kinder der Genossen die Freuden des Abfahrtslaufs.

Diese Bilder sind stärker als jene, die im zweiten Teil der Dokumentation (9. Mai) die Reisen des Politbüros zum Gegenstand haben. Auch wenn dort Perlen wie Bilder vom Besuch Ulbrichts beim eben noch verhassten "Abweichler" Tito auf der Insel Brioni zu finden sind.

"So lebte das Politbüro", Dienstag, 22.05 Uhr, MDR