Sohn eines Spions auf Vatersuche
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Sohn eines Spions auf Vatersuche

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Pierre Boom, 1957 geborener Sohn des Kanzlerspions Günter Guillaume
Pierre Boom, 1957 geborener Sohn des Kanzlerspions Günter Guillaume © dapd

Als sein Vater verhaftet wird, kann Pierre Guillaume, der sich heute Boom nennt, es kaum glauben. Sein Vater soll für die DDR spioniert haben. Dabei hat Günter Guillaume daheim immer über die DDR gelästert.

Als Pierre Guillaume im April 1974 erleben muss, dass sein Vater Günter samt Ehefrau und Großmutter in Bonn vom Bundeskriminalamt verhaftet wird, da kann er es nicht glauben. Spionage für die Deutsche Demokratische Republik – das konnte nicht sein, dachte Guillaume Junior. Der Alte hatte daheim immer über die DDR abgelästert. Und jetzt das? Niemals.

Die Presseberichte lassen freilich keinen anderen Schluss zu. Ein weiteres untrügliches Zeichen ist der Rücktritt von Willy Brandt (SPD). Günter Guillaume hatte zuletzt ja niemand Geringeren als den Kanzler ausspioniert. „Ich glaube, es war Angst“, sagt Pierre Guillaume, der heute Boom heißt, zu seiner Weigerung, die Wirklichkeit zu akzeptieren. „Angst vor der Erkenntnis, dass mein Vater, dem ich mich sehr nahe fühlte, ein völlig anderer Mensch war als der, den ich bis dahin gekannt und geliebt hatte.“ Es half nichts. Pierre Guillaume war Sohn des wohl prominentesten Spitzels, den die DDR je hatte. Die Folgen beschäftigen ihn bis heute.

Zurück in das Land der Eltern

1975 ging der Junge auf Drängen des Ministeriums für Staatssicherheit in jenes Land, aus dem die Eltern kamen, das er selbst, geboren in Frankfurt am Main, aber gar nicht kannte: in die DDR. 18 Jahre alt war er damals. Pierre Guillaume hatte natürlich Mühe, sich zurechtzufinden. Die Situation konnte bizarrer kaum sein. Der Vater, der sich plötzlich als Unbekannter entpuppt hatte, war im Westen verhasst; im Osten, wo Pierre Guillaume nun lebte, war er ein Held, zumindest offiziell.

1981 kehrten Günter Guillaume und seine Frau in die DDR zurück. Der Sohn, 24 mittlerweile, hoffte, sein Vater werde ihm jetzt endlich Antworten geben auf das Wieso, Weshalb und Warum. Doch die Antworten blieben aus. Der Vater wollte nicht Rechenschaft ablegen. Er wollte sich feiern lassen und im Übrigen in Ruhe gelassen werden. 1988 ging der Sohn samt Ehefrau und zwei Kindern heim in das Land, aus dem er kam – in die Bundesrepublik Deutschland. Günter Guillaume ließ seine Stasi-Kollegen zuvor wissen: „Wenn’s nach mir ginge, sähe ich meinen Sohn lieber im Gefängnis als im Westen.“

Günter Guillaume starb 1995 nahe Berlin an Krebs. Der Sohn, der auf Geheiß der Staatssicherheit vor seiner Ausreise den Mädchennamen der Mutter angenommen hatte, wurde Fotograf und lebt heute auf Sylt. Bereits 2005 veröffentlichte er ein Buch, in dem sich sein Leben spiegelt. Es heißt: „Der fremde Vater“. mdc.

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