Zusammenfassung
Der 1876 erschienene, mehrfach ins Deutsche übersetzte Roman schildert am Beispiel einer historischen Gestalt eine unausweichliche soziale Degeneration. Die jütländische Gutsbesitzertochter Marie Grubbe heiratet zuerst den adligen norwegischen Statthalter, geht dann nach einer Beziehung zu ihrem Schwager und einem jungen deutschen Adligen eine Ehe mit einem Angehörigen des Kleinadels ein und wird 16 Jahre später die Frau eines Knechts und späteren Fährmanns. Auf die historische Marie Grubbe hatte bereits Ludvig Holberg in seinen Episteln hingewiesen, später gestalteten Steen Steensen Blicher in Brudstykker af en Landsbydegns Dagbog, 1824 (Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters), und H. C. Andersen in „Hønse-Grethes Familie“, 1869 („Hühnergrethes Familie“), diesen Stoff. Jacobsens Anregung stammt wohl von Georg Brandes.
Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
dänisch
FormalPara ÜbersetzungFrau Marie Grubbe. Interieurs aus dem 17. Jahrhundert (1898)
FormalPara Übersetzer/inM. Herzfeld
FormalPara HauptgattungEpik / Prosa
FormalPara UntergattungRoman
Der 1876 erschienene, mehrfach ins Deutsche übersetzte Roman schildert am Beispiel einer historischen Gestalt eine unausweichliche soziale Degeneration. Die jütländische Gutsbesitzertochter Marie Grubbe heiratet zuerst den adligen norwegischen Statthalter, geht dann nach einer Beziehung zu ihrem Schwager und einem jungen deutschen Adligen eine Ehe mit einem Angehörigen des Kleinadels ein und wird 16 Jahre später die Frau eines Knechts und späteren Fährmanns. Auf die historische Marie Grubbe hatte bereits Ludvig Holberg in seinen Episteln hingewiesen, später gestalteten Steen Steensen Blicher in Brudstykker af en Landsbydegns Dagbog, 1824 (Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters), und H. C. Andersen in „Hønse-Grethes Familie“, 1869 („Hühnergrethes Familie“), diesen Stoff. Jacobsens Anregung stammt wohl von Georg Brandes.
Jacobsen sucht eine Synthese zwischen dokumentarischer Zeitschilderung und modernem psychologischen Roman. Mit der verrohten Gestalt aus den authentischen Scheidungsakten hat seine überaus sinnliche, aber auch stolze und träumerische Heldin wenig gemein. Ihr Charakter ist viel differenzierter; ihre „Seligkeit der Selbsterniedrigung“ wird psychologisch und soziologisch durchleuchtet. Die Lektüre grausam-sinnlicher Sagen und Legenden weckt in der 14-jährigen ein frühes Begehren. Bei der Belagerung Kopenhagens durch die Schweden begegnet sie dem siegreichen Junker Gyldenløve. An seinem Sterbebett werden ihre Illusionen zerstört: Der ideale Held zeigt sich angesichts des Todes erbärmlich feige und lüstern. Nach einer Periode masochistisch getönter Religiosität stürzt Marie sich in das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt. Im Bewusstsein ihrer Schönheit heiratet sie den Sohn des Königs. Die Ehe zerbricht, weil der Mann sie in ihrer Weiblichkeit verletzt. Trost findet sie in der kurzen Episode mit dem jungen Remigius, der sie liebt, aber bei einem Unfall ums Leben kommt. In der Ehe mit Palle Dyre wird Marie dann „verwahrlost und verdorben“, wie „ein schönes und edles Kunstwerk in den Händen der Barbaren“. Erst bei ihrem dritten Mann, der sie als Fährfrau arbeiten lässt, erlebt sie subjektiv Liebe und Geborgenheit.
Jacobsen schuf mit diesem Roman das erste große Werk des dänischen Naturalismus, das trotz des historischen Sujets durch die Interieurzeichnung und den archaisierenden Sprachton exemplarisch war. Seine naturalistische Individualpsychologie schildert den Menschen im Kampf mit seinem determinierenden Milieu. Mit der Moral des Individualisten verteidigt er Marie Grubbe: Sie hat gelebt, wie sie nach ihrer Natur leben musste. Die sensible Einfühlung in die Epoche und die farbenreiche Bildersprache riefen allgemeine Bewunderung hervor, wenn auch die ‚Irreligiosität‘ auf Kritik stieß. Einhellig bedauert wurde die lose Komposition. Oft als Dokument des Naturalismus unter psychologischen, historischen und philologischen Gesichtspunkten gedeutet, ist das Buch dank der Schönheit seiner Sprache eines der wenigen Werke geblieben, die den ‚Modernen Durchbruch‘ in ursprünglicher Frische überdauert haben.
Bibliographie
Literatur
A. Heitmann: Noras Schwestern, 1982.
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KLL (2020). Jacobsen, Jens Peter: Fru Marie Grubbe. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_4596-1
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