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“Fabian oder Der Gang vor die Hunde”: Wie Dominik Graf mich aus dem besten Film des Jahres geschnitten hat

Wenn irgendwo in der deutschen Filmbranche der Name Dominik Graf fällt, wird es spannend. Es wird auch schwierig. Graf wird geschätzt. Er wird gefürchtet. Nun kommt seine Erich-Kästner-Verfilmung “Fabian oder Der Gang vor die Hunde” in die Kinos. GQ Reporter Ulf Pape durfte die Dreharbeiten begleiten – und als Komparse durch seinen Lieblingsroman stolpern. 
Illustration von GQReporter Ulf Pape am Set zur Verfilmung von Erich Kästners Roman „Fabian“ unter der Regie von Dominik...
“Wie Dominik Graf mich aus dem besten Film des Jahres geschnitten hat.”Zohar Lazar

“Fabian oder Der Gang vor die Hunde”, ab 5. August im Kino, Regie: Dominik Graf. Mit: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Michael Wittenborn. Nach dem Roman von Erich Kästner. Hier unser Bericht über die Entstehung des Films. 

„Alles klar, tschüss, dann sehen wir uns bei der Bücherverbrennung!“ Eine Sekunde nachdem ich diesen Satz quer über eine Straße im sächsischen Görlitz zwei Männern zur Verabschiedung zurufe, bemerke ich die entsetzten Blicke einiger Passanten. Die AfD darf sich hier in der Endphase ihres Wahlkampfes mit dem Kandidaten Sebastian Wippel gerade Hoffnungen auf das Amt des Oberbürgermeisters machen. Sich lauthals zu einer Bücherverbrennung zu verabreden, wirkt da wohl beängstigend nah. (Lesen Sie auch: “How to Sell Drugs Online (Fast)” mit Maximilian Mundt: “Ich werde ständig nach Drogen gefragt”)

Es ist ein heißer Tag im August 2019. Die beiden Männer, die die Bücherverbrennung planen, machen das beruflich. Sie sind Special-Effects-Techniker am Set der Verfilmung von einem der beliebtesten Romane der Deutschen: „Fabian“ von Erich Kästner, Regie: Dominik Graf. Und wenn irgendwo in der deutschen Filmbranche der Name Dominik Graf fällt, wird es spannend. Es wird auch schwierig. Graf wird geschätzt. Er wird gefürchtet. Er ist ein Monument des deutschen Films. Er hat einen Ruf. Er hat seit sieben Jahren keinen Kinofilm gemacht. Wenn er spricht, klingt es, als würde er die Sprache durch seine Zähne pressen. Man hört zu. Nichts will man verpassen. Nun dreht er „Fabian“. Ich darf dabei sein. Graf spricht. (Lesen Sie auch: Das große GQ-Feature: The Weeknd vs. Abel Tesfaye)

Dominik Graf hinter den Kulissen der Romanverfilmung “Fabian oder Der Gang vor die Hunde”

Felix von Boehm

Die Stimmung ist angespannt. Graf will sehen. 

„Ich muss das jetzt mal sehen“, dröhnt Grafs Stimme durch die riesige Altbauwohnung eines Gründerzeithauses in Görlitz. Ich höre ihn, bevor ich ihn sehe. Im selben Haus drehte schon Kate Winslet „Der Vorleser“. Jetzt schleppen an die 20 Männer und Frauen Technik durch die Wohnung, Funkgeräte und Gaffa-Tape an den Gürteln, die Schauspielerin Meret Becker huscht in einem Bademantel über den Flur, Tom Schilling, in der Rolle des Fabian, konzentriert sich, es ist spät, draußen wird es dunkel. Was Graf jetzt sehen will, ist die Arbeit der beiden Special-Effects-Männer, die seit Stunden im Innenhof Zigaretten drehen und auf ihren Einsatz warten. Sie sind mit einer Windmaschine aus Brandenburg angereist, spontan, Graf insistierte, um das Gerät nun auf eine Baumkrone zu richten, auf die Fabian, frisch verliebt, gemeinsam mit Fräulein Battenberg vom Küchenfenster aus blicken wird. Proben durften die Special-Effects-Männer mit der Windmaschine nicht, weil Graf am Nachmittag Ruhe für die Szenen in der Wohnung brauchte. Jetzt aber, endlich, muss die Baumkrone in Wallung gebracht werden. Die Stimmung ist angespannt. Graf will sehen. 

„Die Baumkrone ist wichtig“, erklärt Graf, „das ist ein wichtiges Bild.“ Es geht ihm darum, dass Kästner das Fräulein Battenberg zu Fabian sagen lässt, die Bäume vor ihrem Fenster sähen „schaurig“ aus. Graf nimmt das ernst. Damit die Bäume auch im fertigen Film schaurig aussehen, für etwa zwei Sekunden, lässt er die Äste von der Windmaschine in ein sachtes Wabern bringen. Das allerdings war eine spontane Idee, und spontane Ideen sehen Budgets selten vor.

Dominik Graf: “Ich bin die Uhr”

Felix von Boehm lächelt. Er sitzt im Innenhof, in dem die Windmaschine gerade aufgebaut wird. Sein Lächeln ist ansteckend, genauso ansteckend wie die Begeisterung für das, was hier gerade passiert: Ein Roman, den so viele unserer Generation lieben, wird verfilmt. Boehm ist der Produzent dieses Unterfangens. Für einen Filmproduzenten mit eigener Produktionsfirma ist er recht jung, Jahrgang 1986. Die Verantwortung, einen Erich-Kästner-Stoff anzufassen, ist immens.

Die tatsächliche Aufgabenstellung: mit einem Regisseur zu arbeiten, der als Künstler verehrt wird, aber auch bekannt ist für Sätze wie: „Ich bin die Uhr.“ Darauf angesprochen, sagt Graf: „Ich weiß, was ich drehen muss, bevor die Sonne weg ist. Es ist der Job eines Regisseurs, solche Situationen zu meistern.“ Boehm sagt: „Dominik lehnt Einschränkungen ab. Das macht die Arbeit mit ihm sehr anspruchsvoll.“ In Boehms Lächeln lässt sich mal Bewunderung lesen, mal Zuversicht. „Dieser Sommer hat genau ein Ziel. Einen verdammt guten Film zu machen“, sagt er, „und ihn einigermaßen schmerzfrei zu Ende zu bringen.“

Albrecht Schuch als Labude und Tom Schilling als Fabian in “Fabian oder Der Gang vor die Hunde”

Julia von Vietinghoff

Dominik Graf ist ein eigenes Kapitel deutscher Filmgeschichte

Graf ist mehr als ein Name im deutschen Film. Er ist ein Kapitel. Da wäre etwa „Die Katze“, ein rabiater Thriller von 1988, einer Zeit, in der Deutsche eigentlich nur für Otto Waalkes, Didi Hallervorden oder „Die Supernasen“ ins Kino gingen, Graf aber über eine Million Zuschauer in einen düsteren Genre-Film lockte, der damit beginnt, dass Götz George und Gudrun Landgrebe Sex miteinander haben, im Stehen. (Lesen Sie auch: Raf Camora im exklusiven Comeback-Interview: “Ich werde nie wieder die Hände von der Musik lassen”)

Mit „Die Sieger“ entsetzte Graf 1994 die Kritik. Zu grausam, hieß es über manch eine Szene des Actionfilms. Graf blieb dennoch der Star-Regisseur, über den Produzenten sagten, er würde neue Formate schaffen, immer wieder eine eigene Ästhetik finden. Viele Filme, Auszeichnungen, „Tatorte“ und „Polizeirufe“ später schenkte Graf dem Fernsehpublikum etwas, das die Branche verändern sollte. Die Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ kam 2010 zu einem Zeitpunkt, als das Seriengenre international wiederbelebt wurde durch „Sopranos“ und „Breaking Bad“, in Deutschland aber eher noch nach „Lindenstraße“ klang. Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ war eine breit angelegte Saga über Berlins Russenmafia, ein Werk, so gewaltig wie poetisch, dass die Hoffnung aufkam, Deutschland könne zu einer Instanz im internationalen Seriengeschäft werden. So ist es inzwischen teilweise gekommen, mit Serien wie der Neuauflage von „Das Boot“, „Babylon Berlin“ oder „Dark“, Graf allerdings hatte im Nachgang seiner Mammutserie mit dem Vorwurf zu kämpfen, das Budget überzogen zu haben. Eine der beteiligten Produktionsfirmen meldete Insolvenz an.

Graf über seinen Ruf, Budgets zu überziehen 

Rückblickend sagt Graf, es sei eine abstruse Fehlkalkulation gewesen. Es sei um über zwei Millionen Euro gegangen. „Die soll der Regisseur dann plötzlich aus dem Drehbuch rauskürzen.“ Aber: „Ich nehme ein Drehbuch grundsätzlich unter der Prämisse an, dass ich das verfilme, was im Buch steht, und nicht minus zwei Millionen.“ Die schaurigen Bäume wissen das.

Bei einem Abendessen im Juni 2019 lerne ich einen Mann kennen, mit dem ich mich eine Weile unterhalte, ohne dass wir voneinander wissen, was wir beruflich machen. „Eigentlich“, sagt er irgendwann lächelnd, „siehst du genau aus wie die Komparserie meines nächsten Films.“ Was das für ein Film sei, frage ich. „Fabian“, antwortet Felix von Boehm. „Ach!“, staune ich, „einer meiner Lieblingsromane! Wer führt Regie?“, und Boehm antwortet: „Dominik Graf.“ Mein zweites „Ach!“ dürfte lauter ausgefallen sein. Wir schwärmen über Kästner, über Graf, Wein wird nachgeschenkt, Boehm schlägt vor, ich solle die Dreharbeiten besuchen, die bald anfangen, vielleicht könne ich eine Komparsenrolle übernehmen. In meinem Kopf geht eine Tür auf, durch die ich in meinen Lieblings-Kästner hineinspaziere, mit Fabian im Berlin des Jahres 1931 durch die Spelunken ziehe. (Lesen Sie auch: Christoph Waltz im GQ Interview: “Diese Leute, die sich Querdenker nennen, denken entlang des Brettes, das sie vorm Kopf haben”)

Saskia Rosendahl in “Fabian oder Der Gang vor die Hunde”

Julia von Vietinghoff

“Projekte, vor denen ich keinen Respekt habe, muss ich nicht machen”, sagt Produzent Felix von Boehm

Als ich im darauffolgenden August in Görlitz ankomme, darf ich das Set zunächst nicht betreten, gerade wird eine Nacktszene gedreht. Boehm zeigt mir die Stadt, erzählt von Quentin Tarantino, der hier für „Inglourious Basterds“ drehte, und Wes Anderson sein „Grand Budapest Hotel“. Jetzt Graf. Seinen Film. Und mit mir.

Anfang 2019 ließ Boehm während der Berlinale verlauten, er werde gemeinsam mit Dominik Graf Kästners „Fabian“ verfilmen. Einige aus der Branche reagierten mit Kommentaren wie „Na, dann viel Glück!“. Das habe ihn wahnsinnig genervt, sagt Boehm. Natürlich habe er großen Respekt vor der Aufgabe, aber „Projekte, vor denen ich keinen Respekt habe, muss ich nicht machen. Das ist Zeitverschwendung.“

Zurück im Innenhof, in dem die Windmaschine steht, treffen wir Constantin Lieb, der in die Nachmittagssonne blinzelt. Gemeinsam mit Graf schrieb er das Drehbuch zu „Fabian“. Boehm und Lieb sind eingespielt darin, sich gegenseitig zu ergänzen, beide jugendlich und enthusiastisch, erzählen von Kästners Nachlassverwalter, einem über zwei Meter großen Mann, 91 Jahre alt, der in seinem Sekretär noch eine Flasche Whiskey stehen habe, aus der er Kästner einschenkte, als er ihn zu Lebzeiten als Rechtsanwalt vertrat. (Lesen Sie auch: Das sind laut Kritik die 30 besten Netflix-Serien aller Zeiten)

“Wie verhalte ich mich in einer Welt, die vor die Hunde geht?"

Lieb ist am Set, um ab und zu mit Graf einzelne Dialoge zu besprechen, aber auch „weil es einfach so ein Herzensprojekt ist“. „Alle kennen diesen Roman“, sagt Boehm, „es scheint eines dieser Bücher zu sein, die für immer in Erinnerung bleiben.“ Worum es eigentlich gehe, sagt Lieb: „Wie verhalte ich mich in einer Welt, die gerade vor die Hunde geht?“

„Der Gang vor die Hunde“, so heißt die unzensierte Fassung des Romans, die erst 2013 vom Schweizer Atrium Verlag veröffentlicht wurde. Sie hat all den Sex und die politischen Spitzen, die Kästners Verleger 1931 vorsichtshalber strich. Die Zeiten waren gefährlich, die NSDAP marschierte durch Berlin. Es war sein erster Erwachsenenroman, ein Roman, der uns mit den Generationen vor uns verbindet. Fabian, der strauchelnde Werbetexter im Berlin des Jahres 1931, verliert langsam den Halt, dann seinen besten Freund, Labude.

Erich Kästners „Fabian“ von 1931 zählt zu den Büchern, die 1933 in Berlin von den Nazis verbrannt wurden. Kästner sah zu

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Ich gehe als blinder Passagier mit an Bord

Boehm und Lieb haben sich während des Philosophie-Studiums kennengelernt, gründeten zusammen das Filmmagazin „Cine-Fils“, für das sie eines Tages Dominik Graf interviewten. Da saß der gerade im Schnitt von „Im Angesicht des Verbrechens“. Aus studentischer Verehrung für die gleichen Filmthemen wurde eine Zusammenarbeit. Boehm und Lieb erhielten für ihre gemeinsame Serie „Eden“ den Grimme-Preis, nun machen sie „Fabian“ mit Graf, beide recht ausgeruht gemessen daran, wie groß dieses Projekt ist. „Es gab für mich keinen an- deren Regisseur, mit dem ich diesen Film hätte machen wollen“, sagt Boehm. Was für einen Cast er gerade auf Trab hält, er macht wieder eines seiner Lächeln. Er sagt: „Ein Film mit so einem Schauwert und solchen Stars müsste eigentlich das Doppelte kosten.“ Ich gehe als blinder Passagier mit an Bord.

Einige Wochen später stehen die Dreharbeiten kurz vor Abschluss. In einem Lokal in Berlin- Moabit stecke ich in einem Smoking, in dessen Innenfutter ein Stempel der DEFA prangt, der staatlichen Filmproduktion der ehemaligen DDR. Graf dreht hier eine komplexe Szene mit über 30 Komparsen und drei Stuntmännern, die von fünf Kostümbildnerinnen und vier Haare-Make-up-Artistinnen alle auf das Jahr 1931 zurückgedreht wurden. Im Lokal „Kabarett der Anonymen“ zähle ich zur Gästeschar. Graf schlägt spontan vor, ich solle eine kleine Sprechrolle übernehmen. Sofort erfriert mein Körper in Respektstarre. Improvisieren? Wir stehen im Keller der Location, Frau Battenberg, gespielt von Saskia Rosendahl, betreibt dort eine kleine Cocktail-Bar, an der ich mir nun einen Drink machen soll. „So, das muss witzig“, ruft Graf.

Ich frage mich, ob ich ein schlechter Statist in einem guten Film bin.

Die Anspannung des gesamten Sets hat mich ergriffen, und als jemand, der viele Filme sieht, aber nicht die geringste Ahnung hat, wie man sie macht, frage ich mich, ob das, was hier passiert, noch ein Film wird oder schon ein Gang vor die Hunde ist. Nichts von der Geschwindigkeit, in der das Kamerateam hier gerade Szene für Szene schießt, kann ich nachvollziehen. Mein DEFA-Smoking und meine Respektstarre lassen mich stocksteif im hinteren Teil der Bar verschwinden. Fabian fragt sich, ob er ein guter Mensch in einer schlechten Welt sein kann. Ich frage mich, ob ich ein schlechter Statist in einem guten Film bin. Durch meine Impro krampfe ich mich durch, dann geht es oben weiter. Oft ruft Graf schon nach dem zweiten Take „Das gefällt mir“, dann arrangieren die Regie-Assistentinnen die Komparsen neu im „Kabarett der Anonymen“, Technik wird durch den vollen Raum gewuchtet, die Location ist nur bis zum Abend gemietet, die Zeit rennt davon, immer wieder hört man Graf irgendwo rufen: „Ich muss jetzt mal das Bild sehen.“ 

Zahllose Menschen hasten durch die historische Bar, die beiden Special-Effects-Männer sind auch da, „Hi, was macht ihr denn heute?“, „Bisschen zündeln“. Einstellungen werden gestrichen, andere kommen hinzu, Planänderungen werden in Funkgeräte und Handys gebellt. Während einer Autofahrt durch die Oberlausitz hatte Graf gesagt: „Mich interessiert nur der Moment, der gerade unbedingt gelingen muss. Das empfinde ich als Sport. Ich würde mal behaupten, das hält einen auch jung.“

„Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein.“, notierte Erich Kästner 

Im Alter von elf Jahren gewann Graf einen Vorlesewettbewerb in München, kam in die bayerische Endauswahl, verlor den Wettbewerb, aber in der Jury saß Erich Kästner. „Da habe ich ihn das einzige Mal live erlebt. Das Gesicht steht mir noch vor Augen. Recht ramponiert, aber nett.“

Als Kästner seinen „Fabian“ 1931 an den Verlag schickte, konnte er nicht ahnen, nur zwei Jahre später dabei zusehen zu müssen, wie in Berlin seine Bücher verbrannt werden. Von Studenten in SA-Uniform, „die Sturmriemen unterm Kinn“, schreibt Kästner später über diesen Tag, Joseph Goebbels war dabei. Kästner hatte da schon „Emil und die Detektive“ veröffentlicht, „Das fliegende Klassenzimmer“, notierte nun: „Die Bücher flogen weiter ins Feuer.“ Er schrieb weitere Romane, „Das doppelte Lottchen“ etwa, aber es heißt, er habe nie wieder zu sich gefunden. Oder: „Recht ramponiert.“ So leise, wie Fabian die Verfinsterung Berlins beobachtet, schreibt Kästner über sich selbst: „Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein.“ 

Kästners Bücher wurden 1933 in Berlin von den Nazis verbrannt

Was Kästner bei der Abgabe seines Manuskripts 1931 ebenfalls nicht ahnen konnte, ist, dass 90 Jahre später im Wettbewerb der Berlinale ein Film gezeigt werden wird mit dem Titel „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, ein Film, den die internationale Presse bejubelt, ein Film, mit dem Graf, Lieb und Boehm Kästners Sätze nicht nur zum Leben erwecken, sondern zum Fliegen bringen, der beste Film des Jahres, ein Kritiker nennt es „die sicherlich wichtigste deutsche Literaturverfilmung seit Schlöndorffs ,Blechtrommel‘“. Am 5. August startet er im Kino. Es ist ein Film, der mit unserer Gegenwart in engerem Austausch steht als mit Kästners damaliger Zeit. Boehm sagt: „Fabian ist universell. Es geht um Liebe, um Enttäuschung, um politische Umbrüche. Es geht also eigentlich um alles, was uns auch heute betrifft.“ Dass Lieb und Graf sich entschieden, aus dem Duo Fabian und Labude ein Trio zu machen, indem Cornelia Battenberg ins Zentrum der Geschichte rückt, ist nicht nur dramaturgischer Wagemut, sondern auch eine Entscheidung für die Liebe. Als Fabian und Cornelia in einer Szene im Bett liegen und sie ihn, mit vollem Mund kauend, fragt, was er über Treue denke, antwortet er: „Kau erst hinter, bevor du so große Worte aussprichst.“ 

Aber genau das ist drin im „Fabian“ von damals wie von heute, die großen Worte, die großen Fragen nach Haltung, Anstand, Zusammenhalt, Liebe und Abhängigkeit voneinander. Graf sagt: „Dieser Teufelskreis aus Ausnutzen, Benutzen, Begierde, Abstoßen, da hat Kästner schon weit vorausgegriffen, die psychosozialen Strukturen solchen Verhaltens mit Kapitalismus zusammenzubringen.“ Was allerdings nicht drin ist im Film, bin ich. Kurz vor der Berlinale sitze ich in Hamburg in einer Pressevorführung, gespannt auf „Den Gang vor die Hunde“, gespannt auf mich auf der Leinwand, stelle fest – fast alle Szenen mit mir rausgeschnitten. Eine Sekunde lang bin ich zu sehen. Meine Respektstarre muss quer im Bild gestanden haben, vermute ich, und Respekt ist hier ganz angebracht.

Die Wahl zum Oberbürgermeister gewann in Görlitz übrigens nicht der AfD-Mann, sondern Octavian Ursu, Kandidat der CDU. Er siedelte 1990 von Rumänien nach Görlitz über.

GQ-Reporter Ulf Pape am Set zur Verfilmung von Erich Kästners Roman „Fabian“ unter der Regie von Dominik Graf 

Felix von Boehm