Eugen Drewermann: Was wirklich wichtig ist
ArchivDeutsches �rzteblatt PP10/2017Eugen Drewermann: Was wirklich wichtig ist

THEMEN DER ZEIT

Eugen Drewermann: Was wirklich wichtig ist

Koch, Joachim

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Der Theologe, Psychoanalytiker und Autor ist ein radikaler Verfechter von Menschlichkeit, Liebe und Frieden. Deutlich wird das vor allem in seinen B�chern.

Man merkt es gleich oder erst sp�ter: Diese Person steht im Wesen der menschlichen Existenz: Sie ist ein Vorbild, eine bedeutende moralische Instanz. Doch eigentlich ist Eugen Drewermann nach den herrschenden Kategorien ein Gescheiterter: Er ist von seiner Institution, der katholischen Kirche, erst mit Predigtverbot und Entzug der Lehrerlaubnis belegt worden und dann ist ihm die Aus�bung des Priesteramtes verboten worden. Zu seinem 65. Geburtstag ist er dann selbst aus der Kirche ausgetreten. Es erstaunt, wenn man die gerade erschienene Biografie von Matthias Beier (1) liest, dass Drewermann den Berufsweg des Priesters einschlug, wo er sich doch schon als Jugendlicher in einem starken Widerspruch zur Amtskirche sah. Hatte er gedacht, die Kirche umkrempeln zu k�nnen? Seine gro�en Themen in der Jugendzeit, denen er zeitlebens treu blieb, waren damals die Friedensfrage, die Suche nach Halt und das Leiden der Tiere.

Tr�gt die Religion zur Vermenschlichung bei oder ist sie ein Gehorsamsinstrument, bei dem es um die Anpassung an Dogmen geht? In der Zeit der langen Auseinandersetzung mit der katholischen Amtskirche, in der Drewermann die Macht der p�pstlichen Stellvertreter (und damit aller Autorit�ten) infrage gestellt hat, ist er einer der gefragtesten Theologen unserer Zeit geworden. Seine B�cher wurden in viele Sprachen �bersetzt, seine zahlreichen Vortr�ge finden immer vor gef�llten S�len statt. Es kann gemutma�t werden, dass sein Werk eine bleibende Bedeutung f�r die Menschheit hat als eine Chance gegen Entmenschlichung und f�r die Menschlichkeit, gegen die Weltzerst�rung und f�r die Weltbewahrung.

Bekannt geworden ist Drewermann zuerst durch seine tiefenpsychologischen Interpretationen Grimmscher M�rchen. Im Verlauf der Jahre hat er sich immer komplexeren und breiteren Themen gewidmet, sie durchgearbeitet und der Leserschaft seine Sicht der Dinge mitgeteilt. Er hat � allen Widerst�nden der Amtskirche zum Trotz � mit seinen Gedanken zahllose Menschen ber�hrt und ermutigt, ihre Menschlichkeit zu leben.

Psychoanalyse zur Befreiung

Weil Drewermann sah, dass er Menschen nicht allein mit Mitteln der Theologie helfen konnte, begann er im Jahr 1968 eine psychoanalytische Ausbildung im G�ttinger Psychoanalytischen Institut in Tiefenbrunn, das damals stark von der neopsychoanalytischen Methode von Harald Schultz-Hencke gepr�gt war. Die psychoanalytische Selbstreflexion lehrte ihn eine Art von gesundem Egoismus und er begann zu begreifen, dass eine Theologie, die von Klerikern immer wieder die Aufgabe des eigenen Selbst forderte, dazu f�hrt, dass man auch anderen Menschen das Personsein verbietet (1). Psychoanalyse wurde f�r ihn zum Mittel, Menschen bei der Befreiung von kirchlicher Bevormundung zu helfen und die Psychoanalyse bildete den Hintergrund f�r die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche. Mithilfe der Psychoanalyse legt Drewermann die Finger in die Wunden falscher christlicher Traditionen und Moralvorstellungen. Er legt das Wirken Jesu therapeutisch aus und gibt die biblischen Geschichten so wieder, dass sie mit dem pers�nlichen Leben heute zu tun haben. Mithilfe der Psychoanalyse beschw�rt er die Liebe und schreibt auf eine oft poetische Weise vom Glauben an die Liebe. Er stellte fest, dass die katholische Kirche den Kontakt zu den Menschen verloren hat und versucht werden soll, die versch�ttete Poesie im Menschen wieder zum Klingen zu bringen.

Konsequent hat sich Drewermann �ber viele Jahrzehnte f�r Frieden engagiert. Anfang Juni 2016 h�lt er in der Werretalhalle in L�hne einen Vortrag mit dem Thema: Warum Krieg? Er macht deutlich, dass absoluten Feindbildern misstraut werden muss, und dass Reden und Verstehen anstelle von Krieg treten soll. �Der andere hat nichts zu sagen, das ist falsch! Mit Krieg verbreitet man den Krieg. Nie darf Krieg Mittel der Politik sein.� Ein besonderes Buch zu dem Thema ist der Titel �Jesus von Nazareth. Befreiung zum Frieden� (2).

Mit der Evolution besch�ftigt sich Eugen Drewermann ausf�hrlich in seinem Buch �Der sechste Tag. Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott� (4). Die Entwicklungsgeschichte des Menschen wird detailliert dargestellt. Eine wesentliche Schlussfolgerung betrifft die Idee eines �planend handelnden� Gottes: Es ist von der Vorstellung Abschied zu nehmen, dass ein allg�ltiger, allm�chtiger und allweiser Gott die Welt dazu bestimmt hat, den Menschen hervorzubringen. An die Stelle des Sch�pfergottes setzt Drewermann die Liebe, die es gilt wieder zu erkennen als den Ort einer wahren Gotteserkenntnis. Um Gott in der Unableitbarkeit des Augenblicks suchen zu k�nnen, macht der Autor umfassend mit drei Weisen der Erfahrung vertraut: Der Mystik der Leere, der Mystik der Liebe und der Mystik des Augenblicks. Weil Drewermann die Frage nach Gott als die Frage einer absoluten Selbstvergewisserung sieht, hat die Liebe eine besondere Stellung, weil nur sie eine Versicherung der absoluten Bedeutung des eigenen Daseins schenkt. W�hrend nichts in der Welt sein muss und alles auf der Nicht-Notwendigkeit eines erschreckenden Zufalls basiert, ist die Liebe nur als eine �mystische�, eine Gottesbegegnung vorstellbar. Die Liebe zu einem anderen Menschen hat eine herausragende Bedeutung, die er wie folgt beschreibt: �Die Liebe aber nimmt uns bei der Hand und steigt mit uns immer tiefer und tiefer hinab, �ber alle Stufen des Hoffens und Verzweifelns hinweg, bis zu jenem Punkt, von dem allein her alles sich begr�ndet. (...)� Somit formuliert Drewermann die Grundfrage des Lebens um. Es geht nicht mehr darum, ob �es Gott gibt�, sondern darum, welche Art von Vorstellung ein Mensch haben muss, um im Angesicht der bestehenden Welt zu seiner Menschlichkeit zu finden. Dazu bedarf er der Liebe und des Vertrauens, die die Angst seines Herzens beruhigt.

In einem Nachtrag zur Neuauflage von 2004 erg�nzt der Autor seine Ausf�hrungen zur Evolution und menschlichen Anthropologie. Besonders spannend ist die Diskussion der Frage nach den Entwicklungsvorteilen des heutigen Menschen gegen�ber den ausgestorbenen Neandertalern. Er macht deutlich, was gelungene Entwicklungen ben�tigen: den Schutzraum des Zweckfreien, das Spielerische, die Kreativit�t und das Spiel mit den M�glichkeiten.

Das Eigentliche ist unsichtbar

In seinem Buch �Das Eigentliche ist unsichtbar. Der Kleine Prinz tiefenpsychologisch gedeutet� besch�ftigt sich Drewermann mit dem ber�hmten M�rchen. Der �Kleine Prinz� wurde als Gegenchiffre zur unmenschlichen Welt der Erwachsenen verstanden. Der Autor merkt in seiner Analyse des Buches an, dass �Kind� die Chiffre f�r ein Leben ist, dass von einem unbeirrbaren Vertrauen in die G�te des Welthintergrunds getragen ist und deshalb der Angstsicherungen nicht bedarf, die das Leben von Erwachsenen formen und deformieren. Angst bedingt den Aufbau von Als-ob-Fassaden, von Scheinfertigkeiten und Scheinf�higkeiten. In der Angst bleiben die Wahrheiten des Lebens auf der Strecke.

Kindern mit einem Gef�hl f�r Vertrauen ist eine grenzenlose Offenheit m�glich. Drewermann beschreibt die Himmelsreise des Kleinen Prinzen als eine Tour dʼ horizon der Unmenschlichkeit. Er begegnet absonderlichen und negativen erwachsenen Menschen (dem Eitlen, dem S�ufer, dem �Gesch�ftsmann�, dem Laternenanz�nder, dem Geografen), mit dem Effekt, dass man lieber ein Kind bleiben m�chte. Der Kleine Prinz verk�rpert idealtypisch die sehnsuchtsvollen Inhalte eines nie gelebten Lebens.

Schuldgef�hle und �ngste

Im M�rchen vom Kleinen Prinzen breitet sich vor allem am Ende eine Melancholie und Todessehnsucht aus, die Drewermann mit dem Thema und der Entschl�sselung der Rose in Verbindung bringt. Das f�hrt zum eigentlichen (verborgenen) Thema des �Kleinen Prinzen� und zwar zum Geheimnis der Mutter, f�r die die Rose steht. Dieses Geheimnis ist unter einer Decke aus Schuldgef�hlen und �ngsten verborgen. Exup�ry befindet sich zeitlebens in einer kindlich anmutenden Abh�ngigkeit von seiner Mutter. Drewermann bringt dazu auch Belege aus anderen Schriften und Briefen Exup�rys. Er kritisiert Exup�ry grundlegend und schreibt, dass diesem tiefere Einsichten nicht m�glich sind, weil sein Erleben und Denken von Angst verzerrt ist. Stattdessen bestehen profunde Lebensprobleme und Abh�ngigkeiten, die Exup�ry durch seine T�tigkeit als Flieger zu kompensieren versucht.

Perspektiven f�r Ver�nderungen kommen nicht von Exup�ry, sondern von Drewermann, der ja auch Psychotherapeut ist. Die Welt mit den Augen der Liebe zu sehen, ist seine Botschaft f�r die wesentliche Sinnbegr�ndung des Lebens. Diese Botschaft und andere Erkenntnisse, die der Autor mit seinen Lesern teilt, lassen beim Lesen von seinen Texten Gef�hle der tiefen Dankbarkeit entstehen.

Joachim Koch

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/pp/lit1017

Wie Eugen Drewermann lebt

Foto: dpa
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Drewermann lebt nach Ansicht seines Biografen Matthias Beier ein sehr einfaches Leben (1). Er verdient seinen Lebensunterhalt �ber Buchtantiemen und mit Vortragshonoraren. �ber die Jahre hat er das meiste Geld so eingesetzt, dass es �maximal Menschen helfen kann�. In Brasilien hat er die internationale Aids-Hilfe �Stern der Hoffnung unterst�tzt�, in Kairo ist er mit Schwester Emanuelle verbunden, die viele Jahre mit den sogenannten M�llmenschen gearbeitet hat.

Der Theologe und Psychoanalytiker bietet kostenlos bis zu 20 Stunden therapeutische oder seelsorgerliche Gespr�che in der Woche an. Soweit er dazu in der Lage ist, hilft er manchen Menschen auch direkt substanziell, wenn sie seine Hilfe suchen, um ihr schweres Leben von Grund auf zu �ndern, sich aber in aussichtslosen finanziellen Notlagen befinden.

Auch im Alter von 76 Jahren ist Drewermann noch sehr kreativ und produktiv. Er erfreut sich bester Gesundheit, ern�hrt sich vegetarisch, lebt ohne Auto, Telefon und K�hlschrank und f�hrt nach wie vor zu Vortr�gen mit �ffentlichen Verkehrsmitteln. Jedes Jahr suchen Tausende Menschen ihn bei Vortr�gen, Tagungen, Demonstrationen oder in den sozialen Medien zur Inspiration f�r wahrhaftes und friedliches Leben auf.

1.
Beier, M: Eugen Drewermann. Die Biografie. Ostfildern: Patmos Verlag 2017.
2.
Drewermann, E: Jesus von Nazareth. Befreiung zum Frieden. Glauben in Freiheit. Band 2. Olten: Walter Verlag 1996.
3.
Drewermann, E: .... Und es geschah so. Die andere Biologie und die Frage nach Gott. Olten: Walter Verlag 1999.
4.
Drewermann, E: Der sechste Tag. Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott. Glauben in Freiheit Band 3.1. Olten Walter Verlag. �berarbeitete Ausgabe 2004 (zuerst 1998).
5.
Drewermann, E: Das Eigentliche ist unsichtbar. Der Kleine Prinz tiefenpsychologisch gedeutet. Herder Verlag 2015.
1.Beier, M: Eugen Drewermann. Die Biografie. Ostfildern: Patmos Verlag 2017.
2.Drewermann, E: Jesus von Nazareth. Befreiung zum Frieden. Glauben in Freiheit. Band 2. Olten: Walter Verlag 1996.
3.Drewermann, E: .... Und es geschah so. Die andere Biologie und die Frage nach Gott. Olten: Walter Verlag 1999.
4.Drewermann, E: Der sechste Tag. Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott. Glauben in Freiheit Band 3.1. Olten Walter Verlag. �berarbeitete Ausgabe 2004 (zuerst 1998).
5.Drewermann, E: Das Eigentliche ist unsichtbar. Der Kleine Prinz tiefenpsychologisch gedeutet. Herder Verlag 2015.

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