Eugen Drewermann: Vom Ketzer zum Propheten - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Regionales
  3. Nordrhein-Westfalen
  4. Eugen Drewermann: Vom Ketzer zum Propheten

Nordrhein-Westfalen Eugen Drewermann

Vom Ketzer zum Propheten

Dewermann lebt ganz nach den Prinzipien Jesu Dewermann lebt ganz nach den Prinzipien Jesu
Drewermann lebt ganz nach den Prinzipien Jesu
Quelle: picture alliance / dpa/ David Ebener
Lange war Eugen Drewermann für die katholische Kirche ein Ketzer, jetzt bezeichnet ihn sogar ein Bischof als Prophet. Doch der Theologe und Psychotherapeut hat sich längst anderen Themen außerhalb der Kirche zugewandt.

Er lebt vegetarisch, besitzt noch nicht mal einen Kühlschrank, trägt vorzugsweise Strickpullis und spricht mit sanfter, melodischer Stimme. Aber das, was er sagt, hat es in sich. In seinem Wälzer „Kleriker – Psychogramm eines Ideals“ hat Eugen Drewermann bereits 1989 jene Strukturen analysiert und angeprangert, die den erst Jahrzehnte später ans Licht gebrachten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ermöglichten. Am Samstag (20. Juni) wird der Theologe und Psychotherapeut 80 Jahre alt.

Lange war er der Ketzer, auf den die katholische Kirche auf sehr althergebrachte Weise reagierte: 1991 Entzug der katholischen Lehrbefugnis, 1992 Predigtverbot und Suspension vom Priesteramt. Die Rehabilitierung steht bis heute aus, doch der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer erkannte 2018 in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ an, was Drewermann über die „Strukturen des Bösen“ in der Kirche geschrieben habe, sei prophetisch gewesen. „Eugen Drewermann ist ein von der Kirche verkannter Prophet unserer Zeit“, sagte Wilmer.

Drewermann selbst hat sich längst anderen, noch größeren Themen zugewandt. Eines davon ist der Komplex Natur und Klimawandel. Hier vertritt er weit radikalere Ansichten als wohl die meisten Fridays-for-Future-Demonstranten. Seine Kritik richtet sich gegen die Grundlage des Kapitalismus – das Privateigentum. Nur mit einem anderen Wirtschaftssystem, das nicht auf Gewinnmaximierung und Wachstum ausgerichtet sei, lasse sich noch etwas verändern, meint er.

Lesen Sie auch

Drewermann beruft sich dabei auf Jesus: „Wir glauben, dass uns das Geld zusteht, das wir durch eigene Arbeit verdient haben. In Wirklichkeit meint Jesus, dass das ein falsches Weltbild ist: Selbst wenn wir arbeiten können, verdanken wir das einer Gesundheit, die wir nur begrenzt in der Hand haben, wie wir gerade erleben. Wir verdanken es unserer Ausbildung und der intakten Familie, in der wir aufwachsen durften. Wir haben Glück gehabt. Also ist es selbstverständlich, dass wir das Geld, das uns geschenkt wird, an die Unglücklichen weiterschenken.“

Diese Haltung lässt sich nach seiner Überzeugung direkt aus dem Neuen Testament ableiten. „In der Nähe Jesu war es selbstverständlich: Uns gehört gar nichts.“ Selbst praktiziert Drewermann Konsumverzicht schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Seine Möbel sind vom Sperrmüll, sein Besitz besteht aus Büchern.

Auch das Thema Tierwohl – das die Theologen sonst fast ganz den Philosophen überlassen – nimmt in seinen Veröffentlichungen breiten Raum ein. All das geht einher mit einem radikalen Pazifismus: „Frau Kramp-Karrenbauer bestellt 130 Kampfbomber und lässt vier Kampfschiffe auflegen. Das kostet alles sinnlos viel Geld“, kritisiert er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben andere Probleme.“

Lesen Sie auch

Ungewöhnliches hat er zu Corona zu sagen: Für ihn zeigt die Pandemie, dass die Menschen ihre eigene Sterblichkeit verdrängen. „Wir können mit der simplen Tatsache unserer Endlichkeit nicht wirklich umgehen. Wir leben in der permanenten Angst, dass die Natur uns bedrohen könnte. Das tut sie unvermeidlich, das Leben endet tödlich, und das Dasein hat seine Grenze. Das sollten wir akzeptieren. Schon die alten Römer sagten: Weise werden, heißt, zu sterben lernen.“

Dass diese Haltung den Menschen völlig fremd geworden sei, liege am Verlust der religiösen Perspektive. „Wir klammern uns fanatisch an die paar Jahrzehnte der Endlichkeit, setzen die Ärzte ein als Götter in Weiß.“ Er selbst ist zwar 2005 aus der Kirche ausgetreten, seinen Glauben an Gott und ein Weiterleben nach dem Tod hat er jedoch nicht verloren: „Ganz im Gegenteil. Die Perspektive ins Unendliche tröstet mich sehr und macht mir Mut, die paar Jahrzehnte hier auszuhalten. Ich stelle mit Erstaunen fest, dass ich mit 80 Jahren jetzt schon seit 15 Jahren zu einer Risikogruppe gehöre. Mir kommt das nicht riskant, sondern ganz normal vor.“

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Packshot WamS S1
Quelle: WELT AM SONNTAG

dpa/nas

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema