Die Anzahl der Flüchtlinge aus der Ukraine steigt täglich. Auch in Deutschland kommen immer mehr Menschen auf der Flucht vor Putins Gewaltherrschaft an. In vielen deutschen Großstädten wurden bereits Hilfsangebote an den dortigen Hauptbahnhöfen eingerichtet.
Die Versorgung der Flüchtlinge war auch Thema bei „hart aber fair“. Die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) kam dabei kaum aus der Vermarktung ihrer Hilfsangebote heraus. Mit SPD-Chefin Saskia Esken war sie sich einig, dass es aber eine Verteilung der Flüchtlinge in ganz Deutschland brauche.
Live zugeschaltet war in der Sendung der Gouverneur von Czernowitz im Südwesten der Ukraine, Sergiy Osachuk. Er forderte mehr Waffen und härtere Sanktionen gegen Russland. Offen dafür zeigte sich auch der Journalist Vassili Golod, der selbst russische und ukrainische Wurzeln hat.
Ein weiterer Gast in der Sendung war der Experte für Sicherheitspolitik, Markus Kaim. Der Kinderarzt Dirk Reinhardt berichtet von Hilfsaktionen für krebskranke Kinder aus der Ukraine.
Die Spaltungs-Sorge des Abends
„Es ist zumindest aus russischer Sicht ein willkommener, angenehmer Nebeneffekt, dass wenn die Flüchtlingsfragen in Europa steigen, wahrscheinlich Verteilungsfragen beginnen werden“, zeigte sich Kaim überzeugt. Die Flüchtlingsströme seien ein geeignetes Instrument, Europa zu spalten. Die Destabilisierung des Westens sei schon lange ein Ziel Putins gewesen, findet auch Esken: „Insofern müssen wir sehen, dass diese Brutalität auch weitergehen wird.“
Wie lange die Solidarität mit Flüchtlingen in Europa halte, hänge vom Kriegsverlauf ab, findet Kaim. Er erwarte auch innerhalb der EU Reibungen, „wenn die Flüchtlingszahl bei 12,5 Millionen“ liege. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher 2,8 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen.
„Sobald sie die Möglichkeit haben, in eine freie Ukraine, in ihr Land zurückzukehren, dann werden sie das selbstverständlich machen“, sagte Golod. Niemand wisse jedoch, wann dies der Fall ist.
Den Menschen müsse daher hierzulande das Gefühl von Sicherheit gegeben werden, dass sie in ihrer Heimat nicht haben.
Die Unterbringungs-Problematik der Sendung
Deutschland müsse sich auf viel mehr Flüchtlinge einstellen, mahnte Kipping. „Wir müssen hier auf Strecke agieren“, sagte die Berliner Sozialsenatorin. Ehrenamtliche Helfer müssten sich dessen bewusst sein. „Wir reden hier nicht nur von ein paar Wochen, sondern von Monaten, wenn nicht gar von Jahren“, befürchtete die Linken-Politikerin.
Nahezu wie in einer Werbeveranstaltung wirkten Kippings Schilderungen, welche Anstrengungen Berlin bei der Unterbringung der Menschen unternehme. Dabei teilte die Linken-Politikerin gegen andere Bundesländer aus, die in der Vergangenheit weniger Menschen untergebracht hätten. Dass erst vergangene Woche in Berlin die Registrierung ausgesetzt werden musste, weil das dortige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten nicht auf die Unterstützung der Polizei zurückgreifen wollte, ließ Kipping außen vor.
Einig waren sich Kipping und Esken, dass es eine Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland brauche. Ein Verteilerschlüssel sei „zumutbar, weil wir auch die Hilfe organisieren müssen“, fand die SPD-Chefin.
Wie die Hilfe vor Ort aussieht, schilderte der Essener Kinderarzt Dirk Reinhardt. Er betreut krebskranke Kinder aus der Ukraine. Über 110 Kinder seien bisher in Deutschland. Die Familien seien oftmals zerrissen: „Es wollten nicht alle hierher. Sie sind wegen der Krebserkrankung der Kinder hierhergekommen, um das Überleben der Kinder zu sichern.“
Der entschlossenste Gast des Abends
„Wenn ein Mörder kommt und sagt: ‘Ich will Dich umbringen‘ – dann gibt es zwei Möglichkeiten: aufzugeben oder dagegen zu kämpfen“, sagte Osachuk. Der ukrainische Gouverneur war in den 90er-Jahren als Stipendiat in Deutschland und spricht fließend Deutsch.
Darauf angesprochen, dass der Westen erst zu stärkeren Schritten bereit sei, wenn Putin einen Schritt weitergegangen ist, zog Osachuk einen Vergleich zur NS-Zeit: „Wenn nur 100.000 jüdische Mitbürger umgebracht wurden, war das zu wenig, aber sechs Millionen waren genug.“ Der Krieg müsse jetzt gestoppt werden.
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Eine Unterstützung für Flüchtlinge sei wichtig. In Europa brenne jedoch das Haus. „Bitte gebt uns das Feuerlöschkommando und nicht Reinigungskräfte“, forderte Osachuk. Es brauche auch härtere wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Die müssten Putin so wehtun, „dass er heute aufhört“. Es sei an der Zeit „ein putinfreies Europa gemeinsam“ aufzubauen.
Die Frage nach der richtigen Reaktion
Werden bald auch Soldaten der Nato in der Ukraine kämpfen? „Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts niemals sagen sollten“, findet Esken. Es dürfe nichts getan werden, was den Krieg über die Grenzen der Ukraine ausweiten könnte. Bereits mit Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet habe man bisherige rote Linien der deutschen Außenpolitik überschritten.
„Ich weiß nicht, was es bedeuten würde, wenn man in dieser Form eingreift“, sagte Golod, „ich kann so weit nicht in den Kopf von Wladimir Putin gucken.“ Jedoch habe der russische Präsident bereits das Wort Atomwaffen in den Mund genommen: „Dieses Risiko besteht.“
Die Ukraine könne fremde Staaten zur Unterstützung einladen, schlug Kaim vor: „Das wäre ein völlig legaler Vorgang, Truppen westlicher Staaten in den Kampf zu schicken.“ Von einer durch den Westen abgesicherten Flugverbotszone über der Ukraine hält Kaim nichts: „Es ist ein Unterschied, ob westliche Streitkräfte auf ukrainischem Territorium kämpfen und die Ukraine unterstützen oder russische Radaranlagen auf russischem Territorium bombardieren.“
Der umstrittenste Vorschlag des Abends
Plasberg spielt die Zuschrift einer Zuschauerin ein, die sich dafür ausspricht, auf Heizen und überflüssige Autofahrten zu verzichten. Mit einem gesunkenen Gas- und Ölkonsum könne man sich von Putin unabhängiger machen. „Alle Möglichkeiten, die nicht militärisch sind, müssen ausgeschöpft werden“, findet Golod, „diesen Krieg de facto mitzufinanzieren, ist untragbar.“
Die Zurückhaltung der Bundesregierung in dieser Frage sei verständlich, findet Kaim. Der Hauptkonsument sei die Industrie. „Da müssten wir ehrlich mit uns selber sein und sagen: Sind wir bereit höhere Kosten für Produkte in Kauf zu nehmen, gegebenenfalls Arbeitsplätze zur Disposition zu stellen und vieles andere mehr?“, fragte der Politikwissenschaftler.
Auch Kipping zeigte sich zurückhaltend. Die Betroffenheit hänge auch immer vom Einkommen ab: „Für die einen wäre es eine Einschränkung von Wohlstand, für die anderen würde es bedeuten, dass sie nicht mehr dahin kommen, wo sie wirklich ganz unbedingt hinmüssen.“