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Der große proletarische Held der DDR ist tot

Erwin Geschonneck Erwin Geschonneck
Quelle: dpa
Er war der "Hans Albers des Ostens", seine größte Rolle "Jakob der Lügner". Erwin Geschonneck stammte aus armen Verhältnissen und wurde zum bekanntesten Film- und Fernsehstar der DDR. Sein Widerspruchsgeist prägte alle seine Rollen. Am Mittwochmorgen ist er im Alter von 101 Jahren gestorben.

Er war störrisch und widerborstig sein Leben lang. Und schon zu Lebzeiten war er eine deutsche Film- und Theaterlegende. Er spielte in „Jakob der Lügner“, dem KZ-Drama von 1975, das die Welt bewegte und es als einzige ostdeutsche Produktion zu einer Oscar-Nominierung brachte. Nun ist der Schauspieler Erwin Geschonneck am Mittwochmorgen im Alter von 101 Jahren in Berlin gestorben.

Geschonneck war der "Hans Albers des Ostens". In seinem Bekanntheitsgrad wurde der ostdeutsche Volksschauspieler höchstens von Manfred Krug erreicht. Geschonnecks Markenzeichen war sein flottes Oberlippenbärtchen. Seine geradezu elementare Widerspruchshaltung speiste sich von seiner Herkunft aus kleinbürgerlich-proletarischen Kreisen – der Vater war Flickschuster und Nachtwächter, die Familie lebte zusammengedrängt in Berlins ärmster Gegend, in der Ackerstraße: der Sohn wollte es einmal besser haben und musste sich durchbeißen.

Großer Erfolg am Berliner Ensemble

Ebenso hat seine wechselvolle Biografie seine Lust am Widersprechen, am Widerstehen immer wieder neu gestärkt. Der abenteuerlustige, athletisch gebaute, blonde Draufgänger, der Schauspieler werden wollte, musste sich mühevoll durchs Leben schlagen. Er solidarisierte sich mit dem Proletariat der Zwanzigerjahre und verlor mit ihm 1933 den Kampf. Er emigrierte, zunächst nach Polen, dann in die CSR, dann in die Sowjetunion, damals das Ziel der Wünsche von vielen seinesgleichen.

Geschonneck wurde bald darauf ausgewiesen, er ging zurück nach Prag, geriet 1939 in die Fänge der Gestapo und durchstand die NS-KZ-Höllen Sachsenhausen, Dachau, Neuengamme. Er überlebte als einer von wenigen den Untergang des Evakuierungsschiffes „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht.

Mit 40 Jahren erst debütierte er als Schauspieler an den Hamburger Kammerspielen. Geradezu arbeits- und lebenswütig wollte der reife Mann nun nachholen, was ihm geraubt worden war. Er spielte zahlreiche Theater-Rollen, machte beim jungen Hamburger NDR Hörspiel, trat in kleinen Filmrollen bei Käutner und Liebeneiner in deren ersten Nachkriegsfilmen auf.


Aber er wollte und konnte Größeres, und Glück, Zufall und Brecht (an seinem frisch etablierten Berliner Ensemble) schufen ihm 1949 eine furiosen Berliner Start: über Nacht wurde der Matti des Erwin Geschonneck in Brechts Gutsherren-Komödie „Puntila“ zu einer europaweit gefeierten Spitzenleistung.

Fortan gehörte Geschonneck zu den wichtigen Protagonisten des deutschen Theaters. Sogleich griff der Film nach ihm: bei der ostdeutschen Filmgesellschaft Defa spielte Geschonneck als erstes einen – satirisch sehr überhöhten – Spitzel in Erich Engels Verfilmung der Altberliner Komödie „Der Biberpelz“ nach Gerhart Hauptmann (in der der einstige Ufa-Star Fita Benkhoff die Hauptrolle, die Mutter Wolffen, gab).

Nun folgten Film auf Film, später kam das Fernsehen hinzu. Geschonneck wanderte – aus welchen wirklichen Gründen auch immer – endgültig vom Theater zu Film und Fernsehen ab. Und mit Hilfe dieser Massenmedien wurde er in der DDR zum Star. Er war fleißig und arbeitete viel. Er wurde geehrt und vielfach ausgezeichnet. Er war und blieb angesehen bei vielen.

Vom Widerspruchsgeist efüllt

Gipfelpunkt dieser frühen Film-Jahre und bis heute eine frische, äußerst vergnügliche Film-Komödie war der gänzlich unorthodoxe Film „Karbid und Sauerampfer“ (1964, Frank Beyer): der Vegetarier-Arbeiter Kalle aus Dresden transportiert sieben Fässer mit lebensnotwendigem Karbid durch das kaputte Nachkriegsdeutschland zu seinem Betrieb – einfachste Stationen-Dramaturgie, voller Episoden mit Nachkriegsschicksalen, jähen und durchweg sehr komischen Wendungen, auch slapstick und dicke Klamotte, eine wirkliche Filmkomödie auch durch ihn.

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Seine wichtigsten Rollen waren stets von seinem Widerspruchsgeist gefärbt. Schon bald erkannte (oder erfühlte?) er, dass beispielsweise die sukzessive Heroisierung des antifaschistischen Widerstands im Film (und auch anderswo, das entsprach einer sich entwickelnden Staatsdoktrin der DDR) der Historie – und seiner eigenen Erfahrung – nicht gerecht wurde und zudem jugendliche Zuschauer immer weniger interessierte.

Zwar wurden, auch dank seiner Leistung, Frank Beyers Filme „Fünf Patronenhülsen“, 1960, und „Nackt unter Wölfen“, 1963, nach Bruno Apitz’ Buchenwald-Roman, und einige noch große Kino-Erfolge. Aber Geschonneck verweigerte sich der Tendenz und konnte sich mit seiner kräftigen Forderung nach wenigstens darstellerischer Differenzierung durchsetzen. Damit schuf er dann auch den Gestaltungsraum für Nachfolgendes, Ausnahmen ebenso inbegriffen wie Spielfelder für Kollegen.

DDR straft ihn mit wenig Kino-Angeboten

Mit gleicher Taktik ging er – vor allem in den Siebzigerjahren – an Rollenangebote, die die Gegenwart der DDR gestalteten. Glänzendes Beispiel: „Bankett für Achilles“ (1975, Roland Gräf), ein iher stiller, nachdenklicher Defa-Spielfilm, der den Schritt eines Werkmeisters in die Rente zeichnete. Die formlose und karge Verabschiedung des alten Mannes spiegelte auch eine herbe, nicht zu übersehende Kritik an den mörderischen Umwelt-Praktiken der DDR-Chemie-Industrie im Anhaltinischen (lange vor Monika Marons Roman „Flugasche“).

Prompt erntete der Film harsche Kritik, kein Verbot, sondern – fast schlimmer – langsames Verzögern im Kinoeinsatz, kaum öffentliche Erwähnung. Am längsten bedrückend blieb für ihn das Verbot eines Films nach jenem Kahlschlag-SED-ZK-Plenum 1965: „Berlin um die Ecke“ von Gerhard Klein.

Geschonneck spielte darin quasi sich selbst, einen alten erfahrenen Arbeiter, der sich bis zum Herzanfall um die Belange seines Betriebes kümmerte und unentwegt wollte, daß „diese Sache“ (der Betrieb, dieser „neue Staat“) gut werde und der darüber starb. (Der Szenarist Wolfgang Kohlhaase hatte übrigens diese Rolle seinem eigenen Vater nachgezeichnet.) Geschonnecks Biographie, sein Status als Star und auch seine vielen DDR-Auszeichnungen gestatteten ihm, offiziell die Rehabilitierung solcher und auch anderer Filme zu fordern. Das hat er gern und mit rhetorischem Feuer gemacht, erfolglos – bis zur Wende.

Biografie 60.000 Mal verkauft

Auch seine vehemente Kritik gehörte zum Untergangs-Geläut der DDR. Gleichwohl blieb er ihr in vielem verbunden, was Wunder bei solcher Biografie. Er engagierte sich für die PDS und gehörte deren Rat der Alten an. Wurden seine Filme gezeigt, so fand sich immer eine Art Geschonneck-Gemeinde ein, die mit DDR-Nostalgie eingefärbt war, aber doch stärker dem imposanten Mimen zugeneigt blieb. Die besondere Biografie machte, daß Geschonneck in der DDR ein Star per excellence war, aber niemals zum Star Europas oder wenigstens Osteuropas wurde, das Zeug dazu hatte er.

Dem alten Mann blieben im letzten Jahrzehnt wirklich wichtige Rollen versagt. Ein spätes Unikum besonderer Art bildet der Fernsehfilm „Matulla & Busch“ (1995) , eine harmlos-heitere Alt-Herren-Story. Sie gewann ihren Reiz aus der Tatsache, dass der Mime erstmals unter der Regie seines Sohnes Matti spielte – der Sohn war fernab von seinem Erzeuger aufgewachsen und hatte – quasi gegen ihn – zu künstlerischem Profil und Renommee gefunden.

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Geschonneck hatte noch zwei späte – sagen wir: Triumphe: er erhielt 1993 das Filmband in Gold (in seinem Verständnis eigentlich ein Lob von der „falschen“ Seite). Und seine Autobiografie „Meine unruhigen Jahre“, zu DDR-Zeiten seit 1984 in drei Auflagen mit 60.000 Exemplaren weit verbreitet, erlebte in einer Taschenbuch-Ausgabe des Berliner Aufbau-Verlages gute Verkaufsergebnisse.

Mit diesem Buch reiste er noch herum und las daraus, und er erzählte solche Geschichten aus seinem Leben (und aus dem Buch), bei denen er die Lacher allemal auf seiner Seite hatte, ein Mime halt. Seine Biografie und sein Widerspruchsgeist bleiben als Erinnerung wertvoll wie seine Filme, deren beste man immer mal wieder im Kino oder im Fernsehen sehen mag.

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