Bis zu seinem Tod verteidigte Erich Honnecker Mauerbau und Schießbefehl
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20 Jahre Honecker-Sturz: Uneinsichtig bis zum Schluss

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Nur zwei Monate vor seinem Sturz verkündete Erich Honecker noch am 14. August 1989: “Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs' noch Esel auf.“ Verurteilt wurde er nie.

Dass seine Zeit vorbei war, wollte Staats- und Parteichef Erich Honecker bis zum Schluss nicht einsehen. Erst auf Drängen des SED-Politbüros trat er am 18. Oktober 1989 „aus gesundheitlichen Gründen“ zurück. Zum neuen Generalsekretär des SED-Zentralkomitees wird auf seinen Vorschlag Egon Krenz gewählt. Auch dieser schien nicht verstanden zu habern, dass die Zeiten von Mauer und Abschottung gezählt waren. Aber schon Anfang November 1989 tanzten die Berliner auf der Mauer - dem Bauwerk, an dem bei Fluchtversuchen mehr als 130 Menschen getötet worden waren. Honecker als Planer des Mauerbaus schaffte es, einer Verurteilung zu entgehen.

Uneinsichtig bis zum Ende. Die blödesten Honecker-Aussagen:

Im März 1991 flüchteten er und seine Frau Margot nach Moskau, wo sie für einige Monate Unterschlupf in der chilenischen Botschaft fanden. Anfang 1993 schließlich ersparte ihm sein Leberkrebs einen Prozess und ermöglichte seine Ausreise nach Chile, wo er bei seiner Tochter lebte und im Mai 1994 starb. Die Mauer, an der auf sein Geheiß “bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schutzwaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden“ musste, betrachtet er bis zu seinem Tod als “antifaschistischen Schutzwall“. Zwar übernimmt er bei Prozessbeginn 1992 die politische Verantwortung für die Schüsse. Worte des Bedauerns findet er aber nicht.

DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker verdankte seinen Aufstieg einer “lupenreinen proletarischen Vergangenheit“, seinem Gespür und nicht zuletzt Vorgänger Walter Ulbricht. Geboren wurde Honecker am 25. August 1912 als Kind eines Bergmanns und KP-Funktionärs in Neunkirchen/Saar. Nach leitenden Funktionen in der kommunistischen Jugend und langer Haft während der Nazizeit stieg er bereits 1946 ins Zentralkomitee der SED auf und übernahm bis 1955 den Vorsitz der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Im Politbüro für Sicherheitsfragen zuständig, organisierte er 1961 den Bau der Mauer.

“Mann von beschränkter Urteilskraft“

Der weitere Aufstieg des “Spießers mit Machtinstinkt“ (“Neue Zürcher Zeitung“) ist unaufhaltsam: 1971 löst er seinen einstigen Ziehvater Walter Ulbricht als Parteivorsitzenden ab, von 1976 an ist er auch Staatschef. Außenpolitisch bemüht sich Honecker um die Anerkennung der DDR. Er erreicht den Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik und die Aufnahme in die UNO 1973. 1981 empfängt er Bundeskanzler Helmut Schmidt, der ihn später als “Mann von beschränkter Urteilskraft“ beschreibt, der allen Ernstes geglaubt habe, “die DDR habe wirtschaftlich Weltklasseniveau erreicht und gehöre zu den bedeutendsten Industrienationen der Welt“. Honeckers wohl größter außenpolitischer Erfolg folgt im September 1987, als ihn Helmut Kohl in Bonn mit militärischen Ehren empfängt - allerdings zu einer Zeit, als die DDR im Westen längst mit Milliarden in der Kreide steht.

Nach seinem Sturz war Erich Honecker ein Gejagter der Justiz - doch zu einer Verurteilung im Zusammenhang mit dem DDR-Unrechtsregime kam es nicht. Nach der Untersuchungshaft konnte der schwerkranke Honecker noch knapp anderthalb Jahre in Freiheit bei seiner Familie in Chile verbringen. Im Mai 1994 starb er dort im Alter von 81 Jahren. Bis zu seinem Tod blieb der gestürzte Altkommunist seinen Idealen treu. Noch im Dezember 1991 rief er die Ostdeutschen “zum aktiven Widerstand auf, um die sozialen Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen“.

Auch vor dem Berliner Landgericht revidierte Honecker seine Überzeugungen nicht. In seiner Verteidigungsrede im Dezember 1992 übernahm er zwar für die politische Verantwortung für die Toten an Mauer und Stacheldraht, doch sei er “ohne juristische oder moralische Schuld“. Zudem habe die DDR bewiesen, “dass Sozialismus möglich und besser sein kann als Kapitalismus“, resümierte er. Vor einem Lebensende im Gefängnis bewahrte den einst mächtigsten Mann der DDR eine schwere Leberkrebserkrankung: Auf Veranlassung des Berliner Verfassungsgerichtshofes wurde der im November 1992 eröffnete Prozess wegen der Tötung von Flüchtlingen an Mauer und Stacheldraht gegen Honecker eingestellt. Seine ehemaligen Mitangeklagten wurden 1993 zu Freiheitsstrafen zwischen vier- und siebeneinhalb Jahren verurteilt. Honecker blieb unbestraft.

“...den bestraft das Leben“

Das Ende der Macht Honeckers kam dann auch weitaus schneller als erwartet. In Moskau, wo Michail Gorbatschow Perestroika und Glasnost einziehen lässt, verliert Honeckers Altmänner-Clique immer mehr an Rückhalt. “Gorbatschow hielt ihn für einen ziemlich dummen Menschen, der sein Land verkommen lässt und unsere Politik kompromittiert“, zitierte der “Spiegel“ kürzlich den einstigen Gorbatschow-Vertrauten Anatoli Tschernajew. Auf den im Sommer 1989 einsetzenden Massenexodus von DDR-Bürgern hat Ostberlin keine Antwort mehr. Geradezu gespenstisch wirken die pompösen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989, als Gorbatschow dem Genossen den - in der Formulierung seines Pressesprechers sprichwörtlich gewordenen - Satz “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ ins Stammbuch scheibt. Elf Tage später ist Schluss.

Susanne Sasse, dpa/AP

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