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FOCUS Magazin | Nr. 52 (1993)
HONECKERS KREBSLEIDEN: Mysteriöse Theorie
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Abenteuerliche Deutung für das lange Leben: Krebsgeschwulst von Chirurg eingepflanzt

Erich Honecker hörte das Gutachten der Ärzte wie ein Todesurteil: Seine „restliche Lebenserwartung wird auf drei bis sechs Monate, gerechnet ab 4. 12. 1992, geschätzt“. Das war vor einem Jahr. Ein bösartiger Lebertumor – „mit mittlerer bis höherer Geschwindigkeit wachsend“ – hätte den Kranken eigentlich in diesem Sommer hinraffen müssen. Honecker aber, inzwischen 81, lebt gepflegt im fernen Chile.

Ein Wunder? Oder ein Chirurgentrick, ausgeheckt in den letzten Tagen der DDR? Das behauptet jedenfalls ein mysteriöser Selbstbezichtiger schlüssig und in einwandfreier Medizin- terminologie. Noch vor der Flucht Honeckers nach Moskau habe ein „Genosse Kr.“ (wie Krenz?) den Facharzt für plastische und Wiederherstellungschirurgie gefragt, „wie man etwa eine Krebserkrankung mit ärztlicher Hilfe simulieren könnte“. Antwort: „Für mich wäre es kein Problem, einen malignen (bösartigen) Tumor so vorzutäuschen, daß jeder Sachverständige die Diagnose ,schnell wachsendes Malignom mit nur kurzer Lebenserwartung stellen würde.“

Angesprochen, ob er einen solchen Eingriff wagen würde, sagte er ja. Mit lokaler Betäubung habe er einen sogenannten Expander – einen Dehnkörper – eingesetzt. In diesen spritzte er ein Gel und ein Gemisch aus Röntgenkontrastmitteln. Der Trick: „Wird das ,Malignom- nicht mehr benötigt, kann es problemlos abpunktiert und in Kurznarkose entfernt werden.“ Patient sei Erich Honekker gewesen, das Honorar „in DM mit sechs Nullen“ ausgezahlt worden.

Die phantastische Erzählung kam dem emeritierten Freiburger Pathologen Professor Hans Girgensohn zu Ohren. Canarische Freunde (denen der vorgebliche Honecker-Chirurg an der Playa del Ingles „durch protziges Geldrausschmeißen“ auffiel) fragten, „ob ich diese unglaubliche Geschichte für möglich hielte, was ich bejahe“.



FOCUS legte die Schilderung des angeblichen Verlaufs der Tumormanipulation mehreren Ärzten vor. Übereinstimmendes Urteil: „Möglich und machbar.“

Eingehenden Prüfungen jedoch hielte ein derart vorgetäuschtes Karzinom nicht stand. Der Direktor der Erlanger Universitätsklinik, Professor Eckhart G. Hahn: „Wenn tatsächlich ein Arzt sich für einen solchen kriminellen Versuch hergeben würde, hätte er jedenfalls keine Ahnung von bildgebender Diagnostik und wenig Vertrauen in die Kunst der Anamnese (Krankenvorgeschichte) und körperlichen Untersuchung.“

Allenfalls könnten Gutachter aufgrund des eingespritzten Kontrastmittels auf die Verkalkung eines Tumors schließen. Die ist freilich mit ultraschall- oder computertomographie- gesteuerter Punktion zu entlarven. Hahn: „Damit hätte man die eindeutige Diagnose. Wenn der Patient allerdings die Untersuchungen verweigern und eine Punktion ablehnen würde, müßte man sich mit Aussagen über den Befund völlig zurückhalten und könnte weder über die Natur noch über den voraussichtlichen Verlauf eine verwertbare Aussage machen.“

Im übrigen falle einem Arzt die Operationsnarbe auf, auch wenn sie völlig abgeheilt sei: „Angaben des Patienten, daß die Narbe durch Biopsie – eine Gewebeentnahme – oder ähnliches entstanden ist, würde einer bei uns üblichen genauen Überprüfung nicht standhalten.“

Freilich muß der Patient mitspielen. Hahn: „Wenn die betreffende künstliche ,Geschwulst- wirklich dicht unter der Haut deponiert werden würde, könnte man auch an der Konsistenz vermuten, daß es sich nicht um einen soliden Tumor, sondern um einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum handelt.“ Das sei natürlich an die Erlaubnis des Patienten zu einer solchen Untersuchung gebunden.

Noch am Tag vor seinem Abflug nach Chile hat Honecker jede weitere Untersuchung – Punktion eingeschlossen – verweigert. So hält sich denn bis heute unter kritischen Juristen und argwöhnischen Medizinern hartnäckig der Verdacht, Honecker leide gar nicht unter einem tückischen Tumor. Diese Mutmaßung hatte, im Prozeß belächelt, der Chirurg Julius Hackethal schon letztes Jahr auf den Punkt gebracht: „Die Krebsdiagnose bei E. H. ist nicht gesichert, weil das laut Schulmedizin wichtigste Kriterium fehlt, nämlich der mikroskopische Krebsbeweis.“ Das Mißtrauen also bleibt. Sicher ist nur: Das Jahr ist zu Ende, Erich Honecker lebt.
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