1 Die politische Kultur im SED-Einheitsstaat

Das Feld der politischen Kulturforschung wird in aller Regel durch die Betrachtungen demokratischer Staaten dominiert. Bei der nachfolgenden Analyse der politischen Kultur der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Bezug auf Rücktritte aus politischen Ämtern können die Erkenntnisse dieses Feldes daher nur als Impulse fungieren. Zudem sei auch gesagt, dass es sich im Folgenden nicht um eine erschöpfende Replika der verschiedenen Aspekte der politischen Kultur des ehemaligen ostdeutschen Staates handelt. Vielmehr wird versucht, in essayistischer Weise und anhand zweier Beispiele herauszuarbeiten, inwiefern sich im Staat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) eine spezifische politische Kultur der Rücktritte entwickelte und was deren Merkmale waren. Der Fokus liegt dabei auf der Frage: Inwieweit wurden Rücktritte von der politischen Bühne von äußeren Faktoren wie der Stimmung innerhalb der Bevölkerung oder den Zielen der ideologischen Führung in Moskau beeinflusst?

1.1 Das Idealbild einer sozialistischen politischen Kultur

Die politische Kultur einer Nation ist ein Konstrukt, das sich zu einem nicht unbeachtlichen Teil aus Traditionen und der Geschichte des Landes speist. Dies gilt sowohl für demokratisch als auch autoritär geprägte Staaten. Für Deutschland wird deswegen bis heute oft die Frage gestellt, inwieweit sich noch Spuren von obrigkeitsstaatlichen, autoritären und antidemokratischen Zügen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen, finden lassen. Auch wenn die SED unablässig am antifaschistischen Gründungsmythos festhielt, würde dies Voraussetzungen bieten, die in Einklang mit einer autoritären politischen Kultur stehen. Ebenso knüpfte die SED an einen traditionellen Aspekt der deutschen politischen Kultur an, welcher einen höheren Fokus auf die Gesellschaft als Ganzes als auf das Individuum an sich legt (vgl. Sontheimer 1990, S. 64). Anhand dessen könnte möglicherweise schon prognostiziert werden, dass Rücktritte von Politiker*innen in der DDR von den Bürger*innen nicht sonderlich beachtet wurden, da die Partei und nicht der*die Politiker*in im Vordergrund stand.

Einen jedoch noch weitaus größeren Einfluss hat das politische System auf die Ausgestaltung der politischen Kultur. Verfassungsnormen und institutionelle Strukturen bilden einen Rahmen, in dem es dann vor allem die politischen Institutionen und deren Träger*innen sind, die die Wertvorstellungen, die Partizipation und alle weiteren Aspekte der politischen Kultur beeinflussen (vgl. ebd., S. 15 f.).

Im Fallbeispiel der DDR kann in diesem Zusammenhang von einer politischen Zielkultur gesprochen werden, die sich nicht natürlich aus der Interaktion der Bevölkerung und der Regierung ergeben hat, sondern von der SED vorgegeben wurde. Bei dieser sozialistischen Zielkultur ist es unabdinglich zwischen zwei Facetten zu differenzieren. Dies wäre zum einen die offizielle, vom Staat propagierte und zum anderen die inoffizielle, unter den Bürger*innen im Privaten vorherrschende und praktizierte politische Kultur (vgl. ebd., S. 60).

Wie alle Aspekte des öffentlichen Lebens, war auch die politische Kultur im ostdeutschen Staat ausgerichtet an der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Somit stand im Zentrum der sozialistischen Zielkultur die sozialistische Lebensweise. Der neue sozialistische Mensch sollte sich für die Angelegenheiten der sozialistischen Gesellschaft einsetzen, dafür forderte die Staatsführung offiziell eine aktive Beteiligung ihrer Bürger*innen. Gebilligt wurde diese allerdings nur, solange sie sich im Rahmen der Ziele der Partei bewegte (vgl. Lemke 1991, S. 13). Dabei schlossen sich die Selbstbestimmung der Bürger*innen und deren Fremdbestimmung durch die Partei für die SED nicht logisch aus (vgl. Rossade 1997, S. 364). Die Meinung der DDR-Bevölkerung hatte folglich keinen großen Einfluss auf Personalentscheidungen der Einheitspartei.

1.2 Die politische Kultur im realexistierenden Sozialismus

Wie bereits angedeutet herrschte eine große Diskrepanz zwischen dem, was die SED der Bevölkerung offiziell vorschrieb und der praktischen Umsetzung dessen. Die ständige Propaganda und geforderte Partizipation führten bei vielen Bürger*innen eher zu einer gegensätzlichen Reaktion, welche sich in politischem Desinteresse und Teilnahmslosigkeit äußerte. Auch wenn die Partizipation in der sozialistischen Gesellschaft sehr hoch war, motivierte sich diese doch eher aus Routine und erzwungener Konformität. Der 17. Juni 1953 hatte allen DDR-Bürger*innen gezeigt, was einem system-konträren politischen Aktivismus droht. Aus dieser Erfahrung heraus entstand die weitverbreitete Resignation und Flucht ins Private.

Wie bereits erwähnt, wurde die politische Kultur neben der politischen Apathie auch durch das politische System an sich beeinflusst. Ein zentraler Bestandteil dessen ist die Legitimation dieses Systems innerhalb der Bevölkerung. Wie rechtmäßig und gerecht wurde die SED-Herrschaft eingeschätzt? Der Journalist Hermann Rudolph (1972, S. 104) kam in diesem Zusammenhang zu folgender Antwort: „Je seltener man Schlange stehen [musste], je geringer die Gefahr [war], einer extensiven Justiz ausgesetzt zu sein, je mehr die individuelle Leistung geachtet und prämiert [wurde], je genauer schließlich die Lebensaussichten einschließlich der Erwartung eines gemäßigten Wohlstandes zu kalkulieren [waren] – desto größer [wurde] die Neigung, der DDR insgesamt und damit auch ihrem politischen System Rechtmäßigkeit zuzubilligen.“ Dies, gepaart mit der vorherrschenden politischen Gleichgültigkeit der DDR-Bevölkerung, lässt vermuten, dass solange die Regierung für die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bürger*innen sorgen konnte, diese wenig Interesse an politischen Personalwechseln gezeigt haben werden.

Um herauszufinden, ob in der DDR eine spezifische Kultur der Rücktritte vorherrschte, liegt der Fokus auf der Stellung der Politiker*innen, insbesondere auf denen der SED. Bezeichnend für die Herrschenden in der DDR ist, dass diese stets darauf konzentriert waren, sich von ihren Kolleg*innen im Westen abzugrenzen, indem der Kontrast zwischen dem ausbeuterischen Kapitalismus und dem fortschrittlichen Sozialismus herausgearbeitet wurde. Die fehlende Konkurrenz und der Vergleich mit anderen Politiker*innen innerhalb der DDR, könnte ein weiteres Indiz dafür bilden, dass der personelle Faktor nur eine untergeordnete Rolle spielte (vgl. Sontheimer und Bleek 1973, S. 48). Dies stünde auch im Einklang mit der Eigenart der SED-Herrschaft, alle Erfolge des Systems der Einheitspartei zuzuschreiben. Im Umkehrschluss wurden jedoch auch alle Misserfolge der SED zugeschrieben. Durch einen nur schwach ausgebildeten personellen Faktor waren Rücktritte in der DDR seltener die Reaktion auf das politische Versagen einer einzelnen Person, sondern stärker durch innere Machtkämpfe und persönliche Faktoren bedingt.

Diese grundlegenden Überlegungen lassen weiterhin die Frage unbeantwortet, inwieweit die öffentliche Meinung in die Entscheidung zu einem Rücktritt einbezogen wurde? Anhand des Führungswechsels von Walter Ulbricht zu Erich Honecker (03.05.1971) und von Erich Honecker zu Egon Krenz (18.10.1989) soll darauf eine Antwort gefunden werden. Die Analyse beschränkt sich u. a. deshalb nur auf diese beiden Beispiele, da diese von einer breiten Öffentlichkeit im In- und Ausland wahrgenommen wurden und für die SED jeweils einen Kurswechsel bedeuteten. In beiden Fällen zeigt sich, nach welchen Regeln in der Einheitspartei gespielt wurde, und was passieren musste, damit Mitglieder aus diesem Spiel ausgeschlossen wurden. Auf Grund der Begrenzung auf diese beiden Rücktritte wird nicht beansprucht, das Themenfeld vollständig zu erschließen. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass auf Grund des spezifischen Aufbaus der SED, Rücktritte in unteren Gremien differenziert von denen aus dem Zentralkomitee (ZK) der SED und dem Politbüro betrachtet werden müssen.

2 Die Praxis politischer Rücktritte in der DDR

Der Artikel 24 des Statuts der SED (i. d. F. v. 1963) besagt, dass der „Personenkult und die damit verbundene Verletzung der innerparteilichen Demokratie (…) unvereinbar mit den Leninschen Prinzipien des Parteilebens [sind] und (…) in der Partei nicht geduldet werden [können].“ Dennoch wird bspw. bei einer Betrachtung politischer Lyrik, der Namensgebung einiger Brigaden oder auch nur der Bilderauswahl in Kindergärten (vgl. bspw. Stern 1963, S. 237 f.) deutlich, dass der jeweils amtierende Parteiführer im Leben der DDR-Bürger*innen allgegenwärtig war.

Dabei gab es gewisse Faktoren, die eine schnelle Erklimmung der Partei-Karriereleiter ermöglichten und zudem die persönliche Stellung in der SED stärkten. Dazu gehörte bspw. die Verbindung nach Moskau. Keine Analyse der politischen Prozesse in der DDR kann unabhängig von einer Betrachtung der Sowjetunion vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang stand für Politiker*innen eine ideologische Nähe zu Moskau und die Anerkennung des Allmachtsanspruchs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) als Basis für eine erfolgreiche Parteikarriere. Dabei sollte erwähnt werden, dass sich die Spitze der KPdSU nie aktiv in die Personalentscheidungen der SED einmischte, jedoch eine solche Entscheidung auch nie ohne die Absicherung aus dem Kreml vollzogen wurde.

Ebenso wurde großer Wert auf die proletarische Disziplin, eine freiwillige Selbstdisziplin gelegt, welche voraussetzte, dass es zwischen den persönlichen und den Interessen der Partei keinerlei Widersprüche gab (vgl. Riklin und Westen 1963, S. 155). Dies war vor allem für die Außenwirkung der Partei entscheidend. Wie im Lied der Partei wenig subtil allen DDR-Bürger*innen vermittelt wurde, stand im SED-Staat nichts über der Unfehlbarkeit der Einheitspartei. Im Artikel 2h) des Statuts der SED (i. d. F. v. 1963) wurden die Mitglieder der Partei zwar aktiv dazu aufgefordert, „die Kritik und Selbstkritik von unten in jeder Weise zu fördern“ (Riklin und Westen 1963, S. 194), dennoch mussten Politiker*innen, die sich öffentlich kritisch gegenüber Beschlüssen oder der allgemeinen Parteilinie äußerten, nicht selten mit negativen Konsequenzen leben. Dieser Widerspruch in sich, erscheint in Bezug auf die Rücktrittskultur noch willkürlicher, da es im oben zitierten Artikel weiterhin heißt: „Mängel in der Arbeit [sind], ohne Ansehen der Person, den leitenden Parteiorganen bis zum Zentralkomitee zu melden.“ (Ebd.) Unter diesem Anspruch dürften individuelle politische Fehlhandlungen nicht zu den Rücktrittsbegründungen von DDR-Politiker*innen gehört haben. Dies gilt vor allem für die oberste Führungsriege, deren Handeln synonym für die Partei stand.

Wenn zwar ungeklärt bleibt, in welchem Rahmen und Ausmaß Kritik akzeptiert worden wäre, so ist doch zumindest eindeutig, wer diese formulieren durfte. Allein der exklusive Kreis der Politbüromitglieder/-kandidat*innen und die ZK-Angehörigen konnte in diesen Gremien Kritik über Kolleg*innen äußern und somit die Diskussionen über deren Rücktritt in Gang setzen. Jedoch geschah auch dies, vor allem mit steigendem Rang des bestreffenden Mitglieds, nur selten. Auch im Fall Ulbricht und Honecker wird deutlich, dass es lange dauerte, bis die Genoss*innen öffentlich und direkt ihre Kritik an ihren Parteiführern äußerten. Wie die Kritiker*innen im Einzelnen dabei vorgegangen sind wird im Folgenden erläutert.

2.1 Der erste Führungswechsel der SED – Der Schüler fordert den Lehrer zum Rücktritt

2.1.1 Politischer Werdegang Walter Ulbrichts

„Die stärkste Figur in der sowjetischen Zone ist Walter Ulbricht (…). Über seinen Charakter sind sich alle Beobachter[*innen] einig, die ihn aus der Nähe kennengelernt haben: einer der ganz wenigen deutschen Kommunist[*innen], die es an eisiger Kälte mit den russischen Führern aufnehmen können; daher einer der wenigen, dem sie ganz vertrauen (…) ein Mann nicht ohne Scharfblick, und im Ganzen von der furchtbaren Einseitigkeit des Denkens und Handelns, die das Wesen der Weltanschauung seiner Partei ausmacht.“ (Ehren 1950; vgl. Frank 2001, S. 217) Diese, bereits sehr umfassende Beschreibung bekamen am 26. Juli 1950 die Bürger*innen der Bundesrepublik zu lesen, nachdem einen Tag zuvor Walter Ulbricht auf dem III. Parteitag der SED einstimmig zu deren Generalsekretär gewählt wurde (vgl. Frank 2001, S. 217). Solch eine Charakterisierung hätte für Journalist*innen in der DDR im schlimmsten Fall eine Verhaftung bedeutet. Nichtsdestotrotz enthält sie viele Aspekte, die in der SED hoch angesehen waren und damit seine steile Parteikarriere erklären.

An vorderster Stelle sei hierbei seine Arbeitsbesessenheit in Kombination mit einem absoluten Durchsetzungsvermögen und einem ausgereiften Machtbewusstsein zu nennen. Walter Ulbricht kann zu keinem Zeitpunkt seiner Amtszeit als ein primus inter pares bezeichnet werden, auch wenn dies dem im Parteistatut (i. d. F. v. 1963) formulierten Anspruch der kollektiven Leitung widersprach. Ulbrichts Drang danach, ständig über alle Vorgänge im In- und Ausland, in der Partei und in der Bevölkerung Bescheid zu wissen, verschaffte ihm vor seinen Genoss*innen einen entscheidenden Wissensvorsprung. Dieser ermöglichte ihm u. a. Parteibeschlüsse nach seinem Gusto auszuführen, da die Mehrheit der Politbüromitglieder thematisch nichts entgegenzusetzen wusste. Unterstützt wurden diese häufigen Alleingänge durch die Angst vieler Parteimitglieder, dem Parteiführer gegenüber ihre Meinung zu äußern (vgl. Stern 1963, S. 150). In diesem Zusammenhang zogen nicht wenige Wissenschaftler*innen den Vergleich zu einer der kaltblütigsten Persönlichkeiten des Sowjetsozialismus: Joseph Stalin. Für Ulbricht war, wie auch für Stalin zuvor, die radikale Konsequenz aus Lenins Programm: „[W]enn die Partei als Organisation das wichtigste Instrument wird, dann muss der die meiste Macht in Händen halten, der innerhalb der Organisation führt, indem er alles über die Funktionär[*innen] weiß, [und über] ihr Schicksal und ihren Platz in der Hierarchie entscheidet.“ (Zwerenz 1966, S. 11)

Auch mit Stalins Nachfolger, Nikita Chruschtschow, teilte der SED-Führer staatliche Ziele. Im Rahmen seiner zahlreichen Wirtschaftsreformen wurde Walter Ulbricht häufig mit dem Motiv „überholen ohne einzuholen“ in Verbindung gebracht. Dies trifft seinen Anspruch für den ostdeutschen Staat jedoch nicht exakt. Wie Chruschtschow war es auch Ulbricht ein Anliegen mit dem Sozialismus den Kapitalismus zu überholen und somit dessen Überlegenheit zu manifestieren (vgl. Stern 1963, S. 189).

Doch auch wenn die vorgegebene Richtlinie aus Moskau nicht immer mit Ulbrichts Vorstellungen d’accord ging, bremste ihn das nicht aus. In einigen Krisensituationen seiner Amtszeit schaffte er es mit Hilfe einer stark ausgeprägten ideologischen Wandlungsfähigkeit, zumindest nach außen, den Schein von Konformität zu waren. So bspw. nach dem XXII. Parteitag der KPdSU, auf dem Chruschtschow einforderte mit dem Stalinismus zu brechen. Da Ulbricht bewusst war, dass im Zuge einer Entstalinisierung auch der Kult um seine Person kritisiert werden würde, reihte er sich öffentlich in die Menge der Stalin-Kritiker*innen ein, ohne selbst Handlungsbedarf zu verspüren (vgl. Frank 2001, S. 315).

Die engen Kontakte des Generalsekretärs zur sowjetischen Führungsspitze verschafften ihm lange Zeit eine stabile Basis dafür, um einen vollumfänglichen Kommunismus in der DDR umzusetzen. Dieses Fundament begann erst mit der Regierungszeit Leonid Breschnews zu bröckeln. Dem neuen Generalsekretär der KPdSU missfiel es u. a., dass Ulbricht für die DDR innerhalb des Ostblocks eine Sonderrolle beanspruchte. Zudem konnte er nichts mit Ulbrichts Bestreben anfangen, den wirtschaftlichen Rückstand mit einer stärkeren Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung aufzuholen. Für Breschnew standen militärische Interessen und die Erhaltung des Status quo im Vordergrund (vgl. ebd., S. 361 f.).

Walter Ulbricht konnte für die längste Zeit seiner Führungstätigkeit jedoch nicht nur auf die Unterstützung aus Moskau zählen, sondern auch auf einen einflussreichen Befürworterkreis im Politbüro. An vorderster Spitze sind hier Erich Honecker und Erich Mielke zu nennen. Loyalität gegenüber seiner Person belohnte Ulbricht mit seiner Protektion und Beförderungen. Im Juni 1958 veranlasste er bspw. die Ernennung Honeckers zum Vollmitglied des Politbüros des SED (vgl. ebd., S. 271). Wer es hingegen wagte sich gegen den Generalsekretär zu stellen, musste mit einer politischen Diffamierung rechnen. Besonders deutlich wird dies im Fall der Entmachtung von Ernst Wollweber und Karl Schirdewan. Beide wurden auf Grund des Vorwurfes der Fraktionstätigkeit im Juni 1958 aus allen Parteiämtern enthoben. Noch Jahre später hatten nicht nur die zwei ehemaligen SED-Politiker, sondern auch deren Familienangehörige mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu kämpfen (vgl. Schirdewan 1994, S. 145–158).

2.1.2 Formierung der Ulbricht-Opposition

Auf Grund dieses rigorosen Vorgehens gegen seine Kritiker*innen konnte Walter Ulbricht für lange Zeit seinen politischen Kurs ungehindert umsetzen. Erst mit dem Sturz Chruschtschows bot sich eine aussichtsreiche Gelegenheit für seine Widersacher*innen, die sich um das Ehepaar Honecker gruppierten, eine geschlossene Opposition zu bilden. Erich Honecker, der auf Grund seiner Position als Politbüromitglied, ZK-Sekretär für Leitende Parteiorgane und Massenorganisationen und ZK-Sekretär für Sicherheit als zweit-wichtigster Mann in der SED galt, stellte für Ulbricht den größten Konkurrenten dar. Zudem pflegte Honecker gute Kontakte zu Leonid Breschnew, dem er auch ideologisch nahestand. Auslöser für den Seitenwechsel des bis dato treuen Ulbricht-Jüngers, war u. a. Ulbrichts Kritik an der Organisation der FDJ (vgl. Frank 2001, S. 357).

Das Vorgehen der Honecker-Gruppe zeichnete sich vorerst nicht durch offene Kritik am SED-Führer aus, sondern durch verschiedene Initiativen, die seine Reformen schrittweise annullieren sollten und z. T. seine Verbündeten von der politischen Bühne schmissen. Hier zu nennen wäre Kurt Tuba, der Leiter der Jugendkommission, den Walter Ulbricht im Zuge der Revidierung seiner Jugend- und Kulturpolitik opferte, um seine eigene Macht zu sichern (vgl. ebd., S. 365). Vorerst weitestgehend unbeeindruckt von dieser Gegenwehr setzte Ulbricht seine politischen Alleingänge fort, was seinen Kritiker*innen nur in die Karten spielte.

Der Konflikt zwischen Ulbricht und seinen Widersacher*innen schaukelte sich bis Anfang der 1970er-Jahre so hoch, dass sich die Gruppe dazu entschloss, kurz vor der 15. Tagung des ZK einen Brief an die KPdSU-Führung zu verfassen. Erneut scheute man die direkte Konfrontation mit dem Generalsekretär. Die Verfasser*innen kritisierten seine Alleingänge und hoben alle Eigenschaften hervor, von denen bekannt war, dass sie Breschnew besonders an dem SED-Führer störten (vgl. Kaiser 1997, S. 433; für den Wortlaut des Briefes vgl. Völklein 2003, S. 299–301). Wenn diese Aktion auch nicht zu einem direkten Handeln aus Moskau führte, wurde Honecker von Breschnew doch damit vertröstet, dass Ulbricht auf Grund der Vormachtstellung der Sowjetunion keinen großen politischen Schaden mehr anrichten könne. Sein Alter würde ihn ohnehin bald zum Rücktritt zwingen und Honeckers Stellung in der SED sei schon so gefestigt, dass seine Nachfolge auf Ulbrichts Posten außer Frage stehe (vgl. Kaiser 1997, S. 380). In allen drei Punkten behielt der KPdSU-Führer recht.

Die kontinuierliche und fortan direkte Kritik zehrte immer weiter an dem ohnehin schon angeschlagenen Ulbricht. Dieser lies infolgedessen am 3. Mai 1971 Folgendes verkünden:

„Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, das Zentralkomitee auf seiner heutigen Tagung zu bitten, mich von der Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED zu entbinden. Die Jahre fordern ihr Recht und gestatten es mir nicht länger, eine solche anstrengende Tätigkeit wie die des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees auszuüben. Ich erachte daher die Zeit für gekommen, diese Funktion in jüngere Hände zu geben“ (Walter Ulbricht zit. nach Spittman 1971, S. 547).

In der eigens für ihn geschaffenen Position des Ehrenvorsitzenden versuchte Walter Ulbricht in der Folgezeit, die politische Agenda der SED weiterhin mitzugestalten. Sein Nachfolger Erich Honecker hingegen wollte sicherstellen, dass Ulbricht vollständig entmachtet wurde. In diesem Zuge löste er Ulbrichts Strategischen Arbeitskreis auf und ließ sich von der Volkskammer zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates wählen, ohne dass Ulbricht vorher durch diesen abgewählt wurde oder zurücktrat (vgl. Frank 2001, S. 426 f.). Politbüro-Beschlüsse, die es ihm verbaten an Feierlichkeiten wie denen zum 23. Jahrestag der DDR-Gründung zu erscheinen, zeigen, dass er auch aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis gelöscht werden sollte (vgl. ebd., S. 438 f.). „Zum Ende seiner politischen Laufbahn erfuhr Ulbricht am eigenen Leibe den erniedrigenden Umgang eines Systems, das er maßgeblich mit geschaffen hatte, und die skrupellose, verlogene und menschenverachtende Art der ‚Kader‘, die durch seine politische Schule gegangen waren.“ (Kaiser 1997, S. 545)

2.2 Der zweite Führungswechsel der SED – Mit dem Parteichef scheitert die Partei

2.2.1 Die FDJ als Sprungbrett zur Parteispitze

„Am 4. Mai 1945 meldete sich ein magerer, blasser junger Mann bei der Stadtkommandantur der Roten Armee in Berlin. Er sei schon vor der faschistischen Diktatur Spitzenfunktionär im Jugendverband der KPD gewesen […]. Jetzt wolle er am Wiederaufbau Deutschlands mitwirken, natürlich in Diensten der KPD.“ (Frank 2001, S. 410) Der junge Erich Honecker wurde direkt an Walter Ulbricht weitergeleitet. Diese erste Begegnung besiegelte eine über 20 Jahre andauernde intensive berufliche Zusammenarbeit der später wichtigsten Männer der DDR.

Erich Honecker begann seine SED-Karriere, wie schon zu KPD-Zeiten, in der Jugendarbeit der Partei. Dem jungen Funktionär gelang es durch seine kontaktfreudige Art eine Verbindung zur DDR-Jugend aufzubauen und diese für die Politik der SED zu begeistern. Diese Arbeit schätzte Walter Ulbricht sehr und nahm den Saarländer fortan in seine Lehre (vgl. Przybylski 1991, S. 68 und 76). Ihm hatte es Honecker auch zu verdanken, dass er für politische Fehler, wie die mangelhafte Organisation der Weltfestspiele der Jugend 1951, vom Politbüro nie zur Verantwortung gezogen wurde. Als sich die Kritik am Genossen Honecker jedoch häufte, entschied sich Ulbricht im Sommer 1955 dazu, seinen Lehrling für ein Jahr auf die Moskauer Hochschule des ZK der KPdSU zu schicken (vgl. Przybylski 1991, S. 78 und 82).

Seinen größten politischen Erfolg erzielte Erich Honecker mit der Planung und Errichtung der innerdeutschen Grenze. Während die politische Entscheidung für die Mauer durch Ulbricht und Chruschtschow getroffen wurde, war Honecker für die militärische und organisatorische Umsetzung verantwortlich. Dabei muss anerkannt werden, dass es viel organisatorisches Talent seitens Honeckers voraussetzte, dass die Umsetzung so schnell vonstattenging und das Vorhaben bis zum Start größtenteils vor der westlichen Öffentlichkeit geheim gehalten werden konnte (vgl. Lippmann 1971, S. 188 f.).

Mit steigender Position entfernte sich Honecker immer weiter von seinem Mentor. Um dessen Schutz nicht zu verlieren, übte sich Honecker dennoch weiter in Heuchelei, bis er genügend Verbündete auf seine Seite ziehen konnte und sich die Gelegenheit ergab, sich gegen seinen Schutzpatron zu stellen (vgl. Przybylski 1991, S. 101).

Neben den allgemeinen Ulbricht-Kritiker*innen konnte Erich Honecker u. a. eine so große Gruppe an Unterstützer*innen hinter sich vereinen, weil viele junge Funktionär*innen, die aus der FDJ heraus Karriere machten, dies dem neuen Ersten Sekretär zu verdanken hatten. Generell konnten sich viele Genoss*innen mit Honecker identifizieren. Er war genau im passenden Alter dafür, dass ihm die Altkommunist*innen noch vertrauten, sich aber auch die jüngere Generation, deren politische Anfänge auf die FDJ zurückgingen, durch seine Politik repräsentiert fühlte (vgl. Lippmann 1971, S. 235).

Im Nachhinein zu rekonstruieren inwieweit die Ulbricht-Opposition bei dessen Sturz mit dem Ziel handelte einen politischen Wandel einzuläuten oder man nur missgünstig versuchte, seiner enormen Machtakkumulation etwas entgegenzusetzen, ist schwierig. Mit Blick darauf, wie wenig sich die Regierungsstrukturen innerhalb der SED nach dem Führungswechsel veränderten, lässt jedoch zweiteres vermuten. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase griff wieder das Gewohnheitsrecht der Parteispitze und die DDR-Bevölkerung wurde fortlaufend durch eine Ein-Mann-Herrschaft regiert (vgl. Przybylski 1991, S. 126). Anders als in der ersten Hälfte des Bestehens der DDR handelte der mächtigste Mann im Staat jedoch nicht mehr unter der Prämisse einer ostdeutschen Sonderrolle, sondern mit einem unerschütterlichen Vertrauen gegenüber allem, was aus Moskau vorgegeben wurde (vgl. Lippmann 1971, S. 55).

2.2.2 Der Sturz Honeckers

Auf die Frage, ob Honecker (zit. nach Andert und Herzberg 1991, S. 273) mit seiner Fraktion zu hart mit Walter Ulbricht umgegangen wäre antwortete dieser: „Das war sogar ein Musterbeispiel, wie man ältere Genoss[*innen], die große Leistungen vollbracht haben, achtet und gleichzeitig ihren Erfahrungsschatz weiter nutzen kann für die Entwicklung der gesamten Partei.“ Parallelen zu seinem eigenen Rücktritt sah er dabei nicht. Im Gegenteil, während er Ulbrichts Rücktritt als einen „kulturvollen“ Abgang von der politischen Bühne betitelt, sah er sich selbst als Opfer einer Schmutzkampagne (vgl. ebd.).

Anders als Ulbricht Ende der 1960er sah sich Erich Honecker auf Grund der internationalen Lage der 1970er- und 1980er-Jahre nicht nur dem Druck seiner Genoss*innen ausgesetzt, sondern auch unter weltweiter Beobachtung und zudem mit dem Frust seiner Bevölkerung konfrontiert. Aus den Unruhen in Polen und Ungarn zog er für seine Politik die folgenschwere Konsequenz, jegliche Liberalisierungstendenzen zu unterdrücken. Statt sich die Notwendigkeit von Lockerungen einzugestehen, reagierte der Staat unter seinem Kommando mit immer strengeren Repressionen, was wiederum zur Folge hatte, das die Menschen ihrer Regierung immer weniger vertrauten. Spätestens mit den Bildern der völlig überfüllten bundesdeutschen Botschaften in Warschau, Budapest und Prag hätte Honecker klar werden müssen, dass es ohne tiefgreifende Reformen keine Zukunft für ihn und seine Partei geben würde (vgl. Völklein 2003, S. 359 f.). Die überwiegende Mehrheit des Politbüros, unter ihnen bspw. Egon Krenz und Günter Schabowski, hatte bereits realisiert, dass eine politische Lösung für die Konflikte gefunden werden musste und dies personaltechnische Folgen haben würde. Bestärkt durch die Liberalisierungsimpulse Gorbatschows gingen sie auf der Politbürositzung am 17. Oktober 1989 zur offenen Konfrontation über. Der gesundheitlich schwer angeschlagene Parteichef sah sich, für ihn überraschend, mit der Vertrauensfrage konfrontiert. Nach kurzem Zögern seitens Honeckers ließ sich dieser souverän auf die Kritik ein, die nun von allen Seiten auf ihn einprasselte. Einem Gnadenschuss ähnlich wurde der Erste Sekretär noch in der gleichen Sitzung ohne Gegenstimmen abgesetzt und erklärte tags drauf in der ZK-Sitzung bereits seinen Rücktritt. Mit den folgenden Worten wendete er sich danach an die DDR-Bevölkerung:

„Liebe Genossinnen und Genossen! Nach reiflichem Überlegen und im Ergebnis der gestrigen Beratung im Politbüro bin ich zu folgendem Entschluss gekommen: Infolge meiner Erkrankung und nach überstandener Operation erlaubt mir mein Gesundheitszustand nicht mehr den Einsatz an Kraft und Energie, den die Geschicke unserer Partei und des Volkes heute und künftig verlangen. Deshalb bitte ich das Zentralkomitee, mich von der Funktion des Generalsekretärs des ZK der SED, vom Amt des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und von der Funktion des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR zu entbinden.“ (Hauptabteilung Presse des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik 1989, S. 330)

Seine Nachfolge trat noch am selben Tag Egon Krenz an. Wie auch 18 Jahre zuvor wurde der Rücktritt hauptsächlich mit dem gesundheitlichen Zustand des SED-Führers begründet (vgl. Andert und Herzberg 1991, S. 30–33; Völklein 2003, S. 386–370).

Anderes als Walter Ulbricht, der seinen politischen Lebensabend gezwungenermaßen ruhig verbringen musste, sollte die Akte Honecker mit seinem Rücktritt noch nicht geschlossen werden. Am 15. Januar 1990 wurde der ehemalige Parteiführer zusammen mit seinen früheren Verbündeten Erich Mielke und Günter Mittag von der Generalstaatsanwaltschaft angeklagt. Der Vorwurf umfasste u. a. die Verletzung des Art. 31 der Verfassung, durch die landesweite Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Auch die Missachtung des Rechts der Bürger*innen auf friedliche Versammlung (Art. 28) durch die mit polizeilichen Mittel aufgelösten friedlichen Demonstrationen um den 7./8. Oktober 1989 wurde ihm zur Last gelegt. Im Laufe der Zeit wurde diese Anklage noch durch den Vorwurf der Veruntreuung, des Hochverrats und der vorsätzlichen Tötung auf Grund des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze erweitert (vgl. Przybylski 1991, S. 117, 171 und 182; Völklein 2003, S. 394).

Während der Verhöre signalisierte Honecker nur wenig Einsicht für die von ihm begangenen Fehler. Stattdessen stempelte er den Prozess als eine Verschwörungskampagne nicht nur gegen ihn, sondern gegen die SED im Allgemeinen ab (vgl. Andert und Herzberg 1991, S. 378). Zu einer tatsächlichen Verurteilung kam es nie, da ihm auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes die Haftfähigkeit abgesprochen wurde. Als er aus diesem Grund am 13. Januar 1993 aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, reiste er noch am gleichen Tag seiner Frau Margot nach Santiago de Chile hinterher. Im Juli des gleichen Jahres erhielt er dort eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Am 29. Mai 1994 starb der zweite Parteiführer der SED im Alter von 81 Jahren (vgl. Völklein 2003, S. 410 ff.).

3 Konstruktion einer DDR-Rücktrittskultur

Entgegen Erich Honeckers Auffassung, es gäbe zwischen seinem Rücktritt und dem seines Vorgängers keine Gemeinsamkeiten, lassen sich Parallelen der beiden Fälle ziehen, die als Grundlage für die Konstruktion einer Rücktrittskultur der SED fungieren können. Diese Gemeinsamkeiten beginnen bereits mit dem Verlust des Rückhaltes in der Partei. Beide SED-Führer sahen sich für den Großteil ihrer Amtszeit als Erster Sekretär des ZK der SED keiner offenen Kritik ausgesetzt. In beiden Fällen brauchten die Kritiker*innen lange, bis sie ihren Unmut öffentlich und direkt adressierten. In Anbetracht des massiven Machtgefälles zwischen dem jeweiligen Ersten Sekretär und dem Rest der SED-Führung erscheint ein solches Vorgehen symptomatisch. Eine Kritik am wichtigsten Mann des Staates käme auf Grund des Selbstverständnisses der SED immer einer generellen Kritik an der Parteilinie gleich. Diesen politischen Selbstmord wollte keiner riskieren, bevor der Rückhalt aus Moskau nicht gesichert war. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde versucht, die Person an der Spitze des Staates öffentlich aufzuwerten, um somit die Zustimmung zum System an sich nicht zu gefährden (vgl. Stern 1963, S. 253).

Für Rücktritte aus hohen SED-Ämtern scheint ebenfalls typisch zu sein, dass sich diese nicht nur auf eine Person beschränkten, sondern häufig auch deren Verbündete aus dem politischen Geschäft entfernten. Im Fall von Walter Ulbricht geschah dies mit Kurt Turba noch vor seinem offiziellen Rücktritt. Im Zuge des Sturzes von Erich Honecker mussten bspw. auch Joachim Herrmann und Günter Mittag ihre politischen Tätigkeiten niederlegen (vgl. Frank 2001, S. 365; Völklein 2003, S. 371). Der Bevölkerung konnte somit gezeigt werden, das ein neuer politischer Kurs eingeschlagen wurde.

Des Weiteren erscheinen auch die öffentlichen Begründungen für den Rücktritt der Parteichefs recht deckungsgleich. In beiden Fällen sollte der Fokus auf dem Alter und dem gesundheitlichen Zustand der Genossen liegen. Erneut konnte so verhindert werden, dass dem Image der Partei geschadet wird.

Nach den Rücktritten wurde womöglich ein neuer politischer Kurs eingeleitet, doch an den Machtstrukturen innerhalb der SED änderte sich wenig. Besonders deutlich wird dies an Honeckers schneller Regression zu einer diktatorischen Führungsfigur. Begünstigt wurde dieser Rückschritt durch eine nicht erfolgte Fehleranalyse seitens der gesamten Führungsriege, die die Eigenverantwortlichkeiten aller Genoss*innen aufgedeckt hätte (vgl. Kaiser 1997, S. 418).

Für den Umgang der Partei mit den Gestürzten lassen sich anhand der beiden Bespiele nur Vermutungen aufstellen, da Honeckers Karriereende zum größten Teil durch das Scheitern des ostdeutschen Staates an sich bestimmt wurde. In den Parteidiktaturen des Ostblocks schien es normalerweise eher wie im Falle Ulbrichts zu laufen – die Spur des Sündenbocks sollte ausgelöscht werden (vgl. Völklein 2003, S. 302). Auch der bereits angesprochene Fall von Ernst Wollweber und Karl Schirdewan würden dies bestätigen. Wäre das Staatssystem der DDR nicht bereits kurz vor dem Kollaps gewesen, hätte vermutlich auch Erich Honecker einen ruhigeren Lebensabend verbringen können.