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Geschichte Strauß und Honecker

Wie aus Todfeinden ziemlich beste Freunde wurden

Ende Juli 1983 traf Franz Josef Strauß überraschend und angeblich „privat“ SED-Chef Erich Honecker. Tatsächlich war der DDR-Besuch Teil eines politischen Geschäfts, wie das Gesprächsprotokoll zeigt.
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Scghon der Fototermin war eine Sensation: Am 24. Juli 1983 trafen sich Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strau0ß und der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker im Gästehaus Hubertusstock am Werbellinsee Scghon der Fototermin war eine Sensation: Am 24. Juli 1983 trafen sich Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strau0ß und der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker im Gästehaus Hubertusstock am Werbellinsee
Schon der Fototermin war eine Sensation: Am 24. Juli 1983 trafen sich Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß und der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker im Gästehaus Hu...bertusstock am Werbellinsee
Quelle: picture-alliance / dpa

Wenn ein Spitzenpolitiker für eine unerwartete Initiative öffentlich hart attackiert wird, kann er entweder kleinlaut zurückrudern – oder in die Offensive gehen. Für Franz Josef Strauß war Rückzug nie eine freiwillig erwogene Option, und deshalb wählte er vor genau 30 Jahren die Attacke. Sie führte ihn in die DDR: Der langjährige Lieblingsfeind der SED traf sich am 24. Juli 1983 zum trauten Zwiegespräch mit Generalsekretär Erich Honecker.

Gut drei Wochen zuvor war bekannt geworden, dass die Bundesregierung einen Kredit westdeutscher Banken an die DDR in Höhe von einer Milliarde DM abgesichert hatte. Das Erstaunen über diese Unterstützung des seit nicht einmal einem Jahr amtierenden Kabinetts Kohl nahm weiter zu, als Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß zehn Tage später mit Stolz verkündete, er selbst habe die von der Bayerischen Landesbank umgesetzte Zahlung „eingefädelt“.

Die Kommentatoren westdeutscher Zeitungen reagierten überrascht, viele Mitglieder und Funktionäre von Strauß’ CSU geradezu empört. Von einem „Aufstand“ gegen den seit mehr als zwei Jahrzehnten amtierenden Vorsitzenden berichtete die „Neue Zürcher Zeitung“. Die Konsequenz war ein ungewöhnlich schlechtes Abschneiden bei der zufällig anstehenden Wiederwahl zum Parteichef: Nur knapp 70 Prozent der Delegierten stimmten für ihn.

Abstecher in die DDR

Statt aber den geordneten Rückzug anzutreten, tat Strauß das Gegenteil: Er schloss an eine ohnehin geplante „Urlaubsreise“ durch die damalige Tschechoslowakei und Polen, natürlich jeweils mit Terminen bei hohen Regierungs- und KP-Vertretern, einen angeblich ebenfalls „privaten“ Abstecher in die DDR an. Organisiert und vorbereitet hatte die Tour Alexander Schalk-Golodkowski, der Devisenbeschaffer der DDR-Führung. Wenn ostdeutsche Bürger Strauß in seiner Limousine in Dresden, Weimar oder andernorts erkannten, kam es teilweise zu spontanem Beifall.

Ihren Höhepunkt erreichte die Fahrt mit Ehefrau Marianne und Sohn Max an jenem Sonntag vor 30 Jahren im Regierungsgästehaus Hubertusstock am Werbellinsee: Da ließen sich der Kommunistenfresser Strauß und der oberste Sozialist Honecker beim Händeschütteln fotografieren. Ein wenig steif war die Geste, beide mussten – erkennbar für die anwesenden westdeutschen Fotografen – über ihren Schatten springen. Die Scherze, mit denen sie die greifbare Spannung zu lockern suchten, fielen durch.

Das Treffen fand nicht in Ost-Berlin statt; das hatte protokollarische Gründe, denn die Bundesrepublik erkannte die Ernennung des sowjetisch besetzten Sektors zur „Hauptstadt der DDR“ nicht an. Für Honecker war das aber gleichgültig: Das historisierende, aber erst wenige Jahre alte Jagdschloss war praktisch genauso weit von der „Waldsiedlung“, dem Wohnghetto der SED-Spitze bei Wandlitz, entfernt wie das Gebäude des Zentralkomitees in Berlin-Mitte.

DDR-Protokoll online

Das DDR-Protokoll des ersten Treffens Honecker-Strauß ist in den Beständen des Bundesarchivs inzwischen online lesbar. Es zeigt, dass die beiden Politiker die meiste Zeit des Gespräches gepflegt aneinander vorbeiredeten: Honecker führte lang und breit seine „Sorgen um den Weltfrieden“ aus, die doch in Wirklichkeit die Sorgen vor dem Verlust der atomaren Übermacht der Sowjets in Mitteleuropa durch die Nachrüstung der Nato waren. Strauß dagegen stellte kurz und bündig fest, er sei schon immer ein Gegner der Nulllösung gewesen. „Für die Nachrüstung sei er“, heißt es im Protokoll, das offenbar nach einem Tonbandmitschnitt angefertigt wurde.

Angesichts dieser klaren Differenz in der zentralen Frage des Sommers 1983, als SED- und Stasi-gesteuerte Aktivisten die westdeutsche Friedensbewegung instrumentalisierten, hätte das Treffen am Werbellinsee eigentlich ausgehen müssen wie das Hornberger Schießen. In Wirklichkeit trat beinahe das Gegenteil ein: Fortan waren der saarländische Kommunist und der bayerische Konservative so etwas wie „ziemlich beste Freunde“: Man traf sich mehrfach auf Messen in Leipzig, und 1987 war München neben Bonn und Honeckers Geburtsort Wiebelskirchen im Saarland das wichtigste Ziel auf dem ersten und einzigen Staatsbesuch eines SED-Chefs in der Bundesrepublik.

Das Protokoll verrät, wie der Kontakt zwischen Strauß und Honecker wohl funktionierte: Der westdeutsche Politiker kam seinem Gesprächspartner verbal entgegen, „entschuldigte“ sich etwa für seine zugespitzte Formulierung, der Herztod eines Transitreisenden an einer DDR-Grenzkontrollstelle sei „Mord“ gewesen. Das sei „nicht juristisch“ gemeint gewesen. Der Ostdeutsche wiederum übersah geflissentlich, dass diese Einschränkung und freundliche Verpackung an der Substanz von Strauß’ Aussage gar nichts änderte.

Strauß’ Rollenwechsel

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Allerdings hatte der überraschende Rollenwechsel von Strauß auch für die bundesdeutsche Politik positive Auswirkungen: Bundeskanzler Helmut Kohl konnte sich so seine zurückhaltende Position Honecker gegenüber bewahren, da Strauß nun als wichtigste Kontaktperson in den Westen auftrat. Wie viel davon Taktik, wie viel bewusste und freie Entscheidung war, dürfte nicht mehr aufzuklären sein.

Die beinahe schlagartige Veränderung des Strauß-Bildes lässt sich gut am SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ nachvollziehen: Bis zum Sommer 1983 tauchte der Name Franz Josef Strauß beinahe ausschließlich in Verbindung mit polemischen Attacken auf, besonders gern in Form von kritischen Zitaten westlicher Zeitungen oder Politiker. Das änderte sich mit dem Treffen in Schloss Hubertusstock total: Mit manchmal geradezu erstaunlicher Höflichkeit wurde der CSU-Chef von nun an erwähnt. Seinen Bericht über die „private“ DDR-Reise und das Treffen mit Honecker würdigte das „Neue Deutschland“ etwa mit einem langen Artikel gleich auf der zweiten Seite.

Um konkrete politische Fragen war es übrigens bei dem Treffen nur am Rande gegangen. Honecker dankte Strauß zwar „für sein persönliches Engagement beim ,Einfädeln’ der jüngsten Kreditvereinbarung“. Er machte auch Vorschläge zur praktischen Verbesserung des deutsch-deutschen Verhältnisses, etwa in Sachen der Elbgrenze oder der Kooperation in der Kernkraft.

Konzilianz in Grenzfragen

In wirklich bedeutsamen Punkten aber bewegte sich der SED-Chef keinen Millimeter: „Zu den Grenzsicherungsmaßnahmen stellte E. Honecker mit aller Klarheit fest, dass es gar keinen Zweck habe zu träumen“, hielt das Protokoll fest. Dann verwies er darauf, die „Bestimmungen über den Schusswaffengebrauch in der DDR und der Bundesrepublik“ unterschieden sich nicht.

Noch kurz zuvor hätte Strauß diese absurde Behauptung sicher gekontert mit dem Hinweis, dass an den Außengrenzen der Bundesrepublik nicht Hunderte Menschen erschossen worden seien. Doch nun gab er sich er sich konziliant und „bestätigte“, dass in Bayern vor nicht allzu langer Zeit ein Schuljunge von einem Polizisten erschossen worden war. Allerdings wurde dieser Fall vor einem Gericht verhandelt – etwas auch nur entfernt Vergleichbares hat es nach einem Todesschuss von DDR-Grenzern auf Flüchtlinge niemals gegeben, sondern nur Belobigungen und Prämien.

Mit dem Abbau der Minenfelder und der berüchtigten Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze übrigens hatten weder der Milliardenkredit noch Strauß’ Besuch bei Honecker etwas zu tun – auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird. Akten der DDR-Grenztruppen im Freiburger Bundesarchiv-Militärarchiv zeigen, dass schon 1982 Vorbereitungen begannen, die unzuverlässigen und auch für die eigenen Soldaten gefährlichen Erd- und Splitterminen durch weiter zurückverlegte neue Signalzäune zu ersetzen. Abgeschlossen wurde die „Abrüstung“ der innerdeutschen Grenze allerdings erst 1984 – nach der Auszahlung gleich zweier Milliardenkredite. Sie verschoben den wirtschaftlichen Kollaps der SED-Diktatur um einige Jahre.

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