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Honecker privat – Dosenbier und morgens Zitrone

Personenschützer von Honecker veroeffentlicht Memoiren Personenschützer von Honecker veroeffentlicht Memoiren
"Ich war eine Art sozialistisches Mainzelmännchen": Lothar Herzog und seine Chefs auf einem Erinnerungsfoto
Quelle: DAPD/Paul Zinken
Zwölf Jahre lang diente Lothar Herzog als Stasi-Butler des Partei- und Staatschefs – und berichtet in seinen Memoiren von Gutsherrenmentalität, West-Zigaretten und schlechten Manieren des Politbüros.

Erich Honecker trank Büchsen-Bier aus dem Westen und ließ sich am liebsten Bouletten und Kasseler auftischen. Der DDR-Staats- und Parteichef kippte auch jeden Morgen den Saft einer Zitrone hinunter, "um sich vor Grippe zu schützen".

Auch in der Konjunktur ihrer Erinnerungsliteratur erweist sich die DDR als Nachfolgerin des Dritten Reiches. Nachdem die großen historischen Linien und Gedanken veröffentlicht worden sind, ist nun die bunte Schlüssellochperspektive an der Reihe. Im vergangenen Jahr etwa kamen die Memoiren von Honeckers Dolmetscher Wolfgang Ghantus heraus. Jetzt legt Honeckers ehemaliger Butler Lothar Herzog "Honecker privat" vor.

Der heute 68-jährige Herzog war zwölf Jahre lang persönlicher Kellner und einer der Stasi-Personenschützer von Honecker. Obwohl er diesen auf Reisen in rund 30 Länder begleitete, habe er nie ein persönliches Wort mit ihm gewechselt. "Ich war eine Art sozialistisches Mainzelmännchen", schreibt Herzog. Das deckt sich mit den Schilderungen von Honeckers ehemaligem Dolmetscher Wolfgang Ghantus, wonach der Staats- und Parteichef sich nur ein einziges Mal für seine Arbeit bedankt habe.

Aus der Perspektive getönter Autoscheiben

Es sind Innenansichten eines Systems, dessen Spitze sich ungeniert am "Volkseigentum" bediente. Wohl eher unfreiwillig wird deutlich, wie abgehoben die Funktionärselite lebte und sie – ganz nach dem Vorbild Stalins und seiner Entourage – ihr Volk nur aus der Perspektive getönter Autoscheiben und abgeschotteter Orte wahrnahm.  

Auch im Urlaub deckte Herzog für die Honeckers den Tisch. Für Volksbildungsministerin Margot mussten immer HB-Zigaretten aus dem Westen bereit liegen. "EH zeigte nie Gefühle." Erst mit Enkel Roberto sei der menschlich einsame Honecker milder geworden, so der einstige Stasi-Butler.

Es ist keine selbstkritische Bilanz des Kellners, der es bis zum Stasi-Hauptmann brachte. Er habe seinen Auftrag erfüllt, den Genossen die Wünsche von den Augen abzulesen – trotz deren Anflügen von Gutsherrenmentalität. "Es war halt so", schreibt der Rentner, bei dem der Mauerfall nicht vorkommt. In Wandlitz, dem Wohnsitz des obersten SED-Führungszirkels, hielt sich Herzog mehr als 20 Jahre.

Der Wartburg war zu laut

Nach Speisekarten bestellten die Funktionärsfamilien dort ihr Essen zum Wochenende. Gekocht und geliefert wurde für jedes Haus extra. Als es Beschwerden über den lauten Dienst-Wartburg gab, sei eben ein VW-Transporter angeschafft worden.

In den Siebzigerjahren seien es immer mehr Lieferfahrzeuge geworden, erinnert sich Herzog. "Ein Auto wartete nur, um Honecker-Wünsche zu erfüllen." Die DDR-Führung ließ sich zudem in ihren hermetisch abgeriegelten Jagd- und Ferienhäusern rundum bedienen.

Auch bei Honecker verlor sich die Bescheidenheit. Für die Repräsentanten galt: "Alles wurde beschafft, mochte es auch noch so schwierig sein." Schließlich wurde schon Stalin mit ganzen Güterzügen während der Konferenz von Jalta auf der Krim versorgt.

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Zu lesen ist auch über die DDR-Bemühungen um internationale Anerkennung oder die Besuche westdeutscher Politiker im Jagdschloss Hubertusstock in der Schorfheide. Als 1981 der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) kam, kredenzte Herzog Kartoffelsuppe.

Es wurde geschlürft und gerülpst

Bei ausländischen Gästen saß oft bereits beim Frühstück Wolfgang Ghantus dabei. Der Dolmetscher hatte Order, dem SED-Chef nicht von der Seite zu weichen, konnte er doch, wie Wolfgang Ghantus schreibt, "kaum eine Fremdsprache".

Die Tischmanieren des Politbüros seien "verbesserungsbedürftig" gewesen – es sei geschlürft, gerülpst und mit vollem Mund gesprochen worden, schreibt Lothar Herzog. Das erinnert an die nächtlichen Gelage, die Stalin über Jahrzehnte hinweg seinen Magnaten aufgezwungen hatte. Doch anders als der Georgier, der sich stundenlang über Buffets, Wein und Wodka hermachen konnte, war Honecker offenbar kein Genussmensch. Sein Essen habe er in enormem Tempo heruntergeschlungen, schreibt Herzog. Auch trank er fast nichts Hochprozentiges – ganz im Gegensatz zu den übrigen Spitzenfunktionären.

Schließlich wurde auch Herzog ein Opfer der allgegenwärtigen Paranoia des Regimes. 1984 wurde er aus dem Honecker-Dunstkreis abgezogen, weil seine Tochter von zu Hause aus mit einem Freund in West-Berlin telefoniert hatte. Die Stasi hörte mit und witterte umgehend Verrat. Im Gegensatz zu Stalins Regime hatte Herzog allerdings das Glück, am Leben bleiben zu dürfen.

bas

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