Emilia Schüle im Interview: Schauspielstar der Stunde
Emilia Schüle, Schauspielerin
© Robert Wunsch
Film

Emilia Schüle im Interview

Sie ist Deutschlands Schauspielstar der Stunde: Emilia Schüle, 26. Wir wollten wissen, wie sie für ihre Über­zeugungen einsteht, und stellten sie elf Mal vor die Wahl: entweder oder.
Autor: Dominik Schütte
6 min readveröffentlicht am

Russland oder Deutschland?

Blagoweschtschensk. Sag das dreimal ganz schnell hintereinander. So heißt mein Geburtsort im Südosten Russlands. Bis vor kurzem kannte ich ihn nur aus Erzählungen. Meine Eltern haben Russland verlassen, als ich noch ein Baby war. Weil meine Mutter eine spirituelle Frau ist, besuchten wir einmal eine Schamanin. Die machte eine dramatische Show – es ging um Fruchtbarkeit –, und irgendwann gab sie mir einen Stein und sagte, ich solle ihn zu meinem Geburtsort bringen. Also reisten meine Schwester und ich vor zwei Jahren erstmals nach Blagoweschtschensk. Nächstes Jahr werde ich wieder nach Russland fahren und einen Sprachkurs machen, mein Russisch ist so lala. Das sagt wohl auch ­alles: Meine Heimat ist Berlin.

Abi oder arbeiten?

Ich habe sehr früh mit dem Tanzen begonnen und bin zu einer Agentur gekommen. Castings habe ich als Spiel empfunden, aber daraus wurde schnell Ernst. Rasch kamen die erste Hauptrolle und der erste Kinofilm: „Freche Mädchen“. Erst später begriff ich: Holla, es gibt ja noch eine ganz andere Art von Film. Ernsthaftes Kino. Für Erwachsene. Da habe ich gespürt, wo ich hinmöchte: von der Teenie-Darstellerin zur ernstzunehmenden jungen Schauspielerin. Trotzdem war es aber nie eine Option, das Abi sausen zu lassen. Mein Vater ist ­Psychologe, meine Mutter Internistin. Da gehört eine gute Schulbildung zum Leben einfach dazu.

Studieren oder durchstarten?

Dass ich nicht studiert, ­sondern nach der Schule ­weitergearbeitet habe, war für ­meine Eltern schwer zu ­akzeptieren. Ich wollte einfach mal nur ein Leben führen statt zwei. Die jugendliche Leichtigkeit nachholen, die ich verpasst hatte. Ich hatte nie Ferien, nur Schule oder Dreh. Nix tun, es ist Sommer, der Tag liegt vor dir – dieses Gefühl kannte ich bis dahin nicht.
Sie liebt Instagram für neue Perspektiven, weniger für Selbstdarstellung

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© Robert Wunsch

Kunst oder Kommerz?

Mein damaliger Freund Jannis Niewöhner hat mir viele Filme gezeigt, gerade aus den 90er-Jahren, einer „goldenen“ Ära des deutschen Kinos: „Absolute Giganten“, „Knockin’ on Heaven’s Door“, „Bandits“. Da habe ich gemerkt: Deutscher Film kann richtig was. Zum Glück durfte ich bald Filme drehen, die mich glücklich machten und die nicht mehr so sehr Kommerz waren wie in meiner Anfangszeit. Hier muss ich mich bei Oskar Roehler bedanken, der mich als Heroinsüchtige in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ besetzte – zu einer Zeit, als ich noch nicht im Fokus stand. Ich habe erst kürzlich an Oskar denken müssen, als Hannelore Elsner starb. Sie verdankte Roehler ihren zweiten Frühling durch ihre Rolle in „Die Unberührbare“. Zu der Zeit hatte sie ewig keinen Kinofilm mehr gedreht. Diesen Mut fordere ich von Regisseuren: Experimentiert mehr bei weiblichen Rollen!

Fernsehen oder Kino?

Spätestens seit „Breaking Bad“ oder „Sopranos“ sind TV-Serien eine eigene Kunstform. Da bin ich für beides offen. Das liegt auch an der tollen Zeit, die ich in den vergangenen Jahren erleben durfte: Ich drehte einerseits „Ku’damm 56“ fürs Fern­sehen, andererseits den Kinofilm „Jugend ohne Gott“. Ich konnte also viel ausprobieren und durch die Epochen reisen. „Charité“ spielte im Jahr 1890, „Mordkommission Berlin 1“ in den Zwanzigern. Mein neuer Film „Traumfabrik“ spielt 1961 während des Mauerbaus. Bald habe ich alle Jahre durch, oder?

Hollywood oder Babelsberg?

„Traumfabrik“, mein neuer Film, ist eine Liebeserklärung an das Kino und das Studio Babelsberg. Wenn mir jemand als Kind erzählt hätte, dass ich mal mit dem Deutschen Fernsehballett und ein paar Elefanten tanzen würde, ­hätte ich ihn für verrückt ­erklärt. Ich war beim Casting für einen anderen Film, als der Produzent Tom Zickler sagte: „Ich schreibe dir eine Rolle auf den Leib.“ – „Jaja, genau, mach mal“, sagte ich. Aber dann kam der Anruf. Gegen Anrufe aus Hollywood habe ich natürlich auch nichts. Aktuell drehe ich ­international „Treadstone“, eine Serie aus dem Jason-Bourne-Universum, und ich spiele eine KGB-Agentin. Das ist schon auch mega, klar.
Dreht Schüle keine Filme, unterstützt sie immer wieder soziale Projekte

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© Robert Wunsch

#metoo oder alles übertrieben?

Ich hatte Glück. Ich habe am Set noch nie Belästigung erlebt, allerdings habe ich zwei, drei wenig charmante Statements von Regisseuren abbekommen. Dass über Körperteile gesprochen wurde oder ein Satz fiel wie „Zeig doch mehr, sieht super aus!“ – da­gegen würde ich mich heute massiver zur Wehr setzen. Kein Sexist darf sich noch sicher fühlen! Was mich auch umtreibt: Wir Frauen sind derart beschränkt in der Auswahl der Rollen. Etwa 70 Prozent aller Drehbücher ­haben Männer in den Hauptrollen. Es gibt ja den sogenannten Bechdel-Test, der mit drei Fragen Stereotypisierungen aufdeckt: Gibt es in dem Film mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen diese Frauen miteinander? Und unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? 80 Prozent aller Filme fallen hier durch. Wenn ich darüber nachdenke, wie viele Rollen ich gespielt habe, die sich über Männer definierten, dann erschrecke ich.

Schauspielerin oder Influencerin?

Ich liebe Instagram und gewähre dort kleine Einblicke in mein Leben. Ich glaube, man spürt meinen Hang zum Romantischen. Aber mir ist wichtig, dass man dabei die Welt aus meinen Augen sieht und nicht mich. Das finde ich nämlich eitel und blöd an ­Instagram: Man sieht immer nur die Leute selbst, das ist doch uninteressant. Der Blick von innen auf die Umgebung ist doch viel spannender. Als Influencerin bin ich wohl ungeeignet.

Ewige Liebe oder kurzfristiger Spaß?

Wir leben in einer Tinder-Gesellschaft der Lebensabschnittsgefährten und One-Night-Stands. Nichts für mich, ich glaube an die ewige Liebe – weil ich an sie glauben will. Ich finde es ja schon bei Musikstreaming schwierig, den eigenen Geschmack einem Algorithmus anzuvertrauen – aber bei der Liebe? Klar, man erhöht die Reich­weite, und vielen Menschen eröffnet es bestimmt Möglichkeiten, die sie sonst nicht hätten. Ich persönlich stelle mir aber gerade vor, wie man den eigenen Kindern die Frage beantwortet, wo sich die Eltern kennengelernt haben: „Och, in so ’ner Sexdating-App.“
Auch nach der #meetoo- Kampagne bezieht Schüle weiterhin klar Stellung.

Auch nach der #meetoo- Kampagne bezieht Schüle weiterhin klar Stellung.

© Robert Wunsch

Kinder oder Karriere?

Momentan fühle ich mich selbst noch wie ein Kind, mein Leben hat eine hohe Geschwindigkeit. Aber sollte ich irgendwann Mutter werden, wird sich sowieso alles ändern. Ich weiß jedenfalls, dass ich nicht den Moment verpassen will – wie viele andere Menschen aus der Filmbranche. Irgendwann ist es zu spät. Meine Mama hat mir kürzlich versichert: „Ich bin da. Ich werde babysitten!“

Engagement oder ein Star sein?

Ich habe lange nachgedacht, ob ich mich an der „Fridays for Future“-­Bewegung beteiligen soll, sagte mir aber dann: Dafür fliegst du zu häufig – auch, weil ich mich für Plan Inter­national engagiere, die sich für Mädchen auf der ganzen Welt einsetzen. Auf die Philippinen kommt man nun mal nicht mit dem Zug. Damit ist man aber nicht die richtige Sprecherin für Klimafragen. Wobei mich genau das an der deutschen Debattenkultur nervt: Anstatt Engagement zu loben, wird schnell auf einer anderen Ebene kritisiert.
Ich denke auch viel über die Vergesslichkeit und die Kaltherzigkeit der Menschen nach. Als Notre-Dame brannte, wurden über Nacht hunderte Millionen Euro gespendet, während im Mittelmeer Menschen ertrinken. Brecht schrieb: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungs­gabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.“ Wenn wir alt sind, habe ich gelesen, wird es keine Vögel mehr geben. Wir werden im Garten sitzen, und es wird still sein. Dann ­haben wir Zeit zum Nachdenken.