Diskret sind Notare von Berufs wegen. Aber am 31. Mai 1951 beurkundete die Ost-Berliner Notarin Ingeburg Gentz, eine überzeugte Kommunistin, einen Gesellschaftervertrag, der ganz besonders vertraulich behandelt werden musste. Denn der Kaufmann Oswald Rein und der Musikwissenschaftler Georg Knepler hatten eine höchst kapitalistische Firma gegründet, mit Namen „Novum“ und einem Grundkapital von 50.000 DDR-Mark.
Der Zweck des Unternehmens: Handel zwischen der DDR und der Republik Österreich. Beide Gesellschafter standen der Kommunistischen Partei Österreichs nahe, waren also Genossen von Ingeburg Gentz. Angeblich stammte das Kapital ebenfalls aus Österreich.
So weit, so anrüchig: Kommunisten aus einem marktwirtschaftlich organisierten Land, die in einem sozialistischen Staat eine gewinnorientierte Handelsfirma gründen, sind zwangsläufig Heuchler. Doch die Wirklichkeit war noch weitaus schlimmer: Die österreichischen Genossen Rein und Knepler waren nur Strohmänner – genau wie alle ihre Nachfolger.
Alle paar Jahre nämlich wechselten, stets beurkundet vom Notariat Gentz, die Gesellschafter – und meist wurde dazu eine Treuhanderklärung unterschrieben, derzufolge (hier zitiert nach der Urkundenrolle des Notariats Gentz Nr. 231/1983) die Übergabe der Gesellschafteranteile „ohne Gegenleistung“ erfolgen sollte und der jeweilige Gesellschafter sich „unwiderruflich“ verpflichtete, „jederzeit entschädigungslos“ seine Anteile an „eine Person oder Gesellschaft abzutreten, die mir von der Novum Handelsgesellschaft mbH benannt werden sollte“.
Die letzte Gesellschafterin der Novum GmbH war, seit 1978 zur Hälfte und seit 1983 vollständig, die Wiener Kommunistin Rudolfine Steindling, genannt die „rote Fini“. Von Hause aus Bankangestellte und Buchhalterin, gehörte sie seit 1959 der KPÖ an und verwaltete seit 1966 Guthaben hauptberuflich das Vermögen der SED in Österreich. Und lebte davon ausgesprochen üppig, mit Luxusimmobilien in besten Wiener Lagen und wertvollen Pelzmänteln.
Auch die Novum GmbH gehörte zum Eigentum der sozialistischen Staatspartei. Denn in Wirklichkeit stammte das Gründungskapital von der Zentrag, faktisch einem Eigenbetrieb des SED-Zentralkomitees. Die Verbindung der Tarnfirma Novum zur KPÖ diente zwei Zwecken: So sollte erstens kaschiert werden, dass die SED im Ausland höchst kapitalistisch agierte, und zweitens sollten Werte in konvertierbaren Währungen in einem neutralen Land geparkt werden – für spezielle „Bedürfnisse“ der SED-Elite und für andere, noch weniger appetitliche Zwecke.
Geleitet wurde die Novum aus dem Imperium von Alexander Schalck-Golodkowski, dem SED-Devisenbeschaffer. Er war sich für so gut wie kein Geschäft zu schade, exportierte gegen konvertierbare Währungen Waffen und DDR-Bürgern abgepresste Wertsachen ebenso wie er Müll in die DDR importieren ließ.
Während der friedlichen Revolution 1989/90 musste die Tarnfirma Novum GmbH ihre Geschäftstätigkeit einstellen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf ihren Konten Guthaben im Gesamtwert von fast einer halben Milliarde DM. Die folgenden fast 30 Jahre verteidigten erst Rudolfine Steindling, später verschiedene Banken ausdauernd schrumpfende Reste dieses Vermögen gegen den Zugriff der Bundesrepublik.
Schließlich gelang es nach aufreibenden Prozessen mit einem letzten Urteil 2019, größere Teile dieses Geldes einzufordern; es wurde den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie der Aufarbeitung der SED-Diktatur zur Verfügung gestellt. Viele Millionen allerdings waren zwischenzeitlich in prokommunistischen Kreisen versickert.
An den spektakulären Fall Novum erinnert der langjährige Berliner Richter Hansgeorg Bräutigam in seinen jüngst erschienenen Memoiren über „Die Aufarbeitung des SED-Unrechts“. Der 1937 geborene Jurist war nach Studium und Referendariat ans Amtsgericht und später ans Landgericht Berlin gegangen, hatte in den 1970er-Jahre als Pressereferent für zwei Justizsenatoren in West-Berlin gearbeitet und seit 1979 bis 2002 zahlreiche Strafverfahren geleitet. Für Linke war er stets ein Feindbild.
Bräutigam kennt wie wohl kein Zweiter die – äußerst milde – Aufarbeitung des SED-Unrechts nach 1990. Er führte souverän den Prozess gegen Erich Honecker, bis er einem Sperrfeuer von Befangenheitsanträgen der Verteidigung zum Opfer fiel und abgelöst wurde. Auch viele andere Prozesse gegen führende SED-Genossen verfolgte er genau und schildert sie in all ihren Abgründen.
Aber vielleicht kein Verfahren war so sehr von Dreistigkeit der Täter geprägt wie das um die Novum GmbH. 1996 hätten es Steindling und die KPÖ sogar fast geschafft, das SED-Vermögen (das natürlich eigentlich den Menschen in der DDR gehört hatte) für sich zu retten. Jedenfalls entschied das Verwaltungsgericht Berlin in erster Instanz, die vorliegenden Dokumente belegten die Zugehörigkeit der Novum zur KPÖ.
„Erst im Berufungsverfahren gelang der Durchbruch“, schreibt Bräutigam. „Nach einer erneuten umfangreichen Beweisaufnahme hat das Oberverwaltungsgericht Berlin im Dezember 2003 in einem über 200 Seiten langen Urteil detailliert dargelegt, dass die Novum wirtschaftlich dem Vermögen der SED-PDS zuzurechnen war.“
Um das zu verschleiern, hatte eine Rechtsanwältin sogar der entsprechenden Handakte des Notariats Gentz fünf Seiten „belastender Art“ entnommen. In ihrem Schreiben an Rudolfine Steindling vom 28. März 1990 heißt es: „Anlässlich unseres persönlichen Gespräches besprachen wir, dass sämtliche Treuhanderklärungen bezüglich der Novum und der Transcarbon aus meinen Akten entnommen werden.“ Sie sollten „vernichtet werden“.
Das jedoch tat die Anwältin nicht, denn sie hielt es für besser, „wenn diese Unterlagen zwar entnommen, aber in Ihren Händen verbleiben würden“. Daher teilte sie Steindling abschließend mit: „Bis zur Beantwortung dieses Briefes werde ich die oben genannten Erklärungen in meinem Panzerschrank aufbewahren.“
Die Skandalgeschichte um die Novum GmbH, die nur eine von mehreren ähnlichen Tarnfirmen der SED war, kann man aus mehreren, mitunter mehrtausendseitigen Berichten von Bundestagsausschüssen rekonstruieren – oder klar und prägnant in den Erinnerungen Hansgeorg Bräutigams nachlesen. Zusammen mit vielen anderen Schlaglichtern auf die versuchte, aber letztlich gescheiterte juristische Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Hansgeorg Bräutigam: „Die Aufarbeitung des SED-Unrechts. Erinnerungen eines Richters“ (Berlin Story Verlag. 264 S., 19,95 Euro).
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