Wie Eduard Bernstein die SPD erschütterte – und grundlegend veränderte | Vorwärts
Geschichte

Wie Eduard Bernstein die SPD erschütterte – und grundlegend veränderte

Die SPD wird in diesem Jahr 160 Jahre. Wir blicken zurück auf wichtige Ereignisse: Edurad Bernstein gilt in der SPD als Vordenker. Zu seiner Zeit jedoch bringt er mit seinen Thesen führende Sozialdemokrat*innen gegen sich auf - doch warum?
von Sebastian Thomas · 20. April 2023
Eduard Bernstein löste mit seinen Schriften zum Marxismus einen grundlegenden Konflikt in der SPD aus. Programmatisch wurde dieser Streit erst 1959 gelöst: auf dem Godesberger Parteitag.
Eduard Bernstein löste mit seinen Schriften zum Marxismus einen grundlegenden Konflikt in der SPD aus. Programmatisch wurde dieser Streit erst 1959 gelöst: auf dem Godesberger Parteitag.

Es ist Ende des 19. Jahrhunderts einer der größten Konflikte innerhalb der zu diesem Zeitpunkt noch recht jungen SPD: der Revisionismusstreit. Verantwortlich ist ein überzeugter Sozialdemokrat: Eduard Bernstein. Seine Kritik bringt die damalige Sozialdemokratie zum Beben. Am Ende seines Lebens stirbt er vereinsamt, in seiner eigenen Partei isoliert. Heute wird er als Vordenker der SPD gefeiert – warum?

Anfangs glaubt Bernstein fest an den Marxismus

Am Anfang seines Lebens deutet nichts darauf hin, dass Bernstein je eine solch historisch bedeutende Rolle innerhalb der Sozialdemokratie einnimmt: Er entstammt nicht dem Bildungsbürgertum, seiner Eltern sind auch nicht vermögend – doch Bernstein ist begabt, nur leider ist kein Geld vorhanden dieses Talent zu fördern und so eignet er sich nach und nach selbst Wissen an.

Schließlich schliesst er sich der Arbeiterbewegung an, wird Sozialdemokrat. Eduard Bernstein glaubt zu Anfang fest an den Marxismus – mehr noch: Er wird ein glühender Verfechter der Lehre, dass die wirtschaftliche und politische Entwicklung unweigerlich in den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems mündet.

Doch im Laufe der Jahre ändert sich seine Gedankenwelt, was auch sicher daran liegt, dass Bernstein kein festgefahrener Theoretiker ist, sondern durchaus offen für neue politische Ideen. So schreibt er zwischen 1896 und 1898 für das Parteiorgan „Neue Zeit“ und ein Jahr später veröffentlicht er das Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“.

Seine Schriften erschüttern die Partei

In diesen Schriften setzt er sich kritisch mit der marxistischen Theorie auseinander, wie eben dem zwangsläufigen Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Was folgt ist ein Sturm des Protests, der die gesamte Partei erfasst.

Vor allem seine Annahme, dass für die Arbeiter*innen ebenso im bestehenden System Verbesserungen erzielt werden können, erregt die Gemüter innerhalb der SPD. Bernsteins Kritik stellt dadurch ebenso das alles übergeordnete Ziel, nämlich den Sozialismus, zurück – oder anders gesagt: Keine Revolution, doch sehr wohl Reformen würden die Verhältnisse schon ändern.

Was folgt ist ein viele Jahre schwelender Konflikt: der Revisionismusstreit. Seinen Höhepunkt erreicht die Auseinandersetzung auf dem Dresdner Parteitag 1903: Der Parteivorsitzende August Bebel setzt eine Resolution durch, die den Revisionismus innerhalb der Partei verurteilt. Beigelegt ist der Konflikt dadurch nicht, sondern eher befriedet.

Heute gilt Bernstein als Vordenker der SPD

In der Folge bricht er immer wieder auf, etwa bei Fragen zur Budgetbewilligung oder bei Absprachen mit bürgerlichen Parteien. 1917/18 tritt der Streit offen zutage und wird mit der bekannten Spaltung der Arbeiterbewegung zu dieser Zeit zu einem Schlagwort, mit dem Unabhängige Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen Abweichler*innen von der reinen Lehre der sozialistischen Theorie betiteln.

Und Bernstein? Anders als man vielleicht annehmen mag, wird er nie der Star des reformorientierten Flügels der SPD. Er bleibt Zeit seines Lebens Theoretiker, kein Redner für große Parteiversammlungen, der Mitstreiter*innen um sich scharen kann. Meist agiert er auch sehr wechselhaft.

So stimmt er neben anderen SPD-Parlamentariern in der Reichstagsfraktion 1914 gegen die Kriegskredite – und steht damit just an der Seite von Leuten, wie Rosa Luxemburg, die an ihm, aufgrund seiner Thesen, zuvor kein gutes Haar gelassen hatten. Der Sohn eines Eisenbahners bleibt isoliert innerhalb seiner Partei – bis zum Ende. Heute gilt er als Vorreiter einer auf Reformen ausgelegten Demokratie.

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