Archiv der Kategorie: Chronologie

Der Wallace-Baukasten: Frösche, Taucher und Unterwasserwelten –Semantisierungsmuster und Raumtopologie in den deutschen Edgar Wallace-Filmen

Anna-Noemi Bartl

„Typisch Edgar Wallace!“ – ein Satz, der nicht selten gefallen sein mag, wenn nachts der Nebel um ein englisches Schloss aufzieht und der ermittelnde Inspektor den Verbrecher durch dunkle, nasse Kellergewölbe jagt. Was macht aber einen ‚typischen‘ Edgar Wallace-Film aus? Was ist das Erfolgsrezept hinter der gesamten Wallace-Reihe, dass sie mit über 30 Filmen stil- und genrebildend für das deutschsprachige Unterhaltungskino der 1960er Jahre wurde? Es gilt den metaphorischen ‚Baukasten‘ hinter den Rialto-Produktionen zu entschlüsseln und so lesbar zu machen, welche wiederkehrenden filmischen Elemente zu paradigmatischen Stilelementen der deutschen Edgar Wallace-Filme wurden.

Um Realitäts- und Weltentwürfe aus einer (film-)semiotischen Perspektive zu beschreiben, eignet sich Jurij M. Lotmans Konzept der semantischen Räume. Über unterschiedlich semantisierte Räume lässt sich die jeweilige filmische Ordnung abbilden. Diese wird auf der Oberflächenebene, dem discours, konstituiert.[1] So können abstrakte Sachverhalte wie Werte- und Normen räumlich abgebildet werden. Die Wallace-Weltordnung besteht aus der polaren Gegenüberstellung der beiden semantischen Räume ‚Gesellschaftliche Ordnung/Öffentlichkeit‘ auf der einen und ‚Kriminalität/Untergrund‘ auf der anderen Seite.

Raumtopologie der dargestellten Welt: Gesellschaftliche Ordnung vs. Kriminalität

In dem Spannungsfeld zwischen ‚Gesellschaftliche Ordnung/Öffentlichkeit‘ vs. ‚Kriminalität/Untergrund‘ etablieren sich in den Wallace-Filmen semantische Räume, die sowohl topographisch als auch topologisch organisiert sind. Entsprechend ist auch die moralische Auffassung von ‚gut‘ vs. ‚böse‘ in oben genannter Opposition anzusiedeln: Alles (scheinbar) ‚Gute‘, d.h. gesellschaftlich-moralisch Akzeptable, ist innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung angesiedelt, hier agieren die ‚guten‘ Ermittlerfiguren und unschuldigen Opfer – als Sinnbild für das ‚Gute‘ gilt die soziale Instanz Scotland Yard, die für Ordnung und Gerechtigkeit in London sorgt. Dagegen wird das semantische Feld ‚Kriminalität/Untergrund‘ Projektionsfläche des ‚Bösen‘. Hier organisieren sich illegale Verbrecherbanden, es herrscht Gesetzlosigkeit und Amoral. Die visuelle Inszenierung dieser semantischen Räume bedient sich zentral der oppositionellen Parameter ‚oben‘ vs. ‚unten‘ (vertikale Raumstruktur) und ‚hell‘ vs. ‚dunkel‘.

Topographisch ist die Wallace-Weltordnung klar in ‚Oben‘ vs. ‚Unten‘ geteilt. Oben findet der geregelte Alltag statt, das Polizeirevier von Scotland Yard sorgt für Recht und Ordnung, Handlungsschauplätze sind neben der Londoner City adlige Schlösser und teure Landhäuser außerhalb der Stadt. Den Gegenraum zum semantischen Raum ‚Oben‘ bildet folglich der semantische Raum ‚Unten‘. Unter der scheinbar glatten Oberfläche lauert hier das ‚Böse‘. Was oben den Eindruck von Sicherheit und Ordnung vermittelt, wird im Untergrund von kriminellen Verbrecherbanden, Gewalt und Korruption unterlaufen. Der Untergrund findet nicht selten seine Verortung im oder unterm Wasser – etwa, wenn Leichen im Kanalisationssystem entsorgt werden (Der Hexer; BRD 1964) oder wenn im Schwimmbad (Der Mönch mit der Peitsche; BRD 1967), im skurrilen Aquarien-Zimmer (Der Mönch mit der Peitsche) oder in gefluteten Kellern gemordet wird (Der grüne Bogenschütze; BRD 1961). Bereits Grob hat auf die Bedeutung des Wasser-Motivs als Zeichen für die Bedrohung fester Ordnung durch ihre Auflösung und ‚Verflüssigung‘ hingewiesen: „[…] über mehrere Treppen [geht es] immer weiter nach unten, durch noch unerschlossene Neben- und Unterwelten hin zum Wasser – zum Flüssigen, das sowieso jede feste Ordnung in Frage stellt“[2].

Die Inszenierung der semantischen Felder ‚Gesellschaftliche Ordnung/Öffentlichkeit‘ vs. ‚Kriminalität/Untergrund‘erfolgt darüber hinaus über die Dichotomie ‚hell‘ vs. ‚dunkel‘ resp. ‚Tag‘ vs. ‚Nacht‘. Zentrale Analysekategorie dieser visuellen Ebene bildet hier die Mise-en-scène, das Bildarrangement. Wird auf discours-Ebene mit unterschiedlicher Beleuchtungsintensität (high- und low-key), Kontrastsetzung und unterschiedlicher Farbgebung gearbeitet, so werden dabei die Parameter ‚hell‘ und ‚dunkel‘ semantisiert und funktionalisiert. Über dieses Semantisierungsverfahren ergibt sich eine Korrelation zwischen den Paradigmen ‚Gut/Böse‘ und ‚Tag/Nacht‘: Morde, Raubüberfälle und geheime Bandentreffen finden in der Regel nachts statt. Dunkle, düster anmutende Inszenierungen kodieren Bedrohung, Gefahr und Ungewissheit. Sie bilden Sequenzen der ‚Spannung‘, die wiederum durch helle, stark belichtete Einstellungen aufgelöst und in den Zustand der ‚Entspannung‘ überführt werden. Dagegen behalten die Ermittler von Scotland Yard einen klaren Kopf und bringen Licht ins Dunkle. Sie ermitteln hauptsächlich am Tag, dementsprechend agieren sie an Orten, die hell, überschaubar und gut ausgeleuchtet sind.

Die Grenze als ambivalenter Zwischenraum: Doppelbödig und durchlässig

Der zentrale Bestandteil semantischer Räume ist ihre Grenze, die zwei komplementäre, disjunkte Räume voneinander trennt. In einer Vielzahl der Edgar Wallace-Filme erweist die Grenze jedoch ihre ‚Doppelbödigkeit‘ und ist bisweilen durchlässig oder als ‚ambivalenter Zwischenraum‘ funktionalisiert. Die Orte, an denen beide Teilwelten aufeinandertreffen, sind als Verbindung zwischen Oben und Unten aufzufassen. Sie sind sichtbar an der Oberfläche angesiedelt, wie Anstalten, (Mädchen-)Heime, Internate und Bars. Diese an der Oberfläche etablierten öffentlichen Institutionen offenbaren im weiteren Handlungsverlauf bald ihre Verbindung zum verborgenen Untergrund. So öffnen sich Falltüren in dubiosen Hinterzimmern, Geheimgänge führen durch Kamine, Regalwände schieben sich zur Seite und Kanaldeckel geben den Weg nach unten frei. Damit stellt die ‚wallace’sche Grenze‘ zwischen Oberfläche und Untergrund selbst eine Art eigenen Grenzraum dar, der durch seine latente Durchlässigkeit und Doppelbödigkeit charakterisiert ist.

Bewegung an der Grenze und Grenzüberschreitung: Auf- und Abtauchen

Die Bewegung an der Grenze zeigt sich in den Wallace-Filmen im Motiv des Auf- und Abtauchens. In Hinblick auf den semantischen Raum ‚Untergrund‘, der oft als ‚Unterwasserwelt‘ inszeniert wird, erscheint dieses Motiv allgegenwärtig. Aber auch über die Bedeutungskomponente des Auf- und Abtauchens im Wasser hinaus kann von einem ‚Untertauchen‘ im Sinne von ‚Verschwinden‘ gesprochen werden. Immer wieder treten Figuren auf, die scheinbar an den semantischen Raum ‚Öffentlichkeit/Ordnung‘ gebunden sind, dann aber im Verbrechensmilieu untertauchen. Andersherum entfaltet der Begriff ‚Auftauchen‘ eine weitere Bedeutungskomponente, wenn die im Untergrund begangenen Verbrechen und Morde an die Oberfläche geraten können – etwa in Form von Leichen, die auftauchen und die Wahrheit ans Licht bringen (Die Tote aus der Themse; BRD 1971). Etabliert wurde dieses Motiv bereits im ersten Film der Reihe, Der Frosch mit der Maske – dort in Verbindung mit dem Frosch bzw. Tauchermotiv: Der maskierte ‚Frosch‘ im Taucheranzug, der sein Froschsymbol stets wie eine Unterschrift am Tatort und damit sichtbar an der Oberfläche hinterlässt, taucht schließlich immer wieder in die kriminelle Unter(-wasser-)welt ab. Hier wird deutlich, wie eng das Motiv des Auf- und Abtauchens mit dem Phänomen des Maskierens zusammenhängt: Täuschung und Maskerade stellen in den Wallace-Filmen immer eine Möglichkeit dar, zwischen Oberfläche und Untergrund zu wandeln.[3]

Die durchlässigen Grenzen in den Wallace-Filmen ermöglichen also zusammen mit dem Aspekt der Maskierung und Täuschung ein kontinuierliches Wandern der Figuren zwischen beiden oppositionellen semantischen Räumen. So entsteht ein steter Wechsel zwischen oben und unten, Auftauchen und Abtauchen, Spannung und Entspannung und letztlich auch zwischen Horror und Komik. Um auf die Elemente des ‚Baukastensystems‘ der Filmreihe zurückzukommen, besteht das Wallace-Prinzip gerade im Hin- und Her dieses dichotomen Wechselspiels.

 


Weiterführender Beitrag

Anna-Noemi Bartl: „Der Wallace-Baukasten: Kriminalfall, Falltüren und die richtige Fallhöhe — Semantisierungsmuster und Raumtopologie in den deutschen Edgar Wallace-Filmen“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel‘: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. XXX−YYY.

Filme

Der Frosch mit der Maske (Frøen med Masken; BRD/DK 1959, Harald Reinl).

Der grüne Bogenschütze (BRD 1961, Jürgen Roland).

Der Hexer (BRD 1964, Alfred Vohrer).

Der Mönch mit der Peitsche (BRD 1967, Alfred Vohrer).

Die Tote aus der Themse (BRD 1971, Harald Philipp).

Forschungsliteratur

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in der Wixxer.“ In: Jan-Oliver Decker (Hg.): Erzählstile in Literatur und Film (= Kodikas/Code. Ars Semeiotica 30, Nr. 1–2). Tübingen, S. 137–152.

Gräf, Dennis et. al. (2017): Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate. 2. Aufl. Marburg.

Grob, Norbert (1991): „Das Geheimnis der toten Augen. 13 Aspekte zum deutschen Kriminalfilm der sechziger Jahre.“ In: Hans-Peter Reimann/Rudolf Worschech (Hg.): Abschied von gestern: Bundesdeutscher Film der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt, S. 72–97.


[1] Vgl. Gräf et. al. 2017, S. 185.

[2] Grob 1991, S. 77.

[3] Vgl. dazu Blödorn 2007.

Manipulation durch Musik? Art und Wirkungsweise der Filmmusik in Edgar Wallace-Filmen

Fühlen Sie Angst, wenn Sie sanfte Geigenmusik hören? Sind Sie entspannt, wenn Sie den Klängen einer Heavy-Metall-Band lauschen? Die meisten von uns werden diese Fragen wohl mit einem klaren ‚nein‘ beantworten. Bei einigen würde Heavy Metall vermutlich eher zu einem Anstieg der Puls- und Atemfrequenz führen und romantische Streich-Musik den Körper Glückshormone ausschütten lassen. Grund dafür ist unsere unbewusste und automatische Verknüpfung von auditiven Eindrücken mit kulturellen Mustern, Emotionen und Visionen.[1] Denn, haben Sie schon mal einen Film ohne Ton angesehen? Egal ob Der weiße Hai (USA 1975, Steven Spielberg), Psycho (USA 1960, Alfred Hitchcock) oder Titanic (USA, 1997, James Cameron) – diese Filme wären wohl nur halb so wirkungsvoll und erfolgreich, wenn sie keine Filmmusik hätten. Ihr Kult-Status ist eng geknüpft an das bedrohliche, sich sukzessiv steigernde Leitmotiv des Hais, an die schrillen Streicher jener blutigen Badewannenszene und an Celine Dions tragische Hymne der Liebe. Dabei ist die Musik eines Films selten beliebig oder unmotiviert. In den meisten Fällen fungiert Filmmusik als Mittel, um die Zeichen der visuellen Ebene von Filmproduktionen auditiv zu unterstützen und die Emotionen der Rezipierenden zu steuern.[2] Im Gegensatz zu dem bewussten und kontrollierten Einsatz auf Produktionsebene sind Rezipierende den auditiven Reizen eines Films lediglich unbewusst und unkontrolliert ausgesetzt. Oftmals bemerken sie nicht mal die Anwesenheit von Musik oder können sich zumindest nachher nicht mehr an die Art und Weise erinnern, da sie sich so heimlich und unterschwellig unter die visuellen Bilder mischt – und diese wie eine unsichtbare ‚Stütze‘ sichert. Warum wir uns bei einem Horrorfilm gruseln, warum wir bei Beerdigungs-Szenen mit den Figuren mitweinen, warum wir in einem Action-Blockbuster kaum auf dem Kinosessel stillhalten können – alles eine Frage der Filmmusik? Jede Art von Musik hat eine Wirkung, auch das Fehlen von Musik an Stellen, die sonst konventionell musikalisch untermalt sind.

Die Musik von insgesamt 18 Filmen aus der Wallace-Reihe stammt von Peter Thomas. Seine Kompositionen gelten als die markantesten und dominantesten der Reihe. Beispielhaft kann Der unheimliche Mönch (BRD 1965, Harald Reinl) betrachtet werden: Angefangen bei der Intromusik, einem bunten Mix aus Instrumenten, Klangfarben, Rhythmen und Melodien, dass in erster Linie Diffusität auslöst, über die Gänsehaut-erregenden Klänge einer Orgel als musikalisches Motiv des Mörders, bis hin zu den auditiv versteckten Hinweisen über die Pointe des Films. Immer wieder wird in Wallace-Filmen auditiv mit den Konventionen des Krimi- und Horrorgenres gespielt, stilistische Grenzen werden überschritten und Hörgewohnheiten hinterfragt. Arrangement und Komposition von Filmmusik wird neu und einzigartig interpretiert.

Die Filme der Edgar Wallace-Reihe haben auch insgesamt betrachtet einen eigenen, unkonventionellen und schwer zu greifenden Charakter. Bei der Analyse der Filmmusik wird deutlich, dass unter anderem in Der unheimliche Mönch, Der Hund von Blackwood-Castle (BRD 1968, Alfred Vohrer) und Die Blaue Hand (BRD 1967, Alfred Vohrer) viel mit verschiedenen musikalischen Motiven und Themen gearbeitet wird, die den Rezipierenden als Wiedererkennungsmerkmal und Relevanzsignal dienen. Über die Musik wird zum Beispiel der Ort der Handlung situiert oder der Bösewicht markiert. Darüber hinaus wird unter anderem die in Der unheimliche Mönch erst gegen Ende kommunizierte romantische Beziehung zwischen dem Ermittler und Gwendolyn bereits bei deren erstem Augenkontakt durch eine sanfte Streichermelodie musikalisch angedeutet. Dieser Einsatz von auditiven Mitteln ist eher konventionell und beschreibt den Teil der Filme, die als genre-typisch bezeichnet werden können. Atypisch ist dagegen unter anderem die Art der Spannungserzeugung durch Musik: Peter Thomas kreiert durch die experimentelle Mischung aus orchestralen und elektronischen Klängen eine Art auditiver Überforderung, wodurch eine andere Form der Spannung bei den Rezipierenden eintritt, als es bei einer – für Kriminal- und Horrorfilme üblichen – unterschwellig tragenden Musik der Fall wäre. Der Wechsel zwischen auditiver Konvention und Experiment bestärkt die Filme in ihrer Wirkung als humoristische, leicht zur Absurdität neigenden Kriminalfilme, mit Elementen aus Horror, Drama und Romantik, die durch diese Kombination schon beinahe ein eigenes Genre darstellen.

Eine detaillierte Betrachtung des speziellen und einzigartigen Musikeinsatzes in den Filmen kann dabei helfen, diese Wirkungsweise zu dekodieren und die Sonderstellung der Reihe in der deutschen Filmgeschichte zu begreifen. Denn das, was zunächst nicht ins Auge fällt, ist oftmals das, worauf es letztlich ankommt.

Louisa Melzow

Weiterführender Beitrag

Louisa Melzow: „Skurril, experimentell und einzigartig. Komposition und Arrangement der Wallace-Filmmusik“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. 43−49.

Filme

Der unheimliche Mönch (BRD 1965, Harald Reinl).

Der Hund von Blackwood-Castle (BRD 1968, Alfred Vohrer).

Die blaue Hand (BRD 1967, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur

Bullerjahn, Claudia (2018): Psychologie der Filmmusik. In: Frank Hentschel und Peter Moormann (Hg.): Filmmusik: Ein alternatives Kompendium. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 181–229.

Gräf, Dennis; Großmann, Stephanie; Klimczak, Peter; Krah, Hans; Wagner, Marietheres (2017): Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate. 2. Auflage Marburg: Schüren. (= Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik, Band 3).


[1] Vgl. Gräf et. al 2017, 251.

[2] Bullerjahn 2018, S. 185.

Timeline: Tod und Gewalt in den Wallace-Filmen

Durch den langen Zeitraum und die vielen Einzelfilme, aus denen sich die Wallace-Reihe zusammensetzt, eröffnet sich den Rezipierenden die Möglichkeit, Entwicklungen innerhalb der Reihe über Jahre hinweg zu verfolgen. Ein Aspekt, der dabei besonders auffällt, ist die Darstellung von Tod und Gewalt. Von Beginn an zeichnet sich eine bewusste Ausgestaltung von Mord- und Bedrohungssequenzen ab, die nicht selten wegen außergewöhnlicher Waffen und Foltermethoden hervorstechen. Was das bewirkt und wie sich diese Ausgestaltung durch die 1960er Jahre hindurch bis hin zur Exploitation entwickelt, soll in dieser Timeline dargestellt werden.

Zum Download:

Timeline Tod und Gewalt

 

Mord und Maskierung. Zum Spiel mit Identität, Täterschaft und Schuld

Friederike Haul

Selbst wer die deutschen Edgar Wallace-Filme nicht kennt, merkt bei der Lektüre ihrer Titel rasch: Hier hat man es mit ungewöhnlichen Täterfiguren zu tun. Die Bösewichte kommen in skurriler Maskerade daher und verraten damit einiges über die Wallace-Filme als Reihe und als zeitgeschichtliches Dokument. Die Maskierungen machen das Spiel mit Identität und Schuld zu einem der zentralen Motive der Filme. Maskiert werden insbesondere die Täter*innen dabei auf mehreren Ebenen: Zahlreiche Figuren tragen tatsächlich eine Maske oder sind am ganzen Körper kostümiert. Andere Figuren verstecken sich hinter einer (vorgetäuschten) körperlichen Behinderung, durch die sie gesellschaftlich praktisch unsichtbar oder zumindest Randgruppen zugehörig werden.

Die Maskierungen können ebenso „rollenklärendes Kennzeichen“ wie „Mittel zur Verschleierung von Identität“ sein:[1] Ein(e) Mörder*in in bekannter Maskierung ist klar als moralisch ‚böse‘ und gefährlich markiert. Bei anderen Figuren wird diese sichere Zuordnung erschwert, etwa wenn Erkennungsmerkmale wie das Froschtattoo der Bande des ‚Froschs‘ (Der Frosch mit der Maske, BRD/DK 1959) nicht konsequent bei allen Mitgliedern zu finden sind. Auch der ‚Frosch‘ ist eine komplexere Figur als anfangs ersichtlich, denn er arbeitet mit einer Doppelmaskierung. Unter der Maske zeigt sich zunächst mutmaßlich der bürgerliche Philo Johnson, der sich später jedoch als der bekannte Verbrecher Harry Lime entpuppt. Die Rolle als ‚Frosch‘ erschwert die Aufdeckung der zweiten, weniger offensichtlichen Maskierung der sozialen Identität.

Abb. 1: Der ‘Frosch’ (Der Frosch mit der Maske, BRD 1959: 01:23:03).

Abb. 2: Der ‘Mönch’ (Der Mönch mit der Peitsche, BRD 1967: 00:02:46).

Dabei gilt: „Die Maskeraden der Täter lassen jeden zum Verdächtigen, zum potentiellen Mörder werden. Die Freundlichkeit ist nur Maske, dahinter lauern Abgründe.“[2] In deutschen Filmen, die 14 bis 27 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstehen, heißt das auch: In diesem Land, in dieser Gesellschaft ist niemandem zu trauen, jede*r könnte Täter*in sein und somit Schuld tragen an den Verbrechen des Krieges. Es wird deutlich: Durch die Maskierungen wird die Zuordnung von Schuldigen und Unschuldigen erschwert.

Ein weiterer Blick auf die maskierten Mörder*innen im Kontext der Nachkriegszeit und ihres Umgangs mit der deutschen Schuld lohnt sich. Denn die Filmfiguren werden auf verschiedene Weise zu ihrer individuellen Schuld in Distanz gebracht. Manche Täter*innen wie Harriet Foster im Mönch mit der Peitsche (BRD 1967, Alfred Vohrer) werden als „wahnsinnig“ bezeichnet (01:18:38). An anderer Stelle, etwa im Fall des ‚Froschs‘, geschieht das dadurch, dass die Täter als Tiere verkleidet auftreten oder anderweitig, z.B. durch körperliche oder geistige Behinderungen maskiert werden. Hinzu kommt, dass zahlreiche Mörder*innen lediglich die Befehle mysteriöser und skrupelloser Hintermänner ausführen, von denen sie oftmals völlig abhängig sind und bedroht oder bestochen werden. Dass die Stimme des Drahtziehers im Mönch mit der Peitsche, der ausgerechnet Gasmorde anordnet, an die verzerrten Klänge des Volksempfängers aus der NS-Zeit erinnert, dürfte kein Zufall sein.

Zentraler Bestandteil und Höhepunkt aller Wallace-Filme ist zudem die Demaskierung der Täterfigur. Es ist daher besonders auffällig, dass sich der*die Täter*in in etlichen Fällen im Moment der Enttarnung sogar selbst das Leben nimmt. Dies stellt eine Form der Flucht dar – und eine häufig vollzogene Handlung von Kriegsverbrecher*innen nach dem Ende des Dritten Reichs. Die Liste führender Nationalsozialisten, die 1945 (oder später) Suizid begingen, ist lang: Zu ihnen gehören Herrmann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler. Sowohl sie als auch die Täter*innen in den Wallace-Filmen nehmen sich das Leben, wenn sie ihre Niederlage erkennen und sich den entsprechenden Folgen stellen müssten.

Oft steht die Auflösung eines Falles zudem im Zusammenhang mit einem Erbe, das eine ahnungslose, schöne junge Frau erhalten soll. Dieses Handlungselement „mag auch das ‚Erbe‘ reflektieren, das in diesen sechziger Jahren angetreten werden sollte […]. Das Happy-End ließ uns das Erbe annehmen; es war durch den Tod der Bösewichte gereinigt“[3]. Was für eine Erleichterung für das damalige Publikum: Die Wallace-Filme arbeiten sich zwar oberflächlich an der (deutschen) Vergangenheit ab, erzählen sogar von Täterschaft und verdrängter Schuld, ohne jedoch den Zeigefinger so sehr zu erheben, dass sich die Zuschauer selbst als Täter*innen oder Erb*innen derselben reflektieren mussten.

 


Weiterführender Beitrag

Friederike Haul: „Maskierte Mörder*innen. Zum Spiel mit Identität, Täterschaft und Schuld“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. XXX−YYY.

Filme

Der Frosch mit der Maske (Froen med Masken, BRD/DK 1959, Harald Reinl).

Der Mönch mit der Peitsche (BRD 1967, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur

Herrmann, Annika/Sina Weiß (2019): „Identitätsverschleierung und Vergangenheitsbewältigung: Der Frosch mit der Maske als Nachkriegsfilm“. In: Etappen der deutschen Filmgeschichte. Kultursemiotische Perspektiven (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 2/2019), S. 24–30.

Thiele, Jens (1992): „Deutsche Trivialität: Die seltsame Gräfin (1961)“. In: Werner Faulstich/Helmut Korte (Hg.): Fischer Filmgeschichte, Bd. 4: Zwischen Tradition und Neuorientierung: 1961–1976. Frankfurt am Main, S. 40–54.

Seeßlen, Robert (1981): Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektivfilms. Reinbek bei Hamburg.


[1] Herrmann/Weiß 2019, S. 25.

[2] Thiele 1992, S. 44.

[3] Seeßlen 1981, S. 216.

Die Stars und ihre Rollen: Wiederkehrende Besetzung von Schauspieler*innen in der Edgar Wallace-Reihe

Maren Plottke

Die Edgar Wallace-Reihe zeichnet sich durch ihren besonderen Umgang mit Fragen der Serialität aus. Die einzelnen Filme sind als Episoden gestaltet, was bedeutet, dass sie anders als Folgen keine fortlaufende Handlung abbilden, sondern in sich abgeschlossen sind und somit als Einzelkunstwerk funktionieren. Dennoch gibt es wiederkehrende Elemente, welche die Filme untereinander verbinden und – durchaus im Sinne einer Serialisierung – ein durchgängiges Rezeptionserlebnis konstituieren. Zu diesen Elementen gehört in der Wallace-Reihe unbedingt die Auswahl von Schauspielern, die wiederholt in den Filmen auftreten, weil selten mehrmals dieselbe Figur in die Drehbücher eingebunden wird. Stattdessen werden durch wiederholten Einsatz derselben Darsteller in bestimmte Rollentypen Erwartungen an neu auftretende Figuren generiert, die vom Film selbst nicht mehr formuliert werden müssen. So wird ein Raum eröffnet, in dem sich die Reihe selbst referentialisieren kann1, indem sie diese Erwartungen immer wieder erfüllt oder auch mit ihnen bricht.

Dabei ist Eddi Arent mit seiner großen Rollenanzahl und dem kuriosen Slapstick-Humor, den die von ihm gespielten Figuren in die Reihe bringen, ein unerlässlicher Bestandteil der Wallace-Filme. In den über zwanzig Filmen, in denen er mitspielt, sind seine Figuren ganz unterschiedlich angelegt, zeigen aber einen ähnlichen Charakter – und nur selten spielt Arent dabei überraschend den Verbrecher.

Heinz Drache dagegen tritt primär als Verkörperung von Ermittlerfiguren auf, die sich durch Gradlinigkeit und eine auffallende Kombinationsgabe auszeichnen. Allerdings stehen seine Figuren häufiger auf unterschiedlichen Seiten als die seiner Kollegen, wodurch sich der beabsichtigte Überraschungseffekt einer wechselnden Rollenbesetzung im Filmgeschehen leicht abschwächt.

Ebenfalls meist als Ermittler ist Joachim Fuchsberger zu sehen, allerdings wird bei ihm der Rollentyp konstanter durchgehalten als bei Drache. So ist er stets als athletischer Frauenheld zu sehen, der mit Leidenschaft seine Arbeit verrichtet und in Dialogen durch seinen Witz dominiert. Er spielt nie eine Figur, die auf der Seite des Verbrechens steht, auch wenn seine Ermittlerfiguren sich in ihren Methoden häufiger am Rande der Legalität bewegen als die von Heinz Drache.

Klaus Kinski verkörpert für die Wallace-Reihe zumeist Verbrecher, die nicht an der Spitze ihrer kriminellen Organisation stehen, aber durch Skrupellosigkeit und eine Tendenz zur Geisteskrankheit in Erinnerung bleiben. Diese Figuren werden in vielen Filmen im Handlungsverlauf zum Opfer ihrer Vorgesetzten oder der Konfrontation zwischen Scotland Yard und dem Verbrechen.

Siegfried Schürenberg zuletzt ist ein Sonderfall unter den gewählten Beispielen, da er eine Figur verkörpert, die nicht nur in vielen Filmen auftritt, sondern auch konsistent die Erwartung der Zuschauenden an den Charakter seiner Figur erfüllt – selbst dann, wenn er eine andere Figur als Sir John darstellt.

Aufmerksamen Leser*innen wird auffallen, dass in den eben aufgeführten Beispielen keine einzige Frau vertreten ist, obwohl es in der Reihe viele weibliche Rollen gibt. Das liegt zum einen daran, dass die weiblichen Rollen häufiger durch andere Darstellerinnen besetzt wurden als die männlichen Rollen, zum anderen ähneln sich die Frauenfiguren in der Reihe untereinander so sehr, dass ihre Eigenschaften schwerlich auf die sie verkörpernden Schauspielerinnen zurückgeführt werden können.

                                               

Abb. 1- 3: Fuchsbergers Ermittlerfiguren im Flirt mit ihren Schützlingen.

 

 

 

Weiterführender Beitrag:

Maren Plottke: „Wiederkehrende Besetzung von Schauspieler*innen in der Edgar Wallace-Filmreihe“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. XXX−YYY.

Forschungsliteratur:

Grob, Norbert (1993): „Das Geheimnis der toten Augen. 13 Aspekte zum Kriminalfilm der sechziger Jahre.“ In: Wolfgang Jacobson, Anton Kaes und Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart: J. B. Metzler. S. 211- 248.

Seeßlen, Georg (1999): „Trivial Pursuit. Der Frosch mit der Maske (1959).“ In: FilmGeschichte 13 (1999). S. 25- 28.

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Das Gasthaus an der Themse (BRD 1962, Alfred Vohrer) (00:26:02).

Abbildung 2: Die toten Augen von London (BRD 1961, Alfred Vohrer) (00:06:29).

Abbildung 3: Der Frosch mit der Maske (BRD/DK 1959, Harald Reinl) (01:26:06).

 

 

  1. Vgl. Seeßlen 1999,  S. 25f. []

Schaulust und Macht. Sex und Gewalt in den deutschen Edgar Wallace-Filmen

Romany Schmidt

Die deutschen Edgar Wallace-Filme laden dazu ein, dabei zu sein, wenn die Ermittler Scotland Yards losziehen, um die Kriminalität zu bekämpfen, die im Untergrund Londons schwelt. Im Herzen des Krimi-Genres, zu dem die Filme der Wallace-Reihe gerne gezählt werden, lebt das Verbrechen. Da dieses meist als Unrecht begriffen wird, geht es in der Regel um dessen Aufklärung. Aber auch über das Initialverbrechen hinaus erschrecken die Wallace-Filme gerne mit dem, was sie auf die Leinwand bringen. Als Spiegelbild ihrer Zeit, das Normen und Deutungsmuster offenlegt, lohnt sich ein Blick auf die Inszenierung und Funktionalisierung von Gewalt. Welche Perspektiven auf Gewalt offenbaren sich hier?

Die Filme der Reihe zeigen diesbezüglich zwei wichtige Gemeinsamkeiten: Nicht nur vollzieht sich eine Radikalisierung der Gewaltdarstellung im Laufe der Entwicklung der Reihe, Gewalt wird darüber hinaus auch eng an Sexualität und Erotik geknüpft.[i] Bereits in Der Frosch mit der Maske (BRD/DK 1959), dem ersten Edgar Wallace-Film, wird die Richtung vorgegeben, mit der Gewalt in der weiteren Folge übergreifend mit Sexualität und Erotik in Verbindung gebracht wird.

Das Motiv der sexuellen Gewalt nimmt dabei eine bedeutende Rolle für die Art der Verbrechen ein, die die Handlung der Filme bestimmen. Die Wallace-Filme zeigen eine Vorliebe für sexualisierte Gewalt in institutionellen Kontexten – Einrichtungen wie Mädchen- und Blindenheime, Strafanstalten, Internate und Schulen ermöglichen den Kriminellen Zugriff auf junge Mädchen, die von Mädchenhändlerringen in ferne Länder verschleppt werden sollen oder zur Prostitution im hauseigenen Bordell gedrängt werden (z.B. Der Hexer, BRD 1964; Der Bucklige von Soho, BRD 1966).

Gewalt wird darüber hinaus auch über filmische Mittel und den Blick auf den weiblichen Körper erotisiert. Sobald das Gas, das in Der Mönch mit der Peitsche (BRD 1967) als Tötungsmittel dient, gegen die Mädchen des Internats angewendet wird, wird es auf auffällige Art und Weise inszeniert. Als zuerst Pam dem Gas zum Opfer fällt, wird dieses in flüssiger Form auf ihr Gesicht gesprüht (Der Mönch mit der Peitsche: 00:14:00). Später erhält die Waffe ein neues Design: Anstelle einer Bibel handelt es sich nun um eine pistolenähnliche Apparatur (→ Phallische Waffen), mit der der Mörder Frank Keeney den nächsten Opfern, Betty (Abb. 1 und 2) und Mary, das Gas ins Gesicht spritzt (Der Mönch mit der Peitsche: 00:35:58; 00:47:36). Durch Schnitt und Perspektive, die zwischen Opfer und Täter wechselt, werden die Zuschauer an einer sexualisierten Dominierungs- und Unterwerfungsdynamik beteiligt.[ii] Obwohl kein sexueller Akt explizit gezeigt wird, sind die Wallace-Filme von Anspielungen auf die sexuelle Bemächtigung des weiblichen Körpers durchdrungen. Durch die Verbindung phallischer Waffen mit der körperlichen Unterwerfung von Mädchen und Frauen werden nicht nur physische Machtverhältnisse  dargelegt, sondern auch die Konzepte der patriarchalen Macht und der weiblichen Unterwerfung eng miteinander verknüpft.

Abb.1: Der Mönch mit der Peitsche 00:35:58
Abb.1: Der Mönch mit der Peitsche 00:36:04

Hieran schließt sich die Beobachtung an, dass Gewalt in den Edgar Wallace-Filmen auch über eine Sexualisierung und Erotisierung hinaus generell mit Sexualität in einen Sinnzusammenhang gesetzt wird. Mittels der Art der Gewaltausübung und -inszenierung wird eine binäre, heterosexuelle Geschlechteridentität und eine Geschlechterordnung konstruiert, die die kulturelle Differenzierung des weiblichen und des männlichen Geschlechts affirmiert. Auch wird Gewaltausübung in einen Kausalzusammenhang mit Begehren gesetzt: Als die Oberin in Der Bucklige von Soho (BRD 1966) ihre Gerte gegen eine Gruppe Mädchen richtet, macht ihr eine von ihnen ihre homosexuelle Orientierung – und somit auch die Adaption vermeintlich männlicher, auf Dominanz und Unterwerfung beruhender Verhaltensmerkmale – zum Vorwurf (Der Bucklige von Soho: 00:14:53). Diese ‚Verwirrung‘ der Geschlechterordnung bleibt im Film nicht ungestraft: Das Aufbegehren der als männlich dargestellten Oberin, das Geschlechtsidentität und Begehren des eigenen Geschlechts korreliert, mündet in ihren Tod, der mittels einer Penetration auf Unterleibshöhe die körperliche Weiblichkeit der Oberin wieder restituiert (Abb. 3)

Abb. 3 Der Bucklige von Soho 01:01:16

Die Edgar Wallace-Filme stellen in ihren Geschichten verschiedene Formen sexueller Gewalt aus, während über die filmische Inszenierung von Macht und Unterwerfung zugleich kulturell tradierte Ordnungen der Geschlechtsidentität und des Begehrens implizit affirmiert und ihre Kopplung an Gewaltausübung naturalisiert werden.

Weiterführender Beitrag:

Romany Schmidt: „Schaulust und Macht. Erotisierung und Sexualisierung von Gewalt in den deutschen Edgar-Wallace-Filmen“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. 126−135.

Literatur

Blödorn, Andreas (2007): Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in Der Wixxer“. In: Decker, Jan Oliver (Hg.): KODIKAS/Code. Ars Semeiotica 30, Nr. 1-2: Themenheft Erzählstile in Literatur und Film. Tübingen, 137-152.

Stiglegger, Marcus (2015): Film als existenzielle Erfahrung. Zur Phänomenologie des Terrorkinos“. In: Kotthaus, J. (Hg.): Sexuelle Gewalt im Film. Weinheim und Basel, 60–81.

Filme

Der Frosch mit der Maske (BRD/DK 1959, Harald Reinl).

Der Hexer (BRD 1964, Alfred Vohrer).

Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer).

Der Mönch mit der Peitsche (BRD 1967, Alfred Vohrer).


[i] Vgl. Blödorn 2007, S. 149.

[ii] Vgl. Stiglegger 2015, S. 72.

Peitschen, Flammenwerfer, Bohrmaschinen. Phallische Waffen im Wallace-Film.

 Jan-David Wiegmann

Im Kuriosum der Wallace-Requisiten lohnt es sich, einen Blick auf die eingesetzten Waffen zu werfen. Statt allein auf die klassische Pistole zu vertrauen, bedrohen und töten die Bösewichte in den Edgar Wallace-Filmen ihre Opfer auch mit Bohrmaschinen, glühenden Eisenstangen oder Flammenwerfern. Auf den ersten Blick mag dies wie eine besonders brutale (und teils plumpe) Art der Gewaltdarstellung wirken, doch die Auswahl folgt einem symbolischen System. Durch ihre lange und steife Form stehen diese Waffen in einem Ähnlichkeitsverhältnis zum erigierten Penis – sie sind phallisch.

Die phallische Komponente der Waffen rückt besonders dann in den Fokus, wenn sie etwas Nicht-Gezeigtes symbolisch andeuten. Dabei ist auffällig, dass sich Bohrmaschinen, Flammenwerfer und Peitschen allesamt in einen ‚Erregungszustand‘ versetzen lassen. So wird in Der Bucklige von Soho (BRD 1966) eine junge Erbin von einer Verbrecherbande an einen Stuhl gefesselt, während aus der gegenüberliegenden Wand ein Flammenwerfer in der Form eines Feuerwehrschlauchs auf sie zufährt und beginnt Feuer zu spucken (Abb. 1). Die wehrlose Frau und der explizit phallisch inszenierte Flammenwerfer evozieren das symbolische Bild einer Vergewaltigung.

Abb. 1 und 2: Flammenwerfer als imaginäre Phalli in Der Bucklige von Soho (oben, 00:12:49) und in Die toten Augen von London (unten, 01:28:28).

In der Psychoanalyse ist der Phallus ein Zeichen der (symbolischen) Macht, des Selbstbewusstseins und der Virilität (vgl. Bischoff 2001: 298 & Nemitz 2020). Diese Eigenschaften des Phallus finden in den Waffen der Wallace-Filme ebenfalls Ausdruck. Der vermeintlich blinde Reverend Paul Dearborn aus Die toten Augen von London (BRD 1961) wird, nachdem er sich die Kontaktlinsen entfernt hat, zum Schurken David Judd. In seiner neuen Rolle nimmt er einen Flammenwerfer zur Hand, um die mit ihm eingesperrte Erbin Nora Ward zu bedrohen und zur Heirat zu zwingen (Abb. 2). Der Flammenwerfer verschafft ihm volle Kontrolle über die Situation und ist symbolischer Ausdruck des Wandels vom demütigen Reverend hin zum mächtigen, narzisstischen Schurken Judd. Doch sobald er den Flammenwerfer im Kampf mit Inspektor Larry Holt verliert, vollzieht sich eine symbolische Kastration. Judd verliert die Kontrolle über die Situation und wird von der Polizei abgeführt. In den beiden angeführten Fällen, Der Bucklige von Soho und Die toten Augen von London, dienen die phallischen Flammenwerfer in den Händen von Männern der Ausübung von Macht über Frauen.

Abb. 3: Die phallische Gerte als Zeichen sadistischer, maskuliner Macht, die die Homosexualität der Aufseherin in Der Bucklige von Soho konnotiert (00:14:26).

Doch das Machtverhältnis kann sich auch in eine gegenteilige Situation verschieben – dann nämlich, wenn sich Frauen des Phallus bedienen und somit das Bild der frühkindlichen Annahme einer „‚phallische[n] Mutter‘ oder ‚phallische[n] Frau‘“ (Le Soldat 1994: 74) hervorrufen. So dienen der Messerwerferin aus Der Mann mit dem Glasauge (BRD 1969), ihre phallischen Messer als Ausdruck der zurückerlangten Selbstbestimmung und Macht über die Verbrecher, die sie zuvor nach Südamerika verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen haben.

Eine Sonderrolle nimmt die als homosexuell markierte Aufseherin aus Der Bucklige von Soho ein. Die phallische Reitgerte verleiht ihr nicht allein symbolische Macht, sie kann die Gerte auch zur Erzeugung physischer Gewalt gegen die von ihr beaufsichtigten Mädchen einsetzen (Abb. 3). Die phallische Gerte als Zeichen sadistischer, maskuliner Macht hebt die Homosexualität der Aufseherin besonders hervor. 

Über die phallischen Waffen wird in den Wallace-Filmen die Macht verhandelt. Sie sind in der Lacanschen Psychoanalyse als imaginäre Phalli (vgl. Nemitz 2010) einzustufen und zeugen von der vollständigen Kontrolle über das Geschehen. Diese Kontrolle schwindet, sobald die phallische Waffe verloren geht und sich somit eine symbolische Kastration vollzieht. Zudem wird in den Wallace-Filmen durch die phallische Inszenierung auch Nicht-Gezeigtes symbolisch angedeutet. Auf diese Weise können gewaltsame Szenen erzählt werden, ohne durch schockierende Direktheit mit dem ‚britischen Charme‘ zu brechen.

Weiterführender Beitrag:

Jan-David Wiegmann: „Von Peitschen, Flammenwerfern und Bohrmaschinen. Phallische Waffeninszenierung in den Wallace-Filmen“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. XXX−YYY.

Filme:

Die toten Augen von London (BRD 1961, Alfred Vohrer)

Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer)

Der Mann mit dem Glasauge (BRD 1969, Alfred Vohrer)

Forschungsliteratur:

Bischoff, Doerte (2001): „Körperteil und Zeichenordnung. Der Phallus zwischen Materialität und Bedeutung“. In: Benthien, Claudia. & Wulf, Christoph (Hgg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Reinbek bei Hamburg, S. 293–315.

Le Soldat, Judith (1994): Eine Theorie menschlichen Unglücks. Trieb, Schuld, Phantasie. Frankfurt am Main.

Nemitz, Rolf (2010): „Kühlerfigur“. In: Ders.: Lacan entziffern. https://lacan-entziffern.de/phallus/kuehlerfigur/ (03.03.2021).

Nemitz, Rolf (2020): „Der imaginäre und der symbolische Phallus (1957–1959)“. In: Ders.: Lacan entziffern. https://lacan-entziffern.de/kastration/lrstll/ (03.03.2021).

„Das blinde Ungeheuer und sein Chef“ – Semantisierung und Funktionalisierung von Behinderung in “Die toten Augen von London”

Ann-Kathrin Hickert

Die Popularität der deutschen Verfilmungen der britischen Edgar Wallace-Kriminalromane lässt sich mit Sicherheit nicht zuletzt auf die teils skurril anmutenden Bösewichte zurückführen, denen sich die Inspektoren Fuchsberger, Tappert und Co. gegenübersahen. Regelmäßig deckten die Ermittelnden Menschenhandel auf, verfolgten unbekannte Unterweltbosse „und, immer wieder, Menschen hinter Masken, die vorzugeben suchen, andere zu sein, als sie in Wirklichkeit sind“[1]. Frosch- und Gorillabanden, Hexer und Mönche drangen oftmals durch sogenannte ‚Halbwelten‘, in denen sich öffentliches Leben und Unterwelt die Klinke in die Hand gaben, in Bereiche der Bürgerlichkeit vor. Um in dieser Sphäre unbehelligt agieren zu können, bedurfte es einer Maskierung, die über die Verschleierung der wahren Identität hinausgeht. Am Beispiel der Toten Augen von London (BRD 1961, Alfred Vohrer) lässt sich zeigen, wie dabei immer wieder auch die Semantisierung von Menschen mit Behinderungen als Tarnung funktionalisiert wurde, denn: Welcher anständige Kriminalbeamte würde schon das blinde geistliche Oberhaupt einer Blindeneinrichtung verbrecherischer Aktivitäten beschuldigen?

Die Semantisierung der Bewohner des Blindenheims

Die Darstellung von Figuren mit Behinderung funktioniert nicht selten über die (Re-)Produktion bestehender Stereotype. Die Einordnung in die Differenzkategorie ‚Behinderung‘ markiert zum einen die Abgrenzung zu nicht-behinderten Rezipienten und kann andererseits mit symbolischer Bedeutung angereichert werden. Populäre Typen behinderter Figuren sind beispielweise verbitterte Antagonisten oder infantilisierte Opfer.[2]

Im vorliegenden Beispiel zeichnet die Charakterisierung der blinden Heimbewohner in Kombination mit der Auflösung des Falles das Bild leicht zu manipulierender älterer Männer, deren Handlungen durch nicht-blinde Kriminelle fremdbestimmt werden. Potenzielle Verbrecher geraten zu harmlosen Mitwissenden, die sich vor dem ehemaligen Mitbewohner Jack fürchten. Die diegetische Welt des Wallace-Universums greift auf das in dem Film dargestellte geteilte Wissen über Behinderung zurück. Somit ermöglicht die Funktionalisierung der Darstellung von Behinderung erst die Funktionalisierung dieser innerhalb der Diegese: Der Verbrecher David Judd alias Mr. Lennox tarnt sich als blinder Reverend und macht sich damit das der Diegese inhärente Bild unschuldiger, beeinträchtigter Menschen zunutze.

Die Entmenschlichung des ‚blinden‘ Jack

Eine Ausnahme dieser Charakterisierung blinder Figuren bildet der blinde Jack, da sich an ihm eine andere Form der Darstellung offenbart, die vornehmlich in Psychothrillern und Horrorfilmen für Angst und Schrecken sorgt: Die Rede ist von „den irren Mördern, die eigentlich Tiere sind“[3]. Überdurchschnittliche Körperbehaarung gepaart mit lautloser, animalischer Mordlust skizzieren einen monströsen Antagonisten, dessen Entmenschlichung in dem bildlichen und metaphorischen Arrangement seiner Ermordung gipfelt. Ihm wird, während er im Laderaum eines Lieferwagens hockt, von der Vorderkabine aus sieben Mal ins Gesicht geschossen, und seine Leiche wird auf einer Mülldeponie aus dem Fahrzeug geworfen (01:03:58–01:05:22; Abb. 1 und 2). Hier offenbart sich nicht nur die Gleichgültigkeit des Chefs dem treuen Helfer gegenüber, die hinrichtungsähnliche Tötung strotzt auch vor brachialer Gewalt.

Abb. 1–2: Der blinde Jack Sekunden vor und nach seiner Ermordung auf der Mülldeponie (01:04:42 und 01:05:14).

In der Ausübung der begangenen und versuchten Morde wird Jack als martialischer Vollstrecker inszeniert, der mit seinen bloßen Händen tötet. Diese Darstellung als „menschliches Ungeheuer“[4] stellt Jack in die Tradition tierisch anmutender Antagonisten der Wallace-Reihe. Als Beispiele seien hier die Köpfe der ‚Frosch‘- und ‚Gorilla‘-Bande in Der Frosch mit der Maske (BRD/DK 1959, Harald Reinl) und Der Gorilla von Soho (BRD 1968, Alfred Vohrer) genannt. Bedeutende Unterschiede zu diesen Schurken liegen zum einen in der fehlenden Maskierung und zum anderen in der hierarchischen Verortung der Figur. Während andere Mörder*innen ihre wahre Identität hinter skurrilen anthropomorphen Maskierungen verbergen, wird der Status eines Ungeheuers hier an den körperlichen Merkmalen des blinden Jacks festgemacht, was eine Stigmatisierung dieser Eigenschaften zur Folge hat. Die „Zuschreibung einer ganzen Kette von Andersartigkeit konstituierenden Merkmalen“[5] funktioniert hier über die visuelle Kodierung des Erscheinungsbildes, welches in direkten Bezug zur Mordlust gestellt wird, mit der die Figur agiert. Ihre Blindheit lässt sich als metaphorischer ‚blinder Gehorsam‘ interpretieren, der mit seiner Funktionalisierung sowie hierarchischen Verortung zusammenhängt: Wenngleich er das Publikum durch die aufgezeigten Charakteristika und implizierte Eigenschaften in Angst versetzen soll, bleibt er, wie sein Tod verdeutlicht, ein entbehrlicher Handlanger für den wahren Drahtzieher.

Figuren mit Behinderung als Manifestationen von Halbwelten

Lou Norris, der blinde Komplize Jacks, wird hingegen als leicht zu manipulierendes Opfer stilisiert, das sich mit geheimen Botschaften an die Polizei richtet. Er bildet eine Art Bindeglied zwischen den kriminellen Figuren der Unterwelt und den rechtschaffenen Vertreter*innen der geordneten Bürgerlichkeit, was sich auch durch seine raumsemantische Verortung manifestiert. Als Bewohner der Teilwelt ‚Blindenheim‘ verfügt er über eingeschränkten Zugang zur Öffentlichkeit. Diesen erlangt er allerdings nur durch Eigeninitiative, da er sich mit Hinweisen aktiv an die Polizei richtet, bevor er – abseits des gezeigten Geschehens – beseitigt wird.

Seine Stilisierung steht auf der Schnittstelle der bisherigen Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Wallace-Reihe: Ähnlich wie die (anderen) Bewohner des Blindenheims bleibt Lou das Opfer der kriminellen Machenschaften nicht-behinderter Menschen. Allerdings unternimmt er den Versuch, sich diesen Strukturen zu entziehen und die Aufklärung der Fälle voranzutreiben. Seine Behinderung scheint ein wichtiges Kriterium für die Beteiligung an den kriminellen Plänen zu sein. In Die toten Augen von London wird zwar nicht ersichtlich, ob Lou Norris der einzige Bewohner ist, der Jack bei seinen Taten helfen muss – allerdings lässt die Erwähnung früherer Aktivitäten der blinden Verbrecherbande vermuten, dass auch andere Männer dieser Gruppierung angehörten (vgl. 00:07:18–00:07:23).

Behinderung als Maskierung

Die Semantisierung der topografischen Halbwelten, in denen behinderte Figuren weitestgehend isoliert leben, lässt wenig Raum zur Begegnung zwischen der normativen Mehrheitsgesellschaft und marginalisierten Gruppen. Dies ermöglicht den kriminellen Drahtziehern im Wallace-Universum, abseits der breiten Öffentlichkeit in Räumen zu agieren, die nicht gänzlich der Unterwelt angehören. Als kirchlicher Leiter des Blindenheims operiert David Judd zwar getarnt, jedoch nicht vollkommen anonymisiert. Die Instrumentalisierung von Blindheit sowie seiner blinden Schützlinge im Einzelnen kann nur funktionieren, weil die Stigmatisierung dieser ihm einen Platz am Rande der Gesellschaft sichert. Die Charakterisierung des blinden Jacks als animalisches Ungeheuer sorgt zusätzlich für Angst – in der Öffentlichkeit ebenso wie bei den anderen blinden Figuren – und reproduziert den Mythos dieses ‚blinden Ungeheuers‘, was seine Wirkmacht nur noch verstärkt. Die Maskierung als behinderter Mensch wird somit durch das innerhalb der Diegese geteilte Bild von Behinderung erst ermöglicht.

 


Weiterführender Beitrag:

Ann-Kathrin Hickert: „‚Sie haben sich die ganze Zeit verstellt, sie sind gar nicht blind!‘ – Eine exemplarische Analyse der Semantisierung und Funktionalisierung von Behinderung in Die toten Augen von London.“ In: Edgar Wallace – ‚German Grusel‘: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. X−Y.

Filme:

Der Frosch mit der Maske (DK/BRD 1959, Harald Reinl).

Die Toten Augen von London (BRD 1961, Alfred Vohrer).

Der Gorilla von Soho (BRD 1968, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur:

Bartmann, Silke (2002): Der behinderte Mensch im Spielfilm: Eine kritische Auseinandersetzung mit Mustern, Legitimationen, Auswirkungen von und dem Umgang mit Darstellungsweisen von behinderten Menschen in Spielfilmen. Münster.

Dederich, Markus (2007): Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld.

Grob, Norbert (1991): „Das Geheimnis der toten Augen. 13 Aspekte zum deutschen Kriminalfilm der sechziger Jahre.“ In: Hans-Peter Reimann/Rudolf Worschech (Hg.): Abschied von gestern: Bundesdeutscher Film der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt, S. 72–97.

Seeßlen, Georg (1981): „Die deutschen Edgar Wallace-Filme.“ In: Ders.: Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektiv-Films. Hamburg, S. 209–217.


[1] Grob 1991, S. 77.

[2] Vgl. Dederich 2007, S. 111.

[3] Seeßlen 1981, S. 210.

[4] Ebd., S. 212.

[5] Bartmann 2002, S. 31.

Zwischen Schwarzwaldmädel und Schulmädchen-Report. Erotisierung und Sexualisierung in den Edgar Wallace-Filme

Michael Boch

Erotik und Sexualität sind in der heutigen Fernseh- und Kinolandschaft omnipräsent. Dies war nicht immer so. Vielmehr kann von den 1960er Jahre bis in die 1970er Jahre eine gesellschaftliche Öffnung hin zur expliziten Darstellung von Sexualität festgestellt werden. Anhand der Filme der Wallace-Reihe ist diese Entwicklung nachzuverfolgen. Im Folgenden werden die Darstellungsformen von Erotisierung und Sexualisierung vom Ende der 1950er bis in die frühen Siebziger in den Blick genommen. Als cineastischer Rahmen können hierbei der Heimatfilm der 1950er und die Reportage-Filme der 1970er dienen.

Die Heimatfilme befriedigten das eskapistische Bedürfnis der Nachkriegsdeutschen nach einer heilen Welt, welche durch tradierte Werte strukturiert ist und durch ihre Unzerstörtheit einen Kontrast zur Lebenswelt bot. Die Operettenverfilmung Das Schwarzwaldmädel war als erster deutscher Farbfilm ein absoluter Kassenschlager. Die weiblichen sexuellen Stereotype im Schwarzwaldmädel lassen sich gut mithilfe der Begriffe des ‚Fräuleins‘ und der Femme fatale beschreiben. Bärbele Riederle, das titelgebende ‚Schwärzwaldmädel‘, ist eine junge berufstätige Frau, die bei einer Tombola anlässlich eines Empfangs ein Auto gewinnt und mit diesem zurück in ihren Heimatort im Schwarzwald reist. Auf diesem Empfang lernt sie den jungen Maler Hans Hauser kennen, der eigentlich mit dem Revuestar Malwine Heinau liiert ist. Hauser verliebt sich in das bodenständige und natürliche ‚Schwärzwaldmädel‘ und reist ihr in Begleitung des Bühnenpartners von Malwine Heinau nach. Die eifersüchtige Malwine folgt ihnen. Am Schluss kommen Malwine und ihr Partner sowie Hanau und Riederle zusammen. Dieser Verbindung aus operettenhaftem Humor und musikangereichter Wohlfühlatmosphäre steht der Wallace-Film auf schärfste gegenüber. Schon der 1951 veröffentlichte Film Die Sünderin hatte zu einem bundesweiten Skandal durch die Nacktdarstellungen und die als anstößig empfundene Darstellung von wilder Ehe, Prostitution und Selbstmord geführt.

An die Drastik der Sünderin schließt der Wallace-Film ab 1959 zwar an, aber ohne den Bruch mit den tradierten Moralvorstellungen mitzumachen. Der gutaussehende und vermögende Richard Gordon (Abb.2) bandelt mit der jungen und unschuldigen Ella Bennet an, die überdies noch „einen starken Charakter besitzt“ (Der Frosch mit der Maske: 00:32:13–00:32:15). Dem gegenüber wird der junge Ray Bennet, der sich durch seinen Leichtsinn und seine Manipulierbarkeit auszeichnet, von der reiferen Sängerin Lolita verführt, die von nahezu jedermann, egal welchen Alters, begehrt wird (Abb.1). Die Rollen sind hier genauso vorgegeben wie das Ende der Romanzen: Während Lolita vom ‚Frosch‘ getötet (und mutmaßlich vergewaltigt) und Ray für seinen ‚Fehltritt‘ fast unschuldig erhängt wird, heiratet die tugendhafte und reine Ella Bennet den reichen Junggesellen. Etwas anders gestaltet es sich in den Toten Augen von London. Dort ist die weibliche Hauptperson die eigenständige und an der Aufklärung des Falls maßgeblich beteiligte Nora Ward. Damit steht sie dem Typus des ‚Fräuleins‘ näher. Auch kommt ihre weibliche Sexualisierung immer deutlicher zum Vorschein, wobei sich hier allerdings keine erotischen Aufnahmen finden, abgesehen von einem angedeuteten, dann aber unterbrochenen Entkleiden (Abb. 3). Auch eine Femme fatale gibt es hier: Fanny Weldon, die als Prostituierte in einem Nachtklub arbeitet. Und wieder bleibt in der Diegese das klassische Ende erfüllt: Während das ‚Fräulein‘ und der Inspektor heiraten, stirbt die Femme fatale – und alle Kriminellen, die mit ihr liiert waren oder von ihr erpresst wurden.

       Abb. 1: Lolita wartet auf Ray (00:40:20)

Abb. 1: Lolita wartet auf Ray (00:40:20)

Abb. 2: Fuchsberger oberkörperfrei (00:29:49).

Abb. 3: angedeuteter Strip von Nora Ward (01:21:57).

Die starken jungen Frauen-Figuren verschwinden mit dem Fortschreiten der Reihe aus der Besetzung. Dies geht mit einer Verlagerung der erotischen und sexuellen Darstellungen einher. So wird die Trias aus ‚Fräulein‘, Inspektor und krimineller Femme fatale durch den Typus des ‚Schulmädchens‘ und des Herrenwitze reißenden alternden Lüstlings ergänzt. Im Hexer findet die Sexualisierung der Frauen in der Schwarzweiß-Ära ihren ersten Höhepunkt. Die Femme fatale wird von der eigenständigen Verbrecherin zur Sekretärin von Sir John, die sexuell extrovertiert agiert, während das junge hübsche ‚Fräulein‘ direkt zur festen Partnerin des Inspektors wird, die immer wieder gerettet werden muss, geheiratet werden will und die Ermittlungen eher behindert als unterstützt.[1] Die kriminelle Gegenspielerin ist hingegen mit dem ‚Hexer‘ verheiratet und hat als Grande Dame keinen erotischen Einfluss auf das Geschehen. Moralisch verfänglich ist einzig das sexuelle Interesse der Kommissare an einer Gruppe Schulmädchen.

Abb. 4: Higgins Verlobte (00:33:55)

  Abb. 5: Das Foto von Sir Johns Sekretärin (00:07:06)

Abb. 6: Die Inspektoren beobachten Schulmädchen (00:42:04).

Mit dem ersten Farbfilm werden die zuvor nur angedeuteten Fantasien explizit dargestellt und ausgespielt. Waren bisher primär die Geliebte des Kommissars, die kriminelle Femme fatale oder die Sekretärin Fokus der romantischen oder erotischen Inszenierungen, ändert sich dies mit dem ersten Film in Farbe (Der Bucklige von Soho) radikal. In diesem findet sich die reiche Erbin nach einer Entführung in einem Heim für ‚gefallene Mädchen‘ wieder, die in kurzgeschnittenen blauen Arbeitskitteln in einer Waschküche Zwangsarbeit verrichten müssen, während sie der Allgemeinheit als katholische Schulmädchen vorgeführt werden. Zusätzlich hat die offenbar homosexuelle Heimleiterin eine sadistische Neigung. Die schönsten Mädchen werden in ein Bordell für die Londoner Oberschicht gebracht, wo sie in diamantbesetzten Dessous den Gästen Gesellschaft leisten und sich prostituieren müssen (Abb. 7). Das Changieren der Inszenierung zwischen Straflager-Erotik[2] und Edelbordell wird zusätzlich durch Sir Johns sexuelles Interesse an den Mädchen ad absurdum geführt. Dessen Altherrenfantasien sind erfüllt, wenn er zum Dank für ihre Befreiung von den Mädchen umarmt und geküsst wird (Abb. 8 und 9).

Abb. 7: Schulmädchen im illegalen Edelbordell (00:43:33)

Abb. 8 und 9: Sich erfüllende Altherrenfantasie (01:11:06 und 01:11:17).

Fiel den 1960ern der Heimatfilm zum Opfer, so ist das gleiche für die Wallace-Reihe in Bezug auf die 1970er zu konstatieren. Die immer weitere Steigerung der Drastik der Darstellungen von Sex und Gewalt konnte den vom Publikum und Kritikern zugeschriebenen Qualitätsverlust nicht mehr ausgleichen. Konnte zu Beginn der 1950er-Jahre die Gesellschaft noch durch einen Film wie Die Sünderin schockiert werden, lief 1970 der erste Schulmädchen-Report in den Kinos. Dieser pseudodokumentarische Film, der die Reihe der Report-Filme einläutete, zeigt die sexuelle Aktivität von 14- bis 18-jährigen Schülerinnen in teils expliziten Nackt-, Sex- und Vergewaltigungsdarstellungen im Kontext von Inzest und Machtmissbrauch, wobei primär minderjährige Laiendarstellerinnen eingesetzt wurden. Der Tabubruch als Filmkonzept wird in Bezug auf die Erotik im Schulmädchen-Report noch drastischer an seine Grenzen geführt, als es in den Wallace-Filmen denkbar war.[3]

Es lässt sich also zusammenfassen: Nicht nur die Darstellungen von Sexualität und Gewalt werden mit der Zeit in der Wallace-Reihe immer extremer und expliziter, auch die Typen des Dargestellten verändern sich. Waren zu Beginn noch ‚klassische‘, für breite Zielgruppen taugliche sexuelle Stereotype vertreten, so wandelt sich dies mit der Zeit immer mehr zu für ein erwachsenes männliches Publikum relevanten erotischen Fantasien, bis schließlich die Darstellung gesellschaftlich sanktionierter Stereotype (Schulmädchen, Leichen, Wahnsinnige) im Mittelpunkt standen. Auch der Humor wurde mit der Zeit sexistischer, was sich neben der zunehmenden Zahl an chauvinistischen Dialogen oder Handlungen auch in der Etablierung des ‚alten Lüstlings‘ und dessen späterem Sidekick der koketten Sekretärin zeigt. Trotzdem konnte die Wallace-Reihe den Verlust ihrer dramaturgischen Qualität nicht durch die drastische Darstellung von Sexualität und deren Korrelation mit Gewalt kompensieren – schon gar nicht mit Blick auf das, was durch die weitaus frivoleren und expliziteren Reportagen ans Kinopublikum gebracht wurde.[4]

Weiterführender Beitrag

Michael Boch: „Zwischen Schwarzwaldmädel und Schulmädchen-Report. Erotisierung Sexualisierung in den Edgar Wallace-Filme“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel’: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe. (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. 111−121.

Filme

Das Schwarzwaldmädel (BRD 1950, Hans Deppe).

Die Sünderin (BRD 1951, Willi Forst).

Der Frosch mit der Maske (BRD/DK 1959, Harald Reinl).

Die Toten Augen von London (BRD 1961, Alfred Vohrer).

Das Gasthaus an der Themse (BRD 1962, Alfred Vohrer).

Der Hexer (BRD 1964, Alfred Vohrer).

Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer).

Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten (BRD 1970, Ernst Hofbauer).

 

Forschungsliteratur

Balzer, Jens (2019): Das Entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er Jahre. Berlin.

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in Der Wixxer“. In: Jan-Oliver Decker (Hg.): Erzählstile in Literatur und Film (= KODIKAS/Code. Ars Semeiotica 30, Nr. 1–2). Tübingen, S. 137–152.

Munier, Julia Noah (2017): Sexualisierte Nazis. Erinnerungskulturelle Subjektivierungspraktiken in Deutungsmustern von Nationalsozialismus und italienischem Faschismus, Bielefeld.

Seeßlen, Georg (1981): Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektivfilms. Reinbek bei Hamburg.

Seeßlen, Georg (1999): Trivial Pursuit. DER FROSCH MIT DER MASKE (1959). In: FilmGeschichte 13, S. 25–28.


[1] Zur Bedeutung der Heirat in den Wallace-Filmen vgl. Blödorn 2007: 143 und Seßlen 1999: 26.

[2] Vgl. Hierzu auch Julia Noah Munier 2017:  242 Fußnote 4

[3] Vgl. Balzer 2019, S. 123 f.

[4] Vgl. ebd., S.125 f.

Zwischen ‚Jungfrau in Nöten‘ und Femme fatale: Frauenfiguren in den deutschen Edgar Wallace-Filmen

Nele Dingler

Einer der Gründe für den Erfolg der Edgar Wallace-Reihe ist sicher der, dass den einzelnen Filmen stets ein vertrautes Muster zugrunde liegt, auf welches sich die Zuschauer einrichten und (selbst noch im gelegentlichen Druchbrechen) verlassen konnten.[1] Dieses Muster bedient sich unter anderem starker Stereotypisierungen. Besonders deutlich lässt sich das an den dargebotenen Frauenfiguren erkennen, wie Thiele ausführt: „Die weiblichen Stars dagegen wirkten nicht nur austauschbarer; sie wurden auch häufiger ausgetauscht. […] Auf jeden Fall hatten sie […] völlig naiv, ahnungslos (daß sie geliebt wurden, daß sie verfolgt wurden) und möglichst ein bißchen sexy zu sein.“[2] Aus diesen Beobachtungen ergeben sich gleich zwei Fragen: Lässt sich die Darstellung von Frauen in den Wallace-Filmen wirklich auf diesen einzigen, summarisch skizzierten Typ beschränken? Und wie passen die wenigen, aber markanten Täterinnen der Filmreihe dann in dieses ansonsten doch – aus heutiger Sicht – so reaktionäre Frauenbild?

Der von Thiele beschriebene Typus ist vor allem in den früheren Filmen der Reihe vorzufinden. Dort lassen sich allerdings auch noch weitere Frauentypen ausmachen. Es handelt sich dabei jedoch um nicht weniger klischeebehaftete. Der von Thiele angesprochene Typ einer idealen Schwiegertochter ist in den Filmen als gutaussehend, aber unauffällig und stets zurückhaltend ausgewiesen. Dabei fungieren diese Figuren weniger als eigenständige Charaktere als vielmehr Mittel zum Zweck, um den Protagonisten möglichst heldenhaft erscheinen zu lassen, wenn er sie Mal um Mal vor drohender Gefahr retten kann (vgl. Abb. 1). Für diese Bemühungen wird der Held schließlich damit belohnt, dass seine Angebetete ihren sittsamen Widerstand gegen seine Annäherungsversuche schließlich aufgibt – und im finalen Happy End eine Vorschau auf ein gemeinsames Leben in gut situierten Verhältnissen geboten wird. Aus der ‚Jungfrau in Nöten‘ wird dann – prospektiv – die treu sorgende Ehefrau.

Abb. 1: Der Frosch mit der Maske: Ella Bennet als ‘Jungfrau in Nöten’ (00:17:03).

Allerdings gibt es auch zwei Frauentypen, welche deutlich mehr Erotik und weniger Zurückhaltung ausstrahlen: Zum einen die Femme fatale, welche gutaussehend, meist dunkelhaarig und wesentlich auffälliger ist, was sich unter anderem durch figurbetonte Kleidung und stärkeres Make-Up äußert. Mit diesem Typus verbindet sich vor allem Gefahr, weil er die Beziehung der männlichen Hauptfigur zu seiner Verlobten mit beständigen Verführungsversuchen bedroht (vgl. Abb. 2). So etwa im Hexer (BRD 1964), in dem sich besagte Verlobte als gutaussehende und erotische Verführerin zeigt – in diesem Falle blond und etwas naiv gezeichnet (vgl. Abb. 3). Ihre Hauptbeschäftigung ist es, den Verlobten zur Heirat zu bewegen und sich immer neue Wege zu überlegen, um an dieses Ziel zu gelangen. Beliebte Mittel sind dabei der Einsatz ihrer körperlichen Reize, gelegentliches Nörgeln, spitze Kommentare sowie kindlich wirkendes Schmollen. Es überrascht daher auch nicht, dass ihr Partner sie nicht ernst zu nehmen scheint.

Abb. 2: Der Hexer: Die Sekretärin als Femme fatale (00:07:06).

Abb. 3: Der Hexer: Elise Penton als sexy Blondine (00:56:48).

Anders verhält sich das bei dem vierten in der Edgar Wallace-Reihe vorgestellten Frauentyp: Ein Beispiel für die loyale Ehefrau lässt sich ebenfalls im Hexer finden. Cora Milton fällt durch sehr elegante Kleidung auf, wodurch sie reifer wirkt als die beiden vorherigen Frauenfiguren (vgl. Abb. 4). Außerdem scheint sie im Gegensatz zu diesen wenig Energie darauf zu verschwenden, dem Inspektor oder seinem Vorgesetzten zu gefallen: Selbstbewusst tritt sie den beiden Männern entgegen und beantwortet deren Fragen nach den Plänen ihres Mannes zwar meist ehrlich, aber wenig ausführlich und distanziert. Damit schützt sie ihren von der Polizei gesuchten Mann, der auf eigene Faust Verbrecher jagt und tötet, indem sie als sein gut unterwiesenes Sprachrohr fungiert. Zum anderen aber kommt ihr und ihren (innerdiegetischen) schauspielerischen Fähigkeiten sogar eine entscheidende Rolle im spektakulären Fluchtplan am Ende zu. Sie unterstützt ihren Mann also vollkommen in seiner Mission und ist bereit, sich damit selbst in Gefahr oder ins Gefängnis zu bringen.

Abb. 4: Der Hexer: Mrs. Milton als loyale Ehefrau (00:17:39).

Blieben zuletzt ein paar Frauenfiguren in den Edgar Wallace-Filmen, welche sich keinem der beschriebenen Typen zuordnen lassen: Vereinzelt stellen Frauen die Täterinnen dar und sind nicht mehr die Opfer. Allerdings drängt sich der Verdacht auf, dass dieses seltene Aufbrechen des Stereotyps vor allem eine Folge des Willens zur Variation ist – und als Abweichung somit doch eher die alte Regel bestätigt.[3] Denn so funktioniert dies auch umgekehrt für die männlichen Rollenbesetzungen, wenn etwa Eddi Arent, der sonst stets die komischen Rollen spielt, in Der Bucklige von Soho (BRD 1966) einen Pfarrer auf der Seite des Bösen spielt.


Weiterführender Beitrag

Nele Dingler: „Ideale Schwiegertochter, loyale Ehefrau, sexy ‚Blondine‘ und Femme fatale: Frauenfiguren in den deutschen Edgar Wallace-Filmen“. In: Edgar Wallace – ‚German Grusel‘: Zwischen Popkultur und Sittengemälde der 1960er-Jahre. Ein kritischer Blick auf Deutschlands längste Kinofilmreihe (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 4/2021), S. XXX−YYY.

Filme:

Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer).

Der Hexer (BRD 1964, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur:

Grob, Norbert (1991): „Das Geheimnis der toten Augen. 13 Aspekte zum deutschen Kriminalfilm der sechziger Jahre“. In: Reimann, Hans-Peter/Rudolf Worschech (Hg.): Abschied von gestern: Bundesdeutscher Film der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt, S. 72-97.

Thiele, Jens (1992): „Deutsche Trivialität: Die seltsame Gräfin (1961)“. In: Faulstich, Werner/Helmut Korte (Hg.): Fischer Filmgeschichte,Bd. 4: Zwischen Tradition und Neuorientierung (1961–1976), Frankfurt a. M., S. 4054.


[1] Vgl. Thiele 1992, S. 43.

[2] Ebd., S. 43.

[3] Vgl. Grob 1991, S. 86.