Beginnen wir mit einer Eloge des Produzenten Nico Hofmann zum 75. Geburtstag des Regisseurs Dieter Wedel: „Er ist ein Mann mit einer unglaublichen kreativen Energie, auch mit großer Jugendlichkeit.“ Er schätze sein „Gespür für den Zeitgeist“, wie er politisch kontroverse Stoffe anpacke, er sei „auf tolle Weise ein Querdenker.“ Beeindruckend sei Wedels „starker Zugang“ zu Schauspielern. Und: „Er hat klare Visionen von seinen Figuren, hat ein unglaubliches Rhythmusgefühl, arbeitet mit großer Sorgfalt und ist ein Perfektionist.“
Die Agentur dpa verbreitete Hofmanns freundliche Worte im November 2017. Im Januar 2018 dürfte Hofmann gewünscht haben, sie nie gesagt zu haben, als mehrere Schauspielerinnen Wedel im „Zeit-Magazin“ der sexuellen Belästigung und der Vergewaltigung beschuldigten. Aus dem „großen Wedel“, wie er in Anspielung auf seinen Mehrteiler „Der große Bellheim“ von den Medien getauft worden war, wurde in kürzester Frist ein Paria der Branche – der einzige deutsche Prominente, der in Folge von MeToo geweinsteint wurde. Man glaubt es immer noch nicht, dass er der einzige Missetäter gewesen sein soll.
Dieter Karl Cäsar Wedel war schon immer groß. Größer und kühner, als man das im deutschen Fernsehen lange sein durfte. Mit 30 drehte er seinen ersten großen Fernsehfilm „Gedenktag“. Nein, nicht mit 30, sondern mit 27, er hatte sich drei Jahre älter gemacht, weil er zurecht befürchtete, man werde einem Jungspund dieses Prestigeprojekt über über den Arbeiteraufstand von 17. Juni 1953 nicht anvertrauen.
Zwei Jahre später vertraute man ihm „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“ an, einen Dreiteiler, dreidreiviertel Stunden lang. Man muss wissen, dass „Mehrteiler“ damals ein Fremdwort war, nicht nur in Deutschland, auch im Fernsehmekka USA. Man drehte entweder einen neunzigminütigen Fernsehfilm oder eine 13-teilige Serie. In der Mitte gab es nichts.
Die Erfindung des Vielteilers
Ob Wedel den Mehrteiler erfunden hat, mögen Fernsehhistoriker erforschen. Es gab zur gleichen Zeit ja auch die Weihnachtsvierteiler im ZDF. Wedel hat ihn als eigenständige Erzählform auf jeden Fall etabliert und perfektioniert. Die Fortsetzung von „Einmal im Leben“ – auch das Konzept Sequel war damals neu – hieß „Alle Jahre wieder – Die Familie Semmeling“ und dauerte schon über vier Stunden. „Wilder Westen inclusive“, wofür er in Amerika drehte und mit 20 Millionen Mark ein Fernsehrekordbudget zur Verfügung hatte, dauerte fünf Stunden. „Der große Bellheim“ – inzwischen hatte sich Wedel auf Vierteiler ausgedreht – landete bei fünfdreiviertel Stunden, der fünfteilige „Schattenmann“ bei zehn Stunden und der sechsteilige „König von St. Pauli“ bei zehneinhalb.
Die Sender ließen ihn machen, weil er ihnen Rekordquoten und Prestige bescherte. Irgendwann, wenn der Mann einmal in den Hintergrund und sein Werk in den Vordergrund getreten sein wird, dürfte man in ihm den Chronisten der bundesdeutschen Befindlichkeiten entdecken: der Drang zum Eigenheim („Einmal im Leben“), der Pauschalurlaub („Alle Jahre wieder“), die Deutschen im Ausland („Wilder Westen“), die Mechanismen des Wirtschaftswunders („Bellheim“), die Verbindung von Eliten und Korruption („Schattenmann“) und die Zerstörung der Gesellschaft durch „Gier“, ein Jahr vor der Finanzkrise von 2007.
Renommee und Durchsetzungsvermögen
Dieter Wedel besaß ein Renommee und ein Durchsetzungsvermögen (sprich: eine Macht), wie sie kein Regisseur im deutschen Fernsehen vor oder nach ihm besessen hat. Man ließ ihn gewähren, erst bei der ARD, dann beim ZDF, dann bei Sat1. Er hatte ein Büro auf dem NDR-Gelände, durfte seine Filme für eine eigene Produktionsfirma drehen, damals ein großes Privileg. Und er brachte seinen Auftraggebern einen Preissegen wie kein anderer, aus Grimmes und Romys und TelStars und Golden Lions und Goldenen Kameras und Bambis.
Bei solch einem Titanen – „der Doktor“ hieß er am Set, weil er eine Dissertation über das Frankfurter Schauspielhaus geschrieben hatte – sah man über manches hinweg. Zum Beispiel darüber, dass Filmkenner bei Wedel immer wieder Szenen fanden, die es in frappierender Ähnlichkeit schon in anderen Filmen gegeben hatte. Besonders gehäuft fanden sich diese Übereinstimmungen in „Bellheim“, der sehr an „Wall Street“ erinnerte und außerdem an „Tin Men“ und „Citizen Kane“. Harald Schmidt schrieb daraufin eine Persiflage mit dem Titel „Hollywood klaut bei Wedel“, und in einem Plagiatsprozess räumte Wedel die Vorwürfe mehr oder minder auch ein, fand die Aufregung darüber jedoch „übertrieben“.
Langsam bekam das Denkmal jedoch Risse. Es ging um seinen Führungsstil am Drehort. Allmählich wurde aus dem „Doktor“ ein „Tyrann“. Dem Schauspieler Mathieu Carrière war Wedel ein „liebenswerter Wüterich“, aber auch noch ein „charismatischer Tausendsassa“. Paulus Manker, als Martin Luther bei den Nibelungenfestspielen in Worms engagiert, die Wedel gegründet und lange geleitet hat, verglich Wedels Herrschaft dort mit der eines „nordkoreanischen Diktators“.
Aus Worms wurde ein legendärer Streitdialog bekannt. Mario Adorf, besetzt als Hagen, hatte sich über Wedels Bühnentechnik echauffiert.
Adorf: „Hatten die Leute heute Abend nicht ein Anrecht auf korrektes Licht?“ Dies sei eine Bühne, kein Fernsehstudio: „Scheiß doch auf das Fernsehen!“
Wedel: „Weißt du was, Mario, leck mich am Arsch!“
Adorf: „Weißt du, was du bist? Ein kleiner Fernseharsch! Nichts als ein kleiner Fernseharsch!“
In der „Zeit“ berichtete Dirk Eisfeld, früher Serienchef bei Sat1, von seinen Besuchen am Set von „Der König von St. Pauli“. Nur wer Wedel beim Drehen erlebt habe, der verstehe, warum ihm alle gehorchten. „Wedel hat eine Stimmung der Angst verbreitet: Jeder befürchtete, der Nächste zu sein.“ Er habe miterlebt, wie Wedel Einzelne vor versammelter Mannschaft verbal hingerichtet habe.
Zum ersten Mal aktenkundig geworden ist Wedels Verhalten wohl 1981, beim Dreh von „Bretter, die die Welt bedeuten“. Damals soll er versucht haben, eine Schauspielerin zu vergewaltigen. In alten Produktionsakten finden sich noch Anwaltsschreiben und ärztliche Atteste. Bis hoch in die Spitze des Saarländischen Rundfunks, der die Produktion finanzierte, wurden die Verantwortlichen informiert. Konsequenzen gab es keine, Wedel wurde nicht einmal um eine Stellungnahme gebeten. Spätestens ab dann muss er sich für unantastbar gehalten haben.
Eine gerichtliche Klärung der Vorwürfe von sieben Schauspielerinnen, Wedel habe sie sexuell bedrängt, wird es nun nicht mehr geben. Gestern gab das Landgericht München, wo das Verfahren gegen ihn anhängig war, bekannt, dass er bereits eine Woche zuvor in Hamburg gestorben sei. Das Verfahren werde damit eingestellt. Eigentlich hatte das Gericht gestern verkünden wollen, ob es zu einem Prozess kommen werde; die Ermittlungen hatten sich über drei Jahre hingezogen, was von einer Nebenklägerin bereits beanstandet worden war.
Wedel hat sich zu den Vorwürfen nie konkret beäußert, nur die Vergewaltigung hat er über seinen Anwalt bestritten.