Die Vergesslichkeit der Eichh�rnchen (2021)

Deutschen Filmen mangelt es h�ufig an einer klar erkennbaren Handschrift und an narrativem Mut. Das eine wie das andere d�rfte viel mit dem F�rdersystem zu tun haben, das Kinofilme allzu gern auf ihre an die Kinoauswertung anschlie�ende Fernsehtauglichkeit trimmt. "Die Vergesslichkeit der Eichh�rnchen" ist eine l�bliche Ausnahme. Nadine Heinzes und Marc Dietschreits absurd komisches Familiendrama sieht nicht nur blendend aus, auch erz�hlerisch h�lt es die eine oder andere �berraschung bereit.

Heinze und Dietschreit machen seit 2005 gemeinsam Filme. Nach mehreren Kurz-, Experimental- und zwei Langfilmen ist "Die Vergesslichkeit der Eichh�rnchen" ihr zweiter abendf�llender Spielfilm, der in die Kinos kommt. Der Stilwille des Regieduos ist bereits in der allerersten Einstellung zu erkennen. Darin h�lt Kameramann Holly Fink die von Emilia Sch�le gespielte Hauptfigur Marija in einer wundersch�nen Kadrage fest. Marija f�hrt mit dem Reisebus aus der Ukraine nach Deutschland. Ihr Gesicht spiegelt sich in der Scheibe und �berlagert sich mit einem Sonnenuntergang. Was folgt, ist ein vielschichtiges, in Pastellt�nen gefilmtes Familiendrama voller �berlagerungen und Spiegelungen.

In der Familie, in der Marija zu arbeiten beginnt, haben sich die Rollen umgekehrt. Der demente Curt (G�nther Maria Halmer) ist ein Pflegefall und wird von seiner Tochter Almut (Anna Stieblich) wie ein ungezogenes Kind behandelt, bevor sich ganz am Ende die Rollen abermals vertauschen. Irgendwann glaubt Curt, in Marija seine verstorbene Frau zu erkennen. Und Marija l�sst sich auf diese Rolle ein, um sich selbst und Curt den Alltag zu erleichtern. Wie �berhaupt jeder in dieser Familie etwas Anderes in Marija sieht. Das Eindringen dieser fremden Person h�lt nicht nur jedem Familienmitglied den Spiegel vor, ein wenig spiegelt sich auch jedes Mitglied in Marija, um die in der Vergangenheit erlittenen famili�ren Wunden zu heilen.

Das f�hrt zu wundervollen Szenen, die von Nostalgie, Melancholie und Mitgef�hl und von leisem, absurdem Humor getragen sind. Heinzes und Dietschreits Drehbuch ist rund. Ihre Protagonistin kommt im Reisebus an und reist im Sportwagen ab. Zudem tappt das Skript nicht in die �blichen Klischeefallen. Zwar nimmt Curts und Marijas Ausbruch aus der Pflege-Routine eskapistische Z�ge an, "Die Vergesslichkeit der Eichh�rnchen" ist jedoch keiner dieser Wohlf�hlfilme, der die Folgen einer schweren Krankheit herunterspielt, um dem Publikum nicht zu viel zumuten zu m�ssen.

Zwischenmenschlich muten Heinze und Dietschreit ihrem Publikum einiges zu, denn hier trifft deutsche Gr�ndlichkeit auf ukrainischen Pragmatismus, der erstgenannte Eigenschaft als pure Borniertheit entlarvt. Wer dachte, das Familienoberhaupt sei ein schwieriger Fall und seine Tochter ein Fall f�r den Psychiater, der hat deren Bruder noch nicht erlebt. In Gestalt von Curts Sohn Philipp (Fabian Hinrichs) kommt schlie�lich auch noch arrogante und zutiefst verunsicherte Widerlichkeit hinzu.

Das passend besetzte Ensemble erg�nzt sich pr�chtig im Wechselspiel dieser Charaktereigenschaften und Gef�hlslagen. Und das Regieduo gewinnt selbst den verzweifeltsten Lebenslagen noch ein Lachen ab – und h�lt ein ums andere Mal, wenn das Publikum zu wissen glaubt, was als n�chstes passiert, eine unerwartete Wendung bereit.

Fazit: Nadine Heinzes und Marc Dietschreits zweiter Kinofilm ist ein absurd komisches Familiendrama mit �berraschenden Wendungen. Toll geschrieben, gespielt und fotografiert, zerf�llt eine Familie in ged�mpften Pastellt�nen in ihre Einzelteile, bevor eine Fremde mit ihrem Pragmatismus die Dinge wieder zurechtr�ckt.