Ein Priester im Kiezmilieu – f�r den Karfreitag hat das ZDF dieses schon oft durchgespielte Muster neu aufgelegt. Doch „Der Pfarrer und das M�dchen“ ist keine Offenbarung. Rainer Hunold als Pfarrer Thomas kehrt nach Jahren in Afrika in den Berliner Wedding zur�ck, wo er einst wilde Jugendjahre verlebte und schwere Schuld auf sich lud. Die tr�gt er erkennbar noch immer mit sich herum. Ablenkung findet er, indem er der in Not geratenen Tochter seiner Haush�lterin beisteht. Ein durchsichtig konstruiertes Feiertagsmelodram um einen Glaubensmann – aber bar jeder Glaubw�rdigkeit. Ausnahme: Nicole Mercedes M�ller
Holla, der neue Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Paulus im Berliner Wedding, ist ein patenter Kerl. Pfarrer Thomas (Rainer Hunold), nach langer Missionst�tigkeit in Ghana nach Deutschland zur�ckgekehrt, kommt sp�t abends an, findet Kirche und Pfarrhaus nat�rlich versperrt (vermutlich muss er sich erst wieder an deutsche Gebr�uche wie das Abschlie�en von Au�ent�ren gew�hnen), wei� sich aber fix zu helfen: Er fischt einen Draht aus dem Abfall und biegt ihn sich zurecht, um das Schloss kurzerhand zu knacken.
Foto: ZDF / Hardy SpitzTessa (Nicole Mercedes M�ller) st�rt die Kreise des Pfarrers (Rainer Hunold).
Drinnen trifft er auf die junge Tessa (Nicole Mercedes M�ller), die sich unbefugt einquartiert hat. Ein Kamerablick auf einen Schwangerschaftstest hat bereits verraten, dass sie in anderen Umst�nden und offenbar dar�ber zutiefst ungl�cklich ist. Tessa ist die Tochter der Polin Agnieszka Nowak (Julia Krynke), die in der Kirchengemeinde als Haush�lterin einen von mehreren Jobs absolviert und als Katholikin gegen die Abtreibung eingestellt ist, so wie nat�rlich auch Pfarrer Thomas. Beider Ansichten werden herausgefordert, als sich zeigt, dass Tessas Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zur�ckgeht. T�ter ist, der Wedding ist klein, der Sohn von Thomas‘ altem Kumpel Max Polke (Henry H�bchen). Vor seiner Berufung war Thomas ein wilder Bengel und Max sein st�ndiger Begleiter. Als Thomas im Suff ein M�dchen zu Tode fuhr, �bernahm Max die Verantwortung und ging f�r den Freund ins Gef�ngnis.
Soundtrack: Richard Haus („In der Tasche die Faust“), T. Rex („20th Century Boy“), Fergie feat. Q-Tip & Goonrock („A Little Party Never Killed Nobody“)
Bis heute tr�gt Thomas die Schuld mit sich herum. Er sucht Vergebung bei dem Vater des M�dchens, der jedoch an Alzheimer erkrankt ist und sich an die eigene Tochter nicht erinnern kann. Immer wieder schlurft Thomas zu der Kreuzung, an der der Unfall geschah, schaut betroffen auf den feucht schimmernden Asphalt und zieht unerl�st von dannen, um fortan in der Gegenwart Gutes zu tun. Er vermittelt zwischen Tessa und ihrer Mutter und best�rkt sie darin, den Vergewaltiger anzuzeigen, auch wenn es sich um den Spross seines G�nners Polke handelt, der ihm daraufhin nicht nur die Freundschaft, sondern auch die bereits zugesagten Mittel zur Renovierung der reparaturbed�rftigen Kirche k�ndigt. Was soll‘s – Thomas schart die kleine Gemeinde um sich, die durch Dienstleistungen & Spenden das alte Gem�uer wieder herrichten wird. Und er kann dem Immobilienbeauftragten des Erzbischofs, der die Kirche am liebsten verkauft oder abgerissen h�tte, eine lange Nase zeigen. Symbolisch gesprochen.
Foto: ZDF / Hardy SpitzThomas (Hunold) bekommt von einer Freundin (Katja Flint) den Kopf gewaschen.
Regisseurin Maris Pfeiffer �ber ihre Vorbereitungen f�r den Film:
„F�r meine Recherche habe ich mich intensiv mit der Arbeit der Kirche auseinandergesetzt und war beeindruckt davon, was manche Gemeinden leisten – angefangen von der Jugendarbeit bis hin zur Unterst�tzung �lterer Menschen. Und das ganz ohne missionarischen Eifer. Neben der Kirche sind heute in einem Bezirk wie dem Wedding vor allem Jugendzentren wichtige Anlaufstellen, die versuchen aufzufangen, was Familien, Schule oder Politik nicht leisten k�nnen.“
„Der Pfarrer und das M�dchen“ wird vom ZDF am Karfreitag ausgestrahlt und erscheint wie ein vom Termin veranlasstes Pflichtprogramm. Die Konflikte wirken aufgesetzt, das Milieu herbeizitiert. Keinem der erwachsenen Schauspieler nimmt man seine Rolle ab – man sieht keinen Pfarrer, sondern Rainer Hunold, wie er einen Pfarrer spielt. Tr�ge und schuldbewusst schleppt er sich durchs Geschehen. Laut Drehbuch soll ihm der Erhalt der Kirchengemeinde ein Herzensanliegen sein, aber von dieser Leidenschaft ist nichts zu sp�ren. Man sieht vielmehr einen m�den, unter seiner B�rde �chzenden, mit sich selbst besch�ftigten Mann, der eher auf einen baldigen Ruhestand zu hoffen scheint. Henry H�bchen gibt einmal mehr den pr�potenten Goldkettentr�ger, Katja Flint verk�rpert eine Kiez-Friseurin mit breitem Dialekt und goldenem Herzen, als w�re sie einer Sketchshow entlaufen, und spricht S�tze wie „Ich schneide dir jetzt wirklich eine Tonsur, so wie du doof bist“. Nur Nicole Mercedes M�ller („Sechse kommen durch die ganze Welt“), die Darstellerin der Tessa, versteht es, den Betrachter f�r die von ihr gespielte, von heftigen N�ten geplagte Figur einzunehmen. Die mangelnde Stimmigkeit �u�ert sich �brigens auch im Umgang mit der Sprache. Ein katholischer Theologe jenseits der Sechzig wird keine d�mmlichen Synchronesisch-Phrasen wie „Willst du reden?“ verwenden. Und wenn doch, sollte er umgehend in ein Schweigekloster verbannt werden. (Text-Stand: 6.3.2015)
Foto: ZDF / Hardy SpitzAlte Freunde? Wiedersehen nach �ber 30 Jahren. Rainer Hunold, Henry H�bchen
Dr. Harald Keller ist Medienhistoriker, Fernsehkritiker und im Kulturbereich in der �ffentlichkeitsarbeit t�tig. Er verfasst Sachb�cher und Romane. Als Lehrbeauftragter unterrichtet er an der Universit�t Osnabr�ck im Fachbereich Sprache und Literatur.