Alfred Dregger: Interview mit der Witwe von CDU-Urgestein
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Alfred Dregger wäre 100 geworden - Jetzt spricht seine Witwe über den Politiker, Privates und den Terror

Dagmar und Alfred Dregger mit Boxer Ingo.
Dagmar und Alfred Dregger mit Boxer Ingo. © Heinz Wieseler/dpa

Am Donnerstag (10. Dezember) wäre Dr. Alfred Dregger 100 Jahre alt geworden. Seine Witwe Dagmar Dregger (93) gab aus diesem Anlass unserer Zeitung ein exklusives Interview und gewährte Einblicke in das Leben eines Politikers, der seine Karriere als Oberbürgermeister von Fulda begann und als Politiker in Wiesbaden und Bonn Nachkriegsgeschichte schrieb.

Frau Dregger, Sie waren 29, Ihr Mann 36, als Sie 1956 aus Nordrhein-Westfalen nach Fulda kamen. Was reizte Sie damals an der Stadt?

Mein Mann war zu dieser Zeit Beigeordneter beim Deutschen Städtetag in Köln. Der damalige Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Cuno Raabe suchte altersbedingt einen Nachfolger und bat den Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Otto Ziebill, um Hilfe. So kam mein Mann ins Gespräch. Für uns war das ein tolles Angebot: Oberbürgermeister in einer kreisfreien Stadt. Mein Mann dachte: Hier kannst du etwas entfalten und gestalten. Aber natürlich gab es auch Warnungen. (Frau Dregger lacht.)

Von wem?

Zum Beispiel von meinem Vater, der war Bergwerksdirektor in Recklinghausen. Ich weiß noch, wie er sagte: „Musst du ausgerechnet ins rote Hessen – in eine kleine Stadt direkt an der Ostzonengrenze? In Hessen sitzt der Sozialdemokrat Georg-August Zinn als Ministerpräsident fest im Sattel.“ Da sagte mein Mann, und ich höre noch diesen Satz: „Hessen ist kein Erbhof der SPD. Das werden wir denen schon zeigen.“ Damit hat er ja dann später auch recht behalten.

Sie selbst hatten Volkswirtschaft studiert, die Entscheidung für eine politische Karriere Ihres Mannes bedeutete zugleich, eigene berufliche Pläne aufzugeben.

Das ist richtig. Ich hatte einen klaren Fahrplan für eine berufliche Laufbahn im Ruhrgebiet. Zu der Zeit wurde im Bergbau der Sozialbereich ausgebaut, und da hatte man als Volkswirtin gute Chancen. Die Pläne hatte ich schon, bevor ich heiratete.

Die Volkswirtschaft war damals, unmittelbar nach dem Krieg, sicher keine Frauendomäne.

An der Universität saßen in einem Seminar von 21 Leuten 4 Frauen. Fast alle Fakultäten waren damals überlaufen. Meine Motivation war, ein Fach zu studieren, das schnell geht – und da kam Nationalökonomie in sieben Semestern oder Zahnmedizin in sechs Semestern in Frage. Das waren die Fächer mit der kürzesten Regelstudienzeit. Ich habe mich dann für Wirtschaft gemeldet und bekam nach einer anstrengenden Prüfung meinen Platz. Auch da habe ich übrigens nicht auf meinen Vater gehört.

Der wollte nicht, dass Sie studieren?

Naja, mein Vater sagte zu uns Töchtern: „Ihr müsst einen richtigen Beruf lernen. Denn die Männer sind im Krieg in großer Zahl gefallen. Ihr könnt euch nicht darauf verlassen, einen zu finden, der zu euch passt.“ Der Wunsch meines Vaters war, dass wir Schneiderinnen werden, da könnten wir uns immer schöne Kleider nähen und wären immer schick. Aber da war ich gekränkt, dafür hatte ich kein Abitur gemacht. Ich war immer entschlossen zu studieren.

Familie Dregger mit den Söhnen Burkard und Meinulf und Boxer Ingo.
Familie Dregger mit den Söhnen Burkard und Meinulf und Boxer Ingo. ©  Archiv dpa

Und während des Studiums haben Sie dann Ihren Mann kennengelernt.

Das war ein interessanter Zufall. Ich hatte zwei Semester in Münster studiert, da waren die Bedingungen aber schwierig, die Kriegsschäden immens. Ich sagte zu meinem Vater: „Ich muss raus aus den Trümmern, ich versuche es in Marburg.“ Dafür brauchte ich allerdings einen Tauschpartner, der einen Platz freimachte und von Marburg nach Münster wechseln wollte. Das hat dann zum Glück geklappt.

Allerdings hatte ich damals bereits einen festen Freund, der Medizin studierte und mit mir wechseln wollte – doch bei ihm gelang es nicht. So kam es dann zur Trennung. Und ich traf meinen Mann.

Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung?

Ich fand eine „Bude“ in der alten Bügelküche im Souterrain der prachtvollen Villa des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Franz Leonhard. Der lebte mit seiner Frau in der Beletage, war schon 80 und fing kurz nach dem Krieg wieder an, Vorlesungen zu halten. Der Professor lud zu Gesprächsrunden immer mal Doktoranden und vielversprechende Studenten nach Hause ein – ich gehörte an diesem Abend dazu. Es gab eine „dünne Suppe“, und es wurde stramm diskutiert. Zu den Gästen an diesem Abend gehörten auch Alfred Dregger und Hans-Jochen Vogel. Doch die beiden interessierten sich nicht nur für die Rechtswissenschaft, sondern auch für die anwesenden Damen, vor allem für Professor Leonhards Enkelin Ilse.

Sie sagen, dass Hans-Jochen Vogel, der spätere SPD-Vorsitzende, ein Kommilitone Ihres Mannes war?

Ja, Vogel war etwas jünger, doch die beiden haben zur gleichen Zeit begonnen und auch Examen gemacht, beide mit „Sehr gut“. Und Vogel hat dann auch tatsächlich die Ilse, die Enkelin des Professors, geheiratet. Und ich Alfred Dregger.

Dregger und Vogel waren Zeit Ihres Lebens erbitterte politische Gegner. Wie war das Verhältnis damals zu Studienzeiten?

Ja, die beiden waren sehr unterschiedlich. Vogel hatte ja auch nicht gedient und war ein eher zurückhaltender Typ. Doch anfangs war das eine richtige Freundschaft. Die Hochzeit der Vogels und die Geburt des ersten Kindes habe ich noch gut in Erinnerung. Dann ging Hans-Jochen nach München und wurde Oberbürgermeister. Bei einem späteren München-Besuch aus Anlass des Katholikentages haben uns die Vogels sogar ihre Wohnung zur Verfügung gestellt. Wenn Alfred und Hans-Jochen sich begegneten, war mein Mann immer der Verbindliche. Die beiden Männer standen sich ja über lange Zeit im Parlament gegenüber – als Fraktionschefs von Union und SPD. In Bonn führten sie hochinteressante Debatten. Doch es war keine Freundschaft auf Dauer.

Was hat Sie damals an Dregger gereizt?

Wissen Sie, mein Mann hatte viel mitgemacht im Krieg. Sein Bruder Wolfgang war gefallen. Alfred hatte ein durchschossenes Bein und humpelte. Doch er hatte einen unbändigen Stolz und war aufrecht. Kriechertum, wie damals oft in Deutschland üblich, war ihm fremd. Das hat mir imponiert.

War Ihnen klar, dass Sie von da an immer im Schatten dieses Mannes stehen würden?

Die politische Karriere meines Mannes war damals noch nicht absehbar. Aber ich sehe das nicht so wie Sie. Ich habe an der Seite von Alfred Dregger meinen Beruf gefunden. Ich habe meinen Mann auf zahlreichen Reisen in der ganzen Welt begleitet und Aufgaben für ihn und das Land wahrgenommen. Wenn er sich zum Beispiel in Venezuela mit der politischen Führung des Landes traf, habe ich mit der dortigen Familienministerin darüber gesprochen, wie in Deutschland Schulen organisiert sind und wie sich die Verhältnisse der Kinder in Südamerika verbessern lassen könnten. Zurück in Deutschland habe ich oft Vorträge über die Reisen gehalten.

Wir hatten auch oft hohen Besuch hier bei uns zu Hause, auch das wollte organisiert sein.

Wie hat der in den 70er Jahren aufkeimende RAF-Terror Ihr Leben verändert?

Das war schlimm. Ab den 70er Jahren standen wir unter besonderem Schutz. Zuerst bekam mein Mann Bodyguards, dann auch meine Söhne und ich. Tag und Nacht wurden wir bewacht und hatten einen Panzer vor der Haustür. Wir durften niemanden ins Haus lassen. Wer zu Besuch kam, musste seinen Ausweis vorzeigen – sogar meine Freundinnen. Für uns alle, aber besonders meine Kinder war das eine außergewöhnlich schwierige Situation. Letztendlich mussten wir vom einsamen Stadtrand in ein besser zu schützendes Haus am Frauenberg ziehen.

Meine Söhne litten im Rahmen ihres Schulbesuchs auch unter persönlichen Anfeindungen. Beleidigungen wie „Du schwarzes Schwein“ waren keine Seltenheit.

Dagmar Dregger Fulda
Dagmar Dregger war seit 1952 mit Alfred Dregger verheiratet. Das Paar hatte drei Söhne, von denen einer 1972 starb. FZ-Redakteur Bernd Loskant war beim Interview beeindruckt vom Erinnerungsvermögen und dem wachen Geist der rüstigen 93-Jährigen. © Bernd Loskant

Auszug aus dem Exklusiv-Interview der Fuldaer Zeitung

Dieser Artikel zeigt Auszüge aus dem exklusiven Interview unserer Zeitung mit Dagmar Dregger. Das ausführliche Interview in zwei Teilen lesen Sie in der Dienstags- und Mittwochsausgabe unserer Zeitung sowie im E-Paper in unserer FZ-App (für Android oder IOs), in der Sie einzelne Ausgaben erwerben können.

Sie haben für die Karriere Ihres Mannes einen hohen Preis bezahlt.

Ja, das war schon mehr als das, was normale Familien erleben.

Wie war der private Dregger – gab es Hobbys?

Er liebte das Reiten. Er hatte schon als Junge ein Reitpferd von seiner Tante bekommen, die hatte einen Bauernhof. Später als Politiker versuchte er, diesem Hobby weiter nachzugehen, doch das war meist mit Hetze verbunden. Manchmal ging er schon morgens um 5 in Fulda zum Reiten, weil er Nachmittags wieder nach Bonn musste.

Wo verbrachten Sie die Urlaube?

Im Winter fuhren wir Ski in Südtirol, im Sommer waren wir oft auf Sylt, da hatte mein Vater ein Apartment. Ich habe später ein kleines Cottage in Irland gekauft, in der Nähe von Cork, 800 Meter vom Strand. Mein Mann besuchte es auch. Doch er fand selten Ruhe, war immer auf dem Sprung und wurde wieder nach Bonn gerufen. Eigentlich war es für ihn gedacht. Ich glaubte, er könne dort entspannt seine Bücher schreiben. Oder auch malen, das machte er auch gerne. Aber irgendwann wurde er krank, und es war dafür zu spät.

Ihr Sohn Burkard ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten, ist heute Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus. Haben Sie ihm zu einer Politik-Karriere geraten?

Das scheint vielleicht so, aber man hat in Berlin sehr um ihn geworben. Ich habe ihm nicht dazu geraten. Wir haben sehr oft darüber gesprochen, dass er das Leben seines Vaters ja kennt, wie bitter der Weg sein kann und dass auch die Familie leidet. Die Parallelen zu den Anfängen meines Mannes in Hessen sind ja unübersehbar. Als Alfred Dregger in Hessen anfing, da hatte die CDU 26 Prozent, und er endete mit nahezu 50 Prozent. Auch in Berlin ist die CDU in keiner besonders aussichtsreichen Position. Aber ich sage dann immer: Die Imponderabilien der Geschichte sind entscheidend.

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