Leonardo da Vinci
Wer war Leonardo da Vinci?
Leonardo da Vinci (Vinci 15.4.1452–2.5.1519 Schloss Fontainebleau) gilt heute - wie auch schon seinen Zeitgenossen - als „Uomo universale“, als allgemein interessierter Mensch. In der Werkstatt von Andrea del Verrocchio zum Maler (und vielleicht auch zum Plastiker) ausgebildet, schuf der Künstler, Wissenschaftler und Ingenieur nur rund 20 Gemälde, die in Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA und Katar verstreut sind.
Zu den unvergleichlichen Leistungen des Renaissance-Genies zählen theoretische Texte über die Malerei, wissenschaftliche Zeichnungen (Anatomiestudien), die erste Landschaftszeichnung der Renaissance-Kunst (Arnolandschaft, 1473), Entwürfe von militärischen Anlagen und Waffen, Arbeit an einem Reiterdenkmal in Mailand. Die vielfältigen Interessen des Künstlers sind in seinen Zeichnungen dokumentiert. Zwei seiner bedeutendsten Werke wurden nie vollendet, und das Wandgemälde Schlacht von Anghiari entfaltete zwar große Wirkung in Florenz und wurde trotzdem innerhalb von 60 Jahren übermalt. Ein Reiterstandbild für Francesco Sforza, vielleicht sein Meisterwerk, fiel Krieg und Politik zum Opfer. Das theoretische Werk Leonardos wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt und transkribiert. Dennoch gehören zumindest zwei seiner Bild zu den berühmtesten der Welt: die „Mona Lisa“ (eigentlich das Porträt der Lisa Gherardini) im Louvre und das Wandgemälde „ Das Abendmahl“ in Mailand.
Ausbildung
Leonardo da Vinci erhielt seine Ausbildung bei dem Maler und Plastiker Andrea del Verrocchio (1435–1488), einem ausgewiesenen Spezialisten für monumentale Denkmäler und führenden Künstler seiner Zeit. In der Werkstatt Verrocchios lernte Leonardo neue Methoden und Techniken des Zeichnens kennen, mit denen sein Meister den Naturalismus seiner Werke steigern wusste. Verrocchio hielt seine Schüler an, Zeichnungen nach antiken Skulpturen, Aktmodellen und Gipsabgüssen von Gliedmaßen zu machen. Am Übergang von Früh- zu Hochrenaissance wurde die Antike als Vorbild immer wichtiger; zum einen sollte die idealisierte Schönheit der Figuren übertroffen und zum anderen deren emotionale Ausdrucksstärke erreicht werden. Zudem wurde Leonardo in Geometrie, Linearperspektive, dreidimensionales Gestalten mittels Licht (Höhungen und Schattierungen), Proportion und Anatomie sowie Wissen über die körperlichen Reaktionen auf Gefühle ausgebildet. In den 1470er Jahren zählte Leonardo zu den aufstrebenden Malern in Florenz.
Leonardos früheste Notizen stammen aus der Zeit um 1478. Sechs Jahre nachdem er seine Ausbildung von Verrocchio abgeschlossen hatte. Da viele seiner Manuskripte verloren sind, lässt sich nicht genau sagen, ab wann der Maler und Erfinder tägliche Aufzeichnungen zu seinen Überlegungen, Aktivitäten, Erfahrungen und Eindrücken machte. Die erste Schriftprobe Leonardos befindet sich auf der berühmten Landschaftszeichnung vom 5. August 1473, die er von den toskanischen Bergen machte (→ Leonardo, Landschaft von Arno und Flusstal, datiert 5. August 1473). Giorgio Vasari zufolge war es Leonardos außergewöhnliche Begabung für Zeichnen und seine Arbeit im Relief, die den Vater auf die Idee brachte, seinen Sohn in die Lehre bei einem Künstler zu geben. Dadurch besuchte Leonardo da Vinci nie die Lateinschule, die ihm später geholfen hätte, wissenschaftliche Literatur zu lesen. Eine weitere führe Quelle berichtet, dass Leonardo als junger Mann bei Lorenzo de’ Medici (1449–1492) wohnte, der dem angehenden Künstler für Gartenarbeit auf der Piazza von San Marco in Florenz entlohnte. In den 1470er Jahren hatte der Mäzen seinen Skulpturengarten für vielversprechende junge Maler und Bildhauer geöffnet, um ihnen eine Möglichkeit zu geben, antike Skulpturen unter der Anleitung des Bildhauers Bertoldo di Giovanni (nach 1420–1491) zu studieren. Vielleicht kam der Kontakt durch Andrea del Verrocchio zustande, der während der späten 1460er Jahre große Aufträge für Lorenzo de‘ Medici und dessen Bruder Giuliano ausführte (darunter der Restaurierung antiker Statuen im Palazzo Medici).
Ginevra de‘ Benci
Das um 1478 bis 1480 gemalt Bildnis zeigt Ginevra de' Benci (1457–1520), eine Frau aus einer prominenten florentinischen Familie, die jahrzehntelang eng mit den Medici verbunden war. Der Auftrag für dieses Porträt stammt wahrscheinlich nicht von ihrem Ehemann, mit dem Ginevra de‘ Benci seit 1474 verheiratet war, sondern vom Humanisten Bernardo Bembo (1433–1519), der in der zweiten Hälfte der 1470er Jahre als venezianischer Gesandter in Florenz diente. Als Bembo zwischen 1475 und 1480 nach Venedig zurückkehrte, widmeten Cristoforo Landino und Alessandro Braccesi, zwei Humanisten aus dem Umkreis von Lorenzo de‘ Medici, Ginevra mehrere lateinische Gedichte und bezeichneten sie darin als Bembos „platonische Liebe“. Darin rühmen sie Ginevras außergewöhnliche Schönheit und Tugend und verweisen auf Bembos Bewunderung für ihre Keuschheit. Vielleicht entschied sich Leonardo deshalb, sie nicht im Profil, sondern in Dreiviertelansicht darzustellen. Wie sehr Leonardo da Vinci mit der flämischen Porträtmalerei vertraut war, geht aus dem erkennbaren Einfluss von „Porträt einer jungen Frau“ (Berlin) von Petrus Christus hervor. Was bei vielen flämischen Porträts gängige Praxis war, gehörte in der Florentiner Malerei der Frührenaissance nicht zum Usus. Durch die Drehung aus dem Bild heraus, kann man der Dargestellten in die Augen sehen, „die Fenster zur Seele“.
Leonardo da Vinci als Zeichner
Wer sich Leonardo da Vinci nähern möchte, sollte dies über die Zeichnungen tun. Von dem Florentiner Maler und Denker haben sich Hunderte Zeichnungen erhalten - mehr als von jedem anderen Renaissance-Künstler überhaupt (→ Royal Collection stellt 2019 Leonardo Zeichnungen aus). Sie sind technisch brillant ausgeführt und belegen die vielfältigen Interessen des Menschen Leonardo. Nur ein kleiner Teil davon ist mit künstlerischen Projekten verbunden. Die meisten spiegeln sein unendliches Staunen über die Welt und ihre Erscheinungsformen. Diese wollte er erfassen, ergründen und verstehen. Vielfach waren diese Arbeiten auf Papier nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. In ihnen dachte er nach, suchte alle Varianten von Kompositionen zu durchdenken, ein privates Laboratorium zu pflegen.
Theorie
Leonardos erhaltene Manuskripte waren jahrhundertelang verschollen und wurden erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt, transkribiert und veröffentlicht. Heute werden sie v.a. in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand, der Bibliothèque de l'Institut de France in Paris und einigen anderen Bibliotheken aufbewahrt. Sie zeigen ein außergewöhnliches Wechselspiel von Bild und Wort.
In der Farbtheorie unterschied Leonardo da Vinci bereits zwischen einfachen und natürlichen Farben. Allerdings widerspricht sich Leonardo in seinen theoretischen Ausführungen, beschreibt aber die einfachen Farben einmal als Primärfarben (Weiß, Gelb, Grün, Blau, Rot, Schwarz); die natürlichen nannte er Brombeerfarbe (Violettblau?) und Löwenfarbe (Orange?). Neben dieser Unterscheidung in primäre und sekundäre Farben beschrieb Leonardo noch den Simultankontrast.
Bereits Leonardo empfahl in seinem Traktat von der Malerei für das schnelle Skizzieren das Mitführen eines Notizbuches:
„Trage also darum gern ein kleines Büchlein bei dir, mit Blättern, die mit Knochenmehl präpariert sind, und notiere dir derlei Bewegungen in der Eile mit dem Silberstifte […]. Und wenn du dein Buch voll hast, so lege es beiseite und hebe es wohl auf für das, was du vorhast, und nimm ein anderes und fahre darin ebenso weiter fort.“