Gemeinsam mit ihrer damaligen Lebensgefährtin Hella von Sinnen hat sich Cornelia Scheel für mehr Akzeptanz von Schwulen und Lesben eingesetzt. 2009 wurden beide mit dem Rosa Courage Preis ausgezeichnet. Dass es inzwischen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gibt, ist nicht zuletzt ihnen zu verdanken.

Cornelia mit ihrer Mutter, Mildred Scheel, © Cornelia Scheel

Im erzkatholischen Bayern der 1960er Jahre war ein nicht eheliches Kind geradezu ein Skandal. Diese bittere Erfahrung blieb auch der jungen Ärztin Mildred Wirtz nicht erspart, als sie am 28. März 1963 ihre Tochter Cornelia zur Welt brachte. Weil der Vater des Kindes, Filmregisseur Rudolf Adolf Stemmle (1903-1974), längst verheiratet war, gab es auch keine Aussicht auf eine Ehe.

Um weiterhin als Röntgenärztin arbeiten zu können – und vielleicht auch, um der gesellschaftlichen Ächtung zu entgehen – blieb Mildred Wirtz keine andere Wahl, als die kleine Tochter der Obhut eines Kinderheims anzuvertrauen. Da Cornelia dort die Nahrung verweigerte, suchte sie bei Freundinnen und Verwandten nach geeigneten Betreuungsorten. Schließlich holte sie die Tochter wieder zu sich und zog sie alleine groß. Das Verhältnis von Mutter und Tochter entwickelte sich ausgesprochen liebevoll und harmonisch.

Als Cornelia sechs Jahre alt war, bekam sie einen Vater. Vor geraumer Zeit hatte Mildred Wirtz beruflich mit einem prominenten Patienten zu tun gehabt, dem FDP-Politiker Walter Scheel. Die beiden kamen sich näher, und nach ihrer Hochzeit 1969 wurde Cornelia von Walter Scheel adoptiert.

Doch das war nicht die einzige Veränderung in ihrem Leben. Nur wenig später zog die Familie nach Bonn, wo Walter Scheel noch im gleichen Jahr Außenminister der ersten sozialliberalen Bundesregierung unter Willy Brandt wurde. Hier wuchs Cornelia mit ihren Geschwistern, der 1970 geborenen Andrea und dem gleichaltrigen Simon Martin auf, der ebenfalls adoptiert worden war. Nach Abschluss der Grundschule ging sie auf das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn. Dort wurde sie von ihrem Deutschlehrer gemobbt und wechselte auf das Nicolaus-Cusanus-Gymnasium, wo sie auch ihr Abitur ablegte.

© Viktor Vahlefeld und Volker Glasow

Nachdem Walter Scheel 1974 zum Bundespräsidenten gewählt worden, gestaltete sich das Leben der Familie ziemlich turbulent. Es brachte für die Eltern nicht nur zahllose repräsentative Verpflichtungen mit sich – die ganze Familie stand plötzlich unter Polizeischutz. Schließlich befanden sich in den 1970er Jahren auch Politiker im Fokus der Roten-Armee-Fraktion (RAF), die mit zahlreichen Terroranschlägen die Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzte.

Cornelia und ihre Geschwister lebten gewissermaßen im „goldenen Käfig“ der Villa Hammerschmidt.

Als Walter Scheel 1979 sein Amt niederlegte, atmete die ganze Familie auf. Vor allem Cornelia, genannt „Conny“, konnte jetzt endlich die Freiheiten genießen, die sie so lange vermisst hatte. Endlich stand sie nicht mehr unter ständiger Beobachtung der Sicherheitsbeamten, die ihr überall hin wie ein Schatten gefolgt waren.

Familie Scheel zog nun in eine Villa in Köln-Marienburg. Doch Cornelia wollte so kurz vor dem Abitur nicht die Schule wechseln und nahm lieber täglich zwei Stunden Fahrt mit der Stadtbahn in Kauf. Letztlich richteten die Eltern ihr ein kleines Apartment in Bad Godesberg ein, sodass der Weg zum Gymnasium wesentlich kürzer wurde. Auch Mildred Scheel war regelmäßig in Bonn, dem Sitz der Deutschen Krebshilfe, die sie 1974 gegründet hatte.

Nach dem Abitur beschloss Cornelia, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten und Medizin zu studieren. Sie bekam einen Studienplatz an der Universität Innsbruck. Doch dann wurde sie durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen. Nachdem man bei Mildred Scheel 1983 Darmkrebs festgestellt hatte, starb sie zwei Jahre später im Alter von 53 Jahren.

Es dauerte lange, bis Cornelia den Tod der geliebten Mutter einigermaßen verarbeitet hatte, und es ging ihr sowohl körperlich als auch seelisch lange Zeit sehr schlecht. Sie vermisste Mildred Scheel sehr, denn die hatte immer ein offenes Ohr für sie gehabt. Nur ein Thema wurde nicht angesprochen: Dass ihre Tochter lesbisch war, wird die Mutter geahnt haben, aber die beiden haben nie darüber geredet.

© Viktor Vahlefeld und Volker Glasow

Erst 1988 konnte Cornelia Scheel ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Sie begann für die Deutsche Krebshilfe zu arbeiten, wo sie sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte. Kurz darauf kam es zum Eklat: Auf dem Bundespresseball im Januar 1991 erschien sie gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin, der Fernsehmoderatorin und Komikerin Hella von Sinnen. Beide gaben sich eindeutig als lesbisches Paar zu erkennen, wozu damals viel Mut gehörte. Der Mut wurde nicht belohnt. Die Geschäftsführung der Deutschen Krebshilfe entband Cornelia Scheel von ihrer Arbeit, weil man einen Imageverlust und Rückgang der Spenden befürchtete. Erst achtzehn Jahre später setzte sie ihr Engagement fort, weil sie sich mit dem Lebenswerk ihrer Mutter noch immer eng verbunden fühlte.

Doch die erniedrigende Erfahrung nach ihrem „Outing“, aber auch die immer noch weitgehende Ablehnung von Schwulen und Lesben überhaupt, veranlasste Cornelia Scheel dazu, sich zusammen mit Hella von Sinnen für mehr Toleranz und Akzeptanz einzusetzen. 1992 nahmen sie an der vom damaligen Schwulenverband organisierten „Aktion Standesamt“ teil. Mit 250 anderen homosexuellen Paaren aus fünfzig deutschen Städten beantragten sie die Trauung. Das wurde der Gesetzeslage gemäß angelehnt, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht gar nicht erst angenommen.

Noch war die Zeit nicht reif gewesen, und es dauerte eine Weile, bis sich die Gesetzgebung änderte: Seit dem 1. August 2001 bestand die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft, seit 2017 die ‚Ehe für Alle‘. Cornelia Scheel und Hella von Sinnen hatten allerdings schon zwei Jahre zuvor das Ende ihrer 25-jährigen Beziehung öffentlich gemacht. Trotzdem stehen sie sich nach wie vor sehr nah, und Cornelia Scheel arbeitet auch weiterhin als Managerin ihrer früheren Lebensgefährtin. Gleichzeitig hat sie sich inzwischen einen Namen als Autorin gemacht. 2015 erschien ihr Buch „Mildred Scheel. Erinnerungen an meine Mutter“, mit dem sie ihrer „warmherzigen Löwenmutter“ ein liebevolles Denkmal gesetzt hat. 2017 ernannte sie die Deutsche Krebshilfe zur Vorsitzenden des Fördervereins Mildred-Scheel-Kreis.

Autorin: Karin Feuerstein-Prasser, autorisiert von Cornelia Scheel

Quellen