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Cornelia Piepers Leben mit dem Freitod ihres Mannes

Politikredakteurin
Dieses Jahr war für FDP-Politikerin Cornelia Pieper eine harte Prüfung: Zuerst nahm sich ihr Mann das Leben, dann verlor sie ihren Job. Eine Begegnung mit einer Frau, die das Leben sucht.

Vor diesen Adventswochen hat sich Cornelia Pieper gefürchtet. Vor dieser emotionsgeladenen Zeit mit ihrem Lichterglanz, der die Glücklichen nur noch glücklicher erstrahlen lässt. Diese erwartungsvolle Vorfreude mit dem ganzen Drum und Dran: Kerzen, Lebkuchen, Glühwein, Tannenduft. Weihnachtsmusik an allen Ecken.

Umso gnadenloser fällt ein Schatten auf diejenigen, denen es nicht so gut geht, die einsam sind, die leiden und trauern. Die sich zurückziehen, sich eingraben, weil sie den anderen diese festliche Stimmung nicht verderben wollen.

Früher hat Cornelia Pieper diese stimmungsvolle Zeit genossen. Jetzt schmerzt es, zurückzuschauen. Vor einem Jahr im Advent war ihre Welt noch in Ordnung. Als Staatsministerin im Berliner Außenministerium kümmerte sie sich um die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Ihre Partei, die FDP, regierte in einer Koalition mit der Union. Und zu Hause in Lieskau bei Halle wartete ihr Mann Lutz auf sie. Da ahnte sie noch nicht, was auf sie zukommen sollte.

Ärger mit ihrem Vermieter

Ein Schreckensjahr. Niederschmetternd. Den-Boden-unter-den-Füßen-wegreißend. Nichts ist mehr so, wie es war: Lutz Pieper hat sich Ende April das Leben genommen. Die FDP musste im September eine historische Wahlniederlage einstecken. Und Staatsministerin im Auswärtigen Amt ist nach dem Regierungswechsel eine andere.

Cornelia Pieper hat verloren, was bislang im Mittelpunkt ihres Lebens stand – beruflich und privat. Sie hätte allen Grund, Schwarz zu tragen. Als Zeichen der Trauer und des Schmerzes, als stummes Flehen nach tröstenden Worten. Wie geht das Leben nach einem solchen Verlust weiter?

Zum verabredeten Treffen in der Lobby eines Hotels am Berliner Gendarmenmarkt erscheint Cornelia Pieper mit eiligen Schritten. Sie hat sich einige Minuten verspätet. Entschuldigt sich, sie sei gerade erst in der Stadt angekommen. Erzählt dann, dass sie ihre Wohnung in Berlin schon aufgegeben habe, was aber nichts mit ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag und aus der Regierung zu tun habe. Erklärt, dass sie Ärger mit ihrem Vermieter gehabt und vor einem halben Jahr gekündigt habe. Dass sie sich eigentlich schon längst eine neue Bleibe habe suchen wollen. Und dass das nun eben noch etwas warten müsse.

Selbstmord sei noch immer ein Tabuthema

Sie sieht müde aus, abgekämpft. Ringe unter den Augen. Sie bestellt sich einen heißen Tee, wickelt ihr Seidentuch noch etwas enger um den Hals, schlingt die Arme um sich, als wollte sie sich festhalten. Ihr sei kalt, sagt sie.

In diesem Moment lässt sich erahnen, was sie durchgemacht hat. Wie viel Kraft es gekostet haben muss, die vergangenen Monate durchzuhalten, nicht aufzugeben, nicht hinzuschmeißen. Nicht einfach die Tür zuzumachen und sich von der Trauer überwältigen zu lassen.

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Ein schwerer Brocken sei das, sagt Cornelia Pieper. Selbstmord sei noch immer ein Tabuthema, das habe sie selbst zu spüren bekommen. Die Angehörigen, die geschockt zurückblieben, trauten sich kaum, mit anderen darüber zu sprechen.

Über die Hilflosigkeit, die Selbstvorwürfe und die quälende Frage, ob sie diesen Schritt hätte verhindern können: Wenn sie nur genauer hingeschaut hätten. Wenn sie versteckte Zeichen zu deuten gewusst hätten. Wenn sie sich noch mehr gekümmert hätten. Wenn sie mehr gefragt hätten. Fragen, auf die es meist keine Antwort gibt.

Hans-Dietrich Genscher, ihr politischer Mentor

Mehr als 30 Jahre waren Cornelia und Lutz Pieper verheiratet. Beide gebürtige Hallenser. Sie Jahrgang 1959, er nur wenig älter. 1985 kam Sohn Maximilian zur Welt. Noch zu DDR-Zeiten waren die beiden in die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands eingetreten, die kurze Zeit später in der gesamtdeutschen FDP aufging.

Sie machte Karriere: FDP-Landeschefin von Sachsen-Anhalt, Bundesvize, Generalsekretärin, Bundestagsabgeordnete, Staatsministerin. Ein Gewächs der deutschen Einheit, wie sie sich selbst gern bezeichnet. Er unterstützte sie, wo er konnte. Hielt sich im Hintergrund, betrieb in Halle ein kleines Lebensmittelgeschäft, machte später mit einem Getränke-Lieferservice weiter. Ein modernes Paar, die Rollen so ganz anders verteilt.

Im Juni veröffentlichte Pieper dieses Foto mit Hans-Dietrich Genscher
Im Juni veröffentlichte Pieper dieses Foto mit Hans-Dietrich Genscher
Quelle: Screenshot https://twitter.com/CorneliaPieper

In den ersten Wochen nach dem Selbstmord ihres Mannes zog sich Cornelia Pieper zurück, sagte alle beruflichen Termine ab, ließ sich auch beim Bundesparteitag der FDP entschuldigen. Langsam kehrte sie in den Alltag zurück. Ende Mai verschickte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto von der Kunst-Biennale in Venedig.

Anfang Juni sprach sie wieder im Bundestag. Wenige Tage später twitterte sie ein Foto von einem Benefizkonzert in der Moritzburg, das sie neben dem FDP-Granden Hans-Dietrich Genscher zeigt, ihrem politischen Mentor, der auch aus Halle kommt und dem sie sich bis heute eng verbunden fühlt.

„Wahlkampf ist für mich Lebensfreude“

Verändert ein Schicksalsschlag den Blick auf das, was wichtig ist? Erlaubt der politische Alltag Emotionen wie Trauer? Auf diese Fragen konnte und wollte sie lange Zeit keine Antwort geben. Nur in der „Bunten“ äußerte sie sich einmal. Die Politik gebe ihr Kraft, sagte sie. Ihr Mann hätte nicht gewollt, dass sie aufgebe.

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Der Zuspruch von Freunden und Politikerkollegen motiviere sie. Da war sie auch noch optimistisch, bei der bevorstehenden Bundestagswahl im September ein gutes Ergebnis einfahren zu können.

Als FDP-Spitzenkandidatin für Sachsen-Anhalt zog sie in den Wahlkampf. Mit ihrem Cabrio fuhr sie von Termin zu Termin. Manchmal gelinge es ihr sogar, die spätsommerliche Atmosphäre zu genießen, gestand sie damals dieser Reporterin: „Wahlkampf ist für mich Lebensfreude.“ Ihre Trauer verbarg sie, ließ sich in der Öffentlichkeit nichts anmerken.

Beim Besuch in einer Sektkellerei trug sie zum leuchtend grünen Kleid einen Blazer in farbenfrohen Türkistönen. Sie holte den damaligen Fraktionsvorsitzenden und FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle in ihren Hallenser Wahlkreis, organisierte im ganzen Land Auftritte mit dem Noch-Wirtschaftsminister Philipp Rösler und dem Noch-Außenminister Guido Westerwelle. Da hatte sie aber schon eine Ahnung, dass es für die FDP nicht so gut laufen würde.

Die Ablehnung der Menschen gespürt

Cornelia Pieper nippt an ihrem Tee, lässt nachdenklich den Blick schweifen. Jetzt, wo sie etwas zur Ruhe gekommen ist, spricht sie auch darüber, wie schwer sie die Niederlage der FDP getroffen hat. Vielleicht, weil sie nicht mehr die ganze Zeit die taffe Spitzenpolitikerin geben muss. Sie habe Wahlkämpfe immer mit Leidenschaft geführt, auch den vergangenen, sagt sie. Auf den Marktplätzen aber habe sie die Ablehnung der Menschen gespürt.

Da sei ihr klar geworden, dass die FDP ein Problem habe. Dass der Wahlkampf falsch konzipiert worden sei. Dass die Menschen der Partei misstrauten. Und dass die umstrittene Hotelsteuer noch nachwirke und sich das alte Klischee hartnäckig halte, die FDP sei eine Partei der Besserverdienenden. Sie habe mit sechs Prozent gerechnet, sagt sie. Dass aber die FDP an der Fünfprozenthürde scheitern würde, habe auch sie völlig unvorbereitet getroffen.

Auf den privaten Schicksalsschlag folgte der berufliche Tiefpunkt. Sie hat ihr Bundestagsmandat verloren. Im Auswärtigen Amt musste sie ihr Büro räumen. Die kleine Genscher-Büste, die auf ihrem Schreibtisch stand, habe sie mitgenommen, sagt sie. Auch das eingerahmte Foto, das sie mit der polnischen Politiker-Legende Władysław Bartoszewski zeigt, habe sie eingepackt.

Gemeinsam hätten sie die deutsch-polnische Zusammenarbeit auf ein neues Fundament gestellt, sagt sie. Sie sei zufrieden, in ihrem Amt etwas erreicht zu haben. Und ja, es wäre schön gewesen, wenn sie noch vier Jahre hätte weitermachen können.

Neue Kraft sammeln

„Man muss auch loslassen können“, sagt sie. Das Amt, die Politik, die Vergangenheit. Loslassen und aufhören, verstehen zu wollen, warum etwas geschehen ist. Warum ihr Mann sich das Leben genommen hat. Aufhören, Papiere zu durchwühlen, Bücher zu durchblättern, Jackentaschen zu durchsuchen.

Aufhören, alles auf den Kopf zu stellen, um vielleicht doch noch eine Erklärung zu finden, einen Hinweis auf seine Not, auf seine Verzweiflung, auf das, was ihn gequält hat. Was trieb ihn zu der Tat? Was hat das Leben so unerträglich gemacht, dass er den einzigen Ausweg im Sterben sah? Lutz Pieper hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Das macht es besonders schwer. Die Frage nach dem Warum wird bleiben.

Zu Hause in Halle will sie jetzt neue Kraft sammeln. Es ist eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, zu engen Freunden und zur Familie, die ihr Anker ist. Für einen kurzen Moment hat sie überlegt, Weihnachten weit weg zu fahren, an einen Ort, der frei von Erinnerungen ist. Aber dann hat sie sich doch anders entschieden. Sie bleibt bei ihrer Mutter, die schon über 80 Jahre alt ist und mit in ihrem Haus wohnt. Und bei ihrem Sohn, der gerade zu ihr ins frisch renovierte Souterrain gezogen ist, in jene Räume, in die sich ihr Mann zuletzt oft zurückgezogen hatte. Die Familie rückt zusammen.

Gemeinsam werden sie die Festtage verbringen, auch ihre Schwiegereltern werden dabei sein. Sie werden an Familientraditionen anknüpfen: Lachs am Heiligabend, Kartoffelsalat, Heringssalat. Ein bunt geschmückter Weihnachtsbaum. So viel Normalität wie möglich.

Kein weihnachtliches Gefühl

Und doch wird in diesem Jahr eben alles anders sein. Ein weihnachtliches Gefühl habe bei ihr nicht aufkommen wollen, sagt sie. Und es liegt viel Traurigkeit in diesen Worten. In den kommenden Wochen wolle sie sich Zeit für sich nehmen, endlich einmal abschalten, sich besinnen. Aber es fällt schwer sich vorzustellen, dass sie eine längere Auszeit durchhalten wird. Denn im nächsten Moment schon spricht sie über ihre Reisepläne.

So hat sie vor, im Februar nach Myanmar zu fliegen, wo sie an der Eröffnung des Goethe-Instituts in Rangun teilnehmen und im Anschluss Ferien machen will, irgendwo in Südostasien. Fast ihr halbes Leben mache sie jetzt Politik, und das habe sie nie von einem Mandat abhängig gemacht. Eine Rückkehr in die Bundespolitik wolle sie nicht grundsätzlich ausschließen.

Vorerst aber ist sie vor allem Landeschefin der FDP in Sachsen-Anhalt, auch im Bundesvorstand der Partei ist sie vertreten. Sie wolle mit ihren Erfahrungen dazu beitragen, dass die Liberalen wieder auf die Beine kommen. Das neue Führungsteam müsse eine Politik machen, die wieder näher an den Menschen ist, sagt sie, und es klingt schon wieder der Polit-Profi durch. „Wenn man nicht für die Sache brennt, kann man andere nicht anstecken.“

„Weil ich nicht dahin gehöre, wo du jetzt bist“

Sie brennt noch immer für die Politik, will zurück nach Berlin. Sie spricht fließend Polnisch und Russisch, hat ein Diplom als Dolmetscherin gemacht. Vielleicht lässt sich diese Ausbildung mit ihren politischen Erfahrungen verbinden.

Cornelia Pieper schaut auf die Uhr. Sie ist an diesem Tag noch eingeladen, vor einem kleinen Kreis von Unternehmern über die Zukunft der FDP zu sprechen. Als sie sich verabschiedet, erklingt im Hintergrund gerade „Tears in Heaven“. Blues-Star Eric Clapton hat diesen Song im Gedenken an seinen verunglückten Sohn geschrieben.

„Ich muss halt stark sein. Weitermachen. Weil ich nicht dahin gehöre, wo du jetzt bist“, heißt es in einer deutschen Übersetzung. Es ist ein sehr trauriges Lied. Aber eines, das auch wieder Mut macht.

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