Strafrechtliche Risiken in der Insolvenz: Grundregeln für den richtigen Umgang mit Krisensituationen | CONSULTING.de

Dr. Mayeul Hiéramente, FHM Strafrechtliche Risiken in der Insolvenz: Grundregeln für den richtigen Umgang mit Krisensituationen

Die Insolvenzantragspflicht soll aufgrund der Corona-Krise bis zum Jahresende teilweise suspendiert bleiben. Welche Risiken dennoch drohen, die drei wichtigsten Gründe für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Insolvenzfällen und Handlungsoptionen für Geschäftfsführer, benennt Dr. Mayeul Hiéramente.

Dr. Mayeul Hiéramente, FHM
 

In den letzten Wochen geistert durch die Presse, dass die Insolvenzantragspflicht aufgrund der Corona-Krise bis zum Jahresende ausgesetzt werden soll. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit und darf nicht dazu führen, die Risiken einer Insolvenz auf die leichte Schulter zu nehmen. Andernfalls drohen zivilrechtliche Inanspruchnahme und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Für 2021 droht dann ein böses Erwachen.

Aktuelle Reformpläne

Bereits kurz nach Ausbruch der Corona-Krise hat der Bundestag auf die wirtschaftliche Sondersituation mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket reagiert und bis zum 30.9.2020 die Insolvenzantragspflicht teilweise ausgesetzt. Damit sollten Unternehmen, die durch die Covid-19-Pandemie ins Strudeln geraten sind, entlastet werden und von der in § 15a InsO geregelten Antragspflicht vorübergehend befreit werden. Über Geschäftsführern und Vorständen sollte nicht auch noch das Damoklesschwert der (strafbaren) Insolvenzverschleppung hängen. Diese Regelung läuft demnächst aus.

Die Bundesregierung schlägt nunmehr vor, diese Regelung teilweise fortzuschreiben – aber eben nur teilweise. Der Teufel steckt insoweit im Detail. So heißt es in der Formulierungshilfe der Bundesregierung: "Vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. Dezember 2020 ist allein die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung nach Maßgabe des Absatzes 1 ausgesetzt." Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung soll nach dem deutlichen Willen der Bundesregierung nicht weiter ausgesetzt werden, wenn ein Fall der Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Wer ab dem 1. Oktober 2020 ernsthafte Probleme hat, die offenen Rechnungen zu bezahlen, muss daher einen Insolvenzantrag prüfen und bei Zahlungsunfähigkeit dann auch kurzfristig stellen. Unternehmen mit Liquiditätsproblemen sollten sich daher äußerst zeitnah mit dieser Frage beschäftigen, um strafrechtliche Risiken für die Entscheidungsträger zu minimieren.

Strafrechtliche Risiken trotz Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen sind wohlgemeint. Sie haben jedoch zur Folge, dass massive Strafbarkeitsrisiken für Geschäftsführer und Vorstände kaschiert werden und damit die Gefahr unangenehmer Überraschungen wächst. In der Praxis lässt sich eine Unternehmenskrise schließlich nicht nur auf die Frage reduzieren, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder nicht. So sind kriselnde Unternehmen regelmäßig auf (Waren-) Kredite, verlängerte Zahlungsziele oder eine Förderung durch Investoren oder staatliche Institutionen angewiesen. Zudem lehrt die Erfahrung, dass viele Geschäftsleiter mittels Einsatzes von Fremdkapital und Investitionen in Produktion und Vertrieb den Versuch unternehmen, das Ruder noch einmal rumzureißen und das mühsam aufgebaute Lebenswerk doch noch zu retten. 

Es dürfte vielen das Bewusstsein fehlen, dass die Grenze zur Strafbarkeit in derartigen Fallkonstellationen schnell überschritten ist. Denn auch wenn der Gesetzgeber die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags vorübergehend ausgesetzt hat, darf bei bestehender Insolvenzreife nicht wie gewohnt weiter gewirtschaftet werden. Werden Geschäftspartner über die schwierige wirtschaftliche Situation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, werden Staatsanwaltschaften nämlich den Anfangsverdacht eines Betruges prüfen und annehmen, dass die Geschäftsleitung zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass Geschäftspartner auf ihren Kosten sitzen bleiben. Ebenso riskant ist es, wenn Vermögenswerte einer kriselnden Gesellschaft an eine andere Gesellschaft übertragen werden oder sich (Gesellschafter-) Geschäftsführer Gelder auszahlen, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Ein solches Verhalten mag verständlich sein, wenn man über Jahre Arbeit und Geld ins Unternehmen investiert hat, kann aber Ermittlungen wegen Bankrott oder Untreue zur Folge haben.

Hegen die Ermittlungsbehörden den Verdacht, dass ein Unternehmen in der Zeit der Aussetzung des Insolvenzantragspflicht (März bis voraussichtlich Dezember 2020) insolvenzreif war und schafft dieses Unternehmen die Wende nicht, sind strafrechtliche Ermittlungen gegen die Geschäftsleitung in 2021 vorprogrammiert. Es ist insoweit nur ein schwacher Trost, wenn insoweit eine Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 StPO wegen der suspendierten Antragspflicht entfällt. Diese Strafvorschrift fällt in der Praxis neben den schwerwiegenderen Delikten des Betrugs, der Untreu, des Bankrotts sowie etwaiger Straftaten nach § 370 AO (Steuerhinterziehung) und § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) nämlich eh kaum ins Gewicht.

Daher gilt: Auf den Ernstfall sollte jedes Unternehmen vorbereitet sein, denn strafrechtliche Ermittlungen sind im Zusammenhang mit Insolvenzen an der Tagesordnung und die strafrechtlichen Risiken einer Insolvenz in der Praxis beträchtlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Insolvenzantrag durch Dritte gestellt wird und die Unternehmensleitung auf den Ernstfall nicht ausreichend vorbereitet ist. Geschäftsführern und Vorständen ist oftmals nicht bewusst, wie schnell es in solchen Fällen zu Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft kommen kann und welche persönlichen Konsequenzen drohen.

Warum drohen in der Praxis strafrechtliche Ermittlungen?

Es ist eine Erfahrung in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis, dass das Risiko strafrechtlicher Ermittlungen immer wieder unterschätzt wird. Dies gilt im Besonderen für den Bereich des Insolvenzstrafrechts. Den wenigsten Geschäftsleitern dürfte bekannt sein, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu Unternehmensinsolvenzen nicht die Ausnahme, sondern der absolute Regelfall sind. Dies hat vor allem drei Ursachen:

Der erste Grund ist vergleichsweise naheliegend. Mit der Unternehmensinsolvenz geht regelmäßig einher, dass eine Vielzahl an Geschäftspartnern wirtschaftliche Verluste zu verzeichnen haben und hierfür einen Schuldigen suchen und ihn in der Geschäftsleitung des insolventen Unternehmens oft auch finden. Darüber hinaus werden bei Liquiditätsengpässen zumeist erst die für die Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen Gläubiger (z.B. Lieferanten) bedient und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht oder nur mit Verzögerung abgeführt, was für sich genommen bereits zur Einleitung von Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren und Ermittlungen durch Steuerfahndung oder den Zoll führen kann.

Darüber hinaus führen jedoch vor allem zwei Besonderheiten des Insolvenzverfahrens dazu, dass die Staatsanwaltschaft sich mit der Angelegenheit befasst. In der Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen ist niedergelegt, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft mitzuteilen ist. Dies führt dazu, dass bei der Insolvenz einer GmbH oder Aktiengesellschaft regelmäßig davon auszugehen ist, dass die Akte auf dem Schreibtisch eines Staatsanwalts landet und dieser das Geschehen unter die Lupe nimmt. Damit jedoch nicht genug: In der übermittelten Insolvenzakte befindet sich oft ein Sachverständigengutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, welches sich –nach eher summarischer Prüfung der Unterlagen – zum Zeitpunkt der Insolvenzreife äußert und dabei häufig eine Insolvenzverschleppung nahelegt. Zudem finden sich im Gutachten regelmäßig Hinweise auf eine mögliche Haftung der Geschäftsleiter (z.B. nach § 43 Abs. 2 GmbHG). Diese Ausführungen werden von der Staatsanwaltschaft daher häufig zum Anlass genommen, einen Anfangsverdacht wegen zahlreicher Insolvenzstraftaten zu bejahen und ein Strafverfahren einzuleiten. 

Handlungsmöglichkeiten für Geschäftsleiter

Dieser Automatismen sollte man sich als Geschäftsführer oder Vorstand bewusst sein. Unternehmensinsolvenzen gehen (zu) oft mit langwierigen und zum Teil kostspieligen Ermittlungsverfahren einher, die aufgrund der Komplexität des Sachverhalts, der Kasuistik der insolvenz(straf)rechtlichen Rechtsprechung und des Nebeneinanders von Insolvenz- und Strafverfahren nicht einfach zu bewerkstelligen sind. Man sollte daher auf einen solchen Fall gut vorbereitet sein.

Hierzu gehört zunächst, dass bereits vor Eintritt des Krisenfalls für eine ordnungsgemäße Absicherung der bestehenden Risiken Sorge getragen werden sollte. Da wirtschaftsstrafrechtliche Verfahren mittlerweile zum allgemeinen Berufsrisiko gehören, sollten Geschäftsleiter stets ausreichend versichert sein. Dabei ist sowohl bei D&O-Versicherungen als auch bei (Straf-) Rechtsschutzversicherungen auf das Kleingedruckte zu achten. Die bestehenden Versicherungsbedingungen variieren insoweit relativ stark und es ist keine Seltenheit, dass bestimmte strafrechtliche Tatvorwürfe vom Versicherungsschutz ausgenommen werden.

Gerät das Unternehmen in eine Schieflage, sollte die Geschäftsleitung innehalten und die Risiken für das Unternehmen, aber auch für die eigene Person selbstkritisch würdigen und überlegen, ob unter diesen Rahmenbedingungen eine Fortführung des Unternehmens möglich und sinnvoll ist. Im Zweifelsfall sollte (insolvenz-)rechtlicher Rat eingeholt werden. Jeder Geschäftsführer oder Vorstand sollte sich zudem bewusst machen, wie die eigenen Erklärungen bei Geschäftspartnern und Behörden wahrgenommen werden können. Vor allem im Falle der Insolvenzantragstellung sollte auf eine präzise Kommunikation besonderen Wert gelegt werden. Jede Äußerung gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter muss schließlich auch einer kritischen Würdigung durch die Staatsanwaltschaft standhalten können. Beachte: Strafverfahren entwickeln schnell ihre eigene Dynamik und folgen speziellen – formellen und informellen – Regeln. Hat sich die Staatsanwaltschaft einmal ein (falsches) Bild gemacht, ist es bereits aus psychologischen Gründen äußerst schwer, Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Strafverfahren verzeiht nur wenig Fehler und ist daher professionell zu begleiten.

Dr. Mayeul Hiéramente, FHM
Über den Autor: Dr. Mayeul Hiéramente ist Partner bei FHM Rechtsanwälte, einer ausschließlich auf das Wirtschaftsstrafrecht und Arbeitsrecht spezialisierten Boutique-Kanzlei. Er ist Fachanwalt für Strafrecht und berät Individualpersonen und Unternehmen bei wirtschaftsstrafrechtlichen Angelegenheiten. Er ist Mit-Herausgeber eines Kommentars zum Geschäftsgeheimnisgesetz und publiziert regelmäßig zu aktuellen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und den strafrechtlichen Risiken und Chancen der Digitalisierung.

 

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