Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff am 17. Februar 2012
 

Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff (Archiv)

Am Ende war der Druck doch zu groß gewesen. Bundespräsident Christian Wulff hat am 17. Februar 2012 seinen Rücktritt erklärt, nachdem am Vorabend die Staatsanwaltschaft in Hannover bekannt gegeben hat, gegen ihn wegen möglicher Vorteilsannahme zu ermitteln. Zum zweiten Mal binnen zwei Jahren tritt damit ein deutsches Staatsoberhaupt zurück. Mit Erleichterung und Respektsbekundungen haben die Parteien auf die Rücktrittserklärung des Bundespräsidenten reagiert. Union, FDP, SPD und die Grünen haben sich zwei Tage später auf Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten verständigt. Zur Wahl des Bundespräsidenten hat Bundestagspräsident Norbert Lammert die 15. Bundesversammlung auf Sonntag, 18. März, ins Reichstagsgebäude nach Berlin einberufen.

Christian Wulff erklärte am 17. Februar seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten. Deutschland brauche einen Bundespräsidenten, "der von dem Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürger getragen wird", sagte Wulff. Nach den Vorwürfen der letzten Wochen sei dies Vertrauen ihm gegenüber "nachhaltig beeinträchtigt". "Ich trete deshalb heute zurück, um den Weg zügig für die Nachfolge frei zu machen." Wulff betonte, er sei davon überzeugt, dass die anstehende rechtliche Klärung der Vorwürfe gegen ihn "zu einer vollständigen Entlastung führen wird". Er habe sich in seinen Ämtern stets korrekt verhalten. Die Medienberichterstattung in den vergangenen Monaten habe seine Frau und ihn verletzt, sagte Wulff.

Am Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestagspräsidenten die Aufhebung von Wulffs Immunität beantragt, um Ermittlungen gegen ihn einleiten zu können. Gegen Wulff bestehe der Anfangsverdacht der Vorteilsannahme in seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen. Der Antrag der Staatsanwaltschaft war der Höhepunkt einer Affäre um den Bundespräsidenten, die sich Monate hinzog.

Für den obersten Repräsentanten dieses Staates gelten andere Erwartungen, was Anstand, Vertrauen, Verlässlichkeit und Geradlinigkeit betrifft. Von ihnen wird erwartet, dass sie Vorbilder sind. Dem musste sich Christian Wulff jetzt beugen. Für die politische Kultur ist Wulffs Rücktritt gut, denn er zeigt, dass die Maßstäbe, die an das Verhalten der Staatsdiener angelegt werden, auch für den Präsidenten gelten.
 

Erklärung von Bundespräsident Christian Wulff
Bundespräsident Christian Wulff hat am 17. Februar in Schloss Bellevue eine Erklärung abgegeben:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Bürgerinnen und Bürger,

gerne habe ich die Wahl zum Bundespräsidenten angenommen und mich mit ganzer Kraft dem Amt gewidmet.

Es war mir ein Herzensanliegen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Alle sollen sich zugehörig fühlen, die hier bei uns in Deutschland leben, eine Ausbildung machen, studieren und arbeiten - ganz gleich, welche Wurzeln sie haben. Wir gestalten unsere Zukunft gemeinsam.

Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft am besten entfalten und einen guten Beitrag zur europäischen Einigung leisten kann, wenn die Integration auch nach innen gelingt.

Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, braucht einen Präsidenten, der sich uneingeschränkt diesen und anderen nationalen sowie den gewaltigen internationalen Herausforderungen widmen kann. Einen Präsidenten, der vom Vertrauen, nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird. Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind. Aus diesem Grund ist es mir nicht mehr möglich, das Amt des Bundespräsidenten nach innen und nach außen so wahrzunehmen, wie es notwendig ist.

Ich trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück, um den Weg zügig für die Nachfolge frei zu machen.

Bundesratspräsident Horst Seehofer wird die Vertretung übernehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird auf der wichtigen Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt am Donnerstag der kommenden Woche sprechen.

Was die anstehende rechtliche Klärung angeht, bin ich davon überzeugt, dass sie zu einer vollständigen Entlastung führen wird. Ich habe mich in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt verhalten. Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig. Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt.

Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern, die sich für unser Land engagieren. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundespräsidialamt und anderen Behörden, die ich als exzellente Teams erlebt habe.

Ich danke meiner Familie. Vor allem danke ich meiner Frau, die ich als eine überzeugende Repräsentantin eines menschlichen und modernen Deutschlands wahrgenommen habe. Sie hat mir immer, gerade in den vergangenen Monaten und den Kindern starken Rückhalt gegeben.

Ich wünsche unserem Land von ganzem Herzen eine politische Kultur, in der die Menschen die Demokratie als unendlich wertvoll erkennen und vor allem, das ist mir das Wichtigste, sich gerne für die Demokratie engagiert einsetzen.

Ich wünsche allen Bürgerinnen und Bürger, denen ich mich vor allem verantwortlich fühle, eine gute Zukunft."

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte nach dem Rücktritt, sie habe die Erklärung Wulffs mit Bedauern zur Kenntnis genommen. "Er hat uns wichtige Impulse gegeben." Er und seine Frau Bettina hätten Deutschland im Ausland "würdig vertreten".
Sie kündigte an, einen parteiübergreifenden Kandidaten suchen zu wollen. Merkel sagte, es sei tatsächlich eine Stärke des Rechtsstaates, „dass er jeden gleich behandelt, welche Stellung auch immer er einnimmt“.

Das Grundgesetz sieht in Artikel 57 für den Fall eines Rücktritts des Bundespräsidenten folgende Regelung vor: „Die Befugnisse des Bundespräsidenten werden im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen.“

Nach dem Rücktritt Wulffs übernimmt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der derzeitige Bundesratspräsident,dessen Amtsgeschäfte. Innerhalb von 30 Tagen muss die Bundesversammlung laut Artikel 54 des Grundgesetzes ein neues Staatsoberhaupt wählen.

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Die Kredit- und Medienaffäre um Christian Wulff

Seit Dezember 2011 stand Christian Wulff in der Kritik, durch seine politischen Ämter private Vorteile genossen zu haben. Im Laufe von zwei Monaten kamen immer neue Vorwürfe gegen Wulff auf. Den Anfang macht ein Bericht der Bildzeitung, nachdem Wulff 2008 von Edith Geerkens, einer befreundeten Unternehmergattin, einen Privatkredit über 500.000 Euro zur Finanzierung eines Eigenheims zu sehr günstigen Konditionen bekommen hat. In einer Befragung durch den niedersächsischen Landtag hatte Wulff im Februar 2010 angegeben seit zehn Jahren keine Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens zu unterhalten. Wenige Tage nach dieser Befragung löste Wulff im März 2010 den Privatkredit durch ein kurzfristiges Geldmarktdarlehen der BW-Bank ab. Im Laufe der Affäre kam der Verdacht auf, der Kredit würde im Grunde von Egon Geerken stammen. Auch das Geldmarktdarlehen stellte sich als problematisch heraus, da der Zinssatz außergewöhnlich günstig war. Im Dezember 2011 löst Wulff das Geldmarktdarlehen durch ein langfristiges Bankdarlehen ab. Dies gab Wulff am 15. Dezember bekannt. Den Vertrag unterschrieb er aber erst am 21. Dezember.

Im Laufe der sogenannten Kreditaffäre kamen immer neue Vorwürfe gegen Wulff auf. So hatte er in seiner Zeit als Ministerpräsident mehrfach umsonst Urlaub in Häusern befreundeter Unternehmer gemacht. Eine solche Reise hatte 2010 auch zu der Befragung im Landtag geführt. In einer Erklärung von Wulffs Anwaltsbüro hieß es, die Urlaube hätten keinen Bezug zu Wulffs öffentlichen Ämtern gehabt.

Wulff nahm darüber hinaus aber auch kostenlose Upgrades bei Flügen und Hotelzimmer von Unternehmern an. Und der Unternehmer Carsten Maschmeyer finanzierte 2007 eine Anzeigenkampagne für Wulffs Buch "Besser die Wahrheit" aus eigenem Vermögen mit 43.000 Euro. Angeblich ohne Wulffs Wissen.

Nach einem Bericht des Spiegel soll Wulff als Ministerpräsident beim VW-Konzern einen Škoda Yeti, zu "Aufsichtsratskonditionen" geleast haben. Der damalige VW-Kontrolleur Wulff musste nur ein Prozent vom Neuwagenpreis als monatliche Leasinggebühr zahlen, wohingegen gewöhnliche Kunden 1,5 Prozent abführen müssen. Damit habe Wulff womöglich gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen, wonach Minister und der Ministerpräsident "keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen" dürfen, so der Spiegel.

Im Lauf der Affäre rückte auch „Nord-Süd-Dialog“ 2009 in das Interesse der Öffentlichkeit. Bei der privaten Veranstaltungsreihe, bei der sich niedersächsische und baden-württembergische Unternehmen präsentierten, war Wulff als Ministerpräsident Schirmherr. Anscheinend trieb die Staatskanzlei in Hannover aber auch aktiv Geld bei Konzernen für die Veranstaltungsreihe ein. In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Razzia im Bundespräsidialamt. Die Staatsanwaltschaft Niedersachsen suchen im ehemaligen Büro von Wulffs langjährigem Sprecher Glaeseker nach Beweisen für den Korruptionsverdacht gegen diesen. Der "Spiegel" berichtet, der Partymanager Manfred Schmidt habe zugegeben, dass ihm die niedersächsische Staatskanzlei bei der Suche nach Geldgebern für den Nord-Süd-Dialog geholfen habe. Ohne die Kontakte des damaligen Ministerpräsidenten Wulff und dessen Sprecher wäre das Event kaum möglich gewesen. Zugleich wies Schmidt den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zurück, Glaeseker mit kostenlosen Urlaubsreisen bestochen zu haben.

Im Januar 2012 kam zu der sogenannten Kreditaffäre noch eine Medienaffäre hinzu. Es wurde öffentlich, dass Wulff kurz vor der Veröffentlichung des ersten Berichtes der Bildzeitung über den Hauskredit, dem "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Mailbox gesprochen und den "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag angedroht habe, sollte der Bericht wie geplant veröffentlichen werden. Wegen dieses Verhaltens wurde Wulff vorgeworfen ,die Pressefreiheit verletzt zu haben. In einem Interview mit ARD und ZDF räumte Wulff im Umgang mit der Affäre Fehler ein, betonte aber im Amt bleiben zu wollen.

Anfang Februar kam erneut Vorwürfe auf. Die Bildzeitung berichtete der Filmunternehmer David Groenewold habe Wulff und dessen spätere Frau Bettina im Herbst 2007 einen viertägigen Hotelaufenthalt auf Sylt gebucht und zunächst bezahlt. Wulffs Anwalt Lehr bestätigte dies und erklärte Wulff habe die Kosten später in voller Höhe selbst in bar bezahlt. David Groenewold erhielt im selben Jahr eine Bürgschaftszusage des Landes Niedersachsen in Höhe von vier Millionen Euro, die allerdings nicht in Anspruch genommen wurde. Wegen dieser Bürgschaft ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Christian Wulff, ein historisch einmaliger Vorgang. Am Tag nach dem Rücktritt nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf.

Zuletzt war der Druck auf Wulff auch aus den Reihen der schwarz-gelben Koalition gewachsen. So hatte der schleswig-holsteinische Vizeregierungschef und Sozialminister Heiner Garg (FDP) als einer der ersten Politiker den Rücktritt Wulffs gefordert: "Auch aus Verantwortung gegenüber dem höchsten Amt muss Christian Wulff jetzt die Konsequenzen ziehen", sagte Garg den "Kieler Nachrichten". Ähnlich hatte sich Michael Grosse-Brömer, Vorsitzender der niedersächsischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, geäußert: "Der Bundespräsident muss jetzt Schlüsse ziehen", sagte Grosse-Brömer der "Mitteldeutschen Zeitung".

Christian Wulff war der zehnte Bundespräsident des Landes. Er war am 30. Juni 2010 von der Bundesversammlung gewählt worden. Nach der sich über drei Wahlgänge ziehenden Wahl erklärte Wulf: "Herr Präsident, ich nehme die Wahl außerordentlich gerne und mit Überzeugung an." Christian Wulff ist zwei Tage nach seiner Wahl am 2. Juli 2010 als Bundespräsident vereidigt worden.

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Stimmen zum Rücktritt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab kurz nach Wulffs Rücktrittserklärung im Kanzleramt eine Stellungnahme ab. Sie habe Wulffs Rücktrittserklärung mit "größtem Respekt" und "tiefem Bedauern" zur Kenntnis genommen, so Merkel. Anschließend dankte sie Wulff für seine Arbeit als Bundespräsident. Er habe sich mit großer Energie für ein "modernes und offenes Deutschland" eingesetzt. Er habe deutlich gemacht, dass die Stärke des Landes in seiner Vielfalt liege. Die Kanzlerin kündigte an, dass die schwarz-gelbe Regierung auf die Opposition zugehen wolle, um nach einem gemeinsamen Kandidaten zu suchen. "Wir wollen Gespräche führen mit dem Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen zu können", sagte sie im Kanzleramt.

Der Vorsitzende der CSU, Horst Seehofer, erklärt zum Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff: "Christian Wulff hat für diese Entscheidung ungeteilten Respekt verdient. Mit diesem Schritt rückt Christian Wulff die Würde und die Bedeutung des höchsten Staatsamtes an die erste Stelle. Niemand hat sich diesen bedauerlichen Gang der Dinge gewünscht. Aber alle sind jetzt dazu aufgerufen, dieser Situation gerecht zu werden und mit Achtung vor dem Amt des Bundespräsidenten zu handeln."

 

Die Generalsekretärin der SPD Andrea Nahles erklärte zum Rücktritt Wulffs: "Dieser Schritt war notwendig und längst überfällig". Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermannn, erklärte außerdem: "Christian Wulff hat viel zu lange gezögert, um Schaden vom Amt des Bundespräsidenten abzuwenden. Es muss jetzt das gemeinsame Interesse aller demokratischen Parteien sein, die Würde des Amtes wieder herzustellen. Es darf keinen parteipolitischen Alleingang geben. (…) Wir sind zu Gesprächen bereit. Das setzt aber voraus, dass es in der Koalition keine Vorfestlegung auf einen Kandidaten gibt. Die Gespräche müssen offen geführt werden."

Die Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen Renate Künast und Jürgen Trittin kommentierten den Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff mit Erleichterung. "Wir sind erleichtert, dass Christian Wulff mit seinem Rücktritt das Land von quälenden Debatten erlöst hat". Unabhängig vom Ausgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sei dieser Rücktritt unausweichlich gewesen. Künast und Trittin forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Schreiben auf, die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien zu einem Gespräch einzuladen, „um die Möglichkeit der Wahl einer oder eines möglichst breit getragenen neuen Bundespräsidenten auszuloten“.

Die FDP-Bundestagsfaktion erklärt auf ihrer Homepage, die Entscheidung Wulffs mit Respekt zur Kenntnis zu nehmen. Wulff habe damit die notwendigen Konsequenzen gezogen und weiteren Schaden vom Amt des Bundespräsidenten abgewendet.

Die Vorsitzenden von Partei und Fraktion DIE LINKE Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Gregor Gysi betonten, dass jetzt "der Versuch unternommen werden muss, dass sich alle Parteien und Fraktionen im Deutschen Bundestag auf eine gemeinsame Kandidatin bzw. einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung auch in eine Person, die dieses Amt ausübt und ausfüllt, wirksam wieder hergestellt werden." Sie kritisierten, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Erklärung nach Wulffs Rücktritt versäumt habe, DIE LINKE als Gesprächspartnerin zu nennen.

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Joachim Gauck soll neuer Bundespräsident werden

Am 19. Februar, zwei Tage nach Wulffs Rücktritt, einigten sich alle im Bundestag vertretenen Parteien außer der Linkspartei auf einen Nachfolgerkandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Joachim Gauck, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, soll das höchste Amt im Staat übernehmen.

Dieses Ergebnis gaben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin bekannt. Der Einigung war eine schwierige Kandidatensuche vorausgegangen. Die Parteien waren sich zwar einig, dass ein gemeinsamer Kandidat der Würde des Amtes zuträglich wäre, konnten sich aber nur schwer auf einen solchen verständigen. Im Laufe des Wochenendes schrumpfte die Liste der möglichen Kandidaten, da mehrere von ihnen erklärten, nicht kandidieren zu wollen, andere waren nicht konsensfähig.

Joachim Gauck war gleich nach Wulffs Rücktritt als möglicher Kandidat genannt worden. SPD, Grüne und FDP hatten sich für Gauck ausgesprochen. Die Union lehnte ihn allerdings zunächst ab. Nach schwierigen Diskussionen innerhalb der schwarz-gelben Koalition und gab die Union ihren Widerstand gegen ihn am Sonntagabend auf.

Joachim Gauck war selbst von seiner Nominierung überrascht worden, nahm sie aber an. Bei der Pressekonferenz erklärte seine Vorstellung seines zukünftigen Amtes: "Mir (ist) am Wichtigsten, dass die Menschen in diesem Land wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können. Weil es ihnen die wunderbaren Möglichkeiten gibt, in einem erfüllten Leben Freiheit zu etwas und für etwas zu leben. Und diese Haltung nennen wir Verantwortung. Und dass Menschen auf den unterschiedlichsten Ebenen beruflich oder politisch wieder neu Vertrauen gewinnen müssen darin, dass sie Kräfte haben, die wir bei unseren Vorfahren gesehen haben, die uns aus Krisen herausgeführt haben. Und die wir uns selber manchmal nicht mehr zutrauen. Das ist für mich mit Händen zu greifen." Zum Abschluss seiner Erklärung bat Gauck "die ersten Fehler gütig zu verzeihen und von mir nicht zu erwarten, dass ich ein Supermann und ein fehlerloser Mensch bin. Aber - wie wir alle wissen - kann man ganz gute Dinge auch machen, wenn man nicht von Engeln umgeben ist, sondern von Menschen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)erklärte bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt: „Nach intensiven Überlegungen und Abwägungen verschiedener Vorschläge und möglicher Persönlichkeiten sind wir heute zu dem Ergebnis gekommen: Dieser gemeinsame Kandidat ist der Bürgerrechtler und frühere Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Joachim Gauck.“ Im Anschluss sprach die Kanzlerin Gauck ihr Vertrauen aus: „Ich bin sicher, dieser Mann kann uns wichtige Impulse geben für die Herausforderung unserer Zeit und der Zukunft, die Globalisierung, die europäische und internationale Staatsschuldenkrise, die Energiewende, die innere und äußere Sicherheit und nicht zuletzt das immer wieder neu zu schaffende Vertrauen in die Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung.“

SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel betonte, dass er die Bemühungen einen gemeinsamen Kandidaten zu finden sehr schätze. Über den Kandidaten Joachim Gauck sagte er: „Er gehört zu denjenigen, die um die Schwierigkeiten der parlamentarischen Demokratie, der Parteien und der Institutionen wissen, den Kontakt und das Vertrauen der Bevölkerung zu erringen. (...) Ich glaube, er wird helfen, diese Kluft zwischen Bevölkerung und den Institutionen der Demokratie und den Parteien auch wieder zu schließen.“

Claudia Roth, die Vorsitzende der Grünen, erklärte: "Joachim Gauck ist jemand, der der Demokratie wieder Glanz verleihen kann, der die Demokratie als etwas ganz Modernes darstellen kann. Und gerade in Zeiten von rechtsterroristischen Netzwerken glaube ich, ist es um so wichtiger, dass mit Joachim Gauck jemand Präsident werden kann in unserem Land, der Demokratie als das Erreichbare und das Notwendige für das Zusammenleben attraktiv machen kann."

Philipp Rösler, Vizekanzler und FDP-Vorsitzender, erklärte: "Es ist in der Tat ein guter Anfang, dass wir parteiübergreifend einen so guten Kandidaten gefunden haben für das Amt des Bundespräsidenten." Er sei sich sicher, dass Joachim Gauck der richtige Kandidat sei, um "dem höchsten Staatsamt (...) wieder die Autorität zu verleihen."

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Die Wahl des Bundespräsidenten

Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff am 17. Februar 2012 muss die 15. Bundesversammlung gemäß Art. 54 des Grundgesetzes innerhalb der darauf folgenden 30 Tage, also spätestens am 18. März 2012, zusammentreten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat am 20. Februar die Wahl des neuen Bundespräsidenten für den 18. März 2012 angesetzt.

Die Wahl des Bundespräsidenten ist die einzige Aufgabe dieser Versammlung. Die Bundesversammlung setzt sich laut Bundestag derzeit aus 1240 Mitgliedern zusammen: den 620 Bundestagsabgeordneten und ebenso vielen Mitgliedern, die von den Parlamenten der 16 Bundesländer entsandt werden

Art.54 Grundgesetz legt hierzu u.a. fest:

Artikel 54 [Wahl]
(1) Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt.
Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat.

(2) Das Amt des Bundespräsidenten dauert fünf Jahre. Anschließende Wiederwahl ist nur einmal zulässig.

(3) Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden.

(4) Die Bundesversammlung tritt spätesten dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen. Sie wird von dem Präsidenten des Bundestages einberufen.

(5) Nach Ablauf der Wahlperiode beginnt die Frist des Absatzes 4 Satz 1 mit dem ersten Zusammentritt des Bundestages.

(6) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt.

(7) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Artikel 55 [Unvereinbarkeiten]
(1) Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören.

(2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.

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Die paritätische Beteiligung der Länderparlamente soll bewirken, dass das Staatsoberhaupt die Bundesrepublik mit ihrer Gliederung in Bund und Länder repräsentiert.

Weder das Grundgesetz noch das "ergänzende Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung" nennt die genaue Zahl der Mitglieder der Bundesversammlung. Diese richtet sich vielmehr nach der jeweiligen Stärke des Bundestages. Im ersten Bundestag saßen 410 Abgeordnete, so dass die Länder ebenfalls 410 Delegierte in die Bundesversammlung entsenden konnten. Die Mitgliederzahl des Bundestages wuchs dann auf über 500, schwankte aber durch so genannte Überhangmandate. Sie belief sich 1954 auf 509, 1959 auf 519, 1964 auf 521, 1969, 1974 und 1979 auf 518, 1984 auf 520 und 1989 auf 519 und 1994 auf 662 Mitglieder. Dementsprechend bestand die Bundesversammlung 1994 aus 1324 Mitgliedern.

Nach der Herstellung der Einheit Deutschlands erhöhte sich mit der Wahl des Bundestages vom 2. Dezember 1990 dessen Mitgliederzahl auf 662, so dass die nunmehr 16 statt bisher 11 Landesparlamente ebenfalls insgesamt 662 Mitglieder zu stellen hatten. Somit bestand die 11. Bundesversammlung 1999 aus 1338 Mitgliedern. Nach dem Stand vom 26. Mai 2003 wird die 12. Bundesversammlung 1206 Mitglieder haben - 603 Abgeordnete des Deutschen Bundestages und 603 Delegierte der Länderparlamente.

Mit dem Einigungsvertrag von 1990 und dem Beschluss des Bundestages vom 20. Juni 1991 ist nunmehr Berlin Hauptstadt und Sitz von Parlament und Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Schon aus diesem Grunde lag es nahe, die Bundesversammlung 1994 wieder nach Berlin einzuberufen. Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth berief deshalb die 10. Bundesversammlung zum 23. Mai 1994 nach Berlin ein. Tagungsstätte war der Berliner Sitz des Bundestages, das Gebäude des ehemaligen Reichstages. Nach dessen Umbau fand dort 1999 erstmals wieder die 11. Bundesversammlung statt.

Nicht nur die Bestimmung von Zeit und Ort, sondern auch die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Bundesversammlung fallen weitgehend in den Zuständigkeitsbereich des Bundestagspräsidenten. Dazu gehören zum Beispiel die Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel und die organisatorischen Vorbereitungen wie Bereitstellung der Sitzungsunterlagen für die Mitglieder, Druck der Stimmkarten, Aufstellung eines Sitzplanes, Verzeichnis der Mitglieder, Anmietung von Sitzungsräumen für die Fraktionen und vieles andere, was einen reibungs- und störungsfreien Ablauf der Tagung gewährleistet. Da die Bundesversammlung keine eigene Tagungsstätte besitzt und wegen der großen Zahl ihrer Mitglieder nicht im Plenarsaal des Bundestages tagen konnte, fanden die Tagungen der Bundesversammlung in der Zeit von 1974-1989 im Großen Saal der Bonner Beethovenhalle statt.


 

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